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Corona-Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna
Wie mRNA-Impfstoffe funktionieren und wirken

Eine 95-prozentige Wirksamkeit versprechen die Unternehmen Biontech/Pfizer und Moderna für die von ihnen entwickelten Corona-Impfstoffe. Beide Vakzine basieren auf mRNA. Was dieses Impfstoffkonzept attraktiv macht und welche Risiken damit verbunden sind - ein Überblick mit dem Infektiologen Leif Erik Sander.

Leif Erik Sander im Gespräch mit Uli Blumenthal, mit Beiträgen von Michael Lange |
Eine Krankenschwester bereitet eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff-Kandidaten von Moderna vor.
Die beiden momentan vielversprechendsten Impfstoffe gegen das Sars-CoV2-Virus von Biontech/Pfizer und von Moderna basieren auf mRNA (dpa / AP Photo / Hans Pennink)
Die ersten Reaktionen aus der Fachwelt und aus der Politik auf die kürzlich vorgelegten Studienergebnisse der Unternehmen Biontech/Pfizer und Moderna fielen geradezu euphorisch aus:
"Für mich war das die beste Nachricht, die ich in der Pandemie bisher überhaupt erst im medizinischen Bereich gehört habe." "28 Millionen Menschen können nächstes Jahr voraussichtlich geimpft werden mit diesem neuen Impfstoff." "Der Impfstoff scheint sehr gut verträglich zu sein und er scheint sehr wirksam zu sein." "Wir werden einen Impfstoff haben. Wir werden nicht dauerhaft so leben müssen."
Wettlauf um den Corona-Impfstoff
Im Wettlauf um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs haben Biontech und Pfizer ein vielversprechendes Zwischenergebnis gemeldet. Auch andere Projekte sind schon sehr weit. Ein Überblick über den Stand der Forschung.
Beide Impfstoff-Kandidaten beruhen auf einem modernen Konzept, das erst in den letzten Jahren entwickelt wurde. Die zentrale Rolle dabei spielt die sogenannte "Boten"- oder "Messenger-RNA", kurz mRNA, erklärt Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charitè:
"In diesem Fall hat man quasi als Vorlage das Erbgut des neuen Sars-Coronavirus genommen und eine Messenger-RNA hergestellt für ein Eiweiß; das Spike-Protein, was dafür zuständig ist, dass sich die Coronaviren an die Zelloberfläche anheften können. Das ist codiert in diesem Messenger-RNA-Molekül, und der Körper wird durch eine Injektion mit dieser Messenger-RNA dazu veranlasst, selber diese kleinen Virusproteine herzustellen. Und dagegen dann eben Antikörper beispielsweise oder andere Immunantworten auszubilden. Und so funktioniert im Prinzip die Impfung."
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Unser Gesprächspartner Leif Erik Sander von der Charitè, Berlin (Foto: Charité/Jaqueline Hirscher)
Der menschliche Körper stellt Virusproteine selbst her
"Mit der mRNA-Technologie kann der menschliche Körper seine eigene Medizin herstellen" - so formuliert es das Biotech-Unternehmen CureVac. Und das sieht auch Leif Erik Sander als einen Vorteil des Konzepts:
"Wenn man das reine Protein selber herstellen müsste, ist das erstmal ein bisschen aufwendiger. Und wenn man das Eiweiß selber, das Spike-Protein impft, dann ist es nur für eine gewisse Zeit an der Stelle, an der man es verimpft und verschwindet dann wieder. Die mRNA ist möglicherweise etwas länger dort, und das ist häufig günstig für die Erzeugung eines immunologischen Gedächtnisses."
Einen weiteren Vorteil sieht der Infektiologe in der Flexibilität der Methode; etwa der Möglichkeit, einen Impfstoff sehr schnell an das Genom eines Erregers anzupassen. In Prinzip seien aber auch viele andere Ansätze "in der Impfstoff-Entwicklung sehr attraktiv und auch seit Jahren und Jahrzehnten erfolgreich."
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Kann Viren-Erbinformation in menschliche DNA übergehen?
Bei aller Eleganz des Verfahrens - das Einschleusen von Virenprotein-Bauanleitungen in den menschlichen Körper wirft naheliegenderweise Fragen nach möglichen Risiken auf. Kann die Viren-mRNA das menschliche Erbgut verändern, ist eine kanzerogene, eine krebsauslösende Wirkung von körperfremder mRNA denkbar?
Zumindest im ersten Punkt ist sich Leif Erik Sander so gut wie sicher – ein Übergang von Viren-mRNA in menschliche DNA ist nach bisherigem Erkenntnisstand praktisch ausgeschlossen: "Das ist eine Einbahnstraße. Die mRNAs, die wir verabreichen, die gelangen in unsere Zellen und dort gelangen sie an die sogenannten Ribosomen, wo dann die Eiweiße zusammengesetzt werden. Sie gelangen aber nicht in den Zellkern. Der Zellkern hat nochmal eine eigene Hülle und im Zellkern befindet sich unser Erbgut. Das heißt also, die mRNA kommt gar nicht an den richtigen Ort." [*]
Bei der Frage nach einem möglichen Krebsrisiko ist der Experte neutral: "Kanzerogene Wirkungen müssen natürlich bei jedem neuen Arzneimittel überprüft werden. Aber es ist nicht so, dass per se dadurch, dass es eine Nukleinsäure ist, hier ein erhöhtes Krebsrisiko vorliegt, was über andere neue Arzneimittel oder Impfungen hinausgehen würde."
Eine Spritze steckt in einem Fläschchen mit der Aufschrift "Coronavirus-Impfstoff" und
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Gibt es das Risiko infektionsverstärkender Antikörper?
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Das Dengue-Virus kommt in vier verschiedenen Serotypen vor, erläutert Leif Erik Sander. Und "die Antikörper, die auf den einen Serotyp gebildet wurden, sind nicht ganz optimal, die können nicht eine Infektion komplett mit einem anderen Serotypen verhindern, sie können aber Schaden anrichten, indem das Virus dann in Zellen gelangt, in die es sonst nicht gelangt wäre. Bei dem neuen Sars-Coronavirus bestand eben auch diese Befürchtung. Aber alle Untersuchungen, die ich dazu kenne aus Tierversuchen und auch aus dem Menschen und aus Zellkulturen legen nicht nahe, dass wir dieses ADE, dieses 'Antibody dependant enhancement'- Phänomen hier haben oder dass wir dort ein Problem bekämen durch die Impfung."
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Wie unterscheiden sich die verschiedenen Impfstoffe?
Bei den bislang vorgestellten Impfstoffen auf mRNA-Basis gibt es deutliche Unterschiede, was die Menge bzw. Konzentration der jeweils verabreichten mRNA-Dosis betrifft. Die Vor- oder Nachteile, auch in Bezug auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen - zum Beispiel Symptome eines leichten viralen Infekts - seien noch nicht recht absehbar, so Sander:
"Es kann sicher einen Zusammenhang geben zwischen der Menge an RNA-Molekülen, die gegeben werden und dem Auftreten dieser Nebenwirkung. Das hängt aber auch damit zusammen, wie diese RNA-Moleküle modifiziert sind, wie die genau molekular aussehen, dass das Immunsystem die besser oder schlechter erkennen kann. Aber es kann im Umkehrschluss eben auch bedeuten, dass eine Aktivierung des Immunsystems, die eben zu den genannten Nebenwirkungen führen kann, auch dann zu einer starken Immunität führt."
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Was können die neuen Impfstoffe überhaupt bewirken?
Sowohl bei Biontech/Pfizer als auch bei Moderna - bislang beruht unser Informationsstand nur auf Pressemitteilungen der beiden Unternehmen, betont auch Leif Erik Sander. Und er weist noch auf ein Problem des Studiendesigns hin.
In beiden Untersuchungen sei zwar eine Reduktion der Corona-Infektionen mit Symptomen um rund 95 Prozent berichtet worden. Aber: "Die Frage, ob tatsächlich asymptomatische Infektionen und noch viel wichtiger; Infektiosität verhindert werden kann - das ist in diesen Studien nicht untersucht worden, und diese Ergebnisse werden wir nicht bekommen aus den Studien. Dazu hätte man die 30.000 oder in der anderen Studie 40.000 Probanden ja regelmäßig wöchentlich oder noch häufiger abstreichen und testen müssen. Das ist logistisch nicht möglich gewesen, und diese Information werden wir so schnell nicht bekommen. Das müssen wir uns dann im echten Leben anschauen, wenn diese Impfstoffe tatsächlich zugelassen werden und hier in Deutschland eingesetzt werden. Dann kann man versuchen zu vergleichen, wie häufig dann noch asymptomatische Infektionen bei Geimpften versus nicht Geimpften sind."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Was bedeutet die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe für die anderen Ansätze?
"Das ist eine hochinteressante Frage aus verschiedenen Gesichtspunkten." So sieht es Leif Erik Sander. Sobald es nämlich erst einmal eine Zulassung für bestimmte, hier eben möglicherweise die mRNA-Impfstoffe gebe, werde sich das Umfeld für alle weiteren Ansätze dramatisch verändern. Die Wirksamkeitsprüfung für ein neues Verfahren läuft ja normalerweise über einen Vergleich mit einem nicht wirksamen Verfahren, einem "Placebo". Und da tauchen dann ethische Probleme auf. Im Fall von Covid-19 würde sich ein Vergleich mit einer unbehandelten Kontrollgruppe verbieten:
"Wenn man ein neues Medikament testen will für eine, ich sage jetzt mal Erkrankung, für die es schon ein wirksames Medikament gibt, muss man als Vergleich eben das schon vorhandene Medikament nehmen. Und dann macht man eine sogenannte "Nicht-Unterlegenheitsprüfung". Und das kann in der Tat sein, dass die Firmen, die jetzt später dran sind, dann in so eine Nicht-Unterlegenheitsstudie einsteigen müssen. Das heißt, die Kontrollgruppe würde einen der zugelassenen Impfstoffe erhalten. Und das ist im Prinzip logistisch etwas schwieriger und sicherlich auch dann eine sehr hohe Hürde für Impfstoffe, wenn bereits ein Impfstoff da ist, der eine 95-prozentige Wirksamkeit nachgewiesen hat, da nochmal drüber zu kommen. Aber es könnte ja durchaus sein, dass es Impfstoffe gibt, die in bestimmten Bevölkerungsgruppen oder bei bestimmten Personen besser funktionieren."
Grafik: Die Entwicklung in Deutschland – eine Chronik
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[*] Anmerkung der Redaktion: In diesem Absatz haben wir nach Hinzuziehen weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Aussage gekürzt.