Dienstag, 21. März 2023

BBNJ: UN-Vertrag zum Meeresschutz
Was mit dem Hochseeabkommen beschlossen wurde

Die UN-Mitgliedsstaaten haben sich auf ein Abkommen geeinigt, das die Meere jenseits staatlicher Hoheitsgewalt besser schützen soll. Die Hochsee umfasst fast zwei Drittel der Ozeane und ist für Mensch und Klimaschutz von zentraler Bedeutung.

Von Jule Reimer | 05.03.2023

    Mutter und Kind: Zwei Wale schwimmen in der Tiefsee.
    Die Verhandlungen über das Internationale Abkommen zum Schutz der Hohen See mussten in die Verlängerung gehen – doch die UN-Mitgliedsstaaten konnten sich schließlich einigen. (Getty Images / Serge Melesan)
    Der völkerrechtlich bindende Vertrag über die „Biodiversität jenseits nationaler Gesetzgebung“ (BBNJ) zum Schutz der Meere ist die logische Konsequenz der Weltbiodiversitätskonferenz von Montreal im Dezember 2022. Dort hatte sich die Staatengemeinschaft darauf geeinigt, künftig 30 Prozent der Meere bis zum Jahr 2030 als Schutzgebiete auszuweisen. Doch für den fast rechtsfreien Raum der Hohen See gab es bisher weder Institutionen noch Regelwerke, die die Beschlüsse von Montreal hätten umsetzen können.
    Die förmliche Annahme des BBNJ-Abkommens schafften die Regierungsdelegationen am 5. März 2023 nach einer 36-Stunden-Marathonsitzung nicht mehr. Konferenzvorsitzende Rena Lee stellte aber klar, dass der Text ausreichend stehe, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt zu bestätigen, ohne dass Diskussionen „in der Sache“ wiederaufgenommen werden müssten.

    Was wird als Hohe See bezeichnet?

    Als Hohe See oder Hochsee wird der Teil der Meere bezeichnet, der nicht unter der Kontrolle eines bestimmten Staates steht. Diese Meeresgebiete ohne Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt machen rund 60 Prozent der Weltmeere aus. Im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) werden die Ozeane grob in drei Zonen unterteilt:
    • Küstenmeere: bis zu zwölf Seemeilen von der Basislinie entfernt, das ist die Küstenlinie bei Niedrigwasser
    • Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ): bis zu 200 Seemeilen (ca. 370 Kilometer) von der Basislinie entfernt, wobei die Zone für den Meeresboden sogar auf bis zu 350 Seemeilen ausgedehnt werden kann
    • Hohe See: alles außerhalb dieser Zonen
    Die Hohe See ist Handelsweg, Sauerstofflieferant, CO2-Senke und lockt mit mineralischen Rohstoffen im Tiefseeboden. Nur fünf Prozent der Ozeane sind bisher erforscht. Die lichtlosen Bereiche ab einer Tiefe von 200 Metern und der Meeresboden der Tiefsee bieten unzähligen, meist unentdeckten Lebewesen und Mikroorganismen eine Heimat. Diese könnten die Rezeptur für zukünftige Medikamente oder Kosmetika in sich tragen. 

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Die Hohe See gehört allen und jedem, ihre Ressourcen werden im UN-Seerechtsübereinkommen UNCLOS als "gemeinsames Erbe der Menschheit" anerkannt. Doch wegen Überfischung, Plastikmüll und Klimaerwärmung steht es um die Zukunft der Meere nicht gut. Die UNESCO schätzt, dass bis Ende des Jahrhunderts rund die Hälfte aller Meereslebewesen vom Aussterben bedroht sein könnte. Gleichzeitig stellen immer mehr Unternehmen und Staaten bei der Internationalen Meeresbodenbehörde IMB Anträge, um in der Tiefsee Unterwasserbergbau zu betreiben.

    Was wird das BBNJ-Meeresschutzabkommen regeln?

    Im BBNJ-Abkommen haben sich die UN-Mitgliedsstaaten vor allem über Verfahrensfragen geeinigt: Wie wird ein Schutzgebiet vorgeschlagen, wer prüft nach wissenschaftlichen Kriterien, ob die Ausweisung sinnvoll ist? Wie oft werden sich die BBNJ-Mitglieder zu einer Vertragsstaatenkonferenz treffen? Wann und wie müssen die Rechte lokaler Gemeinden und indigener Völker beim Schutzstatus berücksichtigt werden? 
    Entscheidungen sollten im Konsens getroffen werden. Das hatte vor allem Russland gefordert und damit ein Veto-Recht bei der Ausweisung von Schutzgebieten gefordert. Jetzt sieht das Abkommen auch Entscheidungen mit Dreiviertelmehrheit vor. Festgelegt wurde ein Verfahren für die Streitbeilegung.
    Im BBNJ sind wichtige Grundsätze wie das Vorsorge- und das Verursacherprinzip („Polluter-pays-principle“) und eine ökosystemorientierte Herangehensweise verankert, was für die Vernetzung von Schutzgebieten wichtig ist. Laut WWF könnten zum Beispiel Schiffsrouten verlegt werden, um „blaue Korridore“ für weit wandernde Walarten zu schaffen. Parallel wird derzeit auf UN-Ebene eine Konvention gegen die Vermüllung der Meere mit Plastik vorbereitet, die den Druck hin zum Recyceln von Kunststoffen erhöhen wird.
    Unternehmen und Regierungen müssen künftig bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten auf der Hohen See bzw. in der Tiefsee eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in Betracht ziehen. Zwar dürfen nicht die Mitglieder der BBNJ-Vertragsstaatenkonferenz darüber entscheiden, ob so eine Prüfung notwendig wäre, sondern allein der jeweilige Flaggenstaatinhaber des Projekts. Aber der Verzicht auf eine Prüfung der Umweltwirkung muss öffentlich und wissenschaftlich begründet werden.

    Staatliche Souveränität soll unangetastet bleiben

    All dies sind heikle Regeln vor dem Hintergrund der geopolitischen Bedeutung der Meere als Verkehrsadern und Rohstofflieferant. Das BBNJ tritt in Kraft, wenn es von 60 Staaten und ihren Parlamenten ratifiziert wurde. Im Fall Chinas gehen Konferenzbeobachter von einer Ratifizierung aus, wie die russische Regierung entscheidet, ist unklar. Russland erhebt besondere Ansprüche auf die Arktis und in der Antarktis ist der Schutz des Weddell-Meeres erst vor kurzem erneut am Widerspruch der russischen Regierung gescheitert.
    Es wäre das größte Meeresschutzgebiet der Erde geworden. Die USA ratifizieren erfahrungsgemäß so gut wie keine UN-Abkommen mehr. Aber die Regierung unter US-Präsident Biden unterstützt das Zustandekommen des BBNJ-Abkommens finanziell und ideell.
    Rückenwind erhielt die UN-Konferenz von der am 3. März 2023 zu Ende gegangenen „Our Ocean“-Konferenz in Panama, wo sich die Umweltminister*innen diverser Staaten versammelt hatten, die ausdrücklich den Meeresschutz voranbringen wollen, darunter die USA und die EU. Dort wurden laut panamaischem Außenministerium „341 neue Verpflichtungen“ bekannt gegeben, die Zusagen von fast 20 Milliarden Dollar für den Meeresschutz entsprächen, falls sie eins zu eins umgesetzt würden.

    Was war der strittigste Punkt in den Verhandlungen zum Meeresschutz?

    Hauptstreitpunkt war bis zum Schluss die Frage, wie Gewinne und Vorteile aus der Nutzung der genetischen Meeresressourcen zwischen Globalem Norden und Globalem Süden aufgeteilt werden. Insbesondere die Industriestaaten verfügen über deutlich höhere Kapazitäten als arme Länder, die Schätze der Natur als Produkte zu kommerzialisieren. So basieren das Krebsmedikament Halaven und das Covid-Medikament Remdesivir auf der Nutzung von Tiefseeorganismen und bringen ihren Patentinhabern hohe Gewinne ein.
    Das BBNJ sieht jetzt eine Fondslösung zugunsten des Globalen Südens vor, in den die entwickelten Länder und voraussichtlich auch Schwellenländer wie China zunächst einen Pauschalbetrag einzahlen. Später fließen dann prozentuale Anteile der Gewinne ein, die Unternehmen mit der Nutzung von Meerespflanzen, -tieren und Mikroorganismen erzielen.
    Der Abkommenstext enthält auch ein umfangreiches Kapitel über einen entsprechenden Kapazitätsaufbau für die Nutzung der Meeresressourcen durch den Globalen Süden sowie die Auflage, Technologien und Wissen weiterzugeben und zu teilen. In diesem Zusammenhang sagte die EU in New York 40 Millionen Euro zu, um ärmeren Staaten die Ratifizierung des Vertrags und seine anfängliche Umsetzung zu erleichtern.
    Da die Schätze der Hochsee völkerrechtlich Erbe der Menschheit seien, gehörten die Gewinne daraus ebenfalls allen, spitzten Regierungsvertreter aus dem Süden ihre Kritik zu. Und wiesen darauf hin, dass weder die Klimaerwärmung noch die Vermüllung der Meere noch die Überfischung auf das Konto des Globalen Südens gehe. In New York war also wie bereits auf der UN-Klimakonferenz in Sharm El Sheik und der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal zu spüren, dass die ärmeren Länder im Grunde Entschädigungszahlungen für die aus Klimaerwärmung und Biodiversitätsverlust resultierenden Folgeschäden erwarten.

    Wie sind die Reaktionen auf das Meeresschutzabkommen?

    Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, feierte das Abkommen als "Sieg des Multilateralismus und der globalen Bemühungen, den zerstörerischen Trends entgegenzuwirken, die die Gesundheit der Ozeane heute und für kommende Generationen bedrohen". EU-Umweltkommissars Virginijus Sinkevicius begrüßte den BBNJ-Vertrag als „entscheidenden Schritt zur Erhaltung des Meereslebens und der biologischen Vielfalt, die für uns und zukünftige Generationen von wesentlicher Bedeutung sind“.
    Ein Mantarochen schwimmt mit breit ausgebreiteten Flügeln im indischen Ozean.
    Mantarochen in der Tiefsee: Die Staatengemeinschaft habe erhebliche Meinungsverschiedenheiten zugunsten der Natur und unserer Zukunft auf diesem Planeten schlussendlich überwunden, lobte der WWF das Verhandlungsergebnis. (Getty Images / Alexis Rosenfeld)
    Bundesumweltministerin Steffi Lemke bewertete die Einigung auf das BBNJ-Abkommen als historischen Erfolg. Sie wies darauf hin, dass damit auf fast der Hälfte der Erdoberfläche ein weitgehend regelloser Zustand beendet werden kann. Nun sei auch auf den Weltmeeren endlich ein umfassender Schutz bedrohter Arten und Lebensräume möglich. Deutschland werde die Umsetzung dieses wichtigen Abkommens vorantreiben. „Denn der Ozean ist unser mächtiger Verbündeter in der Klima- und Biodiversitätskrise. Wenn wir ihn schützen, schützen wir auch uns Menschen.“ Für Lemke bedeutet das Abkommen konkreten Rückenwind. Denn in der derzeit noch gültigen Biodiversitätsstrategie aus der Feder der Vorgängerregierungen spielt der Meeresschutz nur eine untergeordnete Rolle. 
    Die Staatengemeinschaft habe erhebliche Meinungsverschiedenheiten zugunsten der Natur und unserer Zukunft auf diesem Planeten schlussendlich überwunden, lobte der WWF das Verhandlungsergebnis. Der Vertrag schließe gefährliche Rechtslücken.
    Greenpeace sprach von einem historischen Tag, wies aber darauf hin, dass das Abkommen derzeit ein großes Versprechen sei, das noch ratifiziert und umgesetzt werden müsse. Die Bundesregierung muss nun zusammen mit anderen Ländern zügig die Umsetzung echter Schutzgebiete vorantreiben: frei von industrieller Nutzung, frei von jedem menschlichen Eingriff. Der nächste Schritt sollte nun ein Stopp der Pläne zur Ausbeutung von Rohstoffen der Tiefsee sein, damit 2023 zu einem wirklich grandiosen Jahr für den Schutz unserer Meere wird”, fordern die Umweltaktivisten.
    Im Bereich Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) springe das Abkommen noch zu kurz, meint Martin Kaiser von Greenpeace Deutschland. "Denn das soll den Ländern selber überlassen bleiben oder den regionalen Fischereiabkommen, die bisher zahnlose Tiger waren und zum Schutz der Weltmeere überhaupt nichts beigetragen haben."

    Warum sind internationale Regeln für die Hohe See wichtig?

    Ozeanökosysteme produzieren die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Sie absorbieren den Großteil der menschengemachten Treibhausgase und nehmen viel zusätzliche Wärme auf. Damit federn sie den Klimawandel deutlich ab: Ohne ihre Wirkung als CO2-Senke wäre die Erwärmung an Land schon jetzt deutlich stärker ausgefallen als bisher. Und: Für über drei Milliarden Menschen sind Fisch und Meeresfrüchte der wichtigste Proteinlieferant in ihrer täglichen Ernährung.
    Regierungen und Gerichte haben jedoch nur Regelungsrecht in ihren eigenen Küstengewässern und ihrer eigenen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ).
    Grafik zeigt völkerrechtliche Zonen entsprechend dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Das Gebiet beginnt 200 Seemeilen von der Basislinie entfernt, wenn der gesetzliche Festlandsockel (wie in Artikel 76 definiert) nicht über diese Grenze hinausreicht.
    Deshalb erweist sich die Rechtsfreiheit auf Hoher See zunehmend als Problem. So könnte der Tiefseebergbau ohne Regelwerk verheerende Folgen haben; viele Staaten fordern sogar sein Verbot oder zumindest ein Moratorium solange nicht klar ist, wie sich diese Art Aktivität auf die sowieso schon belasteten Ozeane auswirkt.
    Das 30-Prozent-Schutzgebiete-Ziel von Montreal wiederum ist für die Meere ohne Einbeziehung der Hohen See gar nicht zu erreichen. Doch bislang gibt es keine Institution, die dort Schutzgebiete ausweisen könnte oder über ein Regelwerk dafür verfügt.
    Ein völlig rechtsfreier Raum ist die Hohe See jedoch schon heute nicht. Auf der Basis der teils vagen Vorgaben des UN-Seerechtsabkommens UNCLOS kontrollieren derzeit über 20 Organisationen bestimmte Regionen oder Sektoren der Hohen See: Die Behörde für den Tiefseeboden IMB wacht über den Zugang zu mineralischen Rohstoffen, die Internationale Maritime Organisation IMO reguliert die Schifffahrt und Regierungen haben sich in regionalen Fischereiorganisationen auf Quoten und Fangbeschränkungen geeinigt.
    Doch diese Institutionen existieren unkoordiniert nebeneinander und sie erfassen und regulieren längst nicht alle Gebiete und alle Nutzungen.

    Welche marinen Gebiete der Hohen See sind besonders schützenswert?

    Untermeerische Berge verfügen zum Beispiel über eine große Biodiversität, erklärte Stefan Hain vom Helmholtz Zentrum für Meeres- und Polarforschung im Dlf. "Die agieren wie Inseln in der Tiefsee. Da gibt es enorm artenreiche Ökosysteme, die sich dort etablieren."
    Zudem gibt es andere schützenswerte Ökosysteme wie zum Beispiel Kaltwasserkorallen, die Riffe in der Tiefsee bilden, die genauso komplex sind wie tropische Riffe. Das größte von ihnen erstreckt sich vom Norden Norwegens entlang der Atlantikküste bis nach Südafrika. Das größte Problem sei, dass man noch zu wenig von der Tiefsee wisse, denn vom Tiefseeboden sei bisher nur 0,01 Prozent erforscht, so Hain.
    Ein großer Tiefseefisch mit aufgerissenem Maul und vielen Zähnen. Seine Glühbirne ist in einer Plastiktüte gefangen.
    Plastik gelangt durch Meeresströmungen in alle Teile des Ozeans, einschließlich der Tiefsee. (imago / Science Photo Library)
    Wissenschaftler haben laut Hain weltweit etwa 320 biologisch signifikante Marinegebiete auf der Hohen See ausgewiesen, die schützenswert sind. Wie diese miteinander verbunden werden könnten - etwa für Wanderwege von bestimmten Arten - müsse man in einem zweiten Schritt ermitteln. Aktuell ist lediglich ein Prozent der Fläche in regionalen Übereinkommen unter Schutz gestellt, die allerdings für viele Staaten nicht bindend sind.
    Quellen: Deutschlandfunk, Jule Reimer, Tomma Schröder, Britta Fecke, wwf, SMC, greenpeace, bmuv, dpa, og