Donnerstag, 18. April 2024

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Dammbruch in Brasilien
Kritik am TÜV: Indigene wurden ihrer Lebensgrundlage beraubt

Zwei Jahre nach dem Dammbruch an einer brasilianischen Eisenerz-Mine dauert die juristische Aufarbeitung an. Die Folgen für indigene Gemeinschaften müssten stärker berücksichtigt werden, sagte Juliana Miyazaki von der Gesellschaft für bedrohte Völker im Dlf. Die Rolle des TÜV Süd rückt erneut in den Fokus.

Juliana Miyazaki im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 25.01.2021
Braune Schlammmassen prägen den Blick auf auf die brasilianische Córrego do Feijão Mine bei Brumadinho nachdem der Damm gebrochen ist
Blick auf die brasilianische Córrego do Feijão Mine bei Brumadinho nachdem der Damm im Januar 2019 gebrochen war (Getty Images / Pedro Vilela )
Vor genau zwei Jahren starben beim Dammbruch an einer brasilianischen Eisenerz-Mine mindestens 259 Menschen. Sie versanken in einer Schlammlawine, die sich über Teile der Anlage und benachbarte Siedlungen ergoss. Mangan, Quecksilber, Blei, Arsen – bei der letzten Messung vor einem Jahr fand die nationale Wasserbehörde Brasiliens noch eine erhebliche Schwermetall-Belastung der Gewässer.

OECD-Beschwerde bei TÜV Süd

Die juristische Auseinandersetzung mit dem Bergbaukonzern Vale, dem Betreiber der Mine, dauert an. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat bei der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Beschwerde gegen die Münchener TÜV Süd AG eingereicht. Die hatte das Rückhaltebecken noch kurz vor dem Unglück geprüft.
Die Katastrophe vom 25. Januar 2019 habe das Leben der Indigenen dramatisch verändert, sagte Juliana Miyazaki von der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. im Deutschlandfunk. Ihre Kritik richtet sich auf den TÜV Süd.

Susanne Kuhlmann: Wie ist die Situation der ursprünglichen Bewohner, die rund um das Unglücksgebiet leben?
Juliana Miyazaki: Das Unglück oder die Katastrophe vom 25. Januar 2019 hat das Leben der Indigenen durchaus dramatisch verändert. Der Fluss war ihre einzige Wasserquelle für die täglichen Aktivitäten und auch essentiell für ihre Ernährung durch Fischfang. Aber auch Ackerbau und Viehzucht ist jetzt nicht mehr möglich. Die Indigenen wurden sowohl ihrer Lebensgrundlage als auch eines unersetzbaren Ankers ihrer Identität beraubt.
Schild mit Logo des TÜV, Technischer Überwachungsverein
Der ramponierte Ruf des TÜV-Siegels
Das TÜV-Siegel soll signalisieren, dass ein Produkt funktioniert. Die Überwachungsvereine sind weltweit tätige Konzerne. Der TÜV Süd stufte den Unglücksdamm in Brasilien als sicher ein.
Die Indigenen leiden nicht nur an Krankheiten aufgrund der Verschmutzung, sondern die sind auch psychisch durch den Verlust des Flusses betroffen. Der Fluss hatte eine besondere Bedeutung für die Indigenen. Nach dem Glauben der Indigenen stammt das Volk aus dem Fluss und sie haben auch früher viele Rituale am Fluss und im Fluss durchgeführt. Diese sind jetzt unmöglich oder nicht mehr realisierbar, so dass einige Familien der Gemeinde sogar das Dorf verlassen haben, und die sind jetzt in die Großstadt gezogen.

Indigene sehen ein "Verbrechen"

Kuhlmann: Warum haben Sie, warum hat die Gesellschaft für bedrohte Völker denn die Beschwerde bei der OECD gegen den TÜV Süd eingelegt?
Miyazaki: Das Unternehmen TÜV Süd sieht sich nicht in der Verantwortung für die Katastrophe. Ich habe gerade gemerkt, ich habe Katastrophe gesagt, aber zum Beispiel die Indigenen, die sagen nicht Katastrophe, sie sagen auch nicht Unfall; die sprechen von einem Verbrechen. Wir sehen auch, dass TÜV Süd durchaus eine Verantwortung trägt für das Verbrechen, und die OECD-Leitsätze verpflichten multinationale Unternehmen aus den Unterzeichnerstaaten bei ihren Auslandsgeschäften internationale Menschenrechts- und Umweltstandards zu wahren.
Die drei Männer in Helmen und orangefarbener Arbeitskleidung ziehen in der braunen Schlammwüste an einem Leichensack.
"TÜV Süd kannte die Risiken"
Nach dem Dammbruch hat das Hilfswerk Misereor Anzeige gegen TÜV Süd erstattet. "Aus unserer Sicht ist das kein Unglück", sagte Misereor-Beraterin Susanne Friess im Dlf. Probleme seien bereits ein Jahr zuvor bekannt gewesen.
Deswegen haben wir die Beschwerde eingereicht, zusammen mit den Pataxó und den Pataxó Hã-Hã-Hãe. Der Prozess ist ja auch wichtig für die Indigenen selbst. Wenn die aktiv werden und auch gegen ein Unternehmen eine Beschwerde einreichen, das bestärkt die Indigenen ja auch.
Kuhlmann: Das waren eben die Namen der indigenen Völker. – Was fordern Sie denn nun?
Miyazaki: Wir fordern, dass indigene Gemeinschaften bei Umweltkatastrophen besonders berücksichtigt werden. Behörden sollten dringend nachhaltige Lösungsmaßnahmen für die Erholung und Entgiftung des Flusses und des Bodens entwickeln, vorlegen und auch durchführen. Und Großkonzerne sollten nicht länger Rohstoffe ausbauen, ohne indigene Rechte zu respektieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.