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Klimawandel und Corona-Pandemie
Warum handeln wir oft zu spät?

Evolutionäres Erbe und kulturelle Prägung des Menschen machen es uns schwer, angemessen auf Gefahren zu reagieren, deren Auswirkungen wir noch nicht direkt spüren. Bei globalen Krisen wie dem Klimawandel und der Corona-Pandemie wird das zum Problem, weil wir zu spät in die Gänge kommen.

Von Susanne Billig | 15.11.2021
Ein Mann sitzt bei der UN-Klimakonferenz COP26 vor einem leuchtenden Globus.
UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow (picture alliance/ dpa / Christoph Soeder)
Beim Blick auf die Weltlage fällt auf: Bei globalen Krisen handeln Menschen oft erst dann, wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist. So ist es bei der Erderwärmung, vor deren Auswirkungen Fachleute seit 30 Jahren warnen, ohne dass seitdem viel passiert wäre. Und so läuft es derzeit auch bei der Corona-Pandemie: Obwohl Experten seit Wochen das Anrollen der vierten Welle vorhersagten, schauten wir tatenlos zu, wie die Infektionszahlen in die Höhe schossen.

Warum fällt uns vorausschauendes Handeln so schwer?

Dazu gibt es spannende Erklärungen, zum Beispiel von dem niederländischen Evolutionspsychologen Mark van Vugt. Er sagt: Wir sind von unserer emotionalen Ausstattung her Jäger und Sammler. Unsere soziale Gruppe ist uns wichtig, wir möchten anerkannt werden, Normen erfüllen. Deshalb ahmen wir das Verhalten anderer nach. Wir stellen unser Interesse über das von Insekten oder Amphibien. Und natürlich ignorieren wir Gefahren, die wir nicht unmittelbar sehen oder spüren können. Dieses evolutionäre Erbe aus grauer Vorzeit wirkt bis heute noch nach, obwohl wir inzwischen in einer komplexen und hoch technisierten Gesellschaft leben, die ganz andere Anforderungen an uns stellt.
Erschwerend hinzu kommt, dass Umweltbedrohungen oft mit schleichenden Veränderungen einhergehen, die anfangs kaum wahrnehmbar sind. Wenn der Nachbar lärmt, dann bringt uns das sofort auf die Palme. Aber wenn Millionen Autos Feinstaub in die Luft blasen, der Atemwegserkrankungen Vorschub leistet, und die politisch Verantwortlichen nichts dagegen tun - wer brüllt deshalb vom Balkon?
Wenn alle es normal finden, mehrfach im Jahr zu fliegen oder Karneval zu feiern - obwohl Intensivmediziner schon in Kameras flehen: Bitte bleibt zuhause! - dann fühlt sich das Ausscheren aus der Peer-Group heikel an und viele Menschen schwimmen lieber mit dem Strom.
Hinzu kommen Konsumanreize, die uns passgenau abholen: Werbung flüstert uns zu, dass Neuanschaffungen unseren sozialen Status steigern und sinnlich und sexy sind. Und Politikerinnen und Politiker, die die Interessen der transformationsunwilligen Teile der Wirtschaft vertreten, machen uns Angst vor dem Verlust von Wohlstand und Sicherheit.
So wie wir gestrickt sind, ist es sehr schwer, sich solchen Botschaften zu entziehen. Wir sind anfällig dafür. Deshalb fällt es uns oft so schwer, das Ruder rechtzeitig herumzureißen.

Mit welchen mentalen Tricks könnten wir diese Blockaden überwinden?

Ich habe neulich die Nachhaltigkeitsforscherin Jessica Böhme interviewt und die hat den Forschungsstand so zusammengefasst: Wir verändern unser Verhalten, unter zwei Bedingungen - wenn wir sehr motiviert sind und wenn es einfach ist. Motivation ist also eine entscheidende Stellschraube. Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, ist die sehr hoch, aber mitunter ist es dann eben schon zu spät.
Wer vor der Katastrophe handeln will, so war ihre Aussage, muss sich deshalb auch vorher motivieren. Und hier liefern Evolutionspsychologie und Verhaltensökonomik interessante Perspektiven. Denn all unsere evolutionären und kulturellen Prägungen lassen sich auch positiv nutzen. Zum Beispiel der Drang, es anderen gleichzutun. Eine Studie der Uni Kassel mit dem Umweltbundesamt hat gezeigt, dass es uns wurmt, wenn auf unserer Stromrechnung steht, dass unser Nachbar weniger Strom verbraucht als wir. Dann wollen wir dem nacheifern und drosseln unseren Verbrauch.
Hier haben Medien eine wichtige Aufgabe, positive Beispiele zu liefern: Wenn Menschen durch eine Dokumentation im Fernsehen oder ein Feature im Hörfunk begreifen, welches Leid Massentierhaltung verursacht und wie gut es dagegen die freilaufenden Tiere auf einem Biobauernhof haben, dann besteht die Chance, dass sie ihr Verhalten ändern und künftig anders einkaufen. Freie Menschen tun, was sie wollen. Aber was Menschen wollen - ob billiges Fleisch oder glückliche Tiere - das lässt sich durchaus beeinflussen.

Lobbyisten setzen bewusst Narrative der Hoffnungslosigkeit in die Welt

Aber das wird leider auch von jenen genutzt, die Veränderungen verhindern wollen. Der amerikanische Klimaforscher Michael E. Mann zeigt in seinem jüngsten Buch sehr schön auf, dass Narrative der Hoffnungslosigkeit auch absichtlich in die Welt gesetzt werden: Von der fossilen Brennstoffindustrie.
Der Grund: Hoffnungslosigkeit macht apathisch, auch politisch. Wer das Gefühl bekommt, sowieso nichts ändern zu können, geht auch nicht mehr demonstrieren, wird nicht in seiner Kommune aktiv, spendet kein Geld an Organisationen, die politisch Druck erzeugen. Jenen, die den Status Quo erhalten wollen, spielt das in die Karten.
Entscheidend ist deshalb, dass viele Menschen auch politisch aktiv werden und sich engagieren. Denn auch das zeigen ja Klimamodellierungen klar: Mit persönlichen Verhaltensänderungen im privaten Umfeld alleine erreichen wir nicht das Ausmaß an Veränderungen, die jetzt nötig sind, damit die Transformation zur klimaneutralen Gesellschaft gelingt.