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Coronakrise
Schwierige Zeiten für den Behindertensport

Kein Bowling, kein Schwimmen, kein Tischtennis: Corona hat dem Behindertensport hierzulande zugesetzt. Drei Monate Pause war für viele Aktive und die Vereine eine lange Zeit und eine besondere Herausforderung. Viele Inklusionsprojekte lagen auf Eis. Die Verbände fühlen sich im Stich gelassen.

Von Mathias von Lieben | 20.06.2020
Teilnehmer der Special Olympics National Games beim Weitsprung am 15.06.2010 in Bremen (Symbolbild)
Kein Tischtennis, kein Bowling, kein Schwimmen und erst Recht keine Special-Olympics-Veranstaltungen - drei Monate lang musste der Behindertensport wegen Corona pausieren (picture-alliance / Sven Simon)
Endlich wieder Tischtennis spielen. Seit vor rund zwei Wochen in Berlin Hallensport wieder erlaubt wurde, ist das Leben in das Sport- und Bewegungszentrum der Lichtenberger Werkstätten zurückgekehrt – und Karina Küster kann nach dreimonatiger Pause in ihrer Trainingsgruppe wieder den Schläger schwingen: "Die Stimmung ist ganz toll. Eigentlich sind alle gut drauf, wenn sie Tischtennis spielen."
Nach drei Monaten Coronapause zurück an der Platte
Zwei Mal die Woche steht Tischtennis-Training jetzt wieder auf dem Programm der SG Reha und der SG RBO – zwei Sportvereine aus dem Berliner Bezirk Lichtenberg, die sich seit ihrer Gründung 1990 auf Menschen mit geistigem Handicap oder einer Mehrfachbehinderung fokussiert haben. Der Lockdown im Sportbereich hatte der 42-jährigen Karina Küster und ihrer Teamkameradin Constanze Panjok zuletzt zugesetzt:
"Bisschen doof, ewig Ausfall. Das war eine Umstellung, wo wir das gehört haben. Da muss man sich was anderes einfallen lassen, was man so lange machen tut."
"Bowling war nicht, Schwimmen war nicht, Tischtennis war nicht, und Klub war auch nicht. Drei Monate war ne lange Zeit, hat gefehlt. Spaß, Bewegung und unter Leute."
T54 waehrend der World Para Athletics Championships im Club for People of Determination in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate.
"Es sind Existenzen, die daran hängen"
Thomas Abel, Professor für paralympischen Sport, plädiert dafür, in der Coronakrise auf Menschen mit Behinderungen im Sport zu schauen. Auch wenn sie selten Profis seien, sei ihre Situation durch die Verschiebung der Paralympics keine einfache.
Zu wenig Aufmerksamkeit für den Behindertensport
Tischtennistrainer und Vereinsgründer Gernot Buhrt ist Sportpädagoge im Sport- und Bewegungszentrums der Lichtenberger Werkstätten und sitzt zugleich im Beirat des Berlin-Brandenburger Landesverbands von Special Olympics Deutschland – dem offiziellen Dachverband für Menschen mit geistiger Behinderung. Auch er weiß: Die Corona-Pandemie war für seine Vereinsmitglieder eine große Herausforderung:
"Für viele ist Arbeiten und Sport Struktur, ganz wichtig. Sie gehen tagsüber in die Behinderten-Werkstatt und nachmittags kommen sie dann zum Sport. Fällt das weg, sitzen sie den ganzen Tag alleine zu Hause, meistens entweder in ihrer Wohngruppe oder manche leben auch in eigener Wohnung. Und haben deswegen sehr wenig soziale Kontakte. Und das war für diese Zeit natürlich sehr schwer für sie."
Buhrt setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Special-Olympics-Idee ein. Die öffentliche Wahrnehmung des Behindertensports sei zwar gestiegen – doch während der Coronakrise hat Buhrt davon eher wenig gespürt:
"Wir als Breitensportler haben uns hintenan gefühlt. Weil die vielen Ausnahmen bringen Unruhe. Wie will man die kommunizieren? Und gerade Menschen, die kognitive Einschränkungen haben, da ist es noch schwieriger zu erklären: Warum dürfen die und warum die nicht?"
Zu viele Diskussionen über Geisterspiele und Hochleistungssport
Zu wenig Aufmerksamkeit für den Behindertensport während der Corona-Pandemie hat auch die Links-Fraktion im Deutschen Bundestag beklagt und daher eine Audienz einiger Behindertensport-Verbände im Sportausschuss des Bundestags beantragt. Zu viele Diskussionen über Fußball-Geisterspiele und Hochleistungssport – das wollte André Hahn, der sportpolitische Sprecher der Linken, verhindern:
"Dort sind eben die Behindertensportler mal wieder runtergefallen zunächst. Und insofern wollten wir mit dieser Sitzung auch ein positives Zeichen setzen."
In der Ausschusssitzung am Mittwoch bestätigten der Deutsche Behindertensportverband, Special Olympics Deutschland und der Deutsche Gehörlosen-Sportverband diesen Eindruck.
Inklusionsprojekte wurden nicht fortgesetzt
Inklusionsprojekte seien zuletzt zum Erliegen gekommen, Barrieren für inklusives Sporttreiben im Sportverein wieder angestiegen. Auch der Zugang zu Informationen und Online-Angeboten sei während des Corona-Lockdowns erschwert gewesen - oder erst gar nicht existent. So beklagte der Deutsche Gehörlosen-Verband, dass beispielsweise die Video-Informationen offizieller Stellen zur Coronakrise anfangs ohne Untertitel oder Gebärdensprachdolmetscher veröffentlicht wurden.
Haushaltsmittel des Bundes zuletzt stetig gestiegen
Der CSU-Politiker Stephan Mayer auf dem CSU-Parteitag am 18.10.2019 in München
Der CSU-Politiker Stephan Mayer (dpa / Sven Simon)
In einigen Bereichen gebe es sicher Nachholbedarf, sagt Stephan Mayer, CSU-Politiker und parlamentarischer Staatssekretär im Innen- und Sportministerium. Doch er verweist auch darauf, dass die Haushaltsmittel des Bundes für den Behindertensport zuletzt stetig gestiegen sind: "Deswegen kann ich den Eindruck so nicht nachvollziehen, dass der Behindertensport hier vernachlässigt würde."
Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands, machte auch auf die finanziellen Folgen der Pandemie aufmerksam: "Wir wissen jetzt noch nicht, wie viele Mitgliedsbeiträge fehlen werden. Wir wissen jetzt schon, dass durch weggefallene Veranstaltungen es nur eine eingeschränkte Zahl von Fernsehgeldern gibt."
Special Olympics Deutschland beklagt große Finanzlücke
Auch der Rehabilitationssport könne laut Beucher in den Vereinen noch nicht wieder kostendeckend durchgeführt werden. Bei Special Olympics Deutschland ist durch den Ausfall von Spendenläufen bereits eine Finanzlücke in Höhe von 300.000 Euro entstanden – beziffert der Verband.
CSU-Politiker Stephan Mayer stellte in der Sitzung auch einen Zwischenbericht zum Nationalen Plan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vor, zu der sich Deutschland 2009 verpflichtet hat.

Der Bundestagsabgeordnete André Hahn steht vor einem Mikrofon
Der Bundestagsabgeordnete André Hahn. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Doch für Linken-Sportpolitiker ist das Resultat nicht zufriedenstellend: Weniger als ein Prozent der 90.000 Sportvereine in Deutschland sind inklusiv. Und nur acht Prozent der Menschen mit geistigem Handicap treiben Sport: "Das sind Ergebnisse, die völlig unbefriedigend sind."
Der Hauptgrund dafür sei die mangelnde Barrierefreiheit in den Sportvereinen. Hahn plädiert dafür, die finanzielle Förderung von Sportstätten daher an das Kriterium der Barrierefreiheit zu koppeln. Das will auch Stephan Mayer. Die rechtliche Verantwortung, sagt er, die liege aber bei den Ländern.