Donnerstag, 28. März 2024

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Corona-Impfung für Jugendliche unter 16
"Wir hoffen auf Impfmöglichkeit im Spätsommer"

Im Falle einer Zulassung für 12- bis 15-Jährige sollte der Biontech-Impfstoff auch allen Jugendlichen dieser Altersgruppe zur Verfügung gestellt werden, sagte Jörg Dötsch von der Uniklinik Köln im Dlf. Der Mediziner rechnet damit, dass die ersten bereits im Spätsommer geimpft werden könnten.

Jörg Dötsch im Gespräch mit Arndt Reuning | 03.05.2021
Kinder in Schulklasse mit Maske während der Corona-Pandemie
Im Spätsommer könnten die ersten Impfdosen für Jugendliche unter 16 Jahren bereit stehen, hofft Mediziner Jörg Dötsch (Slavomir Kubes / CTK Photo / www.imago-images.de)
Kinder und Jugendliche haben unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie besonders stark gelitten: durch Kontaktbeschränkungen einerseits, aber auch durch geschlossene Schulen. Am vergangenen Freitag (30.04.2021) hat das Mainzer Pharmaunternehmen Biontech zusammen mit seinem US-Partner Pfizer die europäische Zulassung ihres Impfstoffs für Jugendliche beantragt - und zwar für das Alterssegment von 12 bis 15 Jahren. Bisher galt die Zulassung nur ab 16 Jahren. Damit könnten die Vakzine für diese Gruppe bereits im Juni bereitstehen. Professor Jörg Dötsch von der Kinderklinik am Universitätsklinik Köln erläutert im Deutschlandfunk, welchen Nutzen eine möglichst schnelle Impfung auch der jüngeren Bevölkerungsgruppen hätte und welche Hindernisse es vor einer möglichen Zulassung des Impfstoffes gibt.
Arndt Reuning: Herr Professor Dötsch, wie sehen Sie denn diesen Antrag auf Zulassung?
Jörg Dötsch: Zunächst haben wir uns natürlich sehr gefreut, dass für die Kinder eine Impfung in erreichbare Nähe kommt - insbesondere hier jetzt erstmal für die Jugendlichen. Was noch ganz wichtig ist, sind zwei Punkte: Erstens die Zulassung durch die EMA (Europäische Arzneimittelagentur - die Red.) in einem geregelten Verfahren, also nicht in einem Notfallverfahren. Das Zweite, was dann ebenso wichtig sein wird, die Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut, die dann die genauen Modalitäten besprechen und weitergeben wird.

Impfung für alle - trotz milderer Verläufe

Reuning: Kinder und Jugendliche infizieren sich natürlich auch, sie geben das Virus auch weiter, aber die Krankheit nimmt ja einen sehr milden Verlauf, oft zeigen sich auch gar keine Symptome. Warum sollten Kinder trotzdem geimpft werden?
Dötsch: Das ist richtig, Kinder haben mildere Verläufe. Andererseits gibt es natürlich auch wenige Kinder, die doch in die Kliniken müssen, dort behandelt werden müssen. Und es gibt auch manche Kinder, die in einer zweiten Krankheitsreaktion, dem sogenannten PIMS-Syndrom, auch noch einmal krank werden, wenn das Immunsystem überschießend reagiert. Auch dann benötigen sie Medikamente und einen Aufenthalt in der Klinik. Das möchten wir natürlich vermeiden, ebenso wie wir es vermeiden möchten, dass Kinder durch die Exposition gegenüber der Erkrankung oder wegen der Erkrankung selbst in Quarantäne müssen. Und schließlich ist es natürlich für die Kinder auch von Interesse, dass irgendwann die Pandemie zum Ende kommt, damit das normale soziale und schulische Leben wieder möglich ist. Dennoch: Bevor die Empfehlung ausgegeben werden kann, dass geimpft wird, ist es wichtig, dass die Behörden sich hier klar positioniert haben, damit die Sicherheit für die Kinder und Jugendlichen größtmöglich ist.
Reuning: Es gibt auch Jugendliche und Kinder mit Vorerkrankungen, die doch ein gewisses Risiko darstellen, dass bei ihnen COVID-19 einen schweren Verlauf nimmt. Aber Sie sehen diesen Impfstoff schon für alle Kinder und Jugendliche in diesem Alterssegment?
Dötsch: Zum Glück ist es so, dass selbst die Risikopatienten im Kindes- und Jugendalter ein weniger hohes Risiko aufweisen, als die Risikopatienten im Erwachsenenalter. Das heißt, die Risikogruppe ist zum Glück auch relativ sicherer als die Erwachsenenrisikogruppe. Gleichzeitig denken wir, dass es wichtig wäre für alle Kinder und Jugendlichen, sofern eben die Empfehlung ausgesprochen werden kann, die Impfung zur Verfügung zu stellen. Denn alle können natürlich unter Erkrankungen leiden und alle leiden unter den Folgen der Pandemie.

Herdenimmunität schützt auch die Jüngeren

Reuning: Welche Rolle spielt denn das Impfen von Kindern und Jugendlichen, um die Schwelle zur Herdenimmunität zu erreichen?
Dötsch: Es ist immer ganz wichtig, dass eine Impfung oder eine medikamentöse Therapie bei Kindern nur dann zur Anwendung kommt, wenn sie einen direkten Nutzen für das Kind oder den Jugendlichen selbst hat. Die Hürden liegen deswegen so hoch, weil wir ja eine schutzbefohlene Gruppe haben, die zum Teil natürlich nicht für sich selbst entscheiden oder sprechen kann. Deswegen ist es von absoluter Notwendigkeit, dass im Zentrum der Selbstnutzen, der eigene Nutzen für die Kinder und Jugendlichen steht. Gleichzeitig kann es natürlich ein positiver Nebeneffekt sein, dass dadurch, dass wir mehr Kinder und Jugendliche impfen, dann auch insgesamt mehr Menschen geimpft sind, sodass die Erkrankungsausbreitung gestoppt wird. Das ist ja das, was wir mit dem etwas sperrigen Begriff Herdenimmunität bezeichnen. Und im Endeffekt, wenn die Pandemie dadurch gestoppt werden kann, profitieren natürlich alle, Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Mehrere Spritzen mit dem Covid19-Impfstoff von AstraZenece liegen nebeneinander.
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Strengeres Zulassungsverfahren für den Impfstoff

Reuning: Sie haben es ja schon erwähnt: Bei der Zulassung von Impfstoffen für Kinder muss natürlich eine ganz besondere Sorgfalt beachtet werden. Wie sieht das hier ganz konkret aus?
Dötsch: Es sind eben zwei besondere Dinge, die beachtet werden müssen. Das eine ist: Die EMA, also die Europäische Arzneimittelbehörde, wird sich sehr sorgfältig anschauen müssen, ob es nicht nur insgesamt einen Nutzen gibt, sondern insbesondere ob es für diese Altersgruppe einen Nutzen gibt. Und sie wird sich auch anschauen müssen: Sind, insbesondere in Anbetracht des jungen Alters besondere Vorsichtsmaßnahmen oder besondere Nebenwirkungen zu beachten. Deswegen wird die Prüfung möglicherweise auch länger dauern als bei der Erwachsenenzulassung. Und wir sind natürlich sehr froh, wenn diese Prüfung so sorgfältig erfolgt. Und gleichzeitig kommt dann die zweite, in Anführungsstrichen, Hürde, die zweite Prüfung durch die Ständige Impfkommission auf bundesdeutscher Ebene. Da wird dann noch einmal geprüft, ob wirklich für die Kinder und Jugendlichen die Empfehlung ausgesprochen werden kann. Und das Wichtige und Gute ist, in dieser Ständigen Impfkommission sind sehr erfahrene Kinder- und Jugendärzte vertreten, die sich lange schon mit Impfungen bei Kindern beschäftigen und deswegen ein sehr qualifiziertes Urteil abgeben können.

Dötsch: Impfen für Zwölfjährige im Spätsommer möglich

Reuning: Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie denn dann?
Dötsch: Wir hoffen auf eine Impfmöglichkeit im Spätsommer. Man kann das natürlich nie ganz genau vorhersagen, und wir wollen auch nicht zu früh die Hoffnung schüren, damit es nicht zu einer Enttäuschung kommt. Aber für diese Altersgruppe könnte es der Spätsommer werden. Bei den noch kleineren Kindern und Jugendlichen, bei denen wir ja jetzt erst beginnen mit den Prüfplänen für die Impfung, müssen wir damit rechnen, dass eventuell erst eine Zulassung Anfang nächsten Jahres möglich sein kann.
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Reuning: Und wenn dann genug Kinder und Jugendliche durchgeimpft sind, dann könnten die Schulen auch wieder ohne weitere Beschränkungen und Auflagen öffnen?
Dötsch: Wir sind der Überzeugung, dass die Schulen so früh wie möglich geöffnet werden können, sobald es eben die Sicherheitsmaßnahmen erlauben, da sie ja einen so wesentlichen Teil darstellen, nicht nur in der Bildung der Kinder und Jugendlichen, sondern auch in ihrer sozialen und psychischen Entwicklung. Die Kinder leiden sehr unter der großen Belastung der Pandemie, sie leiden sehr darunter, dass sie nicht in ihrem normalen Umfeld sich bewegen können. Deswegen glauben wir, dass es wichtig sein wird, die Schulen auch vorher schon wieder so weit wie möglich zu öffnen. Da kommt natürlich dann neben den Impfungen eine zweite wichtige Säule hinzu, nämlich die der Testungen. Da haben wir in den letzten Monaten ja enorme Fortschritte gemacht, die Schulen so zu beraten und so aufzustellen, dass Testungen in allen Altersgruppen möglich und auch altersentsprechend angepasst sind.
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