
"Dann können Sie sich vorstellen, wenn man hier eine Sohle natürlich prüft auf Durchstich, dann bedeutet das, wenn Sie in einen Nagel rein treten, dann sollte dieser Nagel natürlich möglichst nicht durch die Schuhsole durchdringen."
Hier in Leipzig prüft der TÜV Rheinland persönliche Schutzausrüstungen, also Arbeitskleidung. In diesem Raum vor allem Schuhe. Drei Sicherheitsstufen gibt es. Die erste wird nicht geprüft, die Hersteller müssen nur verschiedene Vorgaben beachten und versichern, sich daran zu halten. Die anderen beiden Stufen werden von Prüforganisationen wie dem TÜV genauer untersucht. In der Maschine, vor der Wolfram Stahl jetzt stehen bleibt, ist ein Schuh eingespannt und wird immer wieder über eine nasse Fliese gezogen. Dabei wird geprüft, wie gut er haftet und wie sich die Hafteigenschaften mit der Zeit verändern.
"Das kann man ja auch umdrehen. Also genauso werden auch Fliesen natürlich geprüft. Die brauchen eine gewisse Rauigkeit an ihrer Oberfläche, wenn sie im öffentlichen Raum zum Beispiel dann verlegt werden. Weil, da wo Regen fällt und Wasser eben stehen bleibt, da ist es unter Umständen dann gefährlich. Und man denkt, alles wird geprüft, aber welchen Sinn macht das eigentlich? Also, es macht ganz viel Sinn, nämlich unser Leben sicherer."
"Man wollte das Gewinnmotiv heraus nehmen und dafür die Qualität der Arbeit, die die Non-Profits leisten, erhöhen."
Doch an der Höhe der Qualität gibt es immer wieder Zweifel, wegen der Skandale, in die der TÜV verwickelt ist. Der Vorwurf: Es wird nicht gründlich genug geprüft. Der Staudammbruch im Januar dieses Jahres in Brasilien ist das jüngste Beispiel. Nur wenige Monate vor der Katastrophe hatten Mitarbeiter des international tätigen TÜV Süd die Sicherheit des Dammes bestätig. Bei dem Unglück kamen mindestens 250 Menschen ums Leben, etliche werden noch vermisst. Schuld daran sei vor allem die Profitgier einzelner gewesen, hieß es in den ersten Stellungnahmen. Obwohl der TÜV ja gerade nicht gewinnorientiert ist.
"Und hier kommt nun plötzlich etwas ins Spiel, dass es im TÜV doch ein Gewinnmotiv gibt. Denn unter dem Verein hat man Aktiengesellschaften oder GmbHs und die sind durchaus auf Gewinn gerichtet. Und die machen im Wettbewerb mit anderen Prüfvereinen durchaus vielleicht Konzessionen, um Aufträge zu sichern."

"Das ging vor allem von der FDP aus, die damals ja für eine Aufweichung von Monopolen eingetreten ist, was prinzipiell richtig ist, aber nicht in Gebieten, wo man Sicherheitsfragen behandeln muss. Oder ich muss eine sehr starke Kontrolle einbauen. Und die hat man nicht gemacht. Das heißt, es wird hier konkurriert ohne eine Kontrolle. Früher gab es zum Beispiel für die technischen Dienste im Bereich Automobil einen federführenden TÜV, den TÜV Essen, der auch die anderen technischen Dienste überwachen konnte. Das gibt es heute in keiner Weise mehr."
Axel Friedrich war früher Abteilungsleiter für die Bereiche Verkehr und Lärm im Umweltbundesamt und ist heute Sachverständiger für die Deutsche Umwelthilfe. Bis in die 80er hinein waren die Technischen Überwachungsvereine Monopolisten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Es gab den TÜV Hannover, der für Prüfungen im Stadtgebiet zuständig war. Oder den TÜV Bayern, der im gesamten Freistaat die HU und andere Kontrollen durchgeführt hat.

"Und es ist ein Kartell gewesen der Autoindustrie, und zwar nicht nur der deutschen sondern der europäischen Autoindustrie, zusammen mit den Zulieferfirmen wie Bosch und Conti oder ZF, die hier ganz klar die Vorschriften umgangen haben. Und aufgrund der Abhängigkeiten der technischen Dienste, jetzt nicht nur der TÜV, wir haben ja alleine in Deutschland 13 technische Dienste für die Prüfung von Fahrzeugen. Wir haben ja auch die DEKRA und andere Einrichtungen, die hier Prüfungen vornehmen können. Und das bedeutet, dass ich Abhängigkeiten habe, dass ich Konkurrenz, ungute Konkurrenz habe, weil ich keine Kontrolle vornehme. Wir machen zurzeit Staatsersatzarbeit. Wir kontrollieren, was hier gemacht worden ist. Das ist eigentlich ein unglaublicher Zustand, dass eine NGO, eine nichtstaatliche Organisation die Aufgaben des Staates übernehmen muss."
Beim TÜV sieht man das naturgemäß anders. Alle Vereine sind in einem Verband des TÜV organisiert, obwohl sie ja auch Konkurrenten sind. Beim VDTÜV wird der Austausch von Knowhow organisiert, und er fungiert als politische Interessenvertretung. Joachim Bühler ist der Geschäftsführer. Dass die Qualität leide, weil sich der zu Prüfende seinen Prüfer selbst aussucht, das hört er öfter.
"Ja, das gehört tatsächlich zu den Ammenmärchen, dass man sich den Prüfer danach aussucht, wie lasch er seine Prüfung macht. Jeder, der Hauptuntersuchung mal sein Auto vorgeführt hat, weiß, wie gut beziehungsweise wie schlecht so was funktioniert. Genau das Gegenteil ist der Fall."

"Der TÜV ist jetzt über 150 Jahre alt. Alles begann 1866 in Mannheim, als bei einer Bierbrauerei ein Dampfkessel explodierte. Also quasi fast so eine Art typisch deutsche Geschichte. Wenn den Deutschen das Bier um die Ohren fliegt, dann ist Handlungsbedarf angezeigt, wenn ich das mal so spaßeshalber sagen darf. Nein, aber im Ernst: Es ging damals natürlich um die Industrialisierung und die Dampfkessel, die da entstanden sind. Und davon gingen Gefahren aus."
Wie in Mannheim gab es damals wegen der explodierenden Kessel häufiger Tote und Schwerverletzte. Der Staat musste reagieren. Die Industrie wollte das verhindern. Zu groß war die Angst, dass eine allzu schwerfällige Behörde mit einem trägen Beamtenapparat die Unternehmen in ihrer Entwicklung behinderte.
Die Industrieunternehmen selbst wurden Mitglieder in dem unabhängigen Verein, der künftig die Kontrollen der Dampfkessel vornahm. Und weil der das sehr gut machte und die Zahl der Unfälle rapide sank, überließ der Staat dem Verein die Kontrollen. Mit der Zeit kamen immer neue Vereine für weitere Gebiete im Deutschen Reich hinzu, die dort das Monopol für die Prüfungen hatten. Auch das Aufgabenspektrum erweiterte sich.
Im Labor des TÜV Rheinland in Leipzig testen Wolfram Stahl und seine Kollegen Warnwesten. Die Mitarbeiter untersuchen, wie lange die gelbe Farbe der Westen als Warnzeichen funktioniert. Nach den Tests darf der Hersteller der Westen mit dem Logo des TÜV Rheinland werben.
"Natürlich kostet ihn das was, das ist klar. Ich meine, die Laborversuche und Belastungstests und was da alles so gemacht wird, die sind teuer. Sie sehen ja die ganzen Maschinen, die hier stehen."
Die Stoffe von Westen, von Hosen oder Schuhen werden hier auf Abrieb getestet, Schutzhandschuhe genauso. Mit Hilfe von UV-Lampen, die die Stoffe dauerhaft beleuchten. Sie sind an eine Klimaanlage angeschlossen, weil auch das Raumklima vorgegeben ist, in dem der Test ablaufen muss. Im Raum mit den Schuhen ist es weniger feucht und kühler als hier bei den Stoffen.
"Und in anderen Bereichen ist es ja auch so und auch hier, die Entwicklung geht ja weiter. Also, man muss ja investieren. Wenn man Sicherheit auch haben möchte in Zukunft, muss man ja Schritt halten mit den Herstellern."
"Das heißt, wir werden selber erstens kontrolliert und zweitens ist, die ganze Idee des TÜV basiert eben darauf, dass die Prüfungen unabhängig, vernünftig, objektiv gemacht werden. Und das ist sozusagen unser interner Kontrollmechanismus, der bis in diese Vereinsstruktur eben geht, wo wir sagen, wir gehen eben nicht an die Börse, sind Shareholder Value getrieben, sondern der TÜV gehört sich selber und ist eben durch seinen Vereinszweck bestimmt. Und das ist quasi die Kernidee und die hat uns über die letzten 155 Jahre sehr gut beraten und das wird es auch in Zukunft tun."
"Ja, das führt zum Wettbewerb auch der benannten Stellen und manchmal denkt man fast, ja, es ist quasi ein Wettbewerb in der Richtung, welche benannte Stelle ist jetzt hier die lascheste. Ja, das muss man mal deutlich so sagen."
"Das ist so, dass wenn jetzt Produkte auffällig werden, dass dann formal, nach der Gesetzgebung, hier die Landesbehörden zuständig sind. Mir ist aber in meiner langjährigen Karriere als Medizinprodukterechtler kein einziger Fall bekannt, bei dem eine Landesbehörde mal hier ein Produkt zurückgerufen hat. Das hängt auch damit zusammen, dass die Landesbehörden damit letztlich überfordert sind, weil sie auch gar nicht dieses Fachpersonal vorhalten."
Die Firma PIP ist pleite, deshalb versucht er jetzt im Auftrag der Krankenkasse vom TÜV Rheinland die Kosten für die Operationen der betroffenen Frauen zu erstreiten. Denn die fehlerhaften Implantate müssen wieder herausoperiert werden und gegebenenfalls durch neue ersetzt werden. Der Prozess ist mittlerweile vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe gelandet, ein Urteil wird im Februar des kommenden Jahres erwartet.
Dass ihm die Arbeit als Medizinrechtler ausgeht, das befürchtet Jörg Heynemann nicht. Auch nicht, nachdem die EU als Reaktion auf den PIP-Skandal und weitere fehlerhafte Medizinprodukte nun die Richtlinie für die Zulassung verändert hat. Denn nach wie vor werden in Europa, anders als in den USA, die Medizinprodukte durch konkurrierende Unternehmen geprüft.
"Wenn Sie jetzt fragen: Ja, können die Produkte in Deutschland leichter zugelassen werden als in den USA, dann ist die Antwort eindeutig: Ja! Es sind ja nicht nur Brustimplantate, Hüftendoprothesen, Knieprothesen, Herzschrittmacher und so weiter, die in den USA hergestellt werden, dort aber noch nicht zugelassen werden, dann werden sie auf den europäischen Markt geworfen, um zu gucken, was passiert. Und wenn das ganze schief geht, dann ist das Risiko für die Hersteller relativ begrenzt, weil die Zulassungsvoraussetzungen sind relativ lasch, die Überwachung der in Umlauf befindlichen Medizinprodukte ist relativ lasch. Und ein weiterer Punkt ist, dass das Haftungssystem in Deutschland eben auch sehr, ja, wie soll ich es ausdrücken, milde ist. Also die Schmerzensgeld und Schadenersatzsummen, die hier in Deutschland ausgeurteilt werden, sind für amerikanische Verhältnisse Peanuts. Und von daher sehe ich das hier so, dass das eher ein Versuchsfeld für Medizinprodukte ist. Also nicht nur Deutschland, sondern auch generell Europa."

Im Bundesgesundheitsministerium sieht man sich dagegen gut aufgestellt. Es gebe keine schlechtere Überwachung als in den USA, teilt das Ministerium schriftlich mit. Und spätestens seit der Änderung der europäischen Richtlinie würden die benannten Stellen so konsequent überwacht und überprüft, dass keine aufwändige Umstellung hin zu einer staatlichen Kontrollbehörde nötig sei. Zudem seien nun das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Paul-Ehrlich-Institut bemächtigt worden, selbst laufende Kontrollen durchzuführen und gegebenenfalls Produkte vom Markt zu nehmen.

"Das würde eine ganze Menge ändern. Wir haben vorgeschlagen, von jedem Fahrzeug, was zugelassen wird, ein bis zwei Euro zu erheben und daraus die Prüfkosten zu bezahlen. Dann wird das unabhängig. Denn dann ist der Auftraggeber der Staat und das würde die Probleme komplett verändern, eine Forderung, die wir vor uns her tragen."
Seit der Liberalisierung des Prüfwesens ist der Wettbewerbsgedanke immer weiter in das System eingedrungen. Das an sich sei noch nicht das Problem, da sind sich Axel Friedrich und der Wirtschaftsjurist Michael Adams einig. Was fehle sei Transparenz und es gebe falsche Anreize. Vor allem aber sei die staatliche Kontrolle unzureichend, so die Kritiker. Hierfür ist vor allem die DAkkS GmbH zuständig.
Gesellschafter der DAkkS sind jeweils zu einem Drittel der Bund, die Länder und der Bundesverband der Deutschen Industrie. Die Konstruktion als GmbH sei nötig gewesen, damit Bund und Länder vertreten sein könnten, teilt das zuständige Bundeswirtschaftsministerium mit. Sie sei hoheitlich beliehen und damit funktional eine öffentliche Behörde, die der Fachaufsicht des Bundes untersteht, so das Ministerium. Michael Adams reicht diese Kontrolle durch eine GmbH nicht. Er fordert, dass wie bei Banken und Versicherungen die staatliche Bankenaufsicht, also eine wirklich mächtige staatliche Behörde eingreifen und sogar Vorstände austauschen kann, um Druck bis in die Spitze des Unternehmens auszuüben.
"Und hier bei dem TÜV, der nun viele Produkte, die über Leben und Tod entscheiden, untersucht, sollte es auch so etwas geben. Wir müssen sicherstellen, dass die Prüfer in den Organisation vollkommen integer arbeiten können, dass sie nicht im Kopf haben: Also hör mal zu, das ist ein wichtiger Auftrag und den brauchen wir."
Und diese absolute Unabhängigkeit der Prüfer, so Michael Adams, die sei im derzeitigen System noch nicht vollständig garantiert.