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"Da ist noch höchste Aufmerksamkeit in den nächsten Tagen erforderlich"

Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck, SPD, hat die professionelle Arbeit im bisherigen Kampf gegen das Oderhochwasser gelobt. Vor allem die Kooperation mit den polnischen Nachbarn funktioniere reibungslos, anders als bei der Oderflut 1997.

Matthias Platzeck im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: So schlimm wie vor 13 Jahren wird es wohl nicht in Brandenburg. Das Hochwasser ist längst da, an einigen Stellen sind die Pegelstände bereits stabil. Wann der Scheitelpunkt erreicht ist, ist noch unklar. Also noch kein Grund zur Entwarnung. - Über die aktuelle Situation sprechen wollen wir nun mit Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, SPD. Guten Morgen!

    Matthias Platzeck: Ich grüße Sie! Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Platzeck, haben die Krisenmanager alles im Griff?

    Platzeck: Bisher haben sie das. Wir haben uns gut vorbereitet. Wir hatten ja auch Erfahrungen sammeln müssen, nicht freiwillig, aber wir haben sie gesammelt und haben die auch ausgewertet. Die Arbeit der letzten Tage, kann man nur sagen, lief sehr professionell. Worüber ich besonders froh bin, dass auch die Zusammenarbeit mit den polnischen Nachbarn reibungslos funktioniert. Das war '97 nun wahrlich nicht der Fall. Dadurch konnten wir uns gut vorbereiten. Heute Nacht hat der Scheitel uns im Süden erreicht. Allerdings ist das von den Warnungen noch weit entfernt, weil jetzt wandert dieser Scheitel Richtung Norden. Wir werden heute Mittag in Frankfurt/Oder mit der höchsten Alarmstufe rechnen und dann geht es weiter Richtung Oderbruch und Oderhaff. Das wird uns also noch einige Tage beschäftigen. Wir haben seit heute Nacht auch einen ersten Riss in einem Deich, 25 Meter lang, wo die Kollegen fieberhaft arbeiten, den zu kitten. Also da ist noch höchste Aufmerksamkeit in den nächsten Tagen erforderlich.

    Müller: Dieser Deich, von dem Sie jetzt sprechen, ist noch nicht abgedichtet?

    Platzeck: Das ist einer der Altdeiche. Wir haben ja fast 90 Prozent unserer gesamten Deichstrecke komplett von Grund auf erneuert. Aber das heißt nun im Umkehrschluss: da sind noch zehn Prozent, und genau an einem dieser Altdeiche hat dieses Ereignis stattgefunden. Das zeigt aber, wie sinnvoll und gut es war, die Deiche zu erneuern.

    Müller: Aber all diese Schwachstellen sind gefährlich?

    Platzeck: Diese Schwachstellen sind gefährlich, aber die werden auch aufmerksam betreut und wie gesagt: Mit dem Erfahrungshintergrund, den wir haben, gehen wir im Moment davon aus - man muss bei Naturgewalten immer Respekt haben und den behalte ich mir auch -, aber wir gehen davon aus, dass diese Stelle beherrschbar sein wird.

    Müller: Sie haben jetzt, Herr Platzeck, 13 Jahre Zeit gehabt, alle Schwachstellen zu beseitigen. Warum hat das nicht funktioniert?

    Platzeck: Herr Müller, es ist so - und das bestätigen alle, die sich in diesem Metier auskennen -, dass hier eine erhebliche Leistung vollbracht wurde, in einer historisch vergleichsweise kurzen Zeit fast den gesamten Oder-Deich neu zu bauen. Wir haben dafür über 200 Millionen Euro aufgewandt als kleines Land. Schauen Sie sich ringsum um. Mir ist zumindest nichts Vergleichbares bekannt, wo in so kurzer Zeit fast ein gesamter Flusslauf neu eingedeicht wurde. Wir haben bei unseren polnischen Nachbarn ja gerade die Ereignisse beobachten können und ich glaube, da sind wir deutlich gewappneter.

    Müller: Aber es war nicht zu schaffen, den Rest auch noch zu sanieren?

    Platzeck: Das war nicht zu schaffen. Wir haben eine Planung gehabt. Sie können eine solche Riesenbaustelle nicht in ein, zwei, drei Jahren erledigen, wir haben in Deutschland auch Regeln, das ist auch gut so, da muss ein Planfeststellungsverfahren und andere Regeln eingehalten werden. Wäre das Hochwasser noch ein, anderthalb Jahre später gekommen, dann hätten wir auch die letzten Baustellen wahrscheinlich noch realisiert gehabt, aber so müssen wir jetzt mit der Situation umgehen.

    Müller: Der Bund für Umwelt und Naturschutz hat ja kritisiert, dass es zu wenige Rückzugsräume für das Wasser gibt, zu wenige freie Flächen. Haben Sie da versagt?

    Platzeck: Das Leben spielt sich in Relationen ab, Herr Müller. Ich kann diese Kritik verstehen, ich war selber acht Jahre Umweltminister und es ist auch richtig, da immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. Aber ich will noch mal in aller Bescheidenheit vermerken: Alle reden über Rückzugsräume, das kleine Land Brandenburg realisiert die größten Projekte. Wir sind an der Elbe dabei, das größte Deichrückverlegungsprojekt Deutschlands überhaupt umzusetzen.

    Müller: Aber Sie haben ja auch das größte Problem, Herr Platzeck.

    Platzeck: Na ja, da haben andere auch mit Flüssen durchaus Probleme. Wir haben dieses realisiert, wir werden heute Mittag die ersten Polder im Norden Richtung Stettin fluten. Das ist ein Akt der Solidarität mit unseren polnischen Nachbarn. Da stehen 4500 Hektar zur Verfügung. Und wir sind hier an der Oder an der Neuzeller Niederung dran. Das wird noch, weil da auch Eigentumsfragen und anderes natürlich zu beachten ist, einen Augenblick dauern, aber dann haben wir dort weitere 1500 Hektar. Dann kann man zurecht immer noch sagen, das ist zu wenig, aber es ist mehr, als vergleichbar ringsum alle anderen getan haben.

    Müller: Das ist aber dennoch - Sie haben es gerade eingeräumt - ein klares Defizit der Politik und der Hochwasservorbeugung?

    Platzeck: Das ist immer so, dass man es auch sich besser wünschen könnte, aber das sagt sich aus der Ferne leichter. Da, wo Menschen leben, da, wo Ortschaften stehen - und das in unserem Rechtssystem - dann zu sagen, passt mal auf, jetzt aber raus hier, das sagt sich leichter, als es am Ende getan ist.

    Müller: Wir haben vor gut einer Stunde hier im Deutschlandfunk auch Dieter Dombrowski, CDU-Fraktionschef, im Moment amtierend, gefragt, dass es Informationen gibt, wonach auch noch viele Wohnhäuser in diesen gefährdeten Flächen gebaut worden sind. Können Sie das bestätigen?

    Platzeck: Ich weiß nicht, wo Herr Dombrowski dieses herhat. Auf jeden Fall habe ich Ihnen eben gesagt: Da wo wir Überflutungsflächen schaffen wollen, da kann ich das zumindest nicht beobachten. Dann muss er schon mal ein bisschen genauer sagen, was er da eigentlich meint.

    Müller: Wir haben Herrn Dombrowski gefragt, er hat das nicht behauptet. Er hat das aber eingeräumt, dass es Wohnhäuser gegeben hat, wo jetzt gefährdete Stellen vorhanden sind.

    Platzeck: Na ja, gut. Herr Dombrowski war zehn Jahre in der Regierung, jetzt ist er Opposition, dann muss man so etwas auch sagen, das verstehe ich auch.

    Müller: Aber Sie wissen jetzt nichts davon?

    Platzeck: Ich sehe das im Moment nicht. Das hieße ja, dass zum Beispiel in dem Polder, den wir nachher fluten werden ... da ist mir kein Bauwerk bekannt. Wenn Herr Dombrowski meint, dass in der Zilkendorfer Niederung die zerstörten Dörfer, die '97 zerstörten Dörfer wieder aufgebaut wurden, dann ist das richtig. Das ist aber kein außergewöhnlicher Vorgang, sondern das ist mit großer Solidarität und mit großer Öffentlichkeit ja in den vergangenen 13 Jahren passiert.

    Müller: Herr Platzeck, es gab Lehren von 1997. Welche Lehren gibt es jetzt?

    Platzeck: Es bleibt die Lehre - und das habe ich eingangs gesagt -, dass es gut war, die Deichanlagen zu erneuern. Das hat sich jetzt schon bewährt. Ich hoffe, dass es sich auch die nächsten Tage bewährt. Wir haben hinter den neuen Deichen sehr gute Ergebnisse. Das sieht man an Sickerstellen oder Ähnlichem. Das funktioniert so, wie wir es uns gedacht haben. Und wir werden daran arbeiten, die Neuzeller Niederung Stück für Stück zu erschließen als einen zusätzlichen Überflutungspolder. Das gehört zu den grundlegenden Lehren, aber die sind nicht neu.

    Müller: Aus den 90 Prozent werden 100 Prozent?

    Platzeck: Aus den 90 Prozent sollen dann am Ende 100 werden, ja.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Platzeck: Tschüss und einen schönen Tag.