Donnerstag, 28. März 2024

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COVID-Selbsthilfe-Gruppe
Ehemalige Patienten auf dem Weg zurück ins Leben

Die Langzeitfolgen von COVID-19 sind oft einschneidend: Atemnot, Traumata und Erschöpfungszustände können dazugehören. In Regensburg hat ein ehemaliger Corona-Patient eine Selbsthilfegruppe gegründet - um die einschneidenden Veränderungen mit anderen Betroffenen und psychologischer Hilfe zu verarbeiten.

Von Tobias Krohne | 07.01.2021
Eine Ärztin hält in der Intensivstation des Luisenhospitals die Hand eines Coronapatienten. In der Station werden zur Zeit acht Patienten mit Covid-19 behandelt.
Viele ehemalige Intensivpatienten hat die Krankheit traumatisiert (dpa / picture alliance / Henning Kaiser)
Das Wiedersehen von Karl Baumann aus Regensburg und Birgit Birner aus der Nähe von Nürnberg mit dem Psychologen Günter Diehl aus dem badischen Bad Dürrheim – es findet wie vieles in diesen Tagen als Videokonferenz statt.
"Schön, Sie wieder zu sehen."
"Ist ja lang her, dass wir uns gesehen haben."
"Ja. Echt."
"Freu ich mich. Wie geht’s Ihnen?"
"Danke. Gut. Den Umständen entsprechend und ein gutes neues Jahr allen."
Computergenerierte Illustration eines Coronavirus.
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Leiden unter Erschöpfungszuständen

Für Birgit Birner läuft das neue Jahr wirklich gut an. Den Umständen entsprechend. Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt, dem roten Pullover und offenen Blick arbeitet seit dieser Woche wieder Vollzeit. Dank ihrem Arbeitgeber, der Sparkasse – und einer Veränderung ihres Jobprofils.
"Weil ich ja (Sie hustet.) in Schulungen unterwegs war und in Beratungen und ich einfach die acht Stunden nicht reden konnte. Also nach vier Stunden war die Luft weg. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und daraufhin hat mein Arbeitgeber mir einen neuen Arbeitsplatz angeboten. Ich bin jetzt im Firmenkunden-Kreditwesen Sachbearbeitung, kann mal einen ganzen Tag auch die Klappe halten, wenn ich will. Und das tut mir persönlich sehr, sehr gut, weil ich jetzt wirklich mehr Luft habe, diese Erschöpfungszustände, die ich einfach auch hatte, aufgrund meiner alten Tätigkeit – die habe ich jetzt ganz gut im Griff."
Seitdem ihr Mann das Virus Anfang April von seinem Arbeitsplatz, einem Pflegeheim, mitbrachte, hat sich Birgit Birners Leben gewaltig verändert. Sie wendet sich an den Psychologen Günter Diehl, der sie während ihrer Reha in einer Klinik in Bad Dürrheim betreute.
"Herr Diehl, da denke ich jetzt an Sie. Sie haben mir damals in der Reha gesagt: Das, was Sie tun, momentan beruflich, werden Sie hinterher nicht mehr tun können. Und ich bin jetzt nicht unbedingt eine, die gern eingesteht, dass andere Recht haben, aber Sie hatten recht."
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Klarkommen mit den körperlichen und seelischen Nachwirkungen

Birgit Birners Lächeln bekommt in diesem Moment eine bittere Note. Doch um Sätze wie genau diesen geht es in der virtuellen Selbsthilfegruppe, an der die 46-Jährige teilnimmt. Hier sprechen Post-COVID-Patient*innen über ihre Situation, tauschen Informationen aus – und arbeiten daran, die schwierigen vergangenen Monate hinter sich zu lassen. Körperlich wie seelisch. Selbstverständlich darf ich als Radioreporter nicht an der offiziellen Sitzung teilnehmen, wo sich Betroffene vertraulich untereinander austauschen, aber auch das gemeinsame Video-Interview wird nach und nach zu einer kleinen Selbsthilfe-Sitzung. Karl Baumann berichtet von seiner Situation.
"Ich habe jetzt zweimal das CT mit Kontrastmittel gemacht. Da sind eigentlich keine Schädigungen mehr da bei mir. Und ich habe auch 80 Prozent Lungenvolumen ungefähr. Aber wenn ich den kleinsten Berg raufgehe oder eine normale Schrittgeschwindigkeit oder so, wie es meine Frau geht, da habe ich gar keine Chance mitzukommen.
"Aber 80 Prozent ist schon auch eine Einschränkung."
"Ja schon, aber. Naja, vielleicht sehe ich das schon wieder verkehrt, ne?" (Lacht.)

Trauma von der Intensivstation

Karl Baumann aus Regensburg hat im Dezember Deutschlands erste Online-Selbsthilfegruppe gegründet. Er will mit seinem Schicksal nicht allein bleiben. Baumann lag im Frühjahr drei Wochen lang im künstlichen Koma – währenddessen bekam er einen Schlaganfall. Seit März ist der Unternehmer krankgeschrieben. Der 52-Jährige hat Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen, das Fatigue-Syndrom – eine permanente Müdigkeit. Und ein Trauma. Der Psychologe Günter Diehl kennt inzwischen zahlreiche Fälle.
"Wissen Sie, die Patienten – was sie mir berichten. Dieses Trauma von den Intensivstationen, das will wirklich keiner haben. Das will man nicht erleben. Das ist brutal. Rechts und links stirbt jemand und du denkst, du bist der nächste. Und das hinterlässt definitiv Narben und an denen müssen wir arbeiten. Da hilft alles nix, gell?"

Mit der Selbsthilfegruppe wieder zurück ins Leben finden

In der Selbsthilfegruppe wollen sie lernen, diese Narben anzuerkennen – und mit ihnen zu arbeiten. Auch wenn gerade bei vielen die Narben in der Lunge wohl bleiben. Auch bei Birgit Birner, obwohl sie einen vergleichsweise leichten COVID-Verlauf hatte. Eine Beatmung war bei ihr nicht nötig. Und trotzdem.
"Ich war jetzt nach sieben Monaten wieder im CT und meine Lunge weist leider die gleichen Schädigungen auf wie nach der Akuterkrankung. Also meine Lunge hat sich seitdem nicht erholt. Also es ist jetzt nicht unbedingt gegeben, dass wenn ich einen schweren Verlauf hatte, danach noch zu kämpfen, sondern auch mit einem vermeintlich leichten Verlauf kann ich Langzeitschäden haben. Und das ist, was man schon auch herausstellen sollte. Dass es keiner weiß, wie es irgendwann dann mal ausschauen wird."
Deshalb wollen die drei warnen davor, leichtsinnig mit dem Virus umzugehen. Die neue Krankheit COVID-19 verändere gerade so einige Leben auf einschneidende Weise. Das bekommen sie in ihrer Gruppe mit. Für sie ist die Selbsthilfe eine wichtige Unterstützung, um gut in ein neues Leben zu finden.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)