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Dagegen-Haltung soll nicht Politik der FDP werden

Die FDP-Fraktion im Bundestag befürworte den dauerhaften Euro-Stabilisierungsmechanismus ESM, der 2013 kommen soll, betont Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin und stellvertretende FDP-Vorsitzende. Nun steht aber ein Mitgliederentscheid an, der den ESM ablehnt. Bei einem Erfolg "wäre die FDP nicht handlungsfähig in der Koalition".

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Gudula Geuther |
    Gudula Geuther: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, heute treffen sich die Staats- beziehungsweise Regierungschefs der Euro-Länder, um über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsschirms zu beraten - über die Richtlinien zum EFSF also. Bevor sie dann am Mittwoch endgültig entscheiden wollen, muss mindestens über den Haushaltsausschuss der Bundestag mitreden. Die Abgeordneten entscheiden also über Hebelwirkung, Versicherungslösung, vorsorglich konditionierte Kreditlinien, Beteiligung der Europäischen Zentralbank. Frage an die Abgeordnete und Verfassungsministerin: Geraten da Parlamentarier und gerät der Parlamentarismus nicht an seine Grenzen?

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist eine große Herausforderung für Parlamentarier, auch viele technische Fragen hier mit zu verantworten. Aber es ist eine ganz deutliche verfassungsgerichtliche Vorgabe, dass dann, wenn es um das Haushaltsrecht geht, um die Belastungen für den nationalen Haushalt in Deutschland, dass dann auch das Parlament, in diesem Fall ja dann der Haushaltsausschuss, zu beteiligen ist. Das ist organisierbar und auch machbar. Und wir haben viele Parlamentarier, gerade Fachleute, im Haushaltsausschuss, die sich hervorragend auskennen. Ich halte das für eine breitere Basis der Legitimation und nicht für eine Krise des Parlamentarismus.

    Geuther: Aber gerade, wenn es um die breitere Basis der Legitimation geht - wir sind jetzt bei der Ausgestaltung der Rettungsschirme, bei der Frage von schwindelerregenden Beträgen, für die Deutschland möglicherweise haften könnte. Sind wir da nicht doch an einem Punkt, konsequenterweise, wo man sagen müsste: Lieber einmal mehr der Bundestag als Ganzes, um größere Legitimation zu schaffen, um mehr Vertrauen zu schaffen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben ein abgestuftes System der Beteiligung der Abgeordneten, die Guidelines sind die Ausführungsrichtlinien zum generellen EFSF, ganz vereinfacht ausgesprochen dem Rettungsschirm, also den Mechanismen, die dann dort in Kraft gesetzt werden können. Und man muss eines sehen: Es gibt ein Ziel. Wir wollen einfach einen Schutzwall ziehen um den Euro, natürlich auch mit Staaten, wo eine hohe, hohe Verschuldungssituation ist, damit wir eine Chance haben, auch mit Zeit, die wir gewinnen, dann Strukturänderungsprogramme, vor allen Dingen Abbau der Verschuldung zu bekommen. Und ich denke, es ist richtig abzustufen. Bei dem grundlegenden System mit diesem Rettungsschirm hat der Bundestag zugestimmt, und bei den Leitlinien der Haushaltsausschuss. Wenn der Bundestag wollte, könnte er das zurückholen. Ich denke, es ist so auch angemessen und richtig. Der Haushaltsausschuss hat stundenlang beraten, hat es sich nicht leicht gemacht. Ich glaube, dass da intensiver Fragen gestellt werden konnten als vielleicht bei einer Debatte im Plenum.

    Geuther: Wie gefährlich ist der FDP-Mitgliederentscheid, der ansteht, für künftige Euro-Entscheidungen wie die über den ESM?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Der Mitgliederentscheid will, dass dieser langfristige Stabilisierungsmechanismus, abgekürzt ESM, abgelehnt wird. Und dann wäre die FDP nicht handlungsfähig in der Koalition. Wir wollen als Fraktion mit überwältigender Mehrheit - es hat eine Nein-Stimme von Herrn Scheffler gegeben - diesen dauerhaften Mechanismus. Wir haben erstmals dort auch eine private Gläubigerbeteiligung schriftlich festgelegt - das, was sich jetzt ja als unverzichtbar erweist für den Versuch, aus dieser Finanzkrise und Verschuldungskrise herauszukommen. Und deshalb wollen wir intensiv in der Partei debattieren und natürlich dafür werben, dass diese Dagegen-Haltung, das Ablehnen, ohne mit den Konsequenzen sich auseinanderzusetzen, so nicht Politik der FDP wird.

    Geuther: Nun hatten wir vorher schon die Stichworte gesagt für das, was man Hebeln nennt, das heißt eine Verbreiterung der Möglichkeiten, wie das Geld nutzbar gemacht werden kann für Kredite - was ja sehr kritisch gesehen wird teilweise und auch gerade bei Leuten, die die Euro-Entwicklung insgesamt kritisch sehen. Muss die FDP nicht jeder Art von Hebeln, im Zweifel auch einer Versicherungslösung, besonders kritisch gegenüberstehen, gerade mit Blick auf den Mitgliederentscheid?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP hat ja zusammen mit unseren Ministern, und dann aber auch mit Frau Merkel, deutlich gemacht - dass, was andere Länder wollen, gerade auch Frankreich, dass die Europäische Zentralbank mit dem Rettungsschirm, mit dem EFSF, zusammen dann die entsprechenden Mechanismen ergreift, nicht kommen darf. Das hätte ja bedeutet, dass immer mehr Geld gedruckt worden wäre. Dass man aber sehen muss, dass es auch normale Mechanismen geben kann, die dann so ein EFSF nutzen kann, um mehr Möglichkeiten zu eröffnen, das würde ich nicht vom Grundsatz her sofort als nur negativ und falsch ansehen. Es wird jetzt ganz entscheidend auf die Ausgestaltung ankommen und vor allen Dingen auf das, was es für ein Risiko bedeutet für die Staaten, die haften. Und AAA-Staaten, und das ist nun mal Deutschland, auch Frankreich, insgesamt ja nur noch sechs in der Euro-Zone, die haben dann natürlich im Zweifel ein höheres Haftungsrisiko. Und deshalb ist es ja richtig, dass der Gipfel aufgeteilt worden ist, denn hier geht es um mehr als um ein bisschen Technik, die man mal eben aufschreibt, aufschreiben lässt von Fachleuten. Und ich finde, dass die Kanzlerin da richtig agiert, zu sagen, dann brauchen wir noch einen zweiten Schritt nächste Woche.

    Geuther: Und gerade in diesen schwierigen Zeiten - da saßen am Freitagabend Partei- und Fraktionsspitzen der Koalition, das heißt auch Philipp Rösler, auch Rainer Brüderle, FDP, fünf Stunden lang zusammen, um über zentrale Projekte der Koalition zu sprechen. Heraus kam: Man wird sich wieder treffen. Kann man so regieren?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das war kein gutes Bild. Ich muss ehrlich sagen, ich bin enttäuscht davon, dass hier der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer nicht klar gesagt hat: Jawohl, er ist für diesen Weg, und jetzt lasst uns gemeinsam um die Ausgestaltungen ringen. Aber das Bild, das erzeugt wurde, obwohl die bayerische Staatsregierung ja genau diesen Ansatz von Entlastung - kalte Progression sich vornehmen - stützt, das ist ja auch Einigung im Koalitionsvertrag 2008 hier in Bayern gewesen, dass wir diesen Weg gehen wollen, das dann so zu transportieren, dass wieder im Moment ein Bild des Streites übrig bleibt, das ist wirklich nicht gut, weil wir dieses Mal in der Sache nicht auseinander liegen. Horst Seehofer ist genauso für Schritte zur Vereinfachung des Steuersystems und gerade auch was diese kalte Progression angeht, unterstützt er das in der Sache. Und ich denke, er hat andere Punkte zu verhandeln, die natürlich er so ein bisschen gefährdet sah, dass sie in den Hintergrund treten könnten. Da muss man um die anderen Punkte ringen, aber das gemeinsame Projekt durchziehen.

    Geuther: Aber gerade auch die anderen Punkte waren ja auf dem Tisch: Außer den Steuern Pflege, Verkehr, Betreuungsgeld. Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Tatsächlich scheint es kaum Gemeinsamkeit zu geben. Gibt es noch ein Projekt dieser Regierung?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Also das wichtigste Projekt der Bundesregierung im Moment ist natürlich, alles zu tun, aus einer schweren Finanzkrise mit Gefährdungen für den Euro und aus einer Verschuldungssituation in manchen Mitgliedsstaaten, aber auch in Deutschland, die besorgniserregend ist, herauszukommen. Und das muss das gemeinsame Projekt der Koalition sein.

    Geuther: Kann man das denn, wenn man so uneinig ist?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das kann man, weil auch die CSU in Bayern ja einig ist, dass wir den dauerhaften Stabilitätsmechanismus brauchen, also den ESM. Das ist Beschlusslage des Parteitages, auch der Gremien, so dass es hier keinen Streit gibt. Da kann man um die Ausgestaltung ringen, das ist normal in der Politik. Aber wir haben eine klare Richtung, auch eben die: Nicht die EZB, nicht diese Europäische Zentralbank jetzt wirklich rein in diese Fiskalpolitik hinein zu nehmen mit immer mehr Ankauf von Anleihen und Geld drucken, sondern endlich einen Weg raus zu finden. Und das geht nur mit anderen Mechanismen. Da sind wir uns einig.

    Geuther: Jetzt hatten Sie gerade schon einen Erklärungsansatz geliefert für das Kommunikationsdesaster der Steuerfragen und das Kommunikationsdesaster oder das Ergebnisdesaster des freitäglichen Treffens. Was sollte das?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das hat mich auch von der Reaktion her überrascht. Anscheinend ist innerhalb der Union nicht ganz glücklich miteinander kommuniziert worden, denn ich nehme mal an, dass natürlich auch die Landesgruppe der CSU hier in Berlin einbezogen war. Ich glaube, man kann nur eines jetzt machen - sagen: Wir wollen dieses Projekt, auch diese Stücken Steuervereinfachung. Und das werden wir jetzt konkret ausgestalten, es ist ja nicht aufgehoben, sondern es ist jetzt der Zeitplan der Realisierung auf eine noch längere Schiene geschoben worden bis Anfang November. Aber wir sollten aufhören, über den Grundansatz, dass wir hier etwas tun wollen, uns auch in der Öffentlichkeit auseinander zu setzen. Das ist nun wirklich 2009 auch festgelegt worden. Und wir alle wissen ja - Herr Seehofer, Frau Merkel, auch Herr Rösler -, dass nur eines uns nach vorne bringt, indem wir bei den Punkten, in denen wir inhaltlich einig sind, auch das nach außen vermitteln und deutlich machen. Und wo man ringt um Positionen wie beim Betreuungsgeld zum Beispiel, wo man auch die unterschiedlichen Positionen kennt, da ist es ja besser, das nicht immer in die Öffentlichkeit zu tragen, sondern intern zu sehen: Gibt's einen Weg, wenn ja, geht man ihn gemeinsam. Gibt es keinen, dann sind auch manche Dinge nicht lösbar, und die bleiben dann. Das ist auch in jeder Koalition so.

    Geuther: Im Fall der Steuern hat auch die FDP das Gegenteil getan. Es soll jetzt durchgerechnet werden. Warum stellt man das vor, bevor es durchgerechnet wurde? Es sollen jetzt auch die Unionsländer-Kollegen einbezogen werden, ohne Bundesrat geht die ganze Sache nicht. Ist die Partei so verzweifelt, liefern zu müssen, dass auch Schnellschüsse reichen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, wir sind nicht verzweifelt. Wir wollen auch im Bereich der Steuervereinfachung einen weiteren Schritt gehen. Wir wissen alle, dass Steuerreformen, die ein großes Volumen haben, auch mit dann Entlastung der Bürger, aber auch zunächst mal Belastung des Haushaltes, derzeit angesichts dieser Verschuldenskrise nicht umsetzbar sind. Und deshalb wollen wir, und das war so vereinbart auch im Sommer, eben jetzt mit der Vorstellung der Wachstumsprognose, mit der Beratung des Haushaltes 2011, auch diese eine Komponente der Steuervereinfachung mit aufnehmen. Das war ganz klar vereinbart vor der Sommerpause. Von daher war das jetzt die Umsetzung und nicht von uns ein Schnellschuss.

    Geuther: Die Sommerpause - das war ja schon kein ganz früher Zeitpunkt, dass diese Einigung kam. Jetzt wiederum war es eben eigentlich für die Konkretisierung ein früher Zeitpunkt. Hätte, wenn schon halbherzige Einigung, um der FDP so manches zu ersparen, die dann nicht wesentlich früher kommen müssen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir bekommen nicht nur die Wachstumsprognosen jetzt - das war diese Woche -, sondern auch im November noch einmal die Prognose über die Steuereinnahmen, die ja zu Beginn des Jahres eher unsicherer ist, jetzt aber natürlich aufgrund dann des laufenden Jahres, das sich fast dem Ende im November neigt, eine sicherere Basis. Und wir haben ja schon mit unseren Überlegungen hier auch wenigstens ein Stück weit dem Bürger - wenn Sie wollen auch mit dem Blick auf die Konjunktur in sehr überschaubarem Umfang - etwas auch zurück zu geben und sehr, sehr an die derzeitige Situation auch angepasst. Das sind keine überzogenen, keine unrealistischen Forderungen, die hier aufgestellt worden sind. Der Finanzminister muss dann die Kurve vorgeben. Er muss sagen, wie soll sie genau ausgestaltet sein und das Volumen, das jetzt ja nach oben gedeckelt ist, aber dann ja auch gesehen werden muss, was heißt das für welche einzelnen, konkreten Punkte beim Abbau der kalten Progression? Das muss ja dann auch noch ausgestaltet werden, und das muss das Finanzministerium machen. Und ich habe Herrn Schäuble auch so verstanden in der Pressekonferenz zusammen mit Philipp Rösler, dass er genau daran jetzt arbeitet. Von daher braucht man sich auch da wirklich nicht so drüber aufzuregen.

    Geuther: Damit sind wir noch mal bei Philipp Rösler. Er ist seit fünf Monaten Parteichef. Seitdem ist die FDP aus drei Landtagen geflogen. Heute Abend geht das FDP-Präsidium, morgen der Bundesvorstand in Klausur. Können wir wieder mal mit einem Neustart der FDP rechnen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir kommen zusammen, Präsidium und Bundesvorstand, um natürlich angesichts der Situation in der Partei mit dem Mitgliederentscheid über weiteres Vorgehen zu sprechen, denn der Mitgliederentscheid geht ja jetzt in die Ablaufphase. Wir formulieren einen Antrag wie wir wollen, dass man zu einer Stabilitätsunion in Europa kommt, dagegen. Und darüber müssen wir uns natürlich intensiv austauschen. Aber auch über die kommenden vier Wochen, einmal was parteiintern geboten ist. Wir müssen gute Veranstaltungen machen. Wir müssen offensiv gut informieren, aber nichts unter den Teppich kehren. Und wir kündigen das nicht an als ein Treffen, wo man einen Neustart macht, nein, es ist ein Arbeitstreffen in einer schwierigen gesamtpolitischen Lage wegen der Euro-Verschuldenskrise.

    Geuther: Die FDP liegt nach Umfragen bundesweit bei bis zu vier Prozent, die Piraten haben bis zu zweistellige Umfrageergebnisse neuerdings. Was machen Sie gerade bei Ihren Themen, die ja auch in die Richtung der Piratenklientel gehen, falsch?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP macht in der Netzpolitik - das ist ja ein Thema, das auch die Piraten versuchen, Der Mitgliederentscheid will, dass dieser langfristige Stabilisierungsmechanismus, abgekürzt ESM, abgelehnt wird. Und dann wäre die FDP nicht handlungsfähig in der Koalition. Wir wollen als Fraktion mit überwältigender Mehrheit - es hat eine Nein-Stimme von Herrn Scheffler gegeben - diesen dauerhaften Mechanismus. Wir haben erstmals dort auch eine private Gläubigerbeteiligung schriftlich festgelegt - das, was sich jetzt ja als unverzichtbar erweist für den Versuch, aus dieser Finanzkrise und Verschuldungskrise herauszukommen. Und deshalb wollen wir intensiv in der Partei debattieren und natürlich dafür werben, dass diese Dagegen-Haltung, das Ablehnen, ohne mit den Konsequenzen sich auseinanderzusetzen, so nicht Politik der FDP wird zu besetzen - finde ich von der Grundausrichtung es absolut richtig. Aber wir müssen sehen, warum wenden Menschen sich den Piraten zu? Das hat was mit Lebensgefühl zu tun, gar nicht so sehr mit einer ganz konkreten einzelnen politischen Frage. Das hat etwas mit Abkehr von etablierten Parteien zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass gerade auch viele Nichtwähler sagen, das ist jetzt mal so eine Antipode zu den etablierten Parteien, das könnte doch etwas sein, jetzt zeigen wir es denen mal. Also, es ist nicht nur ein themenorientiertes Sichzuwenden im Moment zu den Piraten. Aber für mich ist ganz klar, dass die FDP sehr deutlich ihre Handschrift in der Netzpolitik aufzeigen muss in der Koalition. Wir sehen eben in dem Internet, was ja eine Revolution ist, die noch längst nicht am Ende ist, Riesenchancen für den Einzelnen, seine Kreativität, für Entfaltungen, anderes mehr, für Geschäftsfelder und nicht die Bedrohung, die uns alle in Angst erschüttern lässt, wo wir jetzt die Durchregulierung im Netz am liebsten noch national machen müssten. Und das müssen wir, glaube ich, sehr offensiv in die Koalition einbringen. Wenn wir nicht gewesen wären, hätten wir heute noch diese unsäglichen Internetsperren. Die Piraten sind außerparlamentarisch gegen Internetsperren. Wir sind als Regierungspartei auch gegen Internetsperren und haben es durchgesetzt. Und damit können wir punkten und damit müssen wir auch werben, aber natürlich als Partei insgesamt.

    Geuther: Und damit haben Sie bisher nicht gepunktet. Hat das etwas mit der Anmutung der Partei zu tun, die sich doch nach außen so viel wirtschaftlicher in letzter Zeit aufgestellt hat, dass diese Themen den Charakter nicht bestimmen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist richtig, dass diese Themen, die von der breiten Basis der FDP getragen werden, so nicht in der Außenwahrnehmung immer der FDP zugerechnet werden. Ich glaube, das Verständnis, zu sagen, da gibt es ja einige Fachpolitiker, auch bekannte, die ja diese Themen besetzen, das ist ja gut, das reicht - das geht nicht auf. Es muss so, wie wir verbunden worden sind viele Jahre lang mit dem Thema Steuerreformvereinfachung, es muss die gesamte Partei von der Spitze an auch sagen, wir sind die Wirtschaftspartei. Und so gehen wir an das Internet heran. Wir drangsalieren es nicht, wir machen nicht Kontrollmechanismen, sondern wir versuchen, die Chancen auch zu nutzen. Und das muss eben breit getragen werden.

    Geuther: Sie hören das Interview der Woche mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Deutschlandfunk. Dann kommen wir mal zu einem dieser Themen der Rechtspolitik, wahrscheinlich das im Moment umstrittenste Thema. In Bayern wurden beim Ausspähen von Computerkommunikation - kann man sagen - mindestens mit fragwürdiger Software höchst fragwürdige Sachen gemacht. Erlaubt wäre, die laufende Kommunikation abzugreifen, in Bayern zählte man dazu Fotografieren des Computerbildschirms, Abgreifen der Tasteneingaben. Haben wir ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit unserer Ermittlungsbehörden?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben hier eine kompliziert Technik mit diesen Trojanern, also einer Software, die auf den Computer heimlich aufgespielt wird, weil anscheinend nach dem bisherigen Verfahren, dass eine private Firma nach Auftrag durch die staatlichen Stellen diese Software entwickelt und sie dann doch, wenn sie einigermaßen technisch funktioniert, auch eingesetzt wird und damit nicht geprüft wurde, kann diese Technik mehr als Recht zulässt. Und deshalb ist es ja gut, dass dieser Fall, der ja schon aus den vergangenen Jahren stammt und wo es schon eine Entscheidung des Landgerichts Landshut gibt, dass dieses ständige Fotografieren der Bildschirmanzeige, Screenshots, wie es genannt wird, als nicht laufende Kommunikation untersagt hat. Und ich glaube, es ist jetzt durch die Untersuchung des Chaos Computer Clubs und dem, was sie behaupten als Experten von diesem Club, noch deutlich geworden, dass es möglicherweise weit darüber hinaus gehende technische Funktionen gibt, die dann keine laufende Kommunikation für ein Telefonabhörgespräch, das verschlüsselt sonst geführt würde, darstellen. Und da müssen wir natürlich gegenhalten, das darf nicht aus dem Ruder laufen.

    Geuther: Sie haben auch schon den bayerischen Innenminister Joachim Hermann, CSU, fast schon in Schutz genommen und gesagt, es gehe nicht darum, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Warum diese Zurückhaltung gegenüber dem bayerischen Koalitionspartner? Muss man hier nicht sagen, in so einem sensiblen Bereich wie der heimlichen Überwachung, die ja auch Ängste schafft, müssen sich Ermittler gefälligst über-rechtstreu verhalten?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe ganz unmissverständlich gesagt, es kann überhaupt nicht sein, dass unsere Fachleute, die in der Strafverfolgung tätig sind, eine Technik einsetzen, die das Recht verletzt. Das geht überhaupt nicht. Aber ich glaube, die Bürger sind einfach so ein immer Zuweisen von Schwarzen Petern leid. Die wollen in der Sache etwas wissen. Und ich habe klar dem Herrn Hermann in internen Gesprächen gesagt, stoppen Sie den Einsatz dieser Technik. Er hat das dann gemacht. Wir haben uns auch sehr intensiv darüber unterhalten, dass es natürlich einer Untersuchung bedarf; und zwar ist jetzt der unabhängige Datenschutzbeauftragte Herr Petri in Bayern damit beauftragt worden, und dass natürlich wir das, was der Chaos Computer Club hier behauptet, nicht als irgend etwas, was vollkommen abwegig ist, beiseite wischen, sondern dass daraus sich sehr deutlich Konsequenzen ergeben können. Eine ist ja schon die, dass es wohl künftig nicht mehr eine Vergabe an private Firmen gibt. Aber wir sind ja mit der Sachverhaltsaufstellung erst am Anfang. Und ich denke, die Dimension dieses Vorfalls, die ist wirklich sehr viel größer als manche auch - wie es in der Debatte anklang im Bundestag - gerne hätten.

    Geuther: Sie sagen, der Bürger ist das Schwarzer-Peter-Spiel leid. Sie haben gerade erst im Bundestag gefordert, der Staat dürfe solche sensiblen Fragen auch technisch nicht Privaten überlassen, so wie Sie es jetzt auch wieder gesagt haben. Tags darauf, am Donnerstag, tritt der Bundesinnenminister vor die Presse, kündigt an, das Bundeskriminalamt werde eine Stelle schaffen, die solche Software selbst programmiert. Sie loben ihn nicht, sondern Sie kritisieren Trippelschritte. Was denn nun?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, ich finde, das ist ein erster Schritt, der gemacht worden ist, dass man sagt, jetzt wird nicht mehr an den Staat vergeben. Das ist ja nur ein Ansatz. Und deshalb, was doch entscheidend ist, damit dann auch die Fachleute, zum Beispiel beim Bundeskriminalamt oder vielleicht auch eine andere Stelle, die geschaffen wird, darüber ist ja noch nicht weiter debattiert worden, wissen, was lief denn alles möglicherweise falsch mit den bisherigen Trojanern, die eingesetzt wurden. Dazu brauchen wir doch mal ein klares Lagebild. Da muss doch mal deutlich dargestellt werden, was für Funktionen hatten die? Und wir müssen uns über eine Frage dann intensiv unterhalten und auch einigen: Ist die Tatsache allein, dass es technische Wirkungsmöglichkeiten gibt, die aber im konkreten Fall nicht eingesetzt worden sind, schon ein Fall, dass man sagen muss, so einen Trojaner darf es nicht geben. Muss man nicht sagen, es muss so strikt die Technik ausgestaltet sein, dass sie wirklich nicht mehr kann als auch erlaubt ist?

    Geuther: Das sind technische Fragen. Wir haben aber auch gesetzgeberische Fragen, die im Raum stehen. Es ging bei den jetzt diskutierten sogenannten Staatstrojanern ja um die Überwachung von Kommunikation, also vor allem Internettelefonie, im Rahmen der Strafverfolgung. Da gilt die Strafprozessordnung, und für die sind Sie verantwortlich. Müssen Sie nicht, wie die Union das fordert, mal klarstellen, was da eigentlich geht und was nicht?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das hängt natürlich ganz entscheidend von der Technik ab. Wenn wir sagen, unmissverständlich, wozu ich neige, das sage ich ganz offen: Ein Trojaner, der eingesetzt wird, um eine Kommunikation über das Internet abzuhören, also etwas anderes als Mobilfunk, aber ein Telefonvorgang ist, der darf nicht mehr können, als auch allein laufende Telekommunikationsüberwachung ist, dann haben wir eine klare Grundlage, denn so was müsste dann ja auch einschränkend in alle Gesetze geschrieben werden. Dann auch in die Strafprozessordnung, aber natürlich auch ins Bundeskriminalamtsgesetz, wir müssen uns mit dem Verfassungsschutzgesetz, BND-Gesetz, Zollfahndungsdienstegesetz, wo das Zollkriminalamt Funktionen eben auch übertragen bekommen hat, dann festschreiben, damit wir dann auch klar abbilden das, was wirklich nur gemacht werden darf. Und dazu haben wir bisher noch nicht wirklich ein klares Bild, ist das auch bisher schon immer der Fall gewesen oder nicht. Und wir sind in dem Punkt auch noch nicht am Ende der Diskussion.

    Geuther: Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts stammt aus einer Zeit vor Beginn dieser Legislaturperiode. Sie hätten also schon viel Zeit gehabt. Sie sind für die Strafprozessordnung zuständig und ich wüsste auch nichts von einer initiierten Arbeitsgruppe, die vorher getagt hätte, wo man versucht, alle diese Gesetze zu koordinieren. Warum ist da nicht schon längst etwas geschehen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Weil durch die Rechtsprechung, überhaupt die Anwendung des Paragrafen 100a und 100b, das ist der Telefonabhör-Paragraf, für anwendbar erklärt worden ist, und natürlich gerade über diese technischen Fragen, die letztendlich unverzichtbar dann auch mit Rechtsausgestaltung verbunden sind, mit Ausnahme des Screenshots, wo die Rechtsprechung gesagt hat, das darf nicht angewandt werden, also eine klare Vorgabe gemacht worden ist von unterinstanzlichen Gerichten, wo doch keiner davon ausgeht, dass das dann auch wieder eingesetzt wird, es sonst eben in dieser Dimension, wie der Chaos-Computerclub es jetzt behauptet, es auch nicht bekannt gewesen ist. Und von daher glaube ich, ist es richtig gewesen, hier auch sehr wohl zurückhaltend zu sein. Aber ich schließe ja überhaupt nicht aus, dass wir nach Aufklärung des Sachverhaltes insgesamt ein Gesetz zum besseren Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung dann auch auf den Weg bringen, wo auch gerade eine konkrete Einschränkung dessen drin ist, was wir jetzt eben kritisieren und mit Sorge sehen.

    Geuther: Wann wird da geliefert?

    Leutheuser-Schnarrenberger: Da muss zunächst der Innenminister liefern, denn viele Gesetze sind in der Kompetenz des Innenministers. Wir sind im Gespräch, ich fordere das ein. Aber ich glaube, angesichts der Trojanerdebatte bietet sich ja vielleicht an, auch hier ein Artikelgesetz zu machen zum besseren Schutz des Kernbereichs. Und dann fühle ich mich da sehr wohl berufen.

    Geuther: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, vielen Dank für das Gespräch.