Stefan Koldehoff: Meine Frage geht nun an Michael Erlhoff, Professor für Designtheorie und Designgeschichte an der Cologne International School of Design: Wirkt sich denn der zunehmende Anteil älterer Menschen in Deutschland überhaupt schon konkret auf die Produktgestaltung aus?
Michael Erlhoff: Es ist erstaunlich, wie lange man gebraucht hat, um das zu begreifen - und die deutsche Industrie braucht meiner Ansicht nach immer noch viel zu lange, um zu verstehen, inklusive auch der Möglichkeiten neuer Absatzmärkte. Aber es hat, sagen wir mal, wenn überhaupt auf der Ebene von Forschungsansätzen im Design seit einigen Jahren etwas gegeben, das kommt klarerweise auch dadurch, weil Design gerade in Deutschland sich ja immer auch als sehr sozial orientiert begriffen hat.
Koldehoff: Obwohl doch eigentlich die Wirtschaft große neue Absatzmärkte sehr früh erkennt und auch hätte reagieren können?
Erlhoff: Das glaubt man manchmal, das ist oft nicht so der Fall, wie man sich das erträumt. Die Wirtschaft reagiert erstaunlich langsam auf empirische Prozesse. Also nur um ein Beispiel zu geben: Es ist ein Thema schon längst in China, weil mit der Ein-Kind-Erziehung, die nun ja fast seit 30 Jahren dort existiert, und einer völlig neuen Gesundheitsstruktur dort wir eine unfassbare demografische Veränderung in diesem Land erleben - ist überhaupt nicht hier verstanden worden. Dort sind meiner Ansicht nach die Forschungen, gerade auch im Design, sehr viel weiter fortgeschritten.
Koldehoff: Was heißt in dem Zusammenhang Forschung im Design, was wird da geforscht, wenn nicht entworfen?
Erlhoff: Das sind zwei Aspekte. Das eine ist - und ich halte davon nicht sehr viel -, das sind Versuche gewissermaßen experimenteller Art. Also Sie kennen womöglich schon diese Anzüge, die man anziehen soll, die einen behindern, als ob man ein älterer Mensch sei - wobei das ja auch eine komische Fiktion ist, der man da hinterherläuft, können wir aber gleich noch mal drüber reden, was überhaupt ein älterer Mensch ist -, aber wo man sagen wir mal körperliche Gebrechlichkeiten, schwierigere Beweglichkeit und sowas imitieren soll. Oder man baut Küchen auf und andere Büroräume, Wohnräume, experimentell, in denen man dann versucht, auch mit älteren Leuten: Können die sich darin zurechtfinden? Die andere Seite ist schon, dass man auch versucht - das ist eher unser Weg - die wirklichen Verhaltensweisen im Alltag zu studieren und genauer zu beobachten, und dafür Ansätze zu finden.
Koldehoff: Worum geht es denn, wenn man diese Erkenntnisse gesammelt hat, anschließend primär - um die Frage, wie das Marmeladenglas besser zu öffnen oder der Badeanzug besser zu schließen ist, oder auch um ästhetische Fragen?
Erlhoff: Es ist sicherlich beides, wobei beide Fragen gleich kompliziert sind, denn auch die ästhetische Frage ist insofern kompliziert, weil Sie, wenn Sie über ältere Menschen reden, nicht einfach eine geschlossene Zielgruppe haben. Wir sind nicht einfach Alte, das war diese Idiotie, die mal kam durch die Weltgesundheitsorganisation WHO, weil die auf einer Gesamterdbevölkerung ausrechnete: Was heißt dort Alter? So entstand diese absurde Formulierung 50+. Da würden wir beiden ja schon ganz traurig dreinschauen, wo wir dazugehören. Das heißt also: Wir müssen einfach davon ausgehen, dass wir ... genau so wie in allen anderen Bevölkerungsschichten: Die Alten sind nicht einfach Alte, und sie sind nicht einfach nur gebrechlich. Das wäre ja eine Fiktion.
Koldehoff: Bedeutet doch im Umkehrschluss wahrscheinlich auch: Es darf nicht das Label für ältere Menschen auf einem Produkt stehen, oder?
Erlhoff: Auf keinen Fall. Alte mögen eines nicht, nämlich als Alte angesprochen werden. Das macht die Schwierigkeit. Nehmen Sie ein simples Beispiel: mobiles Telefon. Klar, Sie müssten größere Knöpfe haben, Sie müssten einen größeren Monitor haben, um zu sehen, was da ist vielleicht. Das sind normale gebrechliche Strukturen des Alters. Aber wenn Sie das anbieten, sieht das im Moment so verkorkst aus, dass niemand das haben will.
Koldehoff: Und dann sind wir wahrscheinlich wieder am Anfang unserer Debatte: Dann wird die Industrie auch nicht mehr mitmachen.
Erlhoff: Genau. Also das heißt, wir müssen neue Wege finden, also sagen wir, über Spracherkennungssoftware, da läuft schon einiges, denke ich jetzt, also neue Navigationsformen, einfachere Bedienungsweisen - das geht vom Auto bis Fahrkartenautomat bis zum Fernsehgerät oder so.
Koldehoff: Vereinfachen, verbessern ist die eine Seite. Gibt es auch Produkte, die völlig neu entwickelt werden?
Erlhoff: Ganz sicherlich, weil wir einfach davon ausgehen müssen, dass neue Bewegungsabläufe, neue Kommunikationsabläufe womöglich da sind. Nehmen Sie simpelste Dinge: Wenn Sie heute in ein Seniorenheim gehen und sehen heute diese entsetzliche Klingel, die alle da um den Hals gewickelt haben, wo sie dann im Notfall draufdrücken sollen - damit will doch niemand wirklich herumrennen. Das heißt, wir müssen auch dort, für die gesamte Kommunikation und auch im Rahmen der Dienstleistungen - ich meine, wenn wir über Design reden, reden wir auch über die Gestaltung von Dienstleistungen, das ist Servicedesign -, da sind insgesamt neue Prozesse zu entwickeln.
Koldehoff: Abschließend die Frage: Die Studierenden, mit denen Sie zu tun haben, die sind wahrscheinlich Anfang, Mitte 20, und für die ist Alter noch eine Kategorie, die weit entfernt ist. Wie schaffen Sie es, die überhaupt für dieses Thema zu motivieren?
Erlhoff: Eine spannende Frage, deshalb vor allem, weil die haben absurderweise ein Bild von Großeltern im Kopf, das ist, als ob da irgendwie eine Oma im Sessel sitzt und strickt immer. Also die haben ganz merkwürdige Bilder vom Alter im Kopf, was klarerweise auch mit Angstsymptomen und Nicht- Beschäftigungswollen mit Altersstrukturen zu tun hat. Also da müssen Bilder zurechtgerückt werden. Das wird aber denke ich in der Gesamtgesellschaft in der nächsten Zeit sehr dringend geschehen. Und auch die Frage - und auch da muss Design sich drum kümmern: Wir haben eine zusehende Altersarmut bekanntlich. Auch dafür müssen wir Produktwelten und Dienstleistungsstrukturen entwickeln.
Michael Erlhoff: Es ist erstaunlich, wie lange man gebraucht hat, um das zu begreifen - und die deutsche Industrie braucht meiner Ansicht nach immer noch viel zu lange, um zu verstehen, inklusive auch der Möglichkeiten neuer Absatzmärkte. Aber es hat, sagen wir mal, wenn überhaupt auf der Ebene von Forschungsansätzen im Design seit einigen Jahren etwas gegeben, das kommt klarerweise auch dadurch, weil Design gerade in Deutschland sich ja immer auch als sehr sozial orientiert begriffen hat.
Koldehoff: Obwohl doch eigentlich die Wirtschaft große neue Absatzmärkte sehr früh erkennt und auch hätte reagieren können?
Erlhoff: Das glaubt man manchmal, das ist oft nicht so der Fall, wie man sich das erträumt. Die Wirtschaft reagiert erstaunlich langsam auf empirische Prozesse. Also nur um ein Beispiel zu geben: Es ist ein Thema schon längst in China, weil mit der Ein-Kind-Erziehung, die nun ja fast seit 30 Jahren dort existiert, und einer völlig neuen Gesundheitsstruktur dort wir eine unfassbare demografische Veränderung in diesem Land erleben - ist überhaupt nicht hier verstanden worden. Dort sind meiner Ansicht nach die Forschungen, gerade auch im Design, sehr viel weiter fortgeschritten.
Koldehoff: Was heißt in dem Zusammenhang Forschung im Design, was wird da geforscht, wenn nicht entworfen?
Erlhoff: Das sind zwei Aspekte. Das eine ist - und ich halte davon nicht sehr viel -, das sind Versuche gewissermaßen experimenteller Art. Also Sie kennen womöglich schon diese Anzüge, die man anziehen soll, die einen behindern, als ob man ein älterer Mensch sei - wobei das ja auch eine komische Fiktion ist, der man da hinterherläuft, können wir aber gleich noch mal drüber reden, was überhaupt ein älterer Mensch ist -, aber wo man sagen wir mal körperliche Gebrechlichkeiten, schwierigere Beweglichkeit und sowas imitieren soll. Oder man baut Küchen auf und andere Büroräume, Wohnräume, experimentell, in denen man dann versucht, auch mit älteren Leuten: Können die sich darin zurechtfinden? Die andere Seite ist schon, dass man auch versucht - das ist eher unser Weg - die wirklichen Verhaltensweisen im Alltag zu studieren und genauer zu beobachten, und dafür Ansätze zu finden.
Koldehoff: Worum geht es denn, wenn man diese Erkenntnisse gesammelt hat, anschließend primär - um die Frage, wie das Marmeladenglas besser zu öffnen oder der Badeanzug besser zu schließen ist, oder auch um ästhetische Fragen?
Erlhoff: Es ist sicherlich beides, wobei beide Fragen gleich kompliziert sind, denn auch die ästhetische Frage ist insofern kompliziert, weil Sie, wenn Sie über ältere Menschen reden, nicht einfach eine geschlossene Zielgruppe haben. Wir sind nicht einfach Alte, das war diese Idiotie, die mal kam durch die Weltgesundheitsorganisation WHO, weil die auf einer Gesamterdbevölkerung ausrechnete: Was heißt dort Alter? So entstand diese absurde Formulierung 50+. Da würden wir beiden ja schon ganz traurig dreinschauen, wo wir dazugehören. Das heißt also: Wir müssen einfach davon ausgehen, dass wir ... genau so wie in allen anderen Bevölkerungsschichten: Die Alten sind nicht einfach Alte, und sie sind nicht einfach nur gebrechlich. Das wäre ja eine Fiktion.
Koldehoff: Bedeutet doch im Umkehrschluss wahrscheinlich auch: Es darf nicht das Label für ältere Menschen auf einem Produkt stehen, oder?
Erlhoff: Auf keinen Fall. Alte mögen eines nicht, nämlich als Alte angesprochen werden. Das macht die Schwierigkeit. Nehmen Sie ein simples Beispiel: mobiles Telefon. Klar, Sie müssten größere Knöpfe haben, Sie müssten einen größeren Monitor haben, um zu sehen, was da ist vielleicht. Das sind normale gebrechliche Strukturen des Alters. Aber wenn Sie das anbieten, sieht das im Moment so verkorkst aus, dass niemand das haben will.
Koldehoff: Und dann sind wir wahrscheinlich wieder am Anfang unserer Debatte: Dann wird die Industrie auch nicht mehr mitmachen.
Erlhoff: Genau. Also das heißt, wir müssen neue Wege finden, also sagen wir, über Spracherkennungssoftware, da läuft schon einiges, denke ich jetzt, also neue Navigationsformen, einfachere Bedienungsweisen - das geht vom Auto bis Fahrkartenautomat bis zum Fernsehgerät oder so.
Koldehoff: Vereinfachen, verbessern ist die eine Seite. Gibt es auch Produkte, die völlig neu entwickelt werden?
Erlhoff: Ganz sicherlich, weil wir einfach davon ausgehen müssen, dass neue Bewegungsabläufe, neue Kommunikationsabläufe womöglich da sind. Nehmen Sie simpelste Dinge: Wenn Sie heute in ein Seniorenheim gehen und sehen heute diese entsetzliche Klingel, die alle da um den Hals gewickelt haben, wo sie dann im Notfall draufdrücken sollen - damit will doch niemand wirklich herumrennen. Das heißt, wir müssen auch dort, für die gesamte Kommunikation und auch im Rahmen der Dienstleistungen - ich meine, wenn wir über Design reden, reden wir auch über die Gestaltung von Dienstleistungen, das ist Servicedesign -, da sind insgesamt neue Prozesse zu entwickeln.
Koldehoff: Abschließend die Frage: Die Studierenden, mit denen Sie zu tun haben, die sind wahrscheinlich Anfang, Mitte 20, und für die ist Alter noch eine Kategorie, die weit entfernt ist. Wie schaffen Sie es, die überhaupt für dieses Thema zu motivieren?
Erlhoff: Eine spannende Frage, deshalb vor allem, weil die haben absurderweise ein Bild von Großeltern im Kopf, das ist, als ob da irgendwie eine Oma im Sessel sitzt und strickt immer. Also die haben ganz merkwürdige Bilder vom Alter im Kopf, was klarerweise auch mit Angstsymptomen und Nicht- Beschäftigungswollen mit Altersstrukturen zu tun hat. Also da müssen Bilder zurechtgerückt werden. Das wird aber denke ich in der Gesamtgesellschaft in der nächsten Zeit sehr dringend geschehen. Und auch die Frage - und auch da muss Design sich drum kümmern: Wir haben eine zusehende Altersarmut bekanntlich. Auch dafür müssen wir Produktwelten und Dienstleistungsstrukturen entwickeln.