Der Corona-Ausbruch beim Schlachtereibetrieb Tönnies in Nordrhein-Westfalen hat weitreichende Folgen. Im Kreis Gütersloh werden alle Schulen und Kitas bis zu den Sommerferien geschlossen. 7.000 Menschen müssen in Quarantäne. Der Schlachtbetrieb bei Tönnies ist vorerst eingestellt. Wie das Unternehmen mitteilte, werden nun weitere Bereiche nach und nach heruntergefahren. Angesichts des Coronavirus-Ausbruchs hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet mehr Wachsamkeit gefordert.
NRW Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagte im Deutschlandfunk, der erneute Ausbruch in einem Schlachthof sei nicht überraschend. Die Betriebe seien durch die niedrigen Temperaturen und die Bedingungen in den Sammelunterkünften besonders anfällig für die Verbreitung des Coronavirus.
Laumann betonte jedoch, dass in dem Betrieb der Firma Tönnies alle Sicherheitsauflagen beachtet worden seien. Es habe bei den Kontrollen keine Beanstandungen gegeben. Jetzt müsse man klären, wo die Ursachen liegen. Wichtig sei jetzt, dass man das Problem lokalisiere. "Deswegen habe ich gestern zusammen mit dem Landrat entschieden, dass wir alle 7.000 Mitarbeiter unter Quarantäne stellen, bis wir durch eine Testung wissen, ob sie negativ sind."
Kontrolle der Wohnbedingungen kaum möglich
Laumann forderte in diesem Zusammenhang, die Situation in den Schlachtbetrieben generell zu verbessern. Das Kerngeschäft des Schlachtens sei an Werkvertragsunternehmer outgesourct worden, kritisiert Laumann. "Deswegen unterstütze ich so sehr, dass endlich in Berlin im Deutschen Bundestag entschieden wird, dass wir Werkverträge in der Schlachtindustrie nicht mehr haben wollen."
Laumann hofft, dass der aktuelle Fall dazu führt,"dass der Bundestag die Gesetzgebung schneller macht. In den ersten Sitzungswochen nach der Sommerpause brauchen wir diese gesetzliche Grundlage." Außerdem müsse auch der Arbeitsschutz das Recht erhalten, die Wohnungen zu kontrollieren. Das sei zurzeit rechtlich nur aufgrund der pandemischen Lage möglich.
Das Interview im Wortlaut:
Karl-Josef Laumann von der CDU ist Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen. Ihn habe ich vor wenigen Minuten gefragt, wie sehr er denn darüber überrascht war, dass ein Fleischbetrieb erneut zum Hotspot wurde.
Karl-Josef Laumann: Darüber bin ich eigentlich nicht überrascht, weil die Schlachthöfe schon eine besondere Situation haben, was die Verbreitung des Virus angeht. Einmal sind es natürlich die Arbeitsbedingungen in einem Schlachthof, die winterlichen Temperaturen, die Feuchtigkeit, dass die Leute, so wie der Ablauf in einem Schlachthof ist, doch relativ eng zusammenstehen, dass große Teile der Belegschaften natürlich auch in Sammelunterkünften untergebracht sind. Das sind natürlich alles Merkmale, die deutlich machen, dass Schlachthöfe besonders anfällig sind für die Verbreitung des Virus. Wir haben ja auch den Fall in Coesfeld gehabt, wir haben viele Fälle oder auch einige Fälle in großen Schlachthöfen im Land Niedersachsen gehabt, in Schleswig-Holstein gehabt, und wir haben es natürlich jetzt in einem Ausmaß bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, das schon heftig ist. Denn wenn man Menschen testet, tausend, und man hat am Ende rund zwei Drittel Positive, dann mache ich mir natürlich schon eine Menge Sorgen, was kommt dabei herum, wenn wir die anderen 6000 in den nächsten Tagen testen.
"Wir haben es mit einem bis jetzt noch lokal begrenzbaren Ereignis zu tun"
Heckmann: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wurde gestern gefragt, was das denn jetzt heiße für den bisherigen Lockerungspfad der Landesregierung. Seine Antwort war, das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist seien und dort der Virus herkomme. – Wie sinnvoll ist es jetzt, mit dem Finger auf ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu zeigen?
Laumann: Der Ministerpräsident hat mit dieser Aussage im Grunde sagen wollen, wir haben es mit einer Situation zu tun, die spielt sich in einem Schlachthof ab. Sie spielt sich nicht in unseren restlichen Teilen der Gesellschaft ab. Wenn wir uns das Infektionsgeschehen bis jetzt im Kreis Gütersloh anschauen, wäre ohne die Systematik und die Situation bei Tönnies der Kreis Gütersloh nicht auffällig. Es geht ja darum, dass wir den Menschen sagen, jetzt brauchen wir keine Angst haben, keine Hektik haben, sondern wir haben es mit einem, bis jetzt noch lokal begrenzbaren Ereignis zu tun.
Heckmann: Das heißt, Sie würden das bestätigen, was Herr Laschet gesagt hat, dass das Virus von Rückkehrern ins Land gebracht worden ist?
Laumann: Nein, ich bestätige gar nichts, und ich bin auch überhaupt nicht der Meinung, dass man sagen kann, dass es von den Rückkehrern ins Land gebracht worden ist. Denn wenn man sich einfach mal die Infektionsraten in den Ländern anschaut, wo diese Menschen herkommen, sind die ja auch nicht höher wie bei uns.
Keine Schuldzuweisungen des Ministerpräsidenten
Heckmann: Dann ist ein Ministerpräsident falsch informiert?
Laumann: Das kann zurzeit keiner sagen.
Heckmann: Wie kommt denn der Ministerpräsident auf diese Aussage?
Laumann: Der Ministerpräsident hat, finde ich, mit dieser Aussage deutlich machen wollen, dass es nicht um eine Frage geht, die überall an allen Stellen in Nordrhein-Westfalen ist, sondern dass wir eine Situation, bezogen auf einen Betrieb haben.
Heckmann: Er hat ja gesagt, dass das Virus dort herkommt.
Laumann: Wer den Ministerpräsidenten kennt weiß, dass der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen mit Schuldzuweisungen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, ich finde, dass er darüber erhaben ist. Das ist nicht seine Auffassung, sondern die Auffassung ist, wir haben es mit einem lokalen Ereignis in einem Schlachtunternehmen in Rheda-Wiedenbrück zu tun.
Heckmann: Da hat er sich ungenau ausgedrückt?
Laumann: Das können Sie bewerten wie Sie wollen.
"Keine Beanstandungen" bei Tönnies
Heckmann: Wie bewerten Sie es?
Laumann: Ich persönlich weiß, wie er es gesehen hat, und ich finde, dass die Aussage, finde ich, in diesem Zusammenhang genannt und dargestellt werden sollte und jetzt nicht ein Teil herausgenommen wird mit einer Richtung, die mit den großen Problemen, die wir in Rheda-Wiedenbrück zu tun haben, überhaupt nichts zu tun hat.
Heckmann: Herr Laumann, hat denn der Betrieb die Corona-Sicherheitsauflagen, zum Beispiel den Sicherheitsabstand eingehalten? Sie als Arbeitsminister müssten darüber Bescheid wissen.
Laumann: Ja. Wir haben den Betrieb auch in den Tagen vorher noch mal kontrolliert, bevor überhaupt die ersten Anzeichen da waren. Da hat es bei einer zweiten Überprüfung auch keine Beanstandungen gegeben. Dieser Betrieb hat ja auch Menschen, die länger wie eine bestimmte Zeit aus dem Betrieb raus waren, getestet. Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass diese große Firma Tönnies schon auch weiß, wie man einen Schlachthof betreibt. Man muss immerhin sehen, dass der Schlachthof ja auch drei Monate in einer schwierigen Corona-Zeit mit Hochdruck gearbeitet hat, ohne dass etwas passiert ist. Jetzt ist etwas passiert. Wir werden klären, wo die Ursache der Infizierungen liegt. Aber viel wichtiger ist für mich als Gesundheitsminister zurzeit, dass wir das Problem lokalisieren. Deswegen habe ich ja auch gestern zusammen mit dem Landrat entschieden, dass wir alle 7000 Mitarbeiter unter Quarantäne stellen, bis wir wissen, durch eine Testung, ob sie negativ sind, weil wir jetzt alles daran setzen müssen, dass diese Problematik nicht über den engeren Kreis des Schlachthofes hinaus auf die Bevölkerung übergreift. Ob es gelingt weiß auch niemand, aber das ist jetzt die Strategie, die wir fahren, und die bindet zurzeit auch alle Kräfte.
Unterbringung: "in vielen Fällen nicht vernünftig"
Heckmann: Herr Laumann, ein riesen Problem ist ja immer wieder auch die Unterkunft von ausländischen Werkverträglern in der Fleischindustrie. Was wissen Sie über die Umstände, unter denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort in dem Betrieb untergebracht sind?
Laumann: Wir haben auch hier in den letzten Wochen in Nordrhein-Westfalen mit dem Arbeitsschutz und auch mit örtlichen Ordnungsbehörden uns sehr viele Werkvertragswohnungen angeschaut. Wenn man einen Strich darunter zieht, muss man sagen, dass innerhalb der Landwirtschaft – da haben wir ja auch viele Saisonarbeiter zurzeit – die Situation bis auf wenige Ausnahmen vernünftig ist. Was die Schlachthöfe angeht, ist sie in vielen Fällen nicht vernünftig.
Sie haben es ja bei mir mit einem Politiker zu tun, der schon lange sagt, dass das, wie es zurzeit auf den Schlachthöfen läuft, nicht so weitergeht, denn das Problem ist in der gesamten Schlachtindustrie in Deutschland bei den großen industriellen Schlachtbetrieben, dass man das Kerngeschäft des Schlachthofes, nämlich Tiere zu schlachten und zu zerlegen, outgesourct hat an Werkvertragsunternehmer und sich die Inhaber, die Besitzer der Schlachthöfe, ob es jetzt Familienunternehmer sind wie bei Tönnies, oder ob es genossenschaftliche Besitzverhältnisse sind, nicht genügend verantwortlich fühlen für ihre Belegschaft. Deswegen unterstütze ich so sehr, dass endlich in Berlin im Deutschen Bundestag entschieden wird, dass wir Werkverträge in der Schlachtindustrie nicht mehr haben wollen. Es gibt ja immer wieder viele, die argumentieren, das ginge europarechtlich nicht. Aber hier wird der Kernbereich einer Produktion outgesourct und nicht Randbereiche, und ich finde, das hat einen qualitativen Unterschied.
Laumann: Gesetzgebung unmittelbar nach der Sommerpause notwendig
Heckmann: Herr Laumann, die Koalition in Berlin hat ja in der Tat entschieden, das System der Leiharbeiter, der Werkverträge, der Sub-Sub-Subunternehmerschaft in der Fleischindustrie zu verbieten, aber erst ab kommendem Jahr. Hätte man da nicht schneller reagieren müssen?
Laumann: Ich hoffe, dass der Fall jetzt in Rheda-Wiedenbrück dazu führt, dass der Bundestag die Gesetzgebung schneller macht. Ich hätte mir nach dem Problem in Coesfeld oder auch in Niedersachsen, wo dann der Kabinettsbeschluss gefallen ist, gewünscht, dass der Deutsche Bundestag dieses noch vor der Sommerpause durchzieht. Das tut er nicht. Er hat ja auch jetzt die letzte Sitzungswoche. Aber ich finde, man sollte jetzt Rheda-Wiedenbrück zum Anlass nehmen, dass man unmittelbar nach der Sommerpause in die Gesetzgebung geht. Als Arbeitsminister im größten Bundesland erwarte ich dieses auch von Bundesregierung und von den Bundestagsfraktionen.
Heckmann: Bis wann muss das stehen?
Laumann: Man muss ja ein ganz normales Gesetzgebungsverfahren machen. Aber ich finde, in den ersten Sitzungswochen nach der Sommerpause brauchen wir diese gesetzliche Grundlage, denn in der Fleischindustrie alleine in Nordrhein-Westfalen arbeiten ja ungefähr 20.000 Menschen. Und man muss es ja auch so organisieren, dieser Umschwung von Werkverträgen zu Stammbelegschaften braucht ja auch ein bisschen Zeit. Wir müssen die Menschen ja auch dafür gewinnen. Denn eins darf man bei dem ganzen Thema nicht vergessen: Schlachthöfe sind natürlich wie die Versorgung der Menschen mit Fleisch und damit mit auch einem wichtigen Lebensmittel unverzichtbare Bestandteile in einer Gesellschaft. Wenn man eine starke Landwirtschaft haben will in einem Land wie Nordrhein-Westfalen, wie vor allen Dingen hier im westfälischen Landesteil, dann gehören dazu natürlich auch funktionsfähige Schlachthöfe.
Klare Regeln für Sammelunterkünfte schaffen
Heckmann: Herr Laumann, die Bundesregierung hat auch entschieden zu prüfen, wie Unternehmen dauerhaft zu Mindeststandards bei der Unterbringung mobiler Arbeitskräfte verpflichtet werden können. Ist das nicht ein bisschen wenig, sich darauf zu verständigen, etwas nur zu prüfen?
Laumann: Ich glaube, dass wir ganz klare Regeln schaffen müssen, wenn man Sammelunterkünfte für Arbeitnehmer hat, wie groß die Zimmer sein müssen, wieviel Quadratmeter jedem Arbeitnehmer zur Verfügung stehen müssen. Das gilt, finde ich, jetzt nicht nur für die Schlachtindustrie; das gilt auch für andere Sammelunterkünfte. Wir haben heute Rahmenempfehlungen in den Bundesländern rausgegeben, die auch abgestimmt worden sind mit dem Landwirtschaftsministerium. Aber sie sind natürlich nicht bindend und wichtig ist auch, dass es eine Meldepflicht gibt, dass die Einwohnermeldeämter wissen, wo diese Menschen untergebracht sind. Die Ordnungsämter müssen stärker gegen Schrottimmobilien vorgehen, die es ja in diesem Zusammenhang teilweise auch gibt. Und was ganz wichtig ist, ist, dass der Arbeitsschutz das Recht bekommt, diese Wohnungen zu kontrollieren.
Ich kann erst, seitdem wir Corona haben, mit dem Arbeitsschutz überhaupt in diese Wohnungen, weil ich mich jetzt auf das Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage stütze. Wenn wir keine pandemische Lage mehr haben, kann der Arbeitsschutz in keine Privatwohnung mehr rein. Deswegen waren ja auch diese Bereiche zurzeit zumindest für einen Arbeitsminister einfach nicht zu kontrollieren, weil die Rechtskonstrukte der Wohnungen so gemacht worden sind, dass es sich nicht um Werkswohnungen handelt – da kann der Arbeitsschutz kontrollieren, da gibt es auch Vorschriften -, sondern es handelt sich um Wohnungen, die privat angemietet sind und die natürlich dann dem Schutz der Privatwohnung unterliegen, wie Ihre Wohnung und meine Wohnung auch.
"Solche Fälle kann man nie ganz verhindern"
Heckmann: Das heißt, Herr Laumann, die Versäumnisse liegen aus Ihrer Sicht in Berlin? Haben Sie sich als Landesarbeitsminister keine Versäumnisse vorzuhalten?
Laumann: Ich will zumindest mal sagen, dass ich schon im Oktober in Nordrhein-Westfalen alle 30 großen Schlachthöfe an einem Tag kontrolliert habe, dass ich umfangreich dokumentiert habe, wie die Arbeitsverstöße sind, und diese Dokumentation ja auch zu einer Debatte innerhalb der Politik und auch der Medien in Deutschland geführt hat.
Heckmann: Hat den neuen Fall aber nicht verhindert.
Laumann: Nein. Aber ich glaube auch, dass man solche Fälle nie ganz verhindern kann. Aber ich darf schon für die nordrhein-westfälische Landesregierung und auch für mich als Arbeitsminister in Anspruch nehmen, dass wahrscheinlich zurzeit in Deutschland kein amtierender Politiker sich so um das Thema seit Jahren kümmert wie ich.
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