Susana Muhamad hat Großes vor: Kolumbiens Umweltministerin will die Weltnaturkonferenz COP16 zu einem Erfolg führen. Lange Küste, Regenwälder, Paramo-Hochlandsteppe – Kolumbien gehört zu den artenreichsten Ländern der Erde. Mit Biodiversität kennt Muhamad sich aus. Ihr Appell: Wenn wir die Natur schützen, schützen wir uns selbst.
Ohne Naturschutz werde die Menschheit langfristig keine Ernährungssicherheit haben, warnt auch Astrid Schomaker, Chefin der UN-Konvention zum Schutz der Biodiversität, die neben Muhamad der Konferenz vorsteht. Sicher müssten auch Eisbär und Tiger geschützt werden. Aber in erster Linie gehe es darum, die Natur als Ganzes zu schützen, damit die Ökosysteme weiterhin saubere Luft, Trinkwasser und Nahrungsmittel bereitstellen könnten.
Die Ausgangslage
Die Abkürzung COP steht für "Conference of the Parties", im Fall von Cali für die Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention (CBD). Die COP16-Konferenz in Cali baut auf der Verabschiedung des Weltnaturvertrags auf der COP15 im Dezember 2022 in Montreal auf.
Dieser Vertrag, "Kunming Montreal Global Biodiversity Framework Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework" genannt, beinhaltet für das Jahr 2050 die Vision einer weltweit nachhaltigen Bewirtschaftung der Natur ohne Raubbau. Und bis zum Ende des jetzigen Jahrzehnts 23 sehr konkrete Kurzzeitziele, darunter ist das sogenannte "30/30-Ziel": Bis zum Jahr 2030 sollen fast ein Drittel der Land- und Meeresfläche geschützt sein und fast ein Drittel der bereits degradierten Ökosysteme wieder in einen naturnahen Zustand versetzt werden. All dies als Teil einer größeren Transformation.
Weil spätestens seit dem Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES von 2019 klar ist: Wer das Artensterben abbremsen möchte, muss nicht einzelne Frösche retten, sondern die Feuchtgebiete, die die Frösche zum Überleben brauchen.
Die Hauptthemen der COP16
Bei der COP16 in Cali geht es jetzt vor allem um eine Bestandsaufnahme, ob die Regierungen mittlerweile Schutzziele, Aktionspläne und nationale Biodiversitätsstrategien entwickelt haben und diese mit glaubwürdigen Indikatoren unterlegt sind. Denn viele der bisherigen Schutzgebiete existieren mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit.
Der Naturschutzbund NABU hat alle hierzulande bestehenden und an die EU gemeldeten Schutzgebiete in einer Studie ausgewertet. Danach kommt Deutschland bisher nur auf etwa 18 Prozent der Flächen. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern erreicht für sich genommen das 30 Prozent Ziel. Die flächenmäßig geringsten Anteile an Schutzgebieten haben Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern.
Laut der Analyse des NABU erfüllen etwa zwei Drittel der bisher gemeldeten deutschen Schutzgebiete noch nicht die Standards, die international für das 30-Prozent-Ziel gefordert wären. Oft fehlen definierte Schutzziele, konkrete Maßnahmenpläne, Voraussetzungen für ein wissenschaftlich fundiertes Monitoring oder ganz schlicht die notwendigen Ranger, um ein Gebiet zu betreuen.
Dagegen konstatieren Wissenschaftler, dass die Natur in der Regel dort in auffällig besserem Zustand ist, wo sie von indigenen Völkern und lokalen Gemeinden verwaltet wird. Ein Ziel der Konferenz ist deshalb, deren Wissen und Rolle aufzuwerten.
Anfang 2024 konnte das UN-Abkommen zum Schutz der Hohen See in Kraft treten, also jenes Teils der Weltmeere, der allen und keinem Nationalstaat gehört. Verbesserter Meeresschutz in ein weiteres Thema für Cali. Kolumbiens Umweltministerin Muhamad und die UN-Diplomatin Schomaker wollen parallel die Verhandlungen für einen UN-Plastik-Abkommen vorantreiben. Das soll 2025 beschlossen werden. Denn die UNESCO warnt: Wegen Überfischung, Plastikmüll und Klimaerwärmung steht es um die Zukunft der Weltmeere nicht gut.
Welche Erwartungen gibt es an die COP16?
Zu Konferenzbeginn lagen dem UN-Biodiversitätssekretariat nicht mal drei Dutzend nationale Schutzstrategien vor. Auch keine aus Deutschland – Bundesumweltministerin Steffi Lemke hatte zwar noch vor der Abreise nach Cali einen Entwurf vorgelegt, der die von 2007 ersetzen soll. Doch da es sich um eine Strategie der gesamten Bundesregierung handeln muss und die anderen Ministerien jetzt voraussichtlich ihre Einwände und Wünsche einbringen werden, kann sie damit in Cali nicht wirklich auftrumpfen.
UN-Biodiversitätskonventionschefin Astrid Schomaker zeigt für die Verzögerungen ein gewisses Verständnis: "Es geht jetzt nicht nur darum, dass wir noch zehn Prozent neue Bäume pflanzen, sondern dass wir uns eben auch angucken: Wie sind unsere Energiesysteme? Wie ist unsere Landwirtschaft? Was für Verschmutzungsziele können wir uns neu stecken? Und wie können wir das eigentlich erreichen? Und wie können wir das finanzieren? Und das sind komplexe Fragen, die wirklich einer Abstimmung regierungsweit bedürfen." Ärmeren Ländern fehlten oft schlicht die Manpower und das Geld.
Zu den großen Streitfragen in Cali gehört deshalb, wie viel Geld die reicheren Länder den ärmeren zum Schutz ihrer Biodiversität zur Verfügung stellen. Denn die reichen sind aufgrund ihres Überkonsums in erster Linie verantwortlich für den desolaten Zustand der Natur, so die Sicht im globalen Süden, aber sie geben gleichzeitig über 500 Milliarden Dollar für naturschädliche Subventionen aus, zum Beispiel für eine Agrarproduktion, die zu stark auf gefährliche Pestizide und Überdüngung setzt.
Außerdem steht die Frage im Raum, wie sich Biopiraterie vermeiden lässt. So nennt es sich, wenn sich Unternehmen unerlaubt an Samen von Pflanzen und Tieren aus einem anderen Land bedienen, um damit Geld zu verdienen. Nur: Heutzutage müssen Biopiraten kein lebendes genetisches Material mehr über Grenzen schmuggeln: Es reicht, die DNA als digitalisierte genetische Sequenz aus den Datenbanken der Welt abzugreifen. Wie Forschern der notwendige freie Zugang zu diesen digitalen Sequenzinformationen ("Digital Sequence Information" – DSI) gewährt und gleichzeitig den Herkunftsländern der genetischen Ressourcen ein Vorteilsausgleich garantiert werden kann, gehört zu den dicksten Brettern, die es in Cali zu bohren gilt.
Ein Vorschlag lautet: Die wichtigsten Nutznießer der Biodiversität sollten grundsätzlich einen gewissen Betrag ihres Umsatzes oder Gewinns in den multilateralen Fonds einspeisen. Namentlich genannt werden die Pharma-, die Kosmetik- sowie die Nahrungsergänzungsmittelindustrie. Denn über 50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes hängen direkt oder indirekt von funktionierenden Ökosystemen beziehungsweise deren Ökosystemleistungen ab.
Wie sicher ist ein Abschluss?
Ein Abschluss ist nicht sicher. Allerdings gilt die Konferenz als eine Art Prestigeprojekt für Südamerika. Zum ersten Mal haben sich einige Staatschefs angesagt – im Vergleich zu den UN-Klimakonferenzen bekamen die Biodiversitätsverhandlungen bisher wenig Aufmerksamkeit. Unter anderem kommt Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva als Vertreter eines mächtigen Schwellenlandes, das einen Großteil der wichtigen Amazonasregion und der so wertvollen genetischen Artenvielfalt der Welt verwaltet.