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Daniel-Pascal Zorn: "Logik für Demokraten"
Training für den Umgang mit Populisten

Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn macht in seinem Essay "Logik für Demokraten" vier Kernstrategien des populistischen Denkens aus. Und gibt seinen Lesern konkrete Kriterien an die Hand, um eine Rhetorik, die in sich inkonsistent ist, zu erkennen und verbal zurückschlagen zu können.

Von Christoph Schröder | 16.06.2017
    Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn
    Komplex gedacht, aber gut lesbar - das Essay von Philosoph Daniel-Pascal Zorn gibt Demokraten rethorisches Handwerkszeug mit, um sich gegen Populisten wehren zu können. (© privat)
    Wer behauptet, die Philosophie könne keine Handreichung leisten für die tägliche Lebenspraxis, wird seine Meinung nach der Lektüre von Daniel-Pascal Zorns Buch ändern. "Logik für Demokraten" ist angesichts der rhetorischen Winkelzüge, die populistische Interessengruppen seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit unternehmen, ein hervorragendes intellektuelles, fein geschliffenes argumentatives Florett. Nicht umsonst hat Zorn seinem Werk den Untertitel "Eine Anleitung" gegeben.
    Zorns These: Die Demokratie ist nicht nur vernünftiger-, sondern vor allem logischerweise die einzig mögliche Gesellschaftsform. Jeder dogmatische oder populistische Ansatz ist zum Scheitern verurteilt, weil er sich selbst widerspricht.
    Doch was genau bedeutet es eigentlich, dieses ständig ge- und häufig auch missbrauchte Wort "populistisch"? Die Wurzel von Zorns Begriffsklärung liegt in der Redesituation, in der wir alle uns befinden: Wer redet, räumt damit automatisch auch jedem anderen das Recht zu reden ein. Tut er das nicht, ist er in einem Widerspruch gefangen. Und: Nur ein voraussetzungsfreier Diskurs ist ein demokratischer und mithin funktionierender Diskurs:
    "Wer in einer gemeinsamen Diskussion nicht nur behauptet, dass die Rede – nach einer Prüfung durch andere – gelten soll, sondern dass sie schon gilt, ohne jede Prüfung, der versucht, die Diskussion zu beenden, bevor sie begonnen hat." (Zitat)
    Der Anspruch, "fürs Volk" zu sprechen
    Wir erleben das zur Zeit an allen Orten und auf sämtlichen Kanälen: Menschen, die für sich beanspruchen, für "das Volk" zu sprechen, für "die schweigende Mehrheit", gegen "die da oben". Die also in einem Akt der Selbstermächtigung, philosophisch gesprochen: dogmatischen Setzung, behaupten, Wahrheiten auszusprechen, die bereits für alle Welt feststehen, die sonst aber niemand ausspricht. Und die zugleich jeden, der dieser dogmatischen Setzung zu widersprechen wagt, pathologisiert.
    Zorns Buch öffnet tatsächlich auf verblüffende Weise die Augen. Es verbalisiert und systematisiert Praktiken und Argumentationsmuster in einer zunehmend aufgeheizten Kommunikationssituation der Gegenwart.
    Zu der gehört im Übrigen auch die Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses im populistischen Denken: Derjenige, der es wagt, mit angeblicher Schonungslosigkeit vermeintliche Missstände offenzulegen, fühlt sich umgehend angegriffen, sobald er Widerspruch erfährt:
    Komplex gedacht, trotzdem gut zu lesen
    "In der Tat ist die Kombination von Selbst-Viktimisierung und Selbst-Heroisierung eine der häufigsten Gebrauchsweisen dieser Strategien, Sie äußert sich in Konstruktionen wie dem "Mut zur Wahrheit" oder dem "gesunden Menschenverstand", der sich gegen all die pathologischen Fälle da draußen zur Wehr setzen muss."
    Zorns philosophischer Essay ist stets komplex gedacht, aber niemals anstrengend zu lesen, weil Zorn sowohl in einem klaren Stil schreibt als auch sich immer wieder um Anschaulichkeit und Praxisnähe bemüht.
    Vier Kernstrategien des populistischen Denkens macht er als Grundpfeiler aus: Die dogmatische Setzung, die die eigene Perspektive für alle anderen verabsolutiert. Das so genannte falsche Dilemma, das in einer Entweder-Oder-Logik besteht, also: Entweder für oder gegen mich. Den Exzess der Positionierung und das, was Zorn einen Bestätigungsfehler oder auch den Geisterfahrer-Effekt nennt; ein Mechanismus, der die Verantwortungsverhältnisse auf den Kopf stellt nach dem Motto: "Selbst Schuld, dass der geschlagen wird, warum sieht er auch so bescheuert aus?"
    Verbal zurückschlagen können
    Womit wir wieder beim Ausgangspunkt, der Redesituation, sind: Es geht Daniel-Pascal Zorn tatsächlich darum, seinen Lesern konkrete Kriterien an die Hand zu geben, um unlogische, also: in sich inkonsistente Rhetorik zu erkennen und verbal zurückzuschlagen:
    "Wer dogmatisch, wer totalitär denkt, der will beides: den Kuchen behalten und ihn essen. Er will Zustimmung ohne Zwang, weil nur eine solche Zustimmung wirklich Geltung bedeutet. Und er will die Zustimmung erzwingen, weil nur so die Zustimmung sicher ist."
    Zorn greift weit aus in die Philosophiegeschichte, geht zurück bis zu Sokrates und dessen Schüler Platon, holt sich Friedrich Nietzsche als Gewährsmann an Bord und rekurriert auf Antonio Gramscis Begriff der kulturellen Hegemonie. Die Lehre, die Zorn aus seinem Ritt durch die Historie zieht, ist kurz und knapp zusammen gefasst: "Vernunft", so heißt es, "verteidigt sich selbst – und Unvernunft schlägt sich selbst." Mit Hilfe dessen, was Zorn "Reflexionslogik" nennt, klopft er permanent Gesprächssituationen daraufhin ab, ob sie auf einer reinen Behauptung oder auf einer begründeten These beruhen. Und er untersucht, inwieweit sich populistisches oder totalitäres Sprechen ab einem bestimmten Punkt immer in einem performativen Selbstwiderspruch befinden.
    Inhalt und Argumentation einer Rede als unlogisch entlarven
    "Logik für Demokraten" ist aber auch eine klar formulierte Aufforderung, in der Kritik an populistischen Verfahren den Sprecher und seine Inhalte zu trennen. Oder anders gesagt: Argumente ad hominem sind zu vermeiden. Es geht nicht darum, den Absender populistischer Botschaften als schlechten Menschen zu diskreditieren. Es geht darum, den Inhalt und die Argumentation seiner Rede als unlogisch zu entlarven.
    Zur Beschreibung des demokratischen, freien Diskurses, auf die Zorn im letzten Teil seines Buchs zusteuert, gehört im Übrigen auch das Plädoyer auf ein Recht auf freie Meinungsäußerung – für alle. Wer Extremisten aus dem Diskurs ausschließen will, spielt ihnen in die Karten und leistet der Opferrolle Vorschub. Und Zorn warnt noch einmal eindringlich davor, in diesem Kontext das eigene Empfinden absolut zu setzen.
    Meinung und Geltung dieser Meinung
    "Unsere Privatmeinung gehört uns. Unsere öffentliche Meinung ist Teil des Diskussionsspiels, an dem auch alle anderen teilnehmen. Das ist die erste Unterscheidung. Wir können unsere Meinung öffentlich äußern. Aber wir dürfen nicht erwarten, dass unsere subjektive Überzeugung eine ist, die unsere Meinung auch für alle anderen gültig macht. Die Äußerung einer Meinung ist nicht dasselbe wie ihre Geltung. Das ist die zweite Unterscheidung."
    Das ist, noch einmal, die wichtigste Erkenntnis aus Zorns mit intelligenter Schärfe geschriebenem Buch: Wer redet, um Zustimmung zu erhalten, muss dafür Gründe finden. Und er räumt in diesem Augenblick allen anderen ebenfalls das Recht zur Rede ein – und zum Widerspruch. Das ist Demokratie: Der voraussetzungsfreie Austausch von Argument und Gegenargument.