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Coronavirus
Der Sport als Infektionstreiber?

Der Profisport findet in den kommenden Wochen ohne Zuschauer statt, der Breitensport wird zum Schutz vor der Ausbreitung der Coronapandemie wieder eingestellt. DOSB und Sportausschuss kritisieren das, da Sportveranstaltungen kaum zu Neuinfektionen führten. Aber stimmt das wirklich?

Von Victoria Reith und Maximilian Rieger | 30.10.2020
    Amateurhandballspiel des SG Groß-Umstadt/Habitzheim.
    Welche Rolle spielt der Breitensport in der Coronaviruspandemie? (www.imago-images.de)
    Durch die neuen Coronamaßnahmen wird auch der Breitensport wieder stillgelegt. Der Deutsche Olympische Sportbund kritisiert das, auch wenn man die Maßnahmen grundsätzlich mittrage.
    Der Sport sei nachweislich kein Infektionstreiber. Auch aus dem Sportausschuss des Bundestags kommt Kritik: Die Vorsitzende, Dagmar Freitag (SPD), betonte im Dlf, die Maßnahmen seien zu weitgehend und sagte: "Mir sind keine Sportveranstaltungen bekannt, die sich zu einem Hot-Spot oder Superspreader entwickelt haben. So werden wir Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren."
    Wie sieht es mit der Verbreitung des Coronavirus im Sport, insbesondere im Breitensport, tatsächlich aus? Die Deutschlandfunk-Sportredaktion hat bei den Gesundheitsministerien der Länder angefragt.
    Sachsen-Anhalt: 35 Ausbrüche in Sportvereinen, 200 in Familien
    Das Gesundheitsministerium Sachsen-Anhalt teilt mit, dass es die Expositionsorte der Covid-19-Fälle im Land analysiere. "Dabei spielen Sportvereine durchaus eine Rolle, wenn auch nicht in dem Maße wie Familienfeiern und Busreisen. Von Anfang September bis Ende Oktober sind 35 Ausbrüche festgestellt worden." Im privaten Bereich der Familien(-feiern) seien es im Vergleich dazu über 200 gewesen.
    Auch Niedersachsen und das Saarland meldet, dass es im Sportbereich zu Übertragungen gekommen ist. In Niedersachsen ist ein Ausbruch innerhalb einer Fußballmannschaft im Landkreis Cloppenburg. Für die betroffene Mannschaft wurde Quarantäne angeordnet. Die Gegenspieler der Mannschaft des vorangegangenen Spieltags seien ebenfalls getestet worden und hätten keine positiven Befunde gezeigt.
    Das Gesundheitsministerium Saarland antwortet, dass die Fälle im Amateursport zu sehr aufwändigen Kontaktnachverfolgungen führen, die häufig landkreisübergreifend sehr große Kapazitäten der Gesundheitsämter binden. "Da die Akteure des Amateursports in der Regel in der Hauptbeschäftigung in anderen Bereichen tätig sind, sind in der Folge viele Betriebe und Einrichtungen betroffen und es kommt sehr schnell zu schwer zu kontrollierenden Ausbrüchen", schreibt das Ministerium weiter.
    Gute Hygienekonzepte, aber Kontaktreduktion unumgänglich
    Darüberhinaus schreibt das Gesundheitsministerium in Hannover: Der Amateursport könne nicht mehr als Bereich mit erhöhtem Infektionsrisiko ausgeschlossen werden, da nach Angaben des Robert-Koch-Instituts 75 Prozent der Infektionen nicht mehr zugeordnet werden können.
    Dies betonen mehrere Gesundheitsministerien in ihren Rückmeldungen dem Deutschlandfunk gegenüber. Viele Vereine hätten zwar sehr gute Hygienekonzepte erstellt und die meisten Sportlerinnen und Sportler hätten sich auch an die Regeln gehalten. Nichtsdestotrotz seien die beschlossenen Einschränkungen in der aktuellen Situation notwendig, um die Zahl der persönlichen Kontakte in der Summe zu reduzieren.
    Ecke eines Fußballplatzes
    Reaktionen auf Corona-Maßnahmen - Enttäuschung und Unverständnis aus der Sportwelt Im Profisport geht der Spiel- und Trainingsbetrieb weiter – allerdings ohne Zuschauer. Der Freizeit- und Breitensport muss wegen der Corona-Maßnahmen fast komplett pausieren. Verständnis kommt von den wenigsten. Die Forderungen nach finanzieller Unterstützung durch den Bund werden wieder lauter.
    Keine Erkenntnisse über Infektionen im Publikum bei Profispielen
    Aus diesem Grund befürworten die Gesundheitsministerien auch, dass bei Profi-Vereinen ab sofort keine Fans mehr in die Stadien oder Hallen kommen sollen. Die Ministerien hätten zwar keine Erkenntnisse darüber, dass es in den vergangenen Wochen bei Profi-Sportereignissen im Publikum zu Infektionen gekommen ist. Aber auch in dieser Frage verweisen die Ministerien darauf, dass oft nicht mehr klar ist, wo sich die Menschen genau angesteckt haben.
    Ein weiterer Grund für die Ablehnung: Sollte tatsächlich ein Infizierter ein Stadion besuchen, wäre eine Nachverfolgung aufgrund der vielen Kontakte für die Gesundheitsämter kaum oder gar nicht zu bewältigen.
    Infektionen nicht nur im Fußball
    Das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen antwortet, dass die letzte detaillierte Erhebung zu den Infektionsumfeldern das Lagebild der Gesundheitsämter vom 2. Oktober ist. Dieses bezieht sich auf die Woche vom 24. bis 30. September 2020.
    In diesem Zeitraum lassen sich vier Prozent der Infektionen auf Aktivitäten in der Freizeit zurückverfolgen, zum Beispiel in Vereinen – allerdings ist der Sport hier nicht gesondert aufgeführt. Für 57 Prozent der Neuinfektionen sei das Infektionsumfeld damals bekannt gewesen, für 43 Prozent nicht. 35 Prozent der Menschen hätten sich im privaten Haushalt infiziert.
    Das Gesundheitsamt Köln teilt mit Blick auf den Sport mit, dass es Infektionen im Zusammenhang mit einem Sportverein außerhalb des Fußballs gab. "Wo genau die Ansteckung erfolgte, ist unklar (Training, Spiel, Busfahrt). Es waren nur Spieler, nicht Publikum betroffen."
    Fans von Union Berlin verfolgen das Spiel mit Abstand und Gesichtsmasken.
    Testbetrieb mit Fans endet - Sind bald alle Bundesliga-Stadien wieder leer? 4500 Fans bei Union Berlin, knapp 9000 Fans beim Spiel zwischen Hannover 96 und Fortuna Düsseldorf: Das sorgt für Verwunderung und Kritik, denn eigentlich sollten bei einer Inzidenz von mehr als 35 keine Fans mehr zugelassen werden. Die Vorgabe ist aber nicht in allen Bundesländern umgesetzt worden.
    Das Gesundheitsministerium Baden-Württemberg hat ebenfalls Infektionen in Vereinen erhoben. Demnach gingen vor drei Wochen (KW 41) 10,7 Prozent der Neuinfektionen aus dem Vereinsumfeld hervor, vor zwei Wochen 7,2 Prozent, vergangene Woche 4,4 Prozent und in dieser 2,5 Prozent. Insgesamt seien nur etwas mehr als 20 Prozent der Infektionen einem Ausbruch zuordenbar gewesen – "sodass zwar grobe, aber generelle Aussagen schwer möglich sind."
    Das Ministerium in Stuttgart betont, dass es bei den Infektionen im Zusammenhang mit Sportveranstaltung nicht um die Sportveranstaltung an sich gehe, "sondern entweder um die Anfahrt zum Spiel in öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. die sogenannte "dritte Halbzeit", wenn in der Kabine oder Stadiongaststätte zusammen getrunken und evtl. ausgelassen der Sieg gefeiert oder der Frust heruntergespült wird." Ein Beispiel, das in Baden-Württemberg für Aufsehen gesorgt hatte, war ein Fußballspiel im Breisgau, bei dem anschließend weit über 100 Personen in Quarantäne mussten.
    In vielen Bundesländern keine konkreten Zahlen
    Die zuständigen Behörden in Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und Bayern geben an, dass zu Sportveranstaltungen keine konkreten Zahlen erhoben werden und verweisen auf das diffuse Infektionsgeschehen sowie die inzwischen höchst schwierige Nachvollziehbarkeit der Infektionen.
    Es gebe keine belastbaren Zahlen zu Infektionsfällen aus dem Breitensport, so ein Sprecher des Gesundheitsministerium in Bayern. "Jedoch wurde festgestellt, dass einige Infektionen auf Mannschaften im Breitensport zurückzuführen sind, bei welchen wiederum Kontaktpersonen innerhalb der Mannschaft im Laufe der Quarantänezeit positiv wurden." Und dies sei trotz Hygienekonzepte und Regeln geschehen, teilt der Sprecher weiter mit.
    Das Gesundheitsministerium Schleswig-Holstein fügt hinzu, dass nicht entscheidend sei, ob auf einem Platz eine Infektion bemerkt werde beziehungsweise diese in jedem Fall dahin zurückverfolgt werden kann. Entscheidend sei die Aufrechterhaltung der Kontaktpersonennachverfolgung, auch um besonders gefährdete Gruppen gezielter schützen zu können.
    Die Gesundheitsbehörde Hamburg teilt ergänzend mit, dass kein Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit einem Stadionbesuch bekannt sei. Gleichwohl gebe es aber immer wieder Infektionen im Bereich des Sports, insbesondere im Vereinssport.
    Bremen: Infektionen im Amateursport und auch ein Fall bei Werder
    Ein ähnliches Bild zeichnet der Bremer Gesundheitssenat: "Wir haben in verschiedenen Sportvereinen mit Mannschaftssport Ausbrüche, dazu vermehrt Hinweise auf Infektionen in Sportmannschaften", schreibt ein Sprecher. Auch ein Spieler von Werder Bremen habe sich infiziert. Hinweise auf Infektionen bei Profi-Spielen gebe es aber nicht.
    Trotzdem verteidigt der Senat die Maßnahmen, die auch Bereiche betreffen, in denen Hygienekonzepte vorliegen. "Diese schützen nämlich nicht vollständig vor Infektionen, erst recht nicht, wenn sie nicht umgesetzt werden."
    Die Antworten zeigen: Das Coronavirus betrifft alle Teile der Gesellschaft. Davon bleibt auch der Sport nicht ausgenommen, auch wenn Hygienekonzepte eingehalten werden und die Beteiligten sich weitgehend verantwortungsvoll verhalten. Wie groß die Rolle des Sports bei der Ausbreitung des Virus ist, ist schwer zu sagen. Klar ist aber, dass es gerade im Amateursport einige Coronainfektionen gegeben hat.
    Anmerkung: Wir haben die Angaben der Gesundheitsministerien aus dem Saarland und Bayern am 2. November erhalten und hinzugefügt.