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"Da ist damals sehr viel getan worden"

Das Bekanntwerden von Missbrauchsfällen hat das Image von Klosterschulen und privaten Internaten stark geschädigt. Auch an der hessischen Odenwaldschule mehrt sich die Zahl der bekannten Fälle. Deren Vorsitzende, Sabine Richter-Ellermann, sagt, die Schule tue viel, um solche Vorkommnisse zu verhindern.

Sabine Richter-Ellermann im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Es begann mit der Aufdeckung von Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen. Inzwischen ist es eine ganze Welle geworden von Missbrauchsfällen in schulischen Einrichtungen. Man hat fast das Gefühl, dass sich Eltern nicht mehr sicher sein können, dass ihre Kinder geschützt und betreut werden, wenn sie sie auf Schulen und Internate schicken. Es ist aber offenbar gleich, in welcher Trägerschaft sich diese Einrichtungen befinden. Die Politik sieht inzwischen Handlungsbedarf und dokumentiert dabei auch ein Stückweit Ratlosigkeit, liegt doch die Kultushoheit eigentlich bei den Bundesländern. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Sabine Richter-Ellermann. Sie ist die Vorstandsvorsitzende der Odenwaldschule. Guten Tag, Frau Richter-Ellermann.

    Sabine Richter-Ellermann: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Frau Richter-Ellermann, Ihre Direktorin, also die Direktorin der Odenwaldschule, Margarita Kaufmann, geht davon aus, dass der Vorstand zurücktritt. Werden Sie zurücktreten?

    Richter-Ellermann: Ich finde, das muss gut abgewogen werden. Vor allen Dingen muss man wirklich dabei überlegen: Wem hilft das? Ich denke, wir werden das in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung besprechen. Die Mitgliederversammlung, das ist der Trägerverein, das oberste Organ der Odenwaldschule, und da gehört dieses Gespräch hin.

    Breker: Amilie Fried, Frau Sabine Richter-Ellermann, eine ehemalige Schülerin der Odenwaldschule, sie sagt, dass der Vorstand des Trägervereins die systematische Aufklärung verhindere.

    Richter-Ellermann: Ja. Diese Vorwürfe lese ich ja auch jetzt in der Presse überall und ich finde, das kann man so nicht da stehen lassen. Ich muss da zurückgreifen. Wir haben '98/'99 von den ersten diesen Fällen Kenntnis genommen. Es waren damals zwei Schüler, es kam ein dritter hinzu, die sich an die Schulleitung gewandt haben. Damals sind Gespräche geführt worden mit diesen betroffenen Schülern, und in diesen Gesprächen wurde ganz offensichtlich diesen Schülern auch gezeigt, dass man das, was ihnen an Verbrechen geschehen ist, außerordentlich ernst nimmt. Die Betroffenheit darüber wurde in zwei Mitteilungen auch in der Odenwaldschule zum Ausdruck gebracht.

    Breker: Aber es wurde erst mal auf schulischer Ebene behandelt?

    Richter-Ellermann: Es wurde auf schulischer Ebene behandelt, aber es wurde ganz öffentlich erklärt, wir stehen dazu, dass dies an der Schule passiert ist, unser Entsetzen darüber ist groß. Es kam ja dann auch in der Presse. Es waren zwei größere Artikel, einmal "Frankfurter Rundschau", einmal "Süddeutsche Zeitung", und es wurde in den Oso-Nachrichten – das ist ein Organ der Odenwaldschule – darüber berichtet. Also es ist nicht irgendwo verheimlicht worden, auch in der Schule nicht. Es ist besprochen worden und es sind Maßnahmen getroffen worden damals. Was mich erstaunt hat und verwundert hat – aber das kam gerade in dem Beitrag, der ja schon vorher lief -, dass nämlich sich damals, als das alles schon an die Öffentlichkeit kam, keine weiteren Schüler gemeldet haben. Wir haben damals Maßnahmen ergriffen, ich könnte sie Ihnen jetzt wirklich aufzeigen, beispielsweise wirklich eine Supervision, und zwar mehrjährige, für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir haben zwei Tagungen zu dem Thema gemacht, mehrtägige, wir haben auch eine Gruppe, einen Ausschuss zum Schutz vor sexuellem Missbrauch gegründet, da ist damals sehr viel getan worden. Natürlich können wir uns jetzt immer wieder fragen und auch fragen lassen: war es denn genug?

    Breker: Offenbar, Frau Richter-Ellermann, war es ja nicht genug, denn inzwischen melden sich ja mehr und mehr von Schülern, von ehemaligen Schülern, die Missbrauchsvorwürfe gegen ihre pädagogischen Leiter und Lehrer erheben. Was muss man denn machen? Muss nicht vollständig aufgeklärt werden? Ist es richtig, was die Direktorin jetzt macht, dass alle ehemaligen Schüler angeschrieben werden, die in diesem Zeitraum an der Schule waren, und sie befragt werden?

    Richter-Ellermann: Ja. Das ist das eine und es ist natürlich ... wir sind dabei – und das muss man dazu sagen -, seitdem wir davon Kenntnis haben und wissen, dass das Ausmaß unendlich viel größer war, als von uns damals angenommen, Gespräche zu führen mit den beiden, nein drei Schülern – es sind inzwischen, glaube ich, vier – in den Frankfurter Gesprächen. Das waren Gespräche, die vereinbart worden sind, in denen erst einmal die Betroffenen, die Opfer über das sprechen konnten, sollten, was wirklich ihnen widerfahren ist. Über diese Gespräche, an denen nicht nur die Betroffenen und die Opfer teilgenommen haben, sondern zwei Lehrer der Odenwaldschule, die Schulleiterin, aber auch ein weiteres Mitglied unseres Vorstandes, die auch unter der Moderation eines Psychologen stattfanden, war damals Stillschweigen vereinbart worden.

    Breker: Frau Richter-Ellermann, ist so ein Stillschweigen, was man ja sich ausgedacht hat zum Schutz der Opfer, ist es nicht gleichzeitig ein Schutz der Täter?

    Richter-Ellermann: Die Täter – das muss man doch auch sagen -, das ist das schlimme oder auch das ganz große Problem für diese Schule, die Täter gibt es nicht mehr, oder es gibt sie nur noch zum Teil. Aber es sollte niemals ein Schutz der Täter sein. Ich möchte in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch eines sagen, weil auch das in der Presse kam, ich sei eine langjährige Gefährtin von Gerold Becker. Ich habe ihn ein einziges Mal auf meinen Wunsch getroffen.

    Breker: Gerold Becker, sollten wir unseren Hörern sagen, ist einer der beschuldigten Erzieher.

    Richter-Ellermann: Ja. Entschuldigung, da ist der Name gefallen. – Ich habe damals wirklich, nachdem diese Vorfälle bekannt wurden, hat niemand vom Vorstand jemals wieder Kontakt zu diesem Täter gehabt.

    Breker: Nun haben wir diese Vorfälle, wir haben diese Vorfälle an einer Eliteschule wie die Odenwaldschule. Was muss denn jetzt geschehen, damit man den Eltern die Sicherheit zurückgeben kann, dass sie ihre Kinder dort hinschicken können, dass ihre Kinder gut aufgehoben werden und richtig betreut werden?

    Richter-Ellermann: Dazu möchte ich erst kurz etwas sagen, zur Eliteschule, weil mir das auch überall entgegenkommt. Die Odenwaldschule sieht sich nicht als Eliteschule. Sie sieht sich als Alternative zum staatlichen Schulsystem und sie ist eine demokratische Gesamtschule. Ziel dieser Schule – und das finde ich auch wichtig – ist es, wirklich Kinder nach ihren Begabungen zu fördern und zu einem Abschluss zu verhelfen. Jetzt die Frage: was muss man tun, was kann man tun? Ich möchte dazu sagen, gerade die Odenwaldschule ist durch die Ereignisse '98/'99 absolut sensibilisiert diesem Thema gegenüber. Das zweite ist: Seit dieser Zeit ist nichts vorgefallen an dieser Schule. Die Vorfälle liegen 30 Jahre zurück. 30 Jahre ist nichts in dieser Schule vorgefallen und wir sind auch dabei, weitere Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel wieder eine weitere Gruppe ins Leben zu rufen, die versuchen soll, wirklich überall die Stellen in der Schule aufzuspüren, wo vielleicht ein Missbrauch zumindest erleichtert werden könnte. Ich glaube, dass Eltern, die ihre Kinder jetzt an der Schule haben, sich sicher fühlen und sich auch sicher fühlen können, weil die Schule so sicher ist, wie es eine Schule sein soll.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Sabine Richter-Ellermann. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Odenwaldschule, die durch Missbrauch bekannt geworden ist. Frau Richter-Ellermann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Richter-Ellermann: Ich danke auch. Auf Wiederhören!