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Crowdfunding für Krankenkosten
Pflaster aber keine Heilung

Dass sich die Arztrechnungen immer weiter stapeln, wenn die Patienten längst schon keinen Cent mehr übrig haben, ist keine Seltenheit in den USA. Immer mehr US-Amerikaner hoffen deshalb auf Crowdfunding, um ihre Krankenkosten zu zahlen.

Von Martina Buttler | 11.07.2017
    Das Bild zeigt ein Krankenhaus in New York.
    Wer wochenlang krank ist, kann ganz schnell seine Krankenkosten nicht mehr bezahlen (picture-alliancs / dpa / ZUMA / Wang Ying)
    Shariq wurde auf einem Zebrastreifen angefahren - Fahrerflucht. Der 19-Jährige kommt mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Operationen, Krankenhausaufenthalt und Medikamente haben allein in den ersten fünf Tagen schon fast 200.000 Dollar verschlungen. Die Rechnungen kommen weiter. Die Versicherung zahlt nur einen Teil der Kosten. Deshalb haben seine Freunde einen Aufruf auf einer Crowdfunding-Seite gestartet. Lauren Berliner, eine der Autorinnen einer Studie über Crowdfunding für Krankenkosten vom Simpson Center for the Humanities der University of Washington Bothell, erklärt, was nötig ist, damit die Menschen spenden:
    "Einige Faktoren, die eine Kampagne erfolgreich machen, sind: dass die Sache optimistisch und fesselnd klingt und es ein lösbares Problem gibt."
    Vernetzung ist wichtig
    Die Rechnung, dass die schwersten Krankheiten, die meisten Spenden bringen, geht nicht auf. Für Shariq haben inzwischen mehr als 4.000 Menschen zwischen 5 und 5.000 Dollar gespendet. Auf der Crowdfunding-Seite steht der Mitschnitt eines Fernsehberichts über den Unfall und eine detaillierte Erklärung, wie es Shariq geht. Seine Freunde haben vieles richtig gemacht aus Sicht der Forscher. Sie wissen, wie man Inhalte erfolgreich für’s Netz aufbereitet. Nora Kenworthy, Co-Autorin der Studie, erklärt, was der Schlüssel zu Spenden ist:
    "Die meisten Kampagnen verbreiten sich über Freunde und deren Freunde. Es geht also auch darum: Wie viele Menschen in deinem Freundeskreis haben Geld übrig, das sie für Deine Sache spenden können?"
    Dass sich die Arztrechnungen immer weiter stapeln, wenn die Patienten längst schon keinen Cent mehr übrig haben, ist keine Seltenheit in den USA. Zuzahlungen, Gebühren, Medikamente – das kann Amerikaner in den finanziellen Ruin treiben. Fast die Hälfte hat einer Studie zufolge im Notfall nicht mal 400 Dollar auf der hohen Kante. Nina McCarthy hat selbst erlebt, wie schnell einem die Schulden im Krankheitsfall über den Kopf wachsen können. Dabei hatte sie jahrelang den gleichen Job und eine Krankenversicherung. Dann wurde ihr die Gebärmutter entfernt. Es gab Komplikationen. Sie war wochenlang krank. Nur die ersten drei Wochen hat ihre Versicherung gezahlt:
    "Ich habe dann rund vier Wochen kein Geld verdient. Da konnte ich auch meine Krankenversicherung nicht zahlen. Und weil ich meinen Teil nicht zahlen konnte, hatte ich nach ein paar Wochen auch keine Versicherung mehr. Die medizinischen Rechnungen haben sich gesammelt."
    In der Verzweiflung werden oft sehr persönliche Dinge publik
    Sie hat einen Kredit aufgenommen, um die Schulden irgendwie in den Griff zu bekommen. Beim Crowdfunding haben sich Shariqs Freunde als Ziel gesetzt, 500.000 Dollar zu sammeln. Fast 420.000 haben sie in einem Monat zusammenbekommen. Ihr Marketing funktioniert aus Sicht der Wissenschaftlerinnen. Aber die Meisten sind nicht so erfolgreich, erklärt Nora Kenworthy:
    "Nur rund 10 Prozent erreichen das Ziel, das sie sich setzen. Crowdfunding ist keine Garantie für einen Erfolg. Die meisten Leute stellen fest, dass sie nicht so viele Leute ansprechen, wie sie gehofft haben."
    Die meisten Crowdfunding-Kampagnen bekommen rund 40 Prozent des Geldes zusammen, das sie sich als Ziel gesetzt haben. Kranke und ihre Angehörigen machen in ihrer Verzweiflung viele private Details öffentlich. Doch das reicht eben nicht. Manche bekommen nur ein paar Dollar. Dass immer mehr Amerikaner auf Crowdfunding hoffen, um Krankenkosten zu zahlen, ist für Lauren Berliner ein alarmierendes Signal:
    "Es ist ein Bereich mehr, wo die Vorurteile der Amerikaner zum Zug kommen. Wer verdient es zu leben und wer nicht – das drückt sich in Spenden aus."
    Crowdfunding kann nur ein Pflaster auf einer klaffenden Wunde sein und Heilung ist nicht in Sicht.