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COVID-19 und Maskenpflicht
"Da, wo es dicht und eng ist, gibt es momentan keine Alternative"

Der Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Leipzig, Burkhard Jung, hat sich für eine Ausweitung der Maskenpflicht an Orten ausgesprochen, "wo es dicht und eng ist." Die Zahlen zeigten eindeutig, dass dies immer noch die beste Prävention sei, sagte er im Dlf.

Burkard Jung im Gespräch mit Dirk Müller |
Nordrhein-Westfalen, Köln: Zahlreiche Passanten sind auf der Schildergasse, einer der Haupteinkaufsstraßen Kölns, unterwegs.
Wie sinnvoll ist die Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen? Die Zahlen zeigten, dass das Tragen einer Maske immer noch die beste Prävention sei, sagte Leipzigs Oberbürgermeister Jung im Dlf. (dpa/Marius Becker)
Die Corona-Zahlen in Deutschland steigen wieder. Das Kanzleramt plädiert deshalb für mehr einheitliche Regelungen - zum Beispiel auch beim Maskentragen. Die seit heute in der Altstadt von München geltende Maskenpflicht trifft beim Präsident des Städtetags, Burkhardt Jung, auf Verständnis. An besonders belebten Orten gebe es keine Alternative zur Mund-Nasen-Bedeckung. Die Zahlen zeigten eindeutig, dass dies die beste Prävention sei.
Ein Automat auf einem Gleis der Deutschen Bahn am Bahnhof ist neben Süßigkeiten und anderen Dingen auch mit Masken bestückt
Die Maske - Schützendes Stück Stoff und politisch-symbolisches Requisit
Joe Biden und Kamala Harris tragen sie, Donald Trump selten und widerwillig. Die Maske oder Mund-Nasen-Bedeckung ist mehr als nur ein Stück Stoff im Gesicht. Keine Zierde, aber ein Signal: ein politisches Requisit.

Müller: Herr Jung, gehen Sie noch unter Menschen?
Jung: Ja. – Ja!
"Dort, wo es eng wird, Maske, ganz klar"
Müller: Ohne Wenn und Aber?
Jung: Nein, natürlich nicht. Ich denke, die Abstandsregeln versuche ich wirklich sehr zu beachten. Dort, wo es eng wird, Maske, ganz klar. Und ich glaube, es geht nur so mit einer gewissen Vorsicht. Wir sind schlauer geworden nach den Erfahrungen von März, April, Mai, und ich hoffe, dass wir uns alle, hoffentlich alle daran halten, dass wir diese Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.
Müller: Ich weiß nicht, wie das Ihnen geht. Als ich gestern die Tagesschau gesehen habe, Bilder vom Kabinett – da laufen alle ohne Masken herum. Da fragt man sich auch immer, ist dieser Abstand einzuhalten, ist der konsequent einzuhalten bei ein, zwei Stunden Kabinettssitzung. Ist das ein gutes Vorbild?
Jung: Sie dürfen nicht vergessen, dort gibt es ja ständig Arbeitsbezüge. Wir haben das im Rathaus auch. Immer dann – entschuldigen Sie das Wort -, wenn ich in einer Infektionsgemeinschaft bin, dann wird das Abstandsgebot sehr, sehr schnell und leicht vergessen. Aber ich glaube, dass wir gut beraten sind, sehr intensiv und sehr genau auf die Abstandsregeln und Hygieneregeln zu achten, sobald wir neue Personengruppen erreichen. Solange ich mich in der gleichen familiären oder Gruppensituation befinde, ist das, glaube ich, überschaubar und auch beherrschbar.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Ich persönlich brauche zum Beispiel die Reaktion des Gegenübers"
Müller: Das gilt auch fürs Bundeskabinett, wenn wir bei dem Beispiel bleiben?
Jung: Das gilt auch fürs Bundeskabinett. Schauen Sie, ich habe eine ganz ähnliche Situation. Als OB habe ich auch ein kleines Kabinett, wo wir tagtäglich in Arbeitsbeziehungen sind. Und ich glaube, dass es wichtig ist fürs Arrangement, für die schnellen Entscheidungen, dort in einer engen Arbeitsbeziehung zu bleiben, und das heißt, auch in Abstandssituationen zu kommen, die gegebenenfalls schwierig sind. Das ist, glaube ich, in allen Arbeitsbereichen so.
Müller: Jetzt haben wir heute Morgen gehört, Heiko Maas und Peter Altmaier müssen jetzt zuhause in Quarantäne bleiben, weil ein Sicherheitsbeamter sich infiziert hat. Tobias Hans aus dem Saarland ebenfalls. Dann könnte das ja so weiter die Runde machen. – Das heißt, jetzt geht es auf einmal, dass man das per Skype-Schaltung macht. Warum nicht gleich so?
Jung: Wir haben lange Wochen auch ständig mit Video gearbeitet. Und jetzt ein offenes Wort: Es hat alles seine Grenzen. Ich persönlich brauche zum Beispiel die Reaktion des Gegenübers. Ich muss das Minenspiel sehen. Ich muss wissen, wie schnell er reagiert und auch ganz anders reagiert. Wenn ich das nur per Videoschalte mache, dann ist das eine sehr technisierte Form der Kommunikation und ist nur halb die Wahrheit. Oftmals weiß man gar nicht, wer zuhört, ob jemand zuhört.
Hinweis zur Maskenpflicht in der Bahn
Montgomery (Weltärztebund) - "Selbst ein feuchter Lappen vorm Gesicht ist besser als gar nichts"Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hält es für möglich, mit guten Hygienekonzepten auch in den Wintermonaten gastronomische Betriebe zu öffnen – dazu gehöre das Tragen einer Maske.
"Die Prinzipien, die müssen überall gleich gelten"
Müller: Herr Jung, wenn das für Sie ja so gilt, diese Analyse, dann muss das ja auch für alle anderen in Deutschland so gelten.
Jung: Ja! Ich glaube, dass wir gut beraten sind, sehr differenziert zu agieren. Schauen Sie, wir haben das lange auch in dem Kreis der Oberbürgermeister natürlich diskutiert. Die Prinzipien, die müssen überall gleich gelten. Ich sage mal, hast Du 20, 30, 40 oder 50 Infektionen je 100.000 Einwohner, dann müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen werden, sehr genau die Hotspots identifiziert werden etc. Aber solange ich in dieser differenzierten Situation bin, muss ich unterschiedlich agieren können und auch Arbeitsbeziehungen ermöglichen. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem großen Unternehmen – ich habe gestern BMW besucht – am Fließband tagtäglich mit wechselnden Belegschaften zusammen bin, oder ob ich in einer kleinen Bürosituation mit drei, vier Leuten tagtäglich zusammenarbeite und sehr genau nachverfolgen kann.
Ich glaube, es ist eine Frage des Nachverfolgens. Wir haben das gelernt aus der März-April-Situation. Wir sind gut in unseren Gesundheitsämtern. Wir schaffen das. Wir können identifizieren, exakt die Kontakte identifizieren und dann auch, denke ich, sehr gezielt Quarantäne-Maßnahmen machen.
Müller: Mit der kleinen Gruppe ist das ja relativ. Da hat jeder vielleicht auch andere Vorstellungen, unterschiedliche Vorstellungen, was die Zahlen anbetrifft. Sie haben gesagt, drei oder vier. Ich habe jetzt vom Bundeskabinett geredet. Sie haben von Ihrem kleinen Beratungskabinett geredet. Ich weiß nicht, wie viele Menschen sind da bei Ihnen dann regelmäßig?
Jung: Das sind dann auch 10, 12 Leute. Aber sobald wir über 10 sind versuchen wir, in einen größeren Raum zu gehen, dort auch lüften, Abstand halten. Im Stadion haben wir die Regel sechs. Unter freiem Himmel haben wir Sechsergruppen gemacht im Stadion als Regel. – Es geht um die Nachverfolgung, Herr Müller. Wir müssen in der Lage sein, als Gesundheitsamt exakt zu erfassen, wer gegebenenfalls infiziert ist und wen er angesteckt hat.
"Natürlich gibt es Angst vor Datenmissbrauch"
Müller: Prävention ist gegebenenfalls dann noch besser. Klar, würden Sie auch unterstreichen. Aber reden wir über die Nachverfolgung. Da gibt es ja immer mehr Kritik daran, dass das aufgrund der Flut der Daten und vor allen Dingen auch aufgrund der Qualität der Daten – handschriftlich ist oft vieles festgehalten, unleserlich, tausende, zehntausende von Zetteln -, dass das immer schwerer wird.
Jung: Ja, das ist ein Problem, und es gibt leider, leider Menschen, das gehört auch zur Wahrheit, die sich einen Spaß daraus machen, auf so einen Zettel Donald Duck zu schreiben. Das ist ein echtes Thema und wir müssen mit allen, mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Gästen müssen wir so in Verbindung kommen, dass es praktisch ganz klar und selbstverständlich geworden ist, dass ich akzeptiere, dass ich meine Daten auch für diesen Moment der öffentlichen Kontaktierung mit anderen Menschen preisgeben muss, und zwar in einem hohen Verständnis für die Lage. Das dauert noch!
Müller: Muss das nicht klarer auch digitalisiert werden? Es gibt ja beispielsweise auch Restaurants, Gaststätten, wo man gleich mit der Handy-App im Grunde seine Spur hinterlässt. Das ist dann auch alles, wenn es denn sein muss, nachvollziehbar. Aber es ist die Ausnahme. Warum dauert das so lange, bis man dies flächendeckend in irgendeiner Form anbieten kann?
Jung: Klar wäre das wünschenswert. Aber ich glaube, wir müssen auch realistisch sein. Wo waren wir denn vor einem Jahr im Hinblick auf die digitale Durchdringung unserer Gesellschaft? – Und die Wahrheit ist auch: Natürlich gibt es Angst vor Datenmissbrauch und vor Datensammeln. Auch das muss man sehr sauber und ordentlich ausräumen, dass man dort mit den Daten etwa Schindluder betreibt.
Kurzum: Ich mahne schon dazu, dass wir auch ein Stück Gelassenheit üben und in diesem Umgang Schritt für Schritt vorwärtsgehen. Wir können das nicht überstürzen. Das geht nur schief. Qualität vor Schnelligkeit.
"Ich glaube, die Welle können wir im Wesentlichen verhindern"
Müller: Aber es gefährdet ja die Gesundheit, wenn man nicht schnell genug vorgeht?
Jung: Ja, natürlich.
Müller: Das ist klar.
Jung: Natürlich, natürlich. Aber ich glaube, wir müssen uns auch nicht verstecken. Schauen Sie: Ja, wir haben ein Stückchen Glück, dass wir später gekommen sind, damals die Situation anders hatten als Italien. Aber wir haben es auch – darf ich das mal unbescheiden sagen – gut gemacht. Wir haben es in unseren Gesundheitsämtern mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort gut hingekriegt und das Containment insgesamt sehr gut beherrscht.
Müller: Jetzt sagt Christian Drosten, die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Ist das auch Ihre Vermutung?
Jung: Ich glaube, dass wir genauso eine Welle haben werden wie im Frühjahr, aber dass wir anders damit umgehen können, dass wir gelernt haben, wie wir identifizieren und auch abschotten bestimmte Bereiche, so wie wir es jetzt machen: einzelne Klassen oder Schulen, bestimmte Bereiche eines Werkes, einer Bürogemeinschaft. Ich glaube, wir sind viel, viel klüger im Hinblick auf die Situation, damit ordentlich umzugehen. Ich rede lieber von Spritzern. Wir werden deutliche Spritzer haben. Aber ich glaube, die Welle können wir im Wesentlichen verhindern.
Müller: Reiseverzicht in den Herbstferien, das fordern jetzt immer mehr Politiker. Schließen Sie sich da an?
Jung: Ich glaube, das wäre vernünftig. Es wäre wirklich vernünftig, dass wir nicht dieses Risiko suchen. Ich weiß, wie schwierig das für die Tourismus-Branche ist, aber wir brauchen noch dieses Jahr.
"Ich finde, wir sollten Risikogebiete komplett vermeiden"
Müller: Dann kommt ja auch keiner mehr nach Leipzig!
Jung: Na ja. Städtetourismus innerhalb Deutschlands gibt es ja durchaus weiter, die Möglichkeiten zum Austausch. Aber ich finde, wir sollten Risikogebiete komplett vermeiden, und wir sollten auch möglichst reduzieren, was wir uns international da in den letzten Monaten geleistet haben.
Müller: Leipzig dann nicht, das ist okay, kann ich hinfahren. Bei München habe ich ein Problem?
Jung: Ich muss differenzieren, das ist so. Aber ich glaube, dass die Münchener das wieder in den Griff kriegen. Dieter Reiter macht das gut. Wir sehen da in drei, vier Wochen wieder ganz anders aus. Es ist alles eine Frage der Nachverfolgung und Kontrolle. Ich glaube, das richtige Maß muss man finden. Es kann nicht sein, dass wir wieder alles lahmlegen, dass wir überzogen gleiche Maßstäbe dann in der gleichen zeitlichen Situation ansetzen. Es geht um die gleichen Maßstäbe, aber bitte differenziert in den unterschiedlichen Situationen.
Müller: Kommen wir wieder zur Maske, Maskenpflicht an öffentlichen Plätzen, in der Innenstadt allgemein. Wäre das so schlimm?
Jung: Da, wo es dicht ist. – Ja, da wo es dicht ist. – Sind Sie ehrlich, Herr Müller. Natürlich nervt das. Natürlich nervt das, wenn ich eine Atemschutzmaske habe, in der Deutschen Bundesbahn vier, fünf Stunden reise. Aber da, wo es dicht und eng ist, gibt es momentan keine Alternative dazu. Sie hilft, und wir wissen das. Es zeigen eindeutig die Zahlen, wenn wir es richtig machen, dass wir dort die beste Prävention haben.
Müller: Also müssen wir das restriktiver handhaben aus Ihrer Sicht? Maskenpflicht überall?
Jung: Ja! Ich glaube, da wo es eng wird.
Alkohol: "Vernünftig wäre es, auf jeden Fall radikal einzuschränken"
Müller: Also fast überall.
Jung: Ja!
Müller: Alkohol!
Jung: In dem Moment, wo Menschen in größeren Gruppen Alkohol konsumieren, wird es schwierig. Wir versuchen jetzt, Konzepte für die Weihnachtsmärkte zu entwickeln. Kriegen wir es hin über abgeschlossene Bereiche, gastronomische Bereiche, wo Menschen nicht länger als 45 Minuten bleiben, ihre Daten hinterlassen, um dann auch den Alkoholkonsum ein Stück weit möglich zu machen. Ich glaube, dass das geht! Ich glaube, dass das geht und dass es eine Übungssache ist, wie wir in unserer Kultur dies organisieren.
Müller: Alkohol gehört zur Kultur. Das heißt, auch in diesen Phasen, in dieser Zeit nicht darüber nachzudenken, öffentlich auf Alkohol zu verzichten. Das wäre ja auch zumutbar für jeden Einzelnen, oder nicht?
Jung: Vernünftig wäre es. – Vernünftig wäre es, auf jeden Fall radikal einzuschränken. Auf der anderen Seite: Wir haben ein Weinfest gehabt auf unserem Marktplatz, das sehr gut funktioniert hat, mit abgeschlossenen Bereichen, mit Datenhinterlegung, mit kleinen Sechsertischen, mit Abstand unter freiem Himmel. Es ist ein riesen Unterschied, ob Du im geschlossen Raum bist oder unter freiem Himmel. - Es geht, es gibt Möglichkeiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.