Donnerstag, 18. April 2024

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CSU-Politiker zum Brexit-Deal
Ferber: Schwierig, unsere Standards beim Warenverkehr sicherzustellen

Er sei sehr skeptisch, dass die von Premierminister Boris Johnson gegebenen Versprechungen dauerhaft eingehalten würden, kommentierte CSU-Politiker Markus Ferber den neuen Brexit-Deal, über den heute im britischen Unterhaus abgestimmt werden soll. Er befürchte, dass es im Verbraucherschutz an vielen Stellen zu Aufweichungen der Standards kommen werde.

Markus Ferber im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 19.10.2019
Markus Ferber, MdeP, Landesvorsitzender der Europa-Union Bayern e.V.
Eine von vielen Schwierigkeiten in den Augen von Markus Ferber: Britische Beamte, die nicht mehr dem EU-Regime unterliegen, sollen EU-Standards kontrollieren. (imago )
Jürgen Zurheide: Brexit-Entscheidung heute am Super-Samstag: Alle schauen nach London. Wir wollen jetzt bewusst die Brüsseler Perspektive einnehmen. Dazu begrüße ich Markus Ferber von der CSU, für die CSU im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Herr Ferber!
Markus Ferber: Schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Ferber, erst mal die Frage: Haben Sie die Texte und die Änderungen inzwischen eigentlich lesen können, die da so begrüßt und bejubelt worden sind von den Staats- und Regierungschefs?
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Ferber: Wir haben die Texte lesen können, weil es hat sich ja im Verhältnis zu dem mit Frau May verhandelten Vertrag nur ein kleiner Teil geändert, und diese Texte sind schon zur Verfügung gestellt worden, und da konnten wir auch schon einen Blick reinwerfen natürlich.
Zurheide: So, und wie ist Ihre Analyse? Also in ersten Reaktionen habe ich viel von Schlupflöchern gehört, von möglichen betrügerischen Dingen, die sich da an der Grenze auf der See abspielen können. Ist Ihre Besorgnis größer oder kleiner geworden nach der Lektüre?
Ferber: Ja, die Situation hat sich ja nicht vereinfacht durch diesen neuen Abschnitt, wie hier die Warenkontrollen zwischen dem Vereinten Königreich, dem Rest der Welt und der Europäischen Union sichergestellt werden können. Auf der einen Seite muss man zugestehen, dass Boris Johnson auf die EU zugegangen ist, das Vereinte Königreich verpflichtet sich zukünftig auch, für die Europäische Union die Mehrwertsteuer zu erheben. Das ist für ein Drittland eher unüblich. Auf der anderen Seite ist es sehr kompliziert geworden, zwischen Warenverkehr, Personenverkehr, nordirischem Markt und europäischem Binnenmarkt zu unterscheiden. Und das ermöglicht natürlich schon, dass hier Schlupflöcher entstehen, wie Waren, die nicht unseren Standards entsprechen, auf den europäischen Kontinent kommen können. Und da ist viel Vertrauensvorschuss notwendig, und es ist nicht sicher, dass dieser Vertrauensvorschuss am Ende auch realisiert wird.
"Schwierig, unsere Standards beim Warenverkehr sicherzustellen"
Zurheide: Jetzt haben Sie sich da sehr freundlich ausgedrückt. Es gibt viele, die trauen Herrn Johnson nicht von hier bis zur Nasenspitze. Wie ist das Vertrauen da im Moment? Ich habe da jetzt bei gelächelt. Sie tun das auch?
Ferber: Ja, natürlich ist die Situation die, dass wir davon abhängig sind, dass britische Beamte, die nicht mehr dem EU-Regime unterliegen, EU-Standards kontrollieren, weil auf der anderen Seite für Herrn Johnson dieser Passus ja ganz entscheidend ist, dass er jetzt schon in der Übergangsphase, was bei dem May-Abkommen nicht möglich gewesen wäre, Freihandelsabkommen mit anderen Ländern schließen kann. Und daraus entstehen ja die Probleme. Das heißt, die Briten wollen sich wohl sehr schnell von EU-Standards verabschieden, um zum Beispiel sehr schnell mit den Amerikanern zu einem Freihandelsabkommen zu kommen. Und das ist eigentlich das Problem, um das es geht. Am Tag eins nach einem geregelten Brexit macht sich niemand Sorgen, die Sorgen entstehen dann, wenn in der Übergangsphase hier schon Freihandelsabkommen mit anderen Wirtschaftsräumen sind, die nicht unseren Standards entsprechen, weil dann wird es ganz, ganz schwierig, unsere Standards beim Warenverkehr auch sicherzustellen.
Zurheide: Das ist der eine Punkt, da werden wir gleich weiter drüber reden. Ich will nur einen Moment die andere Perspektive nehmen: Das heißt ja dann auch, dass in Nordirland und Irland … Eigentlich ein Land, zwei Systeme – diese Begriffe kennen wir sonst nur aus anderen Teilen der Welt. Da fragt man sich ja auch: Wie klug ist das? Ich meine, die Frage müssen wir im Zweifel nicht beantworten, aber sie berührt uns, oder?
Ferber: Das ist natürlich die Kernfrage, die jetzt auch im Unterhaus heute diskutiert wird. Die DUP hat ja schon erklärt, dass sie genau aus diesem Grund nicht zustimmen kann, weil die Sorge vorherrscht, dass sich Nordirland dauerhaft vom Vereinigten Königreich weg, hin zur Republik Irland entwickeln könnte, was der DUP ja natürlich sehr zuwiderläuft. Und dieses Modell muss dauerhaft erhalten bleiben, liegt dann aber in der Hand des nordirischen Parlaments, das alle vier Jahre darüber abzustimmen hat, ob es dieses System beibehalten will oder nicht. Wenn wir wissen, dass seit der letzten Wahl in Nordirland keine Regierung gebildet werden konnte, weil sich hier die Parteien verfeindet gegenüberstehen, zeigt das ja auch, dass wir uns da in Hände begeben, die – momentan jedenfalls – nicht als Stabilitätsanker der Demokratie bezeichnet werden können.
Der wunde Punkt des Abkommens
Zurheide: Das war auch jetzt sehr freundlich ausgedrückt. Jetzt gucken wir auf den anderen Aspekt, den Sie gerade angesprochen haben: Die Briten verhandeln dann mit Dritten. Was erwarten wir? In den Papieren, so weit ich sie jetzt gelesen habe, steht natürlich drin, dass sie sich nicht so ganz weit entfernen wollen von Europa – aber das ist ja das eigentliche Ziel. Insofern sind das fast Widersprüche, die da aufgeschrieben worden sind. Also ich sage, wenn die nach wie vor die Ideen haben, irgendwelche Niedrigsteuern bei Unternehmen zu machen oder bestimmte Zonen, in denen das geht, dann fängt es doch an, sehr kritisch zu werden, oder?
Ferber: Herr Zurheide, da haben Sie genau den Finger in den Punkt gelegt, um den es geht. Das ist der wunde Punkt dieses Abkommens. Das war natürlich auch das, was Johnson unbedingt erreichen wollte und was auch die Kritik an dem Abkommen von Theresa May war, dass es noch langfristig bedeutet hätte, dass das gesamte Vereinte Königreich mit dem europäischen Binnenmarkt verbunden ist und die Standards einhalten muss. Das vorausgeschickt haben wir natürlich schon die Sorge, dass die politischen Versprechungen von Herrn Johnson, die er jetzt in Brüssel abgegeben hat, macht euch keine Sorge, und das, was er dem britischen Volk vor drei Jahren im Zusammenhang mit dem Referendum versprochen hat, wir können endlich wieder frei entscheiden, … Da liegt natürlich genau der Widerspruch, um den es geht und der die Probleme bereiten kann.
"To take back control" heißt ja, ich setze wieder die Standards, die für mein Land gelten, ich lasse mir die nicht mehr von Brüssel vorschreiben, und es heißt sicherlich nicht, strengere Standards, sondern es heißt an vielen Stellen Aufweichungen im Verbraucherschutz. Nehmen wir mal nur das Thema gentechnikveränderte Lebensmittel, da waren die Briten immer sehr aufgeschlossen, haben eine Minderheitsposition in Europa gehabt. Da gibt es in der Welt durchaus Länder, die da auch aufgeschlossen sind. Das ist für uns zum Beispiel undenkbar. Wenn ich mal nur einen Themenbereich rausgreifen darf, das Thema Anlocken durch Steuerreduzierungen: Auch hier heilige Versprechungen in Brüssel. "To take back control" heißt natürlich auch, ich entscheide souverän und nicht mehr, was Brüssel sagt. Und das sind genau die Sorgen, die uns umtreiben.
Zurheide: Das heißt, die eigentliche Herausforderung steht uns noch bevor. Ich meine, ich sage das jetzt allen Menschen, die uns zuhören und die das Wort Brexit vermutlich nicht mehr hören können. Die eigentliche, ich will jetzt nicht sagen Katastrophe, aber die eigentlichen Probleme, die fangen ja jetzt erst an, wenn man dann darüber genau reden muss und wenn diese Widersprüche, die wir hier beschreiben, wenn die aufgelöst werden müssen. Also kann man da noch optimistisch bleiben?
Ferber: Nein, weil alles, was wir jetzt gemacht haben, um einen geregelten Brexit hinzubekommen, ist ja nur das Vorspiel zu dem, …
Zurheide: Richtig.
Ferber: … was uns dauerhaft an Belastungen treffen kann. Und nachdem das Vorspiel jetzt schon so kompliziert war, kann man sich vorstellen, oder Ouvertüre möchte ich es mal nennen, kann man sich vorstellen, dass das ganze Drama noch einen sehr, sehr schlimmen Lauf nehmen kann, weil nicht sichergestellt ist, dass die Versprechungen, die jetzt gegeben wurden, dauerhaft eingehalten werden.
Entscheidung im Unterhaus stark innenpolitisch gefärbt
Zurheide: Wagen Sie eine Prognose für heute? Wir reden ja hier unter uns.
Ferber: Ich bin sehr skeptisch, ob es gelingen wird, weil die Wahrheit ist ja auch: Das britische Unterhaus entscheidet nicht hier nach rationalen Gründen, was die Beziehungen zu Europa betrifft, sondern nach rationalen Gründen, was die besten Startchancen für die anstehenden Neuwahlen betrifft. Und deswegen ist alles nur innenpolitisch gefärbt, und das ist nicht unbedingt ein Beitrag zu einer klugen Entscheidung. Deswegen bin ich pessimistisch.
Zurheide: Auf der anderen Seite, die einzige Variante, die ich jetzt sehe oder die ich ihnen anbieten würde, ob die Briten das machen, ist eine zweite Frage, wäre, dass man ein zweites Referendum hat, um sozusagen die Frage noch einmal zu klären, dieser Deal, ja oder nein oder vielleicht doch drin bleiben? Wäre das die Option, die ja heute John Major und Tony Blair aufgemacht haben?
Ferber: Ja, das sind natürlich Optionen, die auf dem Tisch liegen. Aber wenn Sie die Kampagne von Johnson, auch parteiintern, um Parteivorsitzender werden zu können, sich anschauen, hat er dies ja alles ausgeschlossen. Das heißt, die Kräfte, die ihn unterstützt haben, würden sich dann auch von Johnson abwenden. Er würde in die Geschichte wohl eingehen als einer der am kürzesten amtierenden Premierminister im Vereinigten Königreich. Aber das würde die Probleme ja nicht lösen, sondern nur die Verlängerung wieder beschleunigen, dass sie noch bei uns bleiben. Dann sollten sie entweder mal klar sagen, okay, es war doch keine gute Idee, wir bleiben in der Europäischen Union, oder ein zweites Referendum machen, um zum Beispiel über dieses Abkommen abzustimmen. Ansonsten wird dieses innenpolitische Gehackel die Probleme nicht lösen, die wir eigentlich jetzt lösen müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.