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Das Bauchgefühl entscheidet

20 Jahren betrieb Michael Grimmeisen ein florierendes Geschäft mit Großschirmen für Biergärten und Straßencafés. Dann wollte er sich beruflich verändern und sein Unternehmen einem Nachfolger übergeben. Die IHK half bei der Suche nach dem Richtigen.

Von Thomas Wagner |
    "Wir sollten auf jeden Fall jetzt dran denken, um die Sache doch jetzt komplett vorwärts zu bringen, dass wir unsere Kunden in Schwäbisch Hall besuchen, und dass wir zusammen auch noch den Fahrplan für 2011 festlegen. Dann schau ich mal, wie ich Dir noch unter die Arme greifen kann, so wie es eben meine Zeit 2011 zulässt."

    "Jawohl, da stimm‘ ich Dir hundertprozentig zu. Und ich freu mich, wenn Du von Deiner Seite auch nochmals Unterstützung gibst."

    Zwei Männer sitzen beim Kaffe zusammen, in einem Einfamilienhaus in Erlenbach bei Heilbronn. Auf dem Tisch Aktenordner und Dokumente. Der eine ist Ex-Inhaber, der andere Neu-Inhaber eines Unternehmens, das den Namen geändert, den Geschäftszweck aber beibehalten hat: "Pesch-Schirme" beschäftigt sich mit der Vermietung und dem Verkauf von Groß-Schirmen, die als Überdachungen für Freiflächen dienen.

    Michael Grimmeißen hat das Unternehmen vor 20 Jahren gegründet . Vor etwas über einem Jahr bekam er die Möglichkeit, eine neue berufliche Herausforderung im Ausland anzunehmen - und begab sich auf die Suche nach einem Nachfolger für seinen Schirm-Verkauf. Er wandte sich an die IHK, brachte mehrere Beratungsgespräche hinter sich. Über einen speziell dafür eingesetzten "Nachfolge-Moderator" wurde er gerade mal drei Wochen später mit Michael Pesch bekannt gemacht.

    "Es war eine Veranstaltung in der Innovationsfabrik in Heilbronn. Und da wurden wir uns vorgestellt. Dann haben wir einfach vor Ort nach der Veranstaltung noch ein bisschen miteinander geplaudert. Und ich hatte da schon ein sehr gutes Bauchgefühl. Und dann war eigentlich die ganze Sache, dass er mein Geschäft übernehmen möchte, im Grundsätzlichen schon geregelt."

    Ein weiteres halbes Jahr später unterschrieben die beiden Partner den Übernahmevertrag. Was nach Liebe auf den ersten Blick klingt, ist aber nur der Schlusspunkt eines langen Arbeits- und Lernprozesses beider Beteiligten. Zusammengebracht wurden beide Partner vom Unternehmens-Nachfolgemoderator der Industrie- und Handelskammer Heilbronn. Dort melden sich regelmäßig Unternehmer, die einen Nachfolger für ihren Betrieb suchen - und solche, die gerne ein Unternehmen übernehmen würden.

    Passen die gewünschten wirtschaftlichen Kennzahlen wie Umsatz, Mitarbeiterzahl und Gewinn zusammen? Kann der potentielle Unternehmensnachfolger überhaupt etwas mit dem Geschäftszweck anfangen? All dies ist noch leicht zu klären. Schwieriger wird es, wenn es um weiter gehende Fragen geht: Kommen Unternehmensinhaber und potentieller Nachfolger menschlich miteinander klar? Kann man auch nach der Übergabe noch miteinander arbeiten? Aber bis es zu solchen persönlichen Kontakten kommt, haben sich die Betroffenen umfangreich bei der IHK über das Thema Unternehmensnachfolge informiert. Jürgen Becker ist dort Unternehmens-Nachfolgemoderator:

    "Wir bieten Sprechtage an, Finanzierungssprechtage, Beratungssprechtage. Und wir biete seit vier Jahren ein Nachfolge-Planspiel an, das einmal pro Jahr bei uns stattfindet, und wo sich dann auch potentielle Interessenten für eine Unternehmensnachfolge anmelden können und an zwei Tagen komplett visuell durchspielen können."

    Denn Unternehmensnachfolge will gelernt sein: Manchmal, so Jürgen Becker, dauert so ein Prozess bis zu drei Jahren. Als Moderator begleitet er diejenigen, die einen Nachfolger für ihr Unternehmen suchen und diejenigen, die einen Betrieb übernehmen möchten, in dieser Zeit persönlich, steht mit Rat und Tat zur Seite, wie ein Tutor an einer Hochschule. So bringt er den Kandidaten beispielsweise bei, nicht zu viele Übernahmegespräche parallel zu führen.

    "Wenn wir die Datenbank selektieren und Übergeber und Übernehmer zusammen führen, dann vermitteln wir maximal drei Kontakte auf einmal, weil wir festgestellt haben, dass, wenn man sich mit mehreren Interessenten unterhalten möchte, irgendwann einmal den Horizont der zeitlichen Kapazität und des Verzettelns übersteigt."

    Ist der Übernahmevertrag unter Dach und Fach, zeigt sich für den Unternehmensnachfolger eine weitere Notwendigkeit: Er tut gut daran, auch von seinem Vorgänger zu lernen. Darin sind sich Michael Pesch und sein Vorgänger Michael Grimmeißen einig:

    "Also zunächst einmal musste ich ja das Detailbusiness bezüglich Schirmen kennenlernen, die Funktionen, die Art und Weise. Was eher ein Problem war, dass wir spezifisch eben auch die Details lernen mussten bezüglich Sonne, bezüglich Regen, bezüglich Bodenbeschaffenheit, und dann eben den direkten Kundenkontakt zur Basis."

    " Das Wesentliche steht zwar alles in den Papieren und in den Computerdateien drin. Aber alleine schon: Wie geh ich mit dem Kunden um, wie pack ich den Kunden? Das sind einfach Dinge, die nicht auf dem Papier stehen. Und die kann er nur einfach live direkt miterleben, indem wir zum Beispiel gemeinsam zu dem Kunden hingehen. Das ist etwas, was man nicht vermitteln kann in Form von Papier oder in der Form von einer Computerdatei."

    Unternehmensnachfolge lernen heißt: Im Idealfall arbeitet der Übernehmer mit seinem Vorgänger noch eine Weile lang gemeinsam zusammen. Fast ein ganzes Jahr lang sitzen Michael Grimmeißen und Michael Pesch regelmäßig beieinander, um die Geschäftsstrategie zu besprechen. Das liegt auch im Interesse desjenigen, der den Betrieb übergibt. Einfach nur den Kaufpreis kassieren - das wäre für Michael Grimmeißen kein gangbarer Weg gewesen:

    "Ich kann jetzt nicht einfach sagen: So, jetzt hör ich einfach auch, mach nichts mehr. Dann wäre ein Vakuum entstanden, das nicht gefüllt worden wäre. Und da ist ja schon ein gewisses Lebenswerk, ein gewisses Herzblut auch da."

    Was Unternehmensnachfolger Michael Pesch mit als wichtigste Vorbereitung für die Unternehmensübernahme empfindet: Das Entwickeln eines intuitiven Gespürs dafür, ob ein Unternehmen zu ihm passt oder nicht - und ob sich mit dem bisherigen Inhaber in dem Prozess der Übernahme kooperativ zusammenarbeiten lässt. Hier spielen die informellen Gespräche mit Vertretern der IHK und mit anderen Unternehmen eine wichtige Rolle:

    "Die drei wichtigsten Themen bei der Unternehmensübernahme und bei der Unternehmensübergabe ist erstens Bauchgefühl, zweitens Bauchgefühl und drittens Bauchgefühl. So verrückt mag sich das anhören!"