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Corona-Hotspot Ischgl
Die juristische Suche nach Verantwortung beginnt

Vom Skiort Ischgl in Österreich aus verbreitete sich das Coronavirus im März über ganz Europa. Rund 1.000 betroffene Touristen sehen die zu späte Reaktion der Behörden als Grund dafür. Der österreichische Verbraucherschutzverein hat nun erste Schadenersatzklagen eingereicht.

Von Clemens Verenkotte | 25.09.2020
ABD0136_20200423 - ISCHGL - ÖSTERREICH: ZU APA0272 VOM 23.4.2020 - Seit Mitternacht gehört die Quarantäne, die über das Tiroler Paznauntal sowie über die Gemeinden St. Anton am Arlberg und Sölden verhängt worden war, der Vergangenheit an. Im Bild: Eine überdimensionale Skibrille aufgenommen am Donnerstag, 23. April 2020, in Ischgl. - FOTO: APA/EXPA/JOHANN GRODER - 20200423_PD2830 |
Seit 23. April 2020 ist der Skiort Ischgl offiziell wieder frei von Quarantäne - doch der Name ist Synonym für die schnelle Verbreitung des Virus geworden. (picture alliance/APA/picturedesk.com)
Wien, Mittwochvormittag: Pressekonferenz des österreichischen Verbraucherschutzvereins. Der Anlass: Erste Anklageeinreichung von Ischgl-Geschädigten. Die sogenannten "Amtshaftungsklagen" richten sich gegen die Republik Österreich. Peter Kolba, Vorsitzender des Verbraucherschutzvereins:
"Wir werden wohl in den Gerichtsverfahren den Herrn Bundeskanzler Kurz ersuchen, als Zeuge aufzutreten. Wir werden den Herrn Landeshauptmann Platter als Zeugen wohl benennen. Wir werden den Behördenleiter aus Landeck als Zeugen benennen und befragen, wer hat wann wem was kommuniziert."
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 24. September 2020 im Rahmen der Pressekonferenz "Sicherer Wintertourismus in Österreich"
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 24. September 2020 im Rahmen der Pressekonferenz "Sicherer Wintertourismus in Österreich" (www.picturedesk.com)
"Druck von Lobbyisten aus dem Tourismus"
Peter Kolba sitzt an diesem Mittwochvormittag zusammen mit zwei weiteren Anwälten auf einem erhöhten Podium im "Ballsaal" eines Wiener Grandhotels – der ursprünglich vorgesehene Raum in einem renommierten Wiener Presseclub reichte angesichts des sehr großen Medieninteresses nicht aus: Über ein Dutzend Kamerateams und rund 40 Journalisten sind anwesend. In der Klageschrift, die der Anwalt des Verbraucherschutzvereins gegen die Republik Österreich eingereicht hat, wird der zentrale Vorwurf mit den Sätzen umschrieben:
"Die zuständigen Behörden hatten schon sehr frühzeitig, nämlich bereits Ende Februar/Anfang März 2020 Kenntnis davon, dass in Tirol und insbesondere in Tiroler Skiorten, konkret auch in Ischgl, das Coronavirus grassierte. Die Behörden wären verpflichtet gewesen, zum Schutz der Bevölkerung und insbesondere auch zum Schutz von individuellen Menschen, darunter von Tirol-Urlaubern, unverzüglich wirksame Maßnahmen zu setzen, um eine Ausbreitung des Coronavirus und weitere Ansteckungen zu verhindern."
Und weiter:
"Die zuständigen Behörden unterließen all dies jedoch, und zwar aus grober Fahrlässigkeit, und teilweise – schlimmer noch – auf Druck von Lobbyisten aus dem Bereich des Tourismus, insbesondere aus Kreisen der Seilbahnwirtschaft, der Hotellerie und der Gastronomie. Dass Menschen dadurch gefährdet werden, nahmen zumindest einzelne der für die Behörden handelnden Organe in Kauf. Diese handelten daher insofern nicht nur fahrlässig, sondern sogar mit bedingtem Vorsatz."
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13. März: Überstürzte, unkoordinierte Abreise
Ein Rückblick: Wie jeden Winter fährt die Frankfurter Beamtin Martina B. mit ihren beiden erwachsenen Töchtern und ihrem Mann zum Snowboard-Fahren ins Tiroler Paznauntal. Am 8. März reisen sie an. Zuvor hatten sie sich extra noch im Hotel erkundigt, ob es sicher sei zu kommen.
"Nachdem wir das Gefühl hatten und auch nachgefragt hatten, dass das Gebiet soweit okay ist und der Hotelier uns unsere Sorgen nahm, haben wir am Montag dann unseren Snowboard-Urlaub im Skigebiet begonnen. Das bedeutete, dass nichts, rein gar nichts darauf hinwies, welche Problematik schon in Tirol beziehungsweise dort herrschte."
Am 13. Marz, jenem berüchtigten Freitag, den 13., musste Familie B., zusammen mit rund acht- bis zehntausend Gästen - überstürzt und vollkommen unkoordiniert - das Tal verlassen, nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz am frühen Nachmittag die Quarantäne über Ischgl und die umliegenden Skigebiete verhängt hatte. Nach 12-stündiger Autofahrt erreichten sie am Samstagmorgen um 6 Uhr ihre Heimatstadt Frankfurt am Main. Kurz darauf zeigten sich bei Martina B. deutliche Symptome:
"Meinen Verlauf bezeichnet man als mittelschwer. Das bedeutet, dass ich im Krankenhaus war, aber nicht intensivmedizinisch beatmet wurde und ich war insgesamt fünf Wochen in Einzelisolation. Die Folgen von Corona spüre ich heute noch extrem. Ich habe seit fast sechs Monaten meinen Geruchs- und meinen Geschmackssinn komplett verloren. Ich habe einen Lungenschaden erlitten, der irreparabel ist und meine Lebensbedingungen stark einschränkt und eventuell meine Lebenserwartung. Und ich habe einen leichten Herzschaden erlitten und habe auch noch derzeit Nervenprobleme im Hirnbereich, die sich auf meine Motorik und auch meine Hirnleistungen auswirken."
Martina B. ist eine von 6.170 Ischgl-Urlaubern, die zwischen Ende März und 20. September dem Aufruf des österreichischen Verbraucherschutzvereins gefolgt sind, sich zu melden, wer durch den Skiurlaub in Ischgl Schäden davongetragen hat. 80 Prozent dieser 6.170 Urlauber sind nach der Rückkehr in ihren Heimatländern positiv getestet worden.
Knapp 4.000 Geschädigte aus Deutschland meldeten sich
Aus insgesamt 45 Ländern meldeten sich Geschädigte, darunter knapp 4.000 Menschen aus Deutschland, rund 800 aus den Niederlanden, 223 Touristen aus Großbritannien, 229 Touristen aus Österreich. Davon erklärten sich über 1.000 Menschen bereit, gegen die Republik Österreich und das Bundesland Tirol zu klagen, auch Martina B. aus Frankfurt am Main.
Vom Ausmaß der Rückmeldungen sei er überrascht gewesen, sagt Peter Kolba, der Vorsitzende des Verbraucherschutzvereins gegenüber dem ARD-Studio Wien: "Unser Pfand sind 6.000 Leute, die vor Ort waren und die ganz genau beschreiben, was war vor Ort, und dann natürlich auch ihren weiteren Leidensweg mit Infektion, viele waren dann in Heimquarantäne, und ein bis zwei Prozent waren im Krankenhaus, Intensivstation, und bis heute zählen wir 32 Verstorbene."
22 Verstorbene aus Deutschland, fünf aus den Niederlanden, jeweils ein Todesopfer aus Belgien, Großbritannien, Dänemark, Norwegen und den USA. Wer ist dafür verantwortlich? Wo liegen gegebenenfalls die Versäumnisse? Und bei wem? War es Fahrlässigkeit oder Vorsatz, Überforderung oder Unvermögen?
60 positive Testergebnisse bereits Anfang März
Eine kurze Chronologie: In der Nacht vom 4. auf den 5. März schicken die isländischen Behörden eine Warnung über das Europäische Frühwarnsystem an das Gesundheitsministerium nach Wien: Acht Rückkehrer aus Ischgl seien positiv getestet worden. Zu diesem Zeitpunkt halten sich rund 11.000 ausländische Touristen im Paznauntal auf. Am 7. März wird der Barmann der Aprés-Ski-Bar Kitzloch positiv getestet. In der Woche vom 7. bis 13. März wurden nach Angaben des Amtes der Tiroler Landesregierung in Ischgl 104 konkrete Verdachtspersonen gemeldet, von denen 60 anschließend positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Eine Erkenntnis, die mit der Veröffentlichung der Klageschrift jetzt erst publik geworden ist.
Skifahrer im österreichischen Ort Ischgl
Kritik am Tiroler Krisenmanagement
Quarantäne in den österreichischen Ski-Regionen Paznauntal und St. Anton am Arlberg. Viele skandinavische Länder hatten vor Reisen in diese Region schon früher gewarnt, besonders nach Ischgl.
Am 10. März werden alle Aprés-Ski-Lokale geschlossen, die Skilifte laufen weiter. Am Morgen des 13. März beschließt die Bezirkshauptmannschaft Landeck, dass alle ausländischen Touristen ihre Namen und Handy-Nummern hinterlassen müssen und Österreich auf dem schnellsten Wege zu verlassen hätten. Österreichische Touristen, Dorfbewohner und Saisonarbeiter sollten im Tal in Quarantäne bleiben.
Doch das Inkrafttreten dieser – wie später Recherchen des Verbraucherschutzvereins ergaben – entscheidenden Verordnung , wurde erst mit elfstündiger Verspätung wirksam: am Abend, gegen 19.30 Uhr, durch die Veröffentlichung an "schwarzen Brettern" der Gemeinden. Dabei hatte Tirols Landeshauptmann Günther Platter bereits am Vormittag des 13. März zum Telefon gegriffen und die Clubobleute informiert - also die Fraktionschefs im Tiroler Landtag. Der Fraktionschef der liberalen NEOS in Innsbruck, Dominik Oberhofer:
"An dem besagten Freitag, den 13., hat mich Vormittag der Landeshauptmann persönlich angerufen, und hat mich informiert darüber, dass eben über das Paznaun-Tal, insbesondere Ischgl, die Quarantäne ausgerufen wird. Es sei unmittelbar vor der Pressekonferenz, 'das wird jetzt gleich medial groß aufschlagen', waren seine Worte. Und ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass ich um 15 Uhr, das war am Freitag, nach Hause gefahren bin, und dann im österreichischen Rundfunk Radio gehört habe, dass kolonnenweise Stau aus dem Paznaun-Tal ist und sich Tausende Touristinnen und Touristen auf dem Weg aus Ischgl auf der Abreise befinden. Und das Erste, was mir in den Sinn gekommen ist, war: Die sind nicht ganz oben! Es kann ja unvorstellbar… Quarantäne heißt Quarantäne. Und es ist ja unvorstellbar, dass wir hier Menschen ausreisen lassen, die nicht getestet worden sind, und vor allem als Touristik habe ich mir gedacht, wie naiv muss man sein, die tragen ja den Virus in ganz Europa."
Verbraucherschutzverein: Kanzler Kurz hatte keine rechtliche Befugnis
Um 14 Uhr am Freitag, den 13. März, tritt Bundeskanzler Kurz in Anwesenheit von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Vizekanzler Werner Kogler und Innenminister Karl Nehammer in Wien vor die Kameras und stellt das Paznauntal sowie St. Anton am Arlberg unter Quarantäne.
"Österreicher und Österreicherinnen, die in diesen Gemeinden Ischgl, See, Kappl, Galtür, und St. Anton am Arlberg leben, aber auch die österreichischen Urlauberinnen und Urlauber dort sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Gemeinden werden selbstverständlich bestens versorgt und werden schon in 14 Tagen die Möglichkeit haben, ihr gewohntes Leben wieder fortzusetzen."
Die rechtlichen Befugnisse dazu, so heißt es in der Klageschrift des österreichischen Verbraucherschutzvereins, hätte allerdings nicht Sebastian Kurz gehabt, sondern die zuständige Bezirkshauptmannschaft Landeck. Die Polizeibeamten in Ischgl und im Paznauntal hatten daher bis zum Abend dieses 13. März von den lokalen Behörden keine rechtlichen Grundlagen in der Hand, um die Quarantäne-Maßnahmen durchzusetzen.
Luftaufnahme von Ischgl - Ende 2022 soll die Silvretta Therme fertigstellt sein.
Luftaufnahme von Ischgl - Ende 2022 soll die Silvretta Therme fertigstellt sein. (picture alliance / EXPA / APA / picturedesk.com)
Endzeitstimmung: Tumultartige Szenen in Ischgl
Es kommt nach der Pressekonferenz von Sebastian Kurz, die auf den Skihütten und im Paznauntal von vielen Touristen auf den Handys live verfolgt wird, zu tumultartigen Szenen in Ischgl: zwischen acht- und zehntausend Touristen reisen angesichts der Hotel-Schließungen und der bevorstehenden Quarantäne Hals über Kopf ab. Auch die Frankfurter Beamtin Martina B.:
"Als wir dann am Ende des Skitages unten nach Ischgl runterkamen, herrschte dort Endzeitstimmung. Menschen liefen völlig wahllos mit Koffern und Gepäck durch den Ort. Busse fuhren nicht mehr."
Verbraucherschutz-Chef Peter Kolba: "Bundeskanzler Kurz hat - mit Sicherheit war er der, der diese Pressekonferenz bei der Abreise getragen hat, ne. Und da wurde ganz offensichtlich aus PR-Überlegungen - er muss es bekanntgeben, so einen wichtigen Schritt - wurde das Chaos erst ausgelöst in Wahrheit, ne."
Am Montag nach dem chaotischen Abreise-Wochenende in Ischgl und den übrigen Skiorten im Paznauntal, am 16. März, befragt ORF-Moderator Armin Wolf in der abendlichen Nachrichtensendung "Zeit im Bild 2" den Landesgesundheitsrat von Tirol, Bernhard Tilg, von der konservativen ÖVP:
"Offensichtlich haben sich viele Hundert, vielleicht sogar weit über tausend Menschen aus Deutschland, Dänemark, Norwegen, Island innerhalb weniger Tage völlig unkontrolliert in Tirol angesteckt. Sind Sie noch immer der Meinung, dass von der Organisation her da nichts falsch gelaufen ist?"
"Ja, ich glaube, dass die Behörden in Tirol sehr richtig agiert haben. Die ausländischen Medien machen den Eindruck, dass das Coronavirus in Ischgl entstanden ist. Das ist aber nicht so."
"Das war im höchsten Maße peinlich."
"In der Außenkommunikation eine große Pleite"
Lois Hechenblaikner, ein gebürtiger Tiroler, kennt Ischgl wie kaum ein Zweiter. "Und wo ich sage, das ist schlimm in der Außenkommunikation war das eine große Pleite, eine Peinlichkeit, weil man hat einfach gesehen, dass man hier nicht in der Präsenz der Verantwortung ist. Sondern man versucht hier einfach so eine politische Firewall vorzuschieben, um sich selbst so zu sagen, wir haben 'eh alles getan, ja?"
Über lange Jahre hat der renommierte Fotograf Lois Hechenblaikner die mitunter orgiastischen Party-Exzesse von alkoholisierten Touristen in Ischgl dokumentiert und in einem Bildband in diesem Jahr veröffentlicht.
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Bildband "Ischgl" - Champagner-Bad im Skigebiet
Die alkoholschweren Après-Ski-Partys sind legendär. Im österreichischen Ischgl lassen es Gäste aus dem nahen Ausland krachen. Ein Bildband des Fotografen Lois Hechenblaikner dokumentiert diese spezielle Art des Extrem-Tourismus.
"Diese Ausgelassenheit, die ja künstlich immer jeden Tag herbeigeführt wurde, eben mit Alkohol, mit Musik. Ja, ich würde es wirklich als einen Entzivilisierungsprozess bezeichnen, weil eben nur in diesem berauschten Zustand die Leute loslassen, und dann so intensiv zur Konsumation neigen, ne?!"
"Enjoy – if you can!" – so lautet das offizielle Motto Ischgls. Doch unter den Geschädigten, die sich bereiterklärt haben, sich an weiteren Klagen des Verbraucherschutzvereins zu beteiligen, finden sich auch zahlreiche Menschen, die nichts mit den Party-Exzessen auf den Pisten und in den Aprés Ski-Bars am Hut hatten.
Klage bezieht sich zunächst auf vier Fälle
Sehr frühzeitig, bereits am 18. März, schlug Tirols langjähriger Landeshauptmann Günther Platter, dessen Partei, die ÖVP, seit 1945 in diesem Bundesland die Mehrheitspartei stellt, deutliche politische Pflöcke ein, die bis heute die offizielle Lesart Tirols wiedergeben:
"Wenn nun Kritik aufkommt, kann ich Ihnen versichern, dass wir in der jeweiligen Situation das Menschenmögliche getan haben, um die Gesundheit der Tirolerinnen und Tiroler und auch unserer Gäste zu schützen. Das Buch jetzt von hinten zu lesen, ist leicht. Mit dem Virus haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das weltweit einzigartig ist. Es ist auch keine Schande zu sagen, dass man mit den Erkenntnissen von heute durchaus noch früher Entscheidungen getroffen hätte."
Eine Haltung, bei der Tirols Landeshauptmann Gütnher Platter auch am Donnerstag, den 24. September, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Kurz in Wien bleibt. Auf die Frage, warum er sich so schwertue, sich zu entschuldigen, erwiderte Platter:
"Es tut mir leid, sehr leid, dass sich so viele infiziert haben und dass wir auch Todesfälle haben. Aber bei einer Pandemie kann nicht eine Person die Schuld auf sich nehmen."
Die "Amtshaftungs-Anklage" gegen die österreichische Bundesregierung und die Tiroler Landesregierung, die der Verbraucherschutz-Chef Kolba beim Wiener Landesgericht eingereicht hat, bezieht sich auf zunächst vier Fälle. Der Verbraucherschutzverein schlägt der österreichischen Bundesregierung, vor, an einem Runden Tisch Fehler einzuräumen, sich zu entschuldigen und Schadenersatzzahlungen anzubieten. Andernfalls dürften noch zahlreiche Klagen folgen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Im Wesentlichen basieren die Klagen auf drei Vorwürfen: In der Woche vom 07. bis 13. März seien die notwendige Schließung des Paznauntals sowie zumindest die Warnung der Touristen unterlassen worden, nachdem das Coronavirus in Ischgl nachgewiesen war. Zweitens: Im Gegensatz zur vorbildlich durchgeführten und sehr strengen Quarantäne eines 5-Sterne-Hotels in Innsbruck, in dem eine italienische Mitarbeiterin am 25. Februar positiv getestet wurde, hätten Tiroler Landesregierung und Sanitätsbehörden aus vermutlich wirtschaftlichen Gründen den Skibetrieb in Ischgl bis zum 13. März aufrechterhalten. Und schließlich drittens: Die Bundesregierung, insbesondere Bundeskanzler Sebastian Kurz, habe durch die abrupte Verhängung der Quarantäne am frühen Nachmittag des 13. März das chaotische Abreise-Desaster der ausländischen Gäste ausgelöst und somit fährlässig zur Verbreitung des Virus beigetragen. Peter Kolba:
"Aus dem ist, glaube ich, ersichtlich, man ist jetzt nicht sozusagen vom 25. Februar bis zum 7. März dümmer geworden. Das ist es nicht. Sondern der Druck der Tourismusindustrie hat eben dazu geführt, dass man verzögert reagiert hat. Also, bei einem italienischen Hotel in Innsbruck - da kann man zusperren. In Ischgl, wo die Seilbahngesellschaft mehr oder weniger den Gemeinderat stellt, dort gibt es Widerstand in der Administration. Da hat man eben dann gezögert. Und dieses Zögern hat zu einem Hotspot für ganz Europa geführt."
"Natürlich tut es uns leid, wenn sich Leute bei uns infiziert haben letzten Winter. Das ist ganz klar."
"Wir sind sehr schnell gewesen"
Andreas Steibl, seit 18 Jahren Geschäftsführer des Tourismusverbands Paznaun-Ischgl, sitzt zusammen mit Werner Kurz, dem Ischgler Bürgermeister, im Besprechungszimmer der Gemeindeverwaltung:
"Aber eine Entschuldigung ist immer dann angebracht, wenn ich etwas vorsätzlich im Endeffekt mit zu verschulden habe. Und wenn man 80 Prozent Stammgäste hat, dann ist dann hier ein total familiärer direkter Kontakt auch zu dem Gast vom Gastgeber vorhanden und davon bin ich überzeugt, dass kein Gastgeber vorsätzlich gehandhabt hat und in irgendeiner Form den Gast falsche Informationen übermittelt hat."
Werner Kurz, seit 2010 Bürgermeister von Ischgl, spricht von schweren Wochen und Monaten, die hinter den Dorfbewohnern lägen. "Medial" sei von den ausländischen Medien ein falsches Bild von Ischgl transportiert worden, das nicht mit seiner Wahrnehmung übereinstimme. Angesprochen auf den Vorwurf der Geschädigten, wonach zu spät reagiert worden sei, erwidert er:
"Wir sind ja sehr schnell gewesen, in dieser extremen Zeit. Wir haben am 25., nach dem Fall in Innsbruck, die ersten Sitzungen gehabt, am 26. und haben eigentlich die Vermieter schon informiert, was wäre, wenn in Ischgl so ein Fall wäre. Die Seilbahn hat ihre Betriebsleiter informiert und so weiter... Unser erster offizieller Fall, der nachgewiesen ist, war der 7. März. Wir haben sehr schnell reagiert und die Behörden auch. Wir haben alle Verordnungen, die wir von der Behörde bekommen haben, umgehendst umgesetzt, nach bestem Wissen und Gewissen. Möchte aber schon erwähnen, dass wir sehr stark bedauern, wenn sich Gäste bei uns infiziert haben. Es haben sich aber nicht nur Gäste infiziert. Es haben sich auch Mitarbeiter und auch die einheimische Bevölkerung infiziert. Also auch hier mein größtes Bedauern."
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Martina B. hofft auf Gerechtigkeit
Sehr viele Geschädigte, die sich beim österreichischen Verbraucherschutzverein gemeldet haben, erwarten von Ischgl, von der ÖVP-grünen Landesregierung in Tirol und der ÖVP-grünen Bundesregierung in Wien zumindest eine Entschuldigung.
Martina B., die unter den Folgen ihrer schweren Virus-Erkrankung zu leiden hat, verbindet mit der Klageeinreichung gegen die Republik Österreich und das Bundesland Tirol große Erwartungen:
"Ich hoffe, dass diese Klage Recht spricht am Ende, also dass es zu einem Urteil kommt, wo Gerechtigkeit gesprochen wird. Weil, viele Menschen sind betroffen. Einige sind so schwer betroffen, dass sie ihre Lieben verloren haben und ich möchte einfach Gerechtigkeit."