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Dammbruch im brasilianischen Brumadinho
Anzeige gegen TÜV Süd wegen fahrlässiger Tötung

Wer ist verantwortlich für den Dammbruch von Brumadinho mit mindestens 249 Toten? Vier Monate vor dem Unglück in Brasilien hatte der TÜV Süd die Sicherheit des Damms bestätigt. Nun haben Betroffene gemeinsam mit Menschenrechts- und Hilfsorganisationen Anzeige gegen das deutsche Unternehmen erstattet.

Von Ivo Marusczyk | 17.10.2019
Braune Schlammmassen prägen den Blick auf auf die brasilianische Córrego do Feijão Mine bei Brumadinho nachdem der Damm gebrochen ist
Die Schlammlawine ergoss sich über das Werksgelände des Erzbergwerks, riss ein Hotel und eine Eisenbahnbrücke weg, auch ein Zug wurde verschüttet (Getty Images / Pedro Vilela )
Keine Sirene, kein Alarm. Für die Menschen in Brumadinho kam jede Warnung zu spät. Es blieb keine Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, als die Schlammlawine sich durch das Tal wälzte. Augenzeuge Emerson Leandro dos Santos erinnert sich:
"Ich hab' gesagt: Wir laufen runter und schauen, was los ist. Dann haben wir die Flut gesehen, der Damm war gebrochen, die Flut riss die Menschen mit sich. Sie hoben die Hände und riefen um Hilfe, wir haben versucht, ihnen Bambusstäbe zu reichen. Aber dann mussten wir weg von hier, denn die Jungs von gegenüber haben uns zugerufen, dass noch ein Damm gebrochen sei. 'Hut ab, sonst sterbt ihr'."
Mindestens 249 Tote
Am 25. Januar ist der Damm des Corrego de Feijão-Bergwerks gebrochen. Die Schlammlawine ergoss sich über das Werksgelände des Erzbergwerks mit der Kantine, in der gerade viele Arbeiter beim Mittagessen saßen. Sie riss ein Hotel und eine Eisenbahnbrücke weg, auch ein Zug wurde verschüttet. Mindestens 249 Menschen wurden getötet.
Die drei Männer in Helmen und orangefarbener Arbeitskleidung ziehen in der braunen Schlammwüste an einem Leichensack.
Die Dämme eines Rückhaltebeckens der Eisenerzmine Córrego do Feijão brachen am 25.01.2019. ( Rodney Costa / dpa)
In den Fokus der Ermittler rückte schnell nicht nur der Betreiber des Bergwerks, der Vale-Konzern, und auch der TÜV Süd. Denn nur vier Monate vor dem Dammbruch hatte dessen brasilianische Tochter in einem Gutachten bestätigt, dass der Damm stabil ist. War es ein Gefälligkeitsgutachten? Oder hat Vale in den folgenden Monaten die Auflagen und Empfehlungen ignoriert, die in dem Gutachten erwähnt sind?
Bergwerkbetreiber und TÜV Süd im Fokus
In Brasilien richten die Ermittlungen sich gegen sieben Mitarbeiter des Bergwerksbetreibers Vale und sechs Mitarbeiter des TÜV Süd. Die Polizei hat ihre Ermittlungen mittlerweile abgeschlossen und sie empfiehlt, diese 13 Menschen anzuklagen. Luiz Augusto Nogueira von der brasilianischen Bundespolizei erklärte dazu:
"Wir haben Zeugenaussagen, die belegen, dass sie die Risiken kannten. Wir haben Unterlagen der Besprechungen, bei denen alle anwesend waren. Wir haben Mailwechsel, in denen sie die Schwierigkeiten des Damms erwähnen. Vom TÜV Süd hieß es, man könne dem Damm keine Unbedenklichkeit bescheinigen. Man glaubt, dass das nicht durchgeht, denn man komme nicht auf den geforderten Sicherheitswert von 1,3. Trotzdem haben sie die Sicherheit in ihrem Gutachten attestiert."
Chronik eines angekündigten Todes
In dem TÜV-Gutachten ist auch von Stabilitätsmängeln die Rede. Der Damm wurde im Lauf der Jahre immer wieder erhöht, von ursprünglich 18 bis auf 85 Meter. Im TÜV-Gutachten ist auch die Empfehlung zu finden, in der Nähe des Damms dürfe weder gesprengt noch mit schwerem Gerät gearbeitet werden. Im Parlament des Teilstaats Minas Gerais hat sich auch ein Untersuchungsausschuss mit der Katastrophe befasst.
Für André Quintão, Berichterstatter in diesem Ausschuss, liegt der Fall klar: "Vale hat sich eines falschen Gutachtens des TÜV Süd bedient, der Konzern hat es unter anderem den Umweltbehörden vorgelegt, um die Genehmigungen zu bekommen. Das ist ein schwerer Vorwurf."
Eine mit Schlamm beschmierte Demonstrantin hinterlässt Handabdrücke an einer Fensterscheibe.
Nach dem Dammbruch in Brasilien haben sich Demonstranten mit Schlamm beschmiert (dpa/Fabio Teixeira)
Aus Sicht des Parlamentariers könnte hier sogar ein schwerer Fall von Korruption vorliegen - falls sich nachweisen lässt, dass der TÜV ein Gefälligkeitsgutachten erstellt hat.
"Das ist doch die Chronik eines angekündigten Todes. Es gab einen instabilen Damm, und die Vale stützte sich auf ihr gefälschtes Gutachten, um den Bereich nicht zu räumen und um den Sicherheitsplan nicht umzusetzen. Und sie ließ zu, dass hunderte Arbeiter dort weiter arbeiteten, direkt unterhalb des Damms."
"Wir wollen die Namen aller Schuldigen"
Ende September wurde der Vale-Konzern zu ersten Schadenersatz-Zahlungen verurteilt. Er muss den Familien von drei Todesopfern umgerechnet 2,6 Millionen Euro zahlen, so ein Urteil der ersten Instanz. Doch in Brasilien ziehen sich solche Verfahren üblicherweise jahrelang durch alle Instanzen. Die meisten Hinterbliebenen werden noch viel Geduld aufbringen müssen. So wie Julia Fonseca. Sie hat bei der Katastrophe sechs Verwandte verloren:

"Wir wollen die Namen und die Gesichter aller Schuldigen, und wir wollen, dass sie vor Gericht dafür bezahlen. Wir wollen dass man ihnen keine Fahrlässigkeit, sondern eine Tötungsabsicht nachweist, denn sie haben leider ohne Mitleid oder Erbarmen Morde begangen."