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Comics, Kästchen, Bilderbücher
Schulmeyer: "Als Illustrator lebt man mit Figuren"

Heribert Schulmeyer zeichnete früher Comics im Stile der Belgischen Schule nach Hergé. Heute ist er auch renommierter Kinderbuchillustrator. Das Kinderbuch sei für jemanden, der gut zeichnen könne, ein Ideal, sagte er im Dlf. Gerade ist sein neues Bilderbuch "Alwina und Nelli" erschienen.

Heribert Schulmeyer im Gespräch mit Ute Wegmann | 14.09.2019
Buchcover "Alwina und Nelli" von Heribert Schulmeyer
Von 15 Exemplaren im Selbstverlag zu den Besten 7 im Dlf (Atlantis Verlag)
Der Schritt zum Kinderbuch
Ute Wegmann: Mit Ute Wegmann und heute bleiben wir in Köln, mein Gast ist ein echter Kölner, der seine Ausbildung an der damals hochangesehenen Kölner Werkschule absolvierte. Eine Hochschule, gegründet 1926, für Bildende Kunst, Architektur und Design, an der bekannte Persönlichkeiten wie der Architekt Domenikus Böhm oder die Maler Immendorff und Klauke unterrichteten. An der auch berühmte KünstlerInnen ihren Abschluss machten: Rosemarie Trockel, der Fotograf Chargesheimer und Candida Höfer. Ich begrüße im Kölner Studio den Künstler, Comiczeichner und Kinderbuchillustrator Heribert Schulmeyer.
Heribert Schulmeyer, Sie haben bei zwei angesehenen Künstlern studiert: dem Grafiker Heinz Edelmann, Art Director bei dem Beatles-Film Yellow Submarine und er hat Tolkien und Grahame illustriert, und bei dem Schweizer Objektkünstler Daniel Spoerri, dem Erfinder der Objektkunst und Eat Art Gallery. Das muss Anfang der 1970er Jahre gewesen sein. Wer hat Sie mehr beeinflusst?
Heribert Schulmeyer: Also wir hatten das Glück an der Schule, dass es ein offener Betrieb war und wir durften in andere Klassen. Also ich habe eigentlich studiert bei einer Professorin für Illustration und freie Grafik, Frau Marianne Kohlscheen-Richter, und die sagte: Du musst jetzt da unbedingt hingehen, da kommt jetzt der Spoerri. Aber Heinz Edelmann, der war selten an der Schule, weil er in Den Haag wohnte, aber bei dem hab ich drei oder vier sehr wichtige Erfahrungen gemacht. Also ich muss schon sagen, für meine Arbeit ist Edelmann schon richtungsweisend.
Edelmann und Spoerri als Lehrer an der Kölner Werkschule
Wegmann: Und welche Erfahrungen waren das?
Schulmeyer: Der Heinz Edelmann, der war geheimnisvoll. Ich habe ihm meine Sachen gezeigt als junger Student, habe ihm meine Comics aufgeblättert. Er hat dann ein bisschen gezögert und dann gesagt: Wissen Sie was ich eigentlich werden wollte? Comiczeichner. Und dann ist man schon in die Arme genommen. Sehr nett war das. Der hatte Geheimnisse. Er hatte zum Beispiel auch immer einen Koffer dabei, worüber ich mich amüsiert habe, und ich habe immer überlegt, was er da drin haben könnte. Und einmal hat er ihn aufgemacht und da lag nur eine Dose Cola drin. Das lernt man dann fürs Leben.
Wegmann: Und Daniel Spoerri, wie war der als Lehrer?
Schulmeyer: Daniel Spoerri war ein sehr wichtiger Mann, weil er den Kölner Studenten gezeigt hat, wie man in die Welt geht. Was man macht, um ein bisschen bekannter zu werden. Und Unverschämtheit hat er gelehrt. Man darf nicht nur brav am Tisch sitzen, man muss auch die große Glocke spielen. Das habe ich von dem gelernt.
Comics aus dem Untergrund
Wegmann: Edelmann hat auch Peter Hacks Bücher bebildert. Ich sagte schon Grahame und Tolkien. Also durchaus Bücher für ein jüngeres Publikum. Wie wurde diese Kunst damals kommuniziert?
Schulmeyer: Also wir haben in der Klasse, wo ich eingeschrieben war, ernste Literatur illustriert. Also Kafka, Peter Weiß waren die Aufgabenstellung. Das ist was, das in der freien Welt nicht mehr gebraucht wurde. So war Kinderbuchillustration, wenn man zeichnen konnte und wollte, eigentlich die Sache, wo man hingeht. Edelmann hatte immer tolle Konzepte. Der hatte den "Wind in den Weiden" illustriert, mit kleinen Vignetten oben rechts in der Ecke. Er war ein wunderbarer Konzeptkünstler, und er hat auch Erwachsenen-Bücher bei Klett-Cotta gemacht, wo die Illustrationen alle im Vorsatz waren. Also man konnte fünf Seiten durchblättern und dann kam der Text komplett. Wie unverschämt ist das denn? Das können wir heute gar nicht mehr. Aber das war toll, toll zu sehen.
Wegmann: "Der Wind in den Weiden" von Kenneth Grahame, wunderbares Buch, oft illustriert. Sie selber haben Comics gezeichnet für sogenannte Undergroundmagazine mit Namen "Zombie" und "Rad ab!" Ich kenne noch MAD, aber was waren das für Magazine?
Schulmeyer: Es gab in der Crumb-Nachfolge in München eine Gruppe von Zeichnern, zu denen ich Kontakt aufgenommen hatte, die machten Heftchen in einer bestimmten Auflage, das hieß eben "Zombies", und die gingen später alle nach Berlin, während ich in Köln war und ihnen Sachen zuschickte. Der Nachfolgeband desselben Trüppchen hieß "Rad ab!" Es war eine kleine Auflage und war eben Underground. Ich fand es ganz toll, bei mir im Haus wohnte ein junges Paar. Und einmal kam ich die Treppe herunter, da öffnete der Mann die Tür und sagte: Sind Sie der Schulmeyer aus "Rad ab!"? und ich sagte, Ja, da hat er die Tür wieder zugemacht. Und ich dachte: Bekannter wirst du nicht mehr. Total lustig.
"Ich hatte so eine etwas altertümliche Art, mit großem Straffuraufwand"
Wegmann: Was konnte man lesen in "Rad ab!"?
Schulmeyer: Das waren verschiedenste Comiczeichner, die eben ziemlich durchgeknallte Sachen machten. Ich hatte so eine etwas altertümliche Art, mit großem Straffuraufwand. Meine Serie hieß "Lost in Space", das war so ein bisschen eine Parodie auf die Mondfahrt. Das waren ziemlich durchgeknallte Sachen. Und ich muss sagen, derjenige, der das am meisten betrieben hat und uns alle betreut hat, war Hansi Kiefer (Red: Johann Kiefersauer), ein guter Freund von mir bis heute, und der zeichnet mittlerweile für "Mecki". Und das ist längste Comicserie in Deutschland und er macht das. Da bin ich sehr stolz, dass ich ihn kenne.
Die Belgische Schule
Wegmann: Nun haben Sie gerade schon den Begriff "altertümlich" verwendet und viel Straffur. In welcher Comictradition sehen Sie sich? Hat der amerikanische Comic Sie inspiriert?
Schulmeyer: Als oberste Linie habe ich Hergé. Da ist man sehr von beeinflusst, weil es auch eine Art ist, sehr sauber und sehr genau zu zeichnen. Im Studium war das das Oberste. Heute, wo ich ein bisschen älter bin, geht es mir eigentlich um Lebendigkeit. Dann ist die ganz klare Linie nicht mehr das Ideale, es ist eher die etwas suchende Linie. Aber Hergé war schon das Oberste.
Wegmann: Und die Amerikaner?
Schulmeyer: Nein, nicht so sehr. Belgische Schule muss man sagen.
Kölner Kästchentreffen
Wegmann: 1984 gründeten Sie mit dem Künstlerfreund Theo Kerp ein Papiertheater, das Kölner Kästchentreffen? Was machen Sie da?
!1Schulmeyer:!! Bei Daniel Spoerri lernte man, dass man mit Freunden oder einer Gruppe viel weiter kommt als alleine. Ich hab dann nach dem Studium mit Leuten, die dazukommen wollten, eine Gruppe gegründet: Kölner Kästchentreffen. Die trafen sich regelmäßig und stellten sich gegenseitig Aufgaben.
Wir haben Objektkunst, kleine Kästchen gemacht, Inszenierungen, uns die gegenseitig gezeigt, ein bisschen gegessen, getrunken, viel erzählt, so dass das eine Gruppe war, mit der man viel machen konnte, und Ausstellungsgelegenheiten bekam, die man alleine nie bekommen hätte. Und der Austausch war sehr intensiv und nett. Und das heißt Kölner, waren wir alle, Kästchen, machten wir, also Kölner Kästchentreffen. Und der Name blieb dann. Manchmal will man ja einen besseren haben, Alice Cooper oder so, aber in dem Fall blieb er.
Wegmann: Die Gruppe existiert doch heute auch noch.
Schulmeyer: Die existiert heute noch, die hat sich 83 formiert, und seit 1984 machen wir Papiertheater mit Graphik, das hat sich über 30 Jahre als sehr lebendig erwiesen und trägt uns heute auch noch. Wir machen kleinere Auftritte, bauen Bühnen und zeigen Stücke.
Wegmann: Und wie muss ich mir das vorstellen: Haben Sie Papierfiguren, die Sie in einer Szenerie verschieben?
Schulmeyer: Es gibt eine Tradition aus dem Biedermeier, wo man Text und Ausschneidebögen bekam. Und wir haben die Form in eine moderne Form getragen, das heißt jeder baut sich eine Bühne, eine Szenerie, jeder spielt Stücke zwischen fünf, sieben oder zehn Minuten, die wir ausschließlich zur Musik aufführen. Es ist Graphic in Zeit gesetzt. Das finde ich sehr interessant daran, dass man nicht ein fertiges Bild hat, sondern eine Abfolge von Bildern, die nach oben, unten, links und rechts weggezogen werden können und man eine Choreografie hat. Und wenn das vier oder fünf Leute am Abend machen, ist das sehr poetisch, sehr nett.
Wegmann: Und es gibt keinen Text, sondern nur Musik?
Schulmeyer: Wir machen Musik oder Musikcollagen. Es ist faszinierend, sich ein Musikstück von sieben Minuten vorzunehmen und dann ein Stück dazu zu machen. Mit Inhalt. Das letzte Stück heißt jetzt "Die drei Federn" und ist die Biographie von einem italienischen Flugpionier, der sich aber nie in die Lüfte erhoben hat. Die Leute fragen immer. Ist ja interessant, wo haben sie den gefunden? Und ich sage dann: Der ist komplett erfunden, den gibt es gar nicht. Aber es ist eine reizende Biographie in Bildern.
Wegmann: Und diese Inszenierung, diese Auftritte, erfolgen die einmal im Jahr?
Schulmeyer: Man wird dann angefragt von Festivals für Puppenspieler. Weil wir sieben Leute sind, ist es für kleine Festivals schwer, uns zu finanzieren. Wir haben nächstes Jahr einen Auftritt in Braunschweig, dieses Jahr noch mal in Köln. Und es können nur 20-30 Leute das sehen, also muss man das sehr exklusiv halten. Aber das wird noch gemacht.
Wegmann: Wann erfolgte der Schritt zum Kinderbuch?

Schulmeyer: Ja, also Kinderbuch ist für jemanden, der gut zeichnen kann, eigentlich ein Ideal. Und ich habe am Anfang das Glück gehabt, dass ich einen Bekannten hatte, Theo Kerp, der guckte sich in der Werkschule die Jahresausstellungen an und weil er aus einer Firma ausschied, sagte er: Holt euch den Typen, der hat gerade Abschluss gemacht! So bin ich gegenüber in eine Agentur geraten und hab dann zehn Jahre Werbung gemacht, die haben aber schon damals Zeichentrickfilme für die Sendung mit der Maus produziert. So kam man langsam da rein. Und nach zehn Jahren hab ich durch Zufall das Glück gehabt, beim Thienemann Verlag einen Auftrag zu bekommen. Und ab da zählt Zuverlässigkeit und Können und dann ging das Schritt für Schritt.
Wegmann: In welchem Jahr war das?
Schulmeyer: Ich glaube 1987/88.
Wegmann: Sie haben eine Menge Bücher bebildert: Erstlesebücher wie die Leselöwen, die Leseraben oder auch die seit Jahrzehnten erfolgreichen Pixi-Bücher. Und so manches reine Bilderbuch. Unter den AutorInnen Astrid Frank, Andreas Steinhöfel und Christian Tielmann. Unter den Pixis hatten Sie eine eigene kleine Reihe "Hansi Hase". Zehn Pixis. Alltagsgeschichten einer Hasenfamilie. Mit einem rosa Hasenkind. Judiths Kerrs rosa Kaninchen kam mir da in den Sinn. Autorinnen und Autoren verarbeiten ja gern die Geschichten ihrer Kinder oder die der eigenen Kindheit. Wie ist das bei Ihnen? Woher kommen Ihre Geschichten?
Schulmeyer: Das Beste, was einem passieren kann, ist wenn man den Text selber verfassen darf. Die Aufgabe der Verlage besteht oft darin, einen Autor mit einem Illustrator zu kombinieren. Das ist ihre Lust und ihre Freude und auch ihre Aufgabe. "Hansi Hase", an den bin ich durch Zufall gekommen, der reflektiert meine Kindheit. Ich hatte eine gute Kindheit, bin im Dorf groß geworden, mein Onkel hatte eine Schmiede. Wir hatten einen großen Garten, ich war gut beaufsichtigt und hatte große Freiheiten. Und dieses Art von Behütetsein und das Abenteuer Kindheit, das ist genug Feld für immer neue Geschichten.
Abenteuer Kindheit
Wegmann: Und hatten Sie ein rosa Kaninchen?
Schulmeyer: Ja, das rosa Kaninchen, das ist interessant, das Sie das gesehen haben. Hansi Hase ist der kleine Junge, der hat noch ein Tier dabei, sein kleines Kaninchen. Denn mein Freund Theo hat immer gesagt, wenn wir eine Geschichte erzählen, muss immer noch ein kleineres Tier dabei sein, was durch die Lücke kann, das durch den Zaun kommt, damit die Geschichte weitergehen kann. Fand ich immer toll, noch ein rosa Kaninchen dazu, das hat ein Eigenleben. Die Kuscheltiere sind ja für die Kinder lebendig, also sind sie auch für die Zeichner lebendig, die bewegen sich zum Teil auch.
Den Blick erweitern durchs Weglassen
Wegmann: Die Bilderbücher heißen: "Ein Punkt für Manni" – Glückskäfer, der einen Punkt verloren hat. Oder: "Bruno & Holunder. Zwei Kater auf großer Fahrt". Zwei Kater, die sich eine Art Boot bauen, mit einer heiteren Parallelhandlung von zwei Mäusen, die das gleiche machen. Jetzt aktuell "Alwina & Nelli". Auf ihren Bildern ist immer ganz schön was los. Sehr detailreich. Gemalt mit Aquarellfarben. Wie konzipieren Sie eine Geschichte?
Schulmeyer: "Bruno und Holunder" war eine Abenteuergeschichte mit zwei Katern und ich hatte den Anspruch eine totale Welt zu zeigen: Bäume, Bäche, Brücken, alte Häuser und dann hatte ich große Lust das auszumalen.
Bei "Alwina" war die Atmosphäre ausschlaggebend. Ich hatte das Gefühl, ich mache was, wo eigentlich der Blick erweitert ist durchs Weglassen. Wo das Bild durch eine Atmosphäre spricht. Und damit das Aufgeladen genug daherkommt, muss nicht noch jedes Blättchen gezeichnet werden, sondern die Stimmung muss stimmen.
Wegmann: Und Aquarellfarben, habe ich gesagt, stimmt das? Sie arbeiten ja nicht am Computer?
Schulmeyer: Nein, nein. Ich arbeite mit einem normalen Schuldeckfarbenkasten und mit guten Schmincke-Aquarellfarben, aber das meiste mach ich auf gutem Papier mit dem Deckfarbenkasten, weil ich mich mit den Farben auskenne. Und mit einem guten Papier komme ich zu den Ergebnissen, die ich möchte. Das funktioniert immer noch.
Gutes Papier
Wegmann: Also Papier ist entscheidend?

Schulmeyer: Ja, die Redakteure sagen heute immer: Sie arbeiten noch auf Papier? Ja, das geht. Papier ist schon eine tolle Sache. Ich arbeite gerade an einem Büchlein, da kommen ein Nilpferd und ein Vogel drin vor, das hab ich vor zehn Jahren angefangen. Ich muss es aber jetzt fertig machen. Ich hatte Gottseidank das Papier noch. Sonst wäre es sehr schwierig geworden, das genau so hinzukriegen. Aber ich hatte es ja noch.
Wegmann: Und wenn man sich vermalt, sag ich mal so als Laie?
Schulmeyer: Wenn man sich vermalt, ist es entsetzlich. Bei "Alwina" war es so, dass man manchmal ein Bild malte, das hatte die Atmosphäre nicht, dann musste man es noch mal neu machen. Das kam vor.
Wegmann: Zu Gast ist heute der Künstler Heribert Schulmeyer.
Sie haben lange Jahre für die Sendung mit der Maus gezeichnet und scribbelten auch Storyboards für Filme. Die letzten Jahre haben Sie viele Bücher mit Rüdiger Bertram gemacht. Angefangen hat alles 2005 mit dem Taschenbuch "Pizza Krawalla", eine amüsante Abenteuergeschichte. Hier sieht man viele S/W- Bilder, die Sie zum Text beigesteuert haben: Doppelseiten, Halbseiten, Panels. Dann kam irgendwann "Coolman", die von Bertram geschriebene Reihe über den Jungen Kai, der begleitet wird von einem Alter Ego, einer Art Superman, der aber auch schon mal Blödsinn macht und ein bisschen stoffelig ist. In den Coolman-Büchern findet man von Ihnen Panels und Strips, die mal die Geschichte weitererzählen oder eigenständige kleine Szenen, wie kleine Nebenhandlungen. Wie haben Sie das zusammen erarbeitet?
Schulmeyer: Das Konzept war so, dass Rüdiger und ich die Figur entwickelt haben und das Setting. Wir wollten jemanden zeigen, der eine innere Figur hat, die ihn begleitet. Dann sollte es ein Supermann sein, der nichts kann, der ein Angeber ist, und der geht dem Jungen auch auf die Nerven. Das ist eine schöne Konstellation, denn es führt zu Dialogen, die fast absurd sind. Der Rüdiger hat die Geschichte geschrieben und hat dann an bestimmtem Stellen, die das zuließen, einen Absatz gemacht und geschrieben: Hier könnte das und das passieren. Also wenn der Junge mit seiner inneren Figur in Verbindung tritt, also mit dem durchgeknallten Coolman, wird das gezeichnet. Ich hatte dadurch die Möglichkeit, noch etwas drüber zugehen. Ich konnte sagen, ich hau noch einen drauf. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit, das war abwechselnd. Aber ich hab einen richtigen Text von ihm bekommen mit Einschubmöglichkeiten.
"Eine schwierige Aufgabe, Text und Bild zusammen zu bekommen"
Wegmann: Was mich irritiert, ist, dass der Verlag auf der U4 von einem Comicroman spricht?
Schulmeyer: Ja, das ist interessant. Die "Pizza Krawalla" war ein Comicroman, weil die Bilder viel mehr in den Text hineingehen. Das ist eine wahnsinnig schwierige Aufgabe, Text und Bild so zusammen zu bekommen. Es gibt seit ein paar Jahren die Bezeichnung für die Jugendcomics, das ist ein Etikett. Ich würde das auch nicht so nennen.
Wegmann: Ein Comicroman ist eigentlich eine Graphic Novel. Eine Geschichte, die wirklich durch Bilder und Panels erzählt wird.
Schulmeyer: Ja, das muss auch verkauft werden, die Leute müssen die Bücher gut finden. Aber es gibt ja nichts Schöneres als so Sachen auszuweiten: Die Text-Bild-Funktionsbeziehung ist was ganz Tolles. Und davon ist das nur eine Variante. Könnte man noch schöne andere Sachen machen.
Wegmann: Was gefällt Ihnen mehr, eine Szene wie im Comic in Panels und Details zu erzählen oder Doppelseiten und Bildtafeln zu entwerfen?
Schulmeyer: Ich finde, heute wo ich ein bisschen älter bin, eine Situation so zu erfassen, dass sie in sich gültig ist, reizvoller als action- oder handlungsbetonte Sequenzen. Mir ist das lieber, ein komplettes Bild zu machen.
"Es muss immer alles zusammen kommen"
Wegmann: Komplettes Bild, kommen wir zu "Alwina und Nelli" – diese wundervolle leichte Sommergeschichte, die bei uns auf den Besten 7 vertreten war und vielfach besprochen. Die Geschichte beginnt auf dem Vorsatzpapier mit Skizzen, Proben, und dann folgen Aquarelle, Einzelbilder, wenig Text. Angesiedelt irgendwo am Meer, wird von einer Beziehung zwischen einem kleinen Mädchen und einer mittelalten, üppigen, allein-reisenden Dame erzählt.
Sie haben mir gesagt, die Skizzen lagen lange in der Schublade. Wie kam es plötzlich zur Realisierung eines Bilderbuchs?
Schulmeyer: Ich habe das Glück, dass ich eine Agentin habe, die wissen wollte, was ich noch in der Schublade habe. Da habe ich ihr ein Paket geschickt, da war "Alwina" auch dabei. Und das gefiel ihr. Aber es muss immer alles zusammen kommen: Ein Verlag, Verleger, ein Redakteur und ein Künstler und dann wird ein Buch daraus. Dann hat man Glück und in dem Fall war das so. Es gibt Alwina seit 1998 in meiner Schublade, komplett, im Selbstverlag herausgegeben mit 15 Exemplaren. Und dann jetzt als richtiges Buch.
Wegmann: Man kann in dem Fall auch den mutigen Programmleiter des atlantis Verlag erwähnen: Hans ten Dornkaat, der machte die Geschichte.
Schulmeyer: Ja, er sagte, sie ist so, als ob sie aus dem Skizzenbuch käme, als ob du die Leute am Strand beobachtet hättest – und dann haben wir es so gemacht. Das war sein Beitrag dazu. Sehr nett.
"Als Illustrator lebt man mit Figuren"
Wegmann: Wenn man so lange mit Figuren beschäftigt ist, welches Verhältnis haben Sie zu Alwina entwickelt? Ist sie Teil Ihres Lebens?
Schulmeyer: Nelli hätte ihr Abitur schon hinter sich. Also ich weiß, wo Nelli wäre. Und Alwina war eine Figur, die ich schon vorher hatte. Als Illustrator lebt man mit Figuren. Und es ist auch so, dass ich Schauspieler habe. Dann sage ich: Nimm doch mal die Rolle der krebskranken Mutter in dem Buch. Und die machen das. Alwina ist ne ganz tolle Frau: Ich weiß, wo die wohnt, ich weiß, welchen Beruf sie hat, ich weiß, was sie vorher gemacht hat. Ich gehe sehr gut mit ihr um. Die wird komischerweise nicht älter.
Wegmann: Bin ich Alwina schon mal vorher begegnet? In dem Buch "Die Nichtschwimmer" über drei Freunde? Ist sie die Frau aus Prag?
Schulmeyer: Ganz klar. Ich habe einen Comic gemacht: "Herr Martin riskiert einen Blick aufs Meer", da ist sie sehr lebendig als Landschaftsmalerin tätig. Die geistert durch das Oeuvre, muss man sagen. Die ist sehr da.
Wegmann: Überhaupt gibt es noch ein Buch über drei Männer. Die außerhalb der Saison Urlaub am Meer machen. Wenn man sich diese Bilder anschaut, auch ein Buch im Selbstverlag, das sind ja annähernd Hopper-ähnliche Bilder, die erzählen viel von Leere und von Einsamkeit?
Schulmeyer: Das ist ein Buch mit einem Nachwort, das habe ich gemacht in einer Zeit – mein Vater ist früh gestorben und auch mein Bruder. Und mir kamen plötzlich diese drei Männer, die den Urlaub am Meer verbringen. Und eigentlich war das eine Hommage an diese Dreierkonstellation. Es schwingt eine private Traurigkeit da mit und gleichzeitig auch ein Trost. Das war die Stimmungslage, in der ich das gemacht habe. Und wenn ich so was anfange, denke ich, was könnte komisch sein? Jemand, der zwei anderen an einer Tischtennisplatte zusieht und die anderen sind nicht zu sehen, nur der Ball, der hin und herfliegt, weil ich das so festhalten wollte, das ist viel komischer als die Verlassenheit, am Strand alleine Tischtennis zu spielen. Wenn es funktioniert, ist es sehr schön. Das Buch hat dieses Ziel.
"Manchmal amüsiere ich mich über mich selber"
Wegmann: In diesem Buch "In der Stille ist Optimismus Pflicht" aus dem Jahr 1999 gibt es einen Hinweis auf zwei müde Engel, die Sie begleiten, der verwundete Bruder und der kopfschüttelnde Vater.
Schulmeyer: Ja, das ist das. Und bei den "Nichtschwimmern", manchmal amüsiere ich mich über mich selber, ich verfolge Biografien, die es nicht gibt. Ich erfinde mir Figuren und verfolge die und amüsiere mich mit diesen Leuten. Und das erste kleine Bändchen - "Die Nichtschwimmer", die dann in die Nachsaison übergehen, sind drei Exilrussen, die gerade in Deutschland angekommen sind und versuchen, Fuß zu fassen und zwischen Erinnerung und Gegenwart schwanken. Ich amüsiere mich darüber. Ich kenne ja solche Leute gar nicht, habe aber eine Ahnung, wie die sich fühlen. Das ist ein schönes Thema.
Hopper-ähnliche Gemälde
Wegmann: Wollen wir noch mal kurz über Alwina sprechen und würden Sie vielleicht ein oder zwei Seiten lesen. Es gibt da so ein wunderbares Bild, sehr viel Wasser, ein Segelboot und in dem Boot Alwina und Nelli.
Schulmeyer: Ich sage mal was zu dem Bild. Der Name Hopper fiel gerade. Ein großes Vorbild aus der Kunstgeschichte. Es gibt eine schöne Geschichte von Lars Gustafson, der sagte: Ich würde gern erzählen, wie meine Tante Agathe, wenn sie auf der Veranda saß, denn unter jeder Geschichte war noch eine andere. Was etwas ganz Tolles ist. Wenn man also ein Segelboot an der Küste zeichnet und weiß, es gibt eine wundervolle Graphik von Edward Hopper, die so ähnlich ist, initiiert das noch eine andere Geschichte. Das ist in dem Fall so. Es gibt ein Hopper-Bild und dieses, es ist nicht gleich, aber der Segelstand des Bootes ist ähnlich.
Der Text zu diesem weiten, winddurchstoßenen Bild lautet:
"Im Hafen fragte Nelli den einzigen Piraten, den sie kannte, ob er sie einmal mit auf sein Schiff nehmen würde. Sie wollte Alwina eine Freude machen. Alwina war noch nie gesegelt und als die Wellen höher gingen, wurde ihr etwas schlecht."
Das initiiert, dass die Geschichte noch weiter gehen könnte, denn man stellt sich vor, was passiert, wenn sie an Land geht. Und so geht das von gutem Moment zu gutem Moment.
Hier ist eine Abendszene, wo Alwina ein bisschen angeekelt einen Fisch nach Hause trägt und Nelli sehr fröhlich hinterherläuft und der Text heißt:
"Dafür gingen sie gegen Abend zur Mole. Sie schauten den Anglern zu und bekamen einen Fisch geschenkt. Madame Coutard briet ihn in der Pfanne. Nelli bekam ein großes Stück Fisch, Alwina probierte nur ein kleines. Beide fanden es köstlich. Nellis Tante war sehr zufrieden."
Madame Coutard taucht nur im Text auf, kann aber offensichtlich gut kochen, ist offensichtlich Nellis Tante – man liefert also mehr Figuren, als man sieht: Jeder denkt, was macht denn die Tante? Ist sie zuhause? Was kocht die denn sonst? Das finde ich amüsant, dass man durch Andeutungen komplette Welten erzeugen kann.
Das Prinzip Auslassung
Wegmann: Also die Weglassung ...
Schulmeyer: Ist ein gutes Prinzip. Das macht es offen und interessant. Das Konzept von Hans ten Dornkaat zu sagen, wir gehen in die Skizzen, war auch so, dass die ersten Seiten zu Alwina hinführen, die letzten Seiten zeigen, was Nelli macht, damit man ein bisschen getröstet aus dem Buch herauskommt.
Wegmann: Dazwischen haben wir immer auf der linken Seite den Text, mal länger, mal kürzer, auf der rechten Seite ein Bild. Heribert Schulmeyer, Sie sind Jahrgang 1954. Sind im August 65 geworden. Andere gehen in Rente und auf Kreuzfahrt und Sie? Weiter mit dem Fahrrad durch die Kölner Südstadt und wir dürfen noch auf ein paar kluge, amüsante Skizzenbuchgeschichten hoffen?
Schulmeyer: Im Moment kommen wieder Aufträge und Ideen. Man muss sich offen halten. Das versuche ich.
Heribert Schulmeyer:
"In der Stille ist Optimismus Pflicht"
Übermuth-Verlag (Köln), 32 Seiten
"Die Nichtschwimmer. Überleben im Halbschatten"
Übermuth-Verlag (Köln), 22 Seiten
"Hansi Hase"
Pixi-Buch 1349, Carlsen-Verlag (Hamburg), 28 Seiten
"Ein Punkt für Manni"
Thienemann Verlag (Stuttgart), 28 Seiten
"Bruno & Holunder. Zwei Kater auf großer Fahrt"
Thienemann Verlag (Stuttgart), 28 Seiten
"Alwina und Nelli"
atlantis Verlag (Zürich), 42 Seiten
Rüdiger Bertram und Heribert Schulmeyer (Illustration):
"Pizza Krawalla. Eine unheimliche Bestellung"
Oetinger Verlag (Hamburg), 118 Seiten
Rüdiger Bertram und Heribert Schulmeyer (Illustration):
"Coolman und ich. Bonjour Baguette"
Oetinger Verlag (Hamburg), 187 Seiten