Archiv

Coronavirus
Infektiologe: Schutzkleidung dringend benötigt

Bei hoher Qualität der medizinischen Versorgung lasse sich der Tod vieler Menschen durch das Coronavirus vermeiden, sagte der Infektiologe Gerd Fätkenheuer im Dlf. Derzeit fehlten jedoch Schutzmaterialien für medizinisches Personal und die Testkapazitäten der Labors seien zu gering. Da brauche es Abhilfe.

Gerd Fätkenheuer im Gespräch mit Peter Sawicki |
Eine Infektiologin in Schutzausrüstung steht mit vorgefertigten Fragebögen in der Eingangstür der Corona-Ambulanz an der Uniklinik Dresden.
In vielen medizinischen Einrichungen mangele es an Schutzkleidung, sagte der Infektiologe Gerd Fätkenheuer im Dlf (imago / Max Stein)
Der Ausbruch des Coronavirus ist eine medizinische, eine politische und eine gesellschaftliche Herausforderung. Die Schließung von Schulen und Kitas wurde mittlerweile angeordnet, soziale Kontakte sollen in den kommenden Wochen zumindest auf ein Mindestmaß reduziert werden, so der Appell unter anderem von Angela Merkel. Das alles mit dem Ziel, wie immer wieder betont wird, die Ausbreitung des Coronavirus so langsam wie möglich zu gestalten, damit vor allem das Gesundheitssystem standhalten kann. Über all das können wir jetzt mit Professor Gerd Fätkenheuer sprechen. Er ist Infektiologe an der Uniklinik in Köln.
Peter Sawicki: Die Kanzlerin, wenn wir auf sie noch mal zu sprechen kommen, sie hat ja gesagt, man werde alles tun, was notwendig ist. Sie als Mediziner, haben Sie das Gefühl, dass das bisher der Fall ist?
Gerd Fätkenheuer: Die Maßnahmen sind ja jetzt gestern und die Tage davor deutlich intensiviert worden, und der Grund dafür ist, dass man einfach gesehen hat, dass die Zahlen von Neuinfektionen massiv ansteigen, auch bei uns. Insofern hat man da, glaube ich, schon richtig und auch zum richtigen Zeitpunkt – hoffen wir zumindest – noch reagiert. Man wird aber weiter sehen müssen, welche Maßnahmen gegebenenfalls auch noch im weiteren Verlauf notwendig sind.
Sawicki: Schließen Sie da die Schul- und Kitaschließungen mit ein als richtige Maßnahme?
Fätkenheuer: Die schließe ich unbedingt als richtige Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt ein, denn es ist ganz klar, dass wir jetzt wirklich eine massive Verringerung von Begegnungen zwischen Menschen einfach – dass wir die erreichen müssen, um eben diese Ausbreitung des Virus zu vermindern. Insofern ist das eine richtige Maßnahme.
Einschätzungen müssen täglich neu überprüft werden
Sawicki: Wobei – das kann man an der Stelle nur kurz erwähnen –, Sie haben sich ja vor einigen Tagen im Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" noch skeptisch gezeigt im Hinblick auf Schulschließungen. Warum haben Sie da Ihre Meinung geändert?
Fätkenheuer: Ja, das ist einfach eine so dynamische Situation, wie wir sie bisher noch nie erlebt haben. Da ist man selbst als Experte, der sich damit ständig auseinandersetzt, immer jeden Tag neu vor die Frage gestellt, was ist heute richtig. Und die Frage, was heute richtig ist, ob das morgen noch richtig ist, ist eben wirklich nicht sicher. Wie gesagt, der Verlauf, die letzten Tage, wie wir auch bei uns gesehen haben in der Klinik mit zunehmenden Infektionszahlen, die haben mich dazu veranlasst, zu sagen, jetzt müssen wir doch massivere Maßnahmen ergreifen und eben auch solche Dinge wie Schulen- und Kitaschließungen.
Der Leiter der Klinischen Infektiologie an der Uniklinik Köln, Gerd Fätkenheuer.
Gerd Fätkenheuer leitet die Klinische Infektiologie an der Uniklinik Köln (dpa)
Sawicki: Wie sieht es mit der Versorgungsmöglichkeit aus jetzt mit Blick auf die Kinder vom medizinischen Personal, das ja zur Verfügung stehen muss und soll in den kommenden Wochen, was fordern Sie dahingehend, wie soll das organisiert werden?
Fätkenheuer: Das ist ein ganz kritischer Punkt, das ist völlig richtig, und da müssen wirklich kreativere Lösungen geschaffen werden. Ganz sicher ist es notwendig, dass Kinder von Eltern, die in solchen Berufen tätig sind, gut versorgt werden, und da muss es eben auch Notbetreuung von Kindertagesstätten geben. Der Ministerpräsident Laschet hat das ja in seiner Rede auch angekündigt, was, glaube ich, völlig richtig ist. Wir müssen für bestimmte Bereiche eben nicht eine ganz strenge Schließung machen, sondern da muss es Lösungen für geben.
Sawicki: Schauen wir auf die Situation in der Gesundheitsversorgung, schauen wir uns das mal genauer an: Bei Ihnen im Krankenhaus, wie ist da die Lage derzeit – mit Blick auf Kapazitäten und der Vorbereitung auf das, was noch kommen könnte?
Fätkenheuer: In der Universitätsklinik als dem größten Krankenhaus hier in Köln sind natürlich sehr viele Kapazitäten vorhanden, sich auch auf eine schwere, besondere Situation einzustellen. Das tun wir auch. Über die normalen Kapazitäten hinaus gibt es Pläne und werden jetzt umgesetzt, dass auch ein größerer Anfall von schwer kranken Patienten geleistet werden kann. Also man bereitet sich sehr, sehr intensiv darauf vor, zum Beispiel dadurch, dass Operationen, die nicht zwingend notwendig sind, jetzt wirklich nicht mehr durchgeführt werden, sodass sowohl Personal als auch…
Sawicki: Ist das in die Wege geleitet bereits mit den OPs?
Fätkenheuer: Das ist bereits in die Wege geleitet, ja. Das wird bereits umgesetzt. Es ist natürlich nicht so, dass man von einem Tag auf den anderen praktisch nichts mehr durchführt, das muss man sich nicht so vorstellen, es ist auch im Moment nicht nötig, aber eine graduelle Rücknahme, die jetzt begonnen hat, das ist bereits eingeleitet.
"Erwarten eine Zunahme von kranken Patienten"
Sawicki: Das heißt, bei was für einem Verlauf der Krankheit stoßen Sie nicht an die, Ihre Belastungsgrenze, an die Kapazitätsgrenze?
Fätkenheuer: Das kann man jetzt nicht gut in Zahlen ausdrücken. Wir erwarten einen – und das ist ganz sicher, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen eine Zunahme von kranken Patienten, die ins Krankenhaus müssen, sehen werden. Bisher gibt es ganz wenige Patienten in Köln, die mit Coronavirus-Infektionen im Krankenhaus behandelt werden müssen, aber das wird mit hundertprozentiger Sicherheit ansteigen, und ein Teil von diesen Patienten wird auch so schwer krank sein, dass sie intensivmedizinische Behandlung brauchen. Das werden dann die Engstellen werden, dann, wenn eben ganz sicher ist, dass wenn wir die Infektionsdynamik nicht abgegrenzt bekommen, dann werden wir an einen Punkt kommen, wo das nicht zu schaffen ist. Das sehen wir in Italien, das können wir einfach berechnen aus den Kurven. Und wo dann dieser Punkt ist, wo man sagen kann, das schaffen wir gerade noch so, und wo der dann nicht mehr ist, das kann ich jetzt nicht in Zahlen ausdrücken, aber alle Bestrebungen müssen darauf ausgehen, dass wir eben diesen Punkt, dass wir nicht mehr reagieren können, nicht mehr adäquat reagieren können, dass wir den nicht erreichen.
Sawicki: Jens Spahn, der Gesundheitsminister, der hat jetzt beispielsweise auch ins Gespräch gebracht, Ruheständler-Ärzte, auch Pflegepersonal noch mal zu aktivieren für diesen Krisenfall. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?
Fätkenheuer: Ich denke, dass in den Kliniken vor allen Dingen natürlich sehr hoch qualifiziertes Personal gebraucht wird. Ein ruheständlerischer Arzt, der kann jetzt nicht unbedingt auf einer Intensivstation mithelfen, es sei denn, er war ausgebildeter Intensivmediziner. Das wird nur bedingt helfen, denke ich. Aber dadurch, dass eben in den Kliniken die Bereiche eben auch verlagert werden, dass zum Beispiel Operationsschwestern, Anästhesisten und so weiter, dass diese mehrheitlich dann nicht mehr operieren, sondern auf Intensivstationen arbeiten müssen, dass andere Ärzte, die eben ausreichende Fähigkeiten haben, schwerstkranke Patienten zu pflegen und zu betreuen, dass die eingesetzt werden für diesen Zweck. Dann werden natürlich Lücken entstehen in anderen Bereichen, wahrscheinlich vor allen Dingen auch im ambulanten Bereich wird sehr viel mehr an Betreuung gebraucht werden. Also da macht es schon Sinn, solche Lücken auch mit Ärzten und Ärztinnen zu schließen, die sich vielleicht bereits in Ruhestand begeben haben.
Brauchen dringend Schutzmaterialien und Testkapazitäten
Sawicki: Was kann die Politik noch für Rahmenbedingungen schaffen, damit Sie so gut wie möglich die Herausforderungen bewältigen können?
Fätkenheuer: Im Moment ist das Wichtigste, was wir als medizinisches Personal, als Krankenhäuser, als Ärzte, Niedergelassene und so weiter – was wir brauchen, ist wirklich eine ausreichende Bereitstellung von Schutzmaterialien. Das ist ein großes Problem, gerade im Niedergelassenen-Bereich klagen ja viele Ärzte, dass sie gar nichts haben. Auch in vielen Kliniken ist die Ausrüstung knapp oder teilweise auch nicht mehr ausreichend vorhanden, Desinfektionsmittel fehlen teilweise. Das muss ganz dringend sichergestellt werden, sodass man hier gar nicht erst überlegen muss, wem gebe ich jetzt eine Schutzmaske beispielsweise und wem nicht. Jeder, der sich in eine potenziell gefährliche Situation begibt, der muss die entsprechende Schutzausrüstung haben, das muss ganz sicher gewährleistet sein. Das ist das eine.
Und das andere, was wir dringend brauchen, ist ein Ausbau der Testkapazitäten, um viel mehr testen zu können auf das Virus. Da braucht es Investitionen in die Labors, die Labors können einfach im Moment nicht mehr arbeiten, sie brauchen da zusätzlich Personal zugestellt, sie brauchen wahrscheinlich auch Räumlichkeiten, Gerätschaften. Und vor allen Dingen brauchen sie Reagenzien, also Chemikalien, um diese Tests durchzuführen, und da muss die Politik einfach Mittel bereitstellen und da mithelfen, dass diese Dinge besorgt werden können.
"Brauchen hoch technisierte, mit viel personellem Aufwand betriebene Medizin"
Sawicki: Wir wissen ja, ein Medikament beziehungsweise eine Impfung, einen Impfstoff gibt es derzeit nicht, daran wird unter Hochdruck gearbeitet, Medikamente in dem Sinne ja auch nicht bislang. Gibt es irgendeine Art von Mittel, die zumindest für eine Linderung sorgen, wenn Sie Corona-Patienten behandeln?
Fätkenheuer: Es gibt keine direkte Therapie, sondern was wir machen, ist eine, wir nennen es symptomatische Therapie, das heißt, die durch die Infektion verursachten Symptome, dann ja vor allen Dingen die Atemnot, die Lungenfunktionsstörung, dass die behandelt wird mit entsprechenden heutigen Methoden. Man muss eines sagen: Die Coronavirus-Infektion ist ja als Erkrankung nicht etwas ganz Neues, was wir gar nicht kennen. Es ist vom Verlauf her das, was wir von vielen anderen Virusinfektionen, die die Lunge befallen, auch kennen. Das sind die Influenza-, das sind aber auch andere Viren. Vom Verlauf her, die schweren Fälle, die sind sich sehr, sehr ähnlich.
Da wir im Moment keine direkte Therapie haben, um dieses Virus zu behandeln, ist das Wichtigste dann immer eine sehr, sehr gute Behandlung der Atemstörung und anderer Begleitkomplikationen. Dafür brauchen wir eine hoch spezialisierte, hoch technisierte, mit viel personellem Aufwand betriebene Medizin. Deswegen ist es so wichtig, dass wir das erhalten können, weil wenn wir das schaffen, dann werden auch nicht viele Menschen an dieser Erkrankung sterben, selbst dann, wenn sie schwer krank werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.