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Coronakrise
"Wir brauchen eine Bundeskompetenz, die koordinierend eingreifen kann"

Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hat im Dlf die unterschiedlichen Strukturen und Situationen in den Bundesländern kritisiert. Er monierte, dass der Bund derzeit in der Coronakrise keine hinreichenden Kompetenzen habe, um wirklich durchzugreifen.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.03.2020
Polizeibeamte kontrollieren am Grenzübergang Goldene Bremm (Saarland) stichprobenartig den aus Frankreich einfahrenden Grenzverkehr.
Im Deutschland seien Beamte überhaupt nicht darauf ausgebildet, um bestimmte Krankheitssymptome zu erkennen, kritisierte Sebastian Fiedler, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter im Dlf. (dpa-Bildfunk / Thomas Frey)
In Europa schließen zahlreiche Staaten aus Angst vor der Coronagefahr ihre Grenzen - auch Deutschland. Docht ist das überhaupt sinnvoll? Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, ist skeptisch. Im Deutschland hätten die Beamten auch keinerlei Kompetenzen, um Gesundheitskontrollen bei bestimmten Krankheitssymptomen durchzuführen, sagte er im Dlf. Er kritisierte, dass der Bund derzeit keine hinreichenden Kompetenzen habe, um wirklich durchzugreifen, und dass man innerhalb Deutschlands über völlig unterschiedliche Strukturen und Situationen in den Bundesländern und in den Kommunen diskutiere.
Martin Zagatta: Machen diese Kontrollen an den deutschen Grenzen Sinn und wie sind sie überhaupt angelaufen heute?
Sebastian Fiedler: Ich habe im Detail nicht zu viele Berichte gehört. Ich habe nur sehr viele Zweifel aus den eigenen Reihen bekommen, die ein bisschen an der Sinnhaftigkeit der Maßnahme, so wie sie jetzt durchgeführt wird, durchaus ein bisschen kopfschüttelnd reagieren.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
"Meine Kollegen sind nicht ausgebildet darin, bestimmte Krankheitssymptome zu erkennen"
Zagatta: Aber Ziel soll ja sein, Infektionsketten zu unterbrechen. Das sagt der Innenminister. Kann die Polizei da nicht mithelfen?
Fiedler: Der Innenminister hat mir nicht wirklich erklären können – und ich habe die Pressekonferenz wirklich intensiv verfolgt -, warum das jetzt besonders relevant ist an den Grenzen, wo zufällig zwei Staaten aufeinandertreffen, und warum das nicht zwischen Köln und Düsseldorf, um das mal etwas pointiert auf den Punkt zu bringen, auch erforderlich sein sollte.

Das ist ja der entscheidende Punkt und die entscheidende Frage, die hier aufkommt. Ich finde, vor allen Dingen dadurch, dass das nicht hinreichend klar ist, muss man auch in die Waagschale werfen, dass wir hier wirklich innerhalb Europas ein bisschen nationalstaatliches Denken wieder nach vorne bringen, und das halte ich zunächst einmal für hoch problematisch, wenn auf der anderen Seite nicht klar ist, dass dieser massive Polizeieinsatz wirklich sehr sinnvoll ist. Das hat er jedenfalls mir nicht hinreichend erklären können und offensichtlich ist es bei meinen Kolleginnen und Kollegen auch nicht hinreichend angekommen.
Katarina Barley (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, spricht bei der Sitzung zur Information über Schwangerschaftsabbruch im Bundestag
Barley (SPD) - "Nationale Lösungen machen keinen Sinn"
Dass viele europäische Länder im Kampf gegen das Coronavirus ihre Grenzen abriegelten, schmerze sie nicht nur. Es sei auch fraglich, "ob das wirklich so viel bringt", sagte die Europapolitikerin Katarina Barley im Dlf.
Zagatta: Aber man macht das ja an den Grenzen mit Staaten oder Gebieten, wo man Infektionen vermutet. Beispielsweise dieser Wintersportort Ischgl in Österreich. Viele Infektionen sollen von dort kommen. Das hätte man doch mit Kontrollen unter Umständen verhindern können.
Fiedler: Ja, mit Kontrollen rund um Ischgl, aber doch nicht unbedingt an der deutschen Grenze. Man hätte das rund um Heinsberg oder andere Hotspots sicherlich machen können. Aber noch mal: Welche herausragende Bedeutung aus Sicht der Bekämpfung dieses Virusses und der entsprechenden Ausbreitung hat denn die Grenze zwischen zwei Staaten? Das müsste mir mal jemand erklären.
Zagatta: Jetzt ist es aber so, es ist eingeführt worden. Kann die Polizei da bei einer Gesundheitskontrolle auch mitwirken? Wenn da jemand krank wirkt oder stark erkältet, haben dann die Beamten entsprechende Befugnisse, oder um welche Kontrollen geht es da jetzt?
Fiedler: Die Beamten haben vor allen Dingen keine Kompetenzen. Weder ich noch meine Kollegen sind ausgebildet darin, bestimmte Krankheitssymptome zu erkennen. Das kann ja allenfalls auf einer großen Laienebene geschehen. Deswegen ist nach meiner Wahrnehmung – so ist es ja gesagt und kommuniziert worden – unter anderem das Deutsche Rote Kreuz dort irgendwo vor Ort, um irgendwelche Fiebermessungen vornehmen zu können.
Aber noch mal: Da ist nicht die Polizei der Experte im Ring, sondern das sind entsprechend die Virologen, die mit Epidemien sich auseinandersetzen, vielleicht noch Leute, die sich mit solchen Szenarien und Modellierungen von solchen Virus-Verbreitungen auskennen, aber nun sicherlich nicht die Polizei. Die hat hier keinerlei Kompetenzen aufzuweisen.
"Der Bund hat derzeit keine hinreichenden Kompetenzen, um wirklich durchzugreifen"
Zagatta: Man hofft aber, dass man das Ganze einschränken kann, diese Ausbreitung des Coronavirus.
Fiedler: Sorry, wenn ich Sie unterbreche, aber das habe ich nicht wahrgenommen. Ich habe das weder bei der Bundesregierung, noch bei sonst wem wahrgenommen, dass man jetzt tatsächlich davon ausgeht, dass man das prinzipiell verhindern kann, sondern es geht um eine Verlangsamung der Ausbreitung, und an diesen Stellen soll offensichtlich die Polizei jetzt hier an der Grenze etwas dazu beitragen.
Zagatta: Das hätte doch aber dann unter Umständen zumindest Sinn, wenn man etwas den Reiseverkehr einschränkt.
Fiedler: Ja, den Reiseverkehr insgesamt innerhalb Europas und doch nicht nur an einer Straße, wo zufällig zwei Länder aufeinander treffen. Wir müssen insgesamt doch die sozialen Kontakte herunterfahren. Das gilt doch auch im Inneren Deutschlands und nicht nur an den Grenzen, wo zwei Staaten zusammentreffen.
29.10.2019, Berlin: Armin Schuster (CDU), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag.
(CDU) - "Nicht andauernd kritisieren, dass wir Föderalismus haben"
Armin Schuster, CDU-Obmann im Innenausschuss, sieht im unterschiedlichen Vorgehen der Bundesländer mit den Umständen der Corona-Krise eine Chance. Man könne den Föderalismus auch positiv sehen, sagte er im Dlf.
Zagatta: Das wird ja auch gemacht.
Fiedler: Genau! Das ist aus meiner Sicht der wichtige Punkt und der kriegsentscheidende Punkt, und die Polizei ist nicht dafür da, Hamsterkäufe zu verhindern oder Ähnliches. Ich glaube, wir müssen Sorge dafür tragen, dass wir insgesamt die Sicherheitsbehörden einsatzbereit halten, und da müssen wir auch dafür Sorge tragen, das gehört mit in die Waagschale geworfen, dass wir hier zusätzliche Risiken vermeiden. Es ist jetzt nicht so, dass die Kolleginnen und Kollegen, die sich dort in diesem Einsatz jetzt befinden, besonders risikoarm unterwegs sind.
Zagatta: Sind Sie denn personell in der Lage, diese Kontrollen durchzuführen? Auf der anderen Seite fallen ja auch Großveranstaltungen wie Fußballspiele zum Beispiel weg.
Fiedler: Genau. Man kann das anders herum ausdrücken. Wenn das nicht so wäre, dass Fußballspiele und Demonstrationen derzeit ausfallen würden, wäre die Bundespolizei und die Landespolizei allemal dazu nicht in der Lage. Das ist sie nur deswegen, weil das derzeit nicht stattfindet.
Zagatta: Ich höre durch, Sie sind sehr skeptisch, was diese Kontrollen an der deutschen Grenze angeht. Wie ist das mit einer EU-weiten Einreisesperre oder Kontrolle, was die EU-Kommission jetzt vorschlagen will, was wahrscheinlich jetzt auch kommt? Was würde das aus Sicht der Polizei bedeuten?
Fiedler: Ehrlich gesagt nicht nur aus Sicht der Polizei, sondern das würde insgesamt natürlich eine logische Konsequenz sein, weil wir ja innerhalb Europas uns darauf verständigt haben, dass die Außengrenzen eine besondere Bedeutung haben und in Kombination dazu die Binnengrenzen nicht. Das heißt, das eine hat mit dem anderen sehr stark zu tun.
Aber ich würde mich darauf zurückziehen wollen, was tatsächlich jetzt die polizeilichen Aufgaben hier sind, und das würde natürlich dann zusätzliche Aktionen erfordern, was den Schutz der Außengrenzen angeht und natürlich auch Flugbewegungen insbesondere angeht. Das sind dann die entsprechenden Betrachtungsperspektiven.
Ich will vielleicht noch einen Punkt, den wir nicht besprochen haben, in die Waagschale hineinwerfen, weil ich finde, wir sollten schon insgesamt darüber sprechen, dass wir ja innerhalb Deutschlands hier eine sehr heterogene Struktur haben, und man darf durchaus an einer Stelle mal erwähnen, dass wir schon eine ganz alte, langjährige Forderung des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maiziére intensiver in den Blick nehmen sollten, nämlich dass der Bund derzeit keine hinreichenden Kompetenzen hat, um wirklich durchzugreifen, und dass wir hier innerhalb Deutschlands über völlig unterschiedliche Strukturen und Situationen in den Ländern und in den Kommunen diskutieren.
Da wäre es, glaube ich, hilfreich, wenn wir, sobald diese Krise vorbei ist, wirklich mal uns anders aufstellen, um in der Zukunft besser gerüstet zu sein. Dass der Bund für Katastrophenschutz, für Zivilschutz überhaupt keine Kompetenzen hat, ist, glaube ich, innerhalb Europas und der Welt fast einzigartig.
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im Deutschlandfunk-Studio.
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (Deutschlandradio / Stroich)
"Die Auflösung der Schutzkommission der Bundesregierung 2015 war ein großer Fehler"
Zagatta: Da sind Sie dafür, da brauchen wir neue Gesetze, um uns neu aufzustellen, wenn diese Krise jetzt durch ist?
Fiedler: Wir brauchen definitiv hier eine Kompetenz. Wir brauchen zweierlei, meines Erachtens. Zum einen brauchen wir eine Bundeskompetenz, die wirklich koordinierend eingreifen kann und die dafür sorgt, dass in allen Ländern das gleiche ist.
Ich unterhalte mich auch mit Wirtschaftsunternehmen, die in mehreren Ländern Standorte haben. Die müssen sich jetzt darauf einstellen, was sie ihren Mitarbeitern mitteilen, weil sie im Zweifel gar nicht wissen, was in der nächsten Stunde in welchem Bundesland für Maßnahmen getroffen werden.
Und wir brauchen etwas Weiteres. Derselbe Innenminister, von dem ich gerade sprach, nämlich Thomas de Maiziére, hat meines Erachtens 2015 einen großen Fehler begangen, als er die Schutzkommission der Bundesregierung aufgelöst hat, die sich nämlich im Vorhinein mit solchen Szenarien mit vielen Wissenschaftlern besetzt, guten und klugen Köpfen, die wir in Deutschland haben, mit solchen Szenarien auseinandergesetzt hat. Auf die konnten wir jetzt leider nicht zurückgreifen in der Krise.
Zagatta: Herr Fiedler, wie ist das sonst mit Nebeneffekten, die jetzt vielleicht mit diesen Kontrollen an der deutschen Grenze zur Wirkung kommen? Vielleicht auch dazu, dass man den einen oder anderen Ganoven ausfindig macht, und auch – das wünschen sich ja nicht wenige in diesem Moment und fordern das auch -, dass damit auch wieder vielleicht illegale Migration unterbunden wird?
Fiedler: Das halte ich, ehrlich gesagt, genau für den negativsten Nebeneffekt – nicht, dass wir illegale Migration unterbinden, sondern dass wir durch die Hintertür jetzt Diskussionen aufmachen, die eigentlich in einen anderen Kontext gehören. Darauf will ich hinaus. Wir sollten jetzt dafür Sorge tragen, dass wir die Bevölkerung davor schützen, dass dieser Virus sich zu schnell ausbreitet und dass wir das verlangsamen. Das muss die einzige Diskussion sein, die wir jetzt zu führen haben.
Alle übrigen Diskussionen würde ich davon trennen wollen und ich hätte große Probleme damit, wenn die eine Diskussion sozusagen durch die Hintertür zu diesen zweiten Bedingungen führt, weil wir nämlich dann zwei Themenbereiche vollständig miteinander vermischen, die im Übrigen auch, was die Sicherheitsarchitektur in Deutschland und Europa angeht, nichts miteinander zu tun haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.