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Coronakrise verschärft Konflikt
Der Süden Zyperns schließt Grenzübergänge

In ganz Europa sind Grenzen wegen der Corona-Krise plötzlich geschlossen worden, ohne Protest. Auch auf der geteilten Insel Zypern haben Grenzübergänge dicht gemacht, etwa in Nicosia - der letzten geteilten Hauptstadt Europas. Doch hier protestierten die Menschen, denn sie vermuten andere Gründe.

Von Manfred Götzke | 30.03.2020
Absperrgitter am geschlossenen Checkpoint an der Ledra Straße in Nicosia im Süden Zyperns
Auch in Südzyperns Hauptstadt Nicosia haben Checkpoints geschlossen (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)
"Macht keinen Schwachsinn, macht die Grenzen auf", rufen knapp 50 Menschen auf beiden Seiten Nicosias – der letzten geteilten Hauptstadt Europas. Nur ein paar Meter sind die Demonstranten voneinander entfernt – und doch sind diese paar Meter nun wieder unüberwindbar. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren.
Zwischen den Protestierenden stehen Eisenbarrieren und fast doppelt so viele UN-Soldaten und Polizisten. Der Checkpoint an der Ledra-Straße im Zentrum Nicosias, wo seit 2008 Zyprer wie Touristen nach flüchtiger Ausweiskontrolle die Seiten wechseln – er ist zu.
"Wir wollen, dass unsere Insel wieder vereint ist"
Noch Tage bevor es den ersten Corona-Fall auf der Insel gab, hat die griechisch-zyprische Regierung vier der neun Checkpoints auf der geteilten Insel dicht gemacht. Einseitig, ohne sich mit der türkischen Seite abzusprechen. Die offizielle Begründung der zyprischen Regierung: das Coronavirus. Christina Valanidou hält das für einen Vorwand:
"Wir sind hier, weil wir gegen die Schließung der Checkpoints sind. Griechische wie türkische Zyprer. Das wird nicht gemacht, um gegen das Coronavirus zu kämpfen. Das hat politische Gründe. Wir wollen nicht, dass die Kommunikation, der Austausch zwischen beiden Volksgruppen jetzt gestoppt wird – wir versuchen miteinander zu sprechen unsere Probleme zu lösen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Zypern unter Zugzwang - Eine Insel inmitten internationaler Konflikte.
Ihr Mitstreiter Sener Elcil sieht das genauso. Die beiden engagieren sich in der "Friedensinitiative für ein vereintes Zypern". Beide stehen auf der griechisch-zyprischen Seite der Grenze. Der türkische Zyprer Elcil hat über eine Stunde gebraucht, um über Umwege hierher zu kommen.
"Wir haben so lange unter außergewöhnlichen Bedingungen gelebt. Wir wollen, dass das Leben hier auf der Insel wieder normal ist, dass unsere Insel wieder vereint ist."
Christina Valanidou (rechts) und Sener Elcil am geschlossenen Checkpoint an der Ledra-Straße in Nicosia
Christina Valanidou (rechts) und Sener Elcil am geschlossenen Checkpoint an der Ledra-Straße in Nicosia (Deutschlandradio/ Manfred Götzke)
Teilung Zyperns seit 1974
Nach einem von der griechischen Militärjunta unterstützten Putsch gegen die zyprische Regierung und Massakern an der türkischen Volksgruppe marschierten 1974 Truppen aus der Türkei in den Nordteil der Insel ein und blieben. Seitdem teilt eine 180 Kilometer lange Pufferzone Nicosia und die gesamte Insel: in die türkische Republik Nordzypern, die nur von der Türkei anerkannt ist - und die Republik Zypern, der südliche Teil der Insel, in dem Griechisch gesprochen wird. An der Grenze patrouillieren Soldaten der UN, sollen die Konfliktparteien auf Distanz halten.
Erst seit 15 Jahren gibt es überhaupt Checkpoints, an denen die Bürger auf die jeweils andere Seite gelangen können. Elcil und Valanidou haben lange dafür gekämpft. "Ein geteiltes Zypern ist schlimmer als das Coronavirus", sagt Elcil. "Das ist nur ein Vorwand. Eine Antwort auf Provokationen des Nordens - und der Türkei."
Valanidou erklärt: "Wir als griechische Zyprer sind der Ansicht, dass unser Präsident die Kooperation mit dem Norden unterbinden will – er folgt damit der rechtsradikalen Partei Elam, die seit Jahren eine Schließung der Grenzen und eine Teilung fordert. Wir sind dagegen – und deswegen kämpfen wir."
Die griechische und türkische Fahne. 
Die belastete Beziehung zwischen Griechenland und der Türkei
Das Verhältnis zwischen den beiden Nato-Partnern Türkei und Griechenland ist seit Jahren angespannt - nicht nur wegen der Flüchtlingspolitik.
Verhandlungen enden in der Sackgasse
Elcil blickt zu seinen Landsleuten auf der anderen Seite, schüttelt den Kopf. Seit Jahren kämpfen sie für eine Wiedervereinigung Zyperns, es scheint vergeblich. Immer wieder gab es zwischen beiden Seiten Verhandlungen, immer wieder endeten sie in einer Sackgasse. Zuletzt 2017. Nun scheint die Insel weiter denn je von einer Wiedervereinigung entfernt.
"Nationalismus und Rassismus nehmen auf beiden Seiten zu – was hier passiert, stärkt nur die Leute, die eh für die endgültige Teilung der Insel sind, für eine Zweistaaten-Lösung. Das steckt wirklich dahinter."
Konflikt um Gasreserven
Seit Wochen brodelt der Konflikt um Gasreserven vor der Küste der Insel. Ohne sich mit den türkischen Zyprern zu beraten, hat die griechisch-zyprische Regierung Gaslizenzen an internationalen Energiekonzerne vergeben. Der Norden wie dessen Schutzmacht Türkei fühlen sich übergangen. Nun suchen türkische Erkundungsschiffe, eskortiert von der Kriegsmarine, ebenfalls nach Gas. Und zwar auch in Küstengebieten, die der Süden für sich beansprucht.
"Die Schließung ist auch eine Reaktion darauf. Und darauf, dass jetzt immer mehr Flüchtlinge aus dem Norden kommen, die werden vom türkischen Präsidenten Erdogan geschickt. Aber die kommen gar nicht über die Checkpoints, die finden andere Wege an der Grenze."
Ein Bohrschiff vor der zyprischen Küste bei Limassol
Umweltschützer kritisieren Pläne zur Gasförderung
Der Süden Zyperns will vor seiner Küste Erdgas fördern lassen, der Norden wurde nicht gefragt. Umweltschützer auf beiden Seiten fordern, dass der sonnenreichste Ort Europas besser auf Solarenergie und Windkraft setzen sollte.
"Schließung der Checkpoints nur temporär"
Ortswechsel: Demetris Samuel gibt mir die Hand, lacht dann - eigentlich sei das ja nicht mehr ok. Dann greift er zum Desinfektionsmittel. Sicher ist sicher, sagt der Bürodirektor des zyprischen Außenministers. Nur eine halbe Stunde habe er Zeit. Gleich muss Samuel zur nächsten Krisensitzung des Kabinetts. Wegen Corona will die Regierung nun auch den Flughafen dicht machen, alle Einreisen auf die Insel verbieten. Und auch die Schließung der Checkpoints Anfang März habe mit nichts anderem als Corona-Prävention zu tun, sagt er:
"Erstens ist diese Schließung nur temporär. Die Checkpoints wurden nur aus einem Grund geschlossen: um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen – der griechischen und der türkischen Zyprer."
Samuel hat tiefe Augenringe, er sieht blass aus. Die letzten Tage seien hart gewesen. Nicht nur wegen der Coronakrise. Denn auch wenn der Diplomat bestreitet, dass die Schließung der Checkpoints politische Gründe hat: Natürlich fühle sich Zypern zurzeit massiv provoziert durch den Norden, vor allem aber durch die Türkei, die in küstennahen Gebieten nach Gas sucht.
"Türkische Kriegsschiffe verletzten unsere Wirtschaftszone, sogar unsere einheimischen Seegebiete. Diese Schiffe sind seit Monaten hier, bis heute. Natürlich fühlen wir uns davon bedroht. Dabei machen wir nichts anders, als unsere souveränen Rechte auszuüben, wie jedes andere Land, wenn wir nach Gas in unserer exklusiven Wirtschaftszone suchen."
Türkei schickt Flüchtlinge
Seit einigen Wochen kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Seit die Türkei Flüchtlinge an die Grenze Griechenlands schickt, kommen auch immer mehr Flüchtlinge aus dem Norden in den Süden der Insel. Nur dass der türkische Präsident die Migranten eben nicht mit Bussen schicke - sondern mit Flugzeugen, sagt der Beamte und lacht bitter:
"Das passiert seit den letzten drei Jahren. Zypern hat pro Kopf die meisten Flüchtlinge in der EU. Und das Ganze ist orchestriert von den türkischen Behörden. Wenn man sich die Zahlen anguckt und die Routen, ist völlig klar, dass da politischer Wille hinter steckt, Probleme an den Grenzen der EU zu schaffen, in Griechenland und hier auf der Insel."
Geflüchtete aus Nigeria und Kamerun bei der Caritas in Nicosia
Immer mehr Flüchtlinge landen auf Zypern 
Kein anderes EU-Land nimmt pro Kopf so viele Flüchtlinge auf wie Zypern. Neuerdings kommen viele über die Türkei in den türkischen Norden der Insel. Ihr Ziel ist jedoch der Süden - die EU.
Die Regierung wolle eine Lösung für die geteilte Insel, betont Samuel immer wieder. Unbedingt. Doch momentan sei an Verhandlungen nicht zu denken. "Zurzeit können wir die Verhandlungen nicht wieder aufnehmen. Es macht keinen Sinn, während wir mit Kriegsschiff-Diplomatie unter Druck gesetzt werden. Denn genau das ist es, was die Türkei macht."
Die halbe Stunde ist vorbei – zum Abschied gibt mir Samuel statt der Hand den Ellbogen.