Zurheide: Wie sehen Sie das? Was bewegt Sie, wenn Sie das Wort Montagsdemonstration hören?
Lengsfeld: Also, das darf man auf gar keinen Fall vergleichen. Damals 1989 ging es um Freiheit und den Kampf gegen ein repressives System. Heute geht es darum, dass die Menschen auf die Straße gehen, weil sie über notwendige Reformschritte, die in diesem Lande vorgenommen werden müssen, damit der Sozialstaat erhalten werden kann, falsch informiert worden sind. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun.
Und ganz persönlich kriege ich Bauchschmerzen, wenn ich höre, dass bei der letzten Montagsdemonstration in Magdeburg etwa hundert Neonazis in der ersten Reihe marschiert sind und dann gesagt wird, es hätte etwas mit dem Erbe der Bürgerrechtsbewegung zu tun. Dann muss ich sagen, dass ich diese Instrumentalisierung als Bürgerrechtlerin ganz entschieden zurückweise.
Zurheide: Da kommen wir gleich noch drauf, das ist ein wichtiger Aspekt. Ich würde gerne noch mal fragen wollen, jetzt jenseits der Rechtsradikalen, die sich da drunter gemischt haben und die ein besonderes Problem darstellen, was ist eigentlich die Befindlichkeit der Menschen? Sie haben gerade gesagt, zum Teil werden sie auch falsch informiert, ist es das oder ist es so ein Gefühl, so wird es hin und wieder analysiert das Gefühl der Zukurzgekommenen? Wie deuten Sie das?
Lengsfeld: Also wenn ich analysiere, was ich an Post bekommen und was dort an Forderungen formuliert worden ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass offensichtlich die wenigsten wirklich wissen, was mit Hartz IV beschlossen worden ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. In Thüringen ist es dazu gekommen, dass massenhaft die Menschen ihre Konten aufgelöst haben, weil sie das Gefühl hatten, dass ihnen durch Hartz IV der letzte Spareuro genommen wird. Tatsächlich ist der Betrag, den man auf dem Sparkonto behalten darf, um Arbeitslosengeld zwei beziehen zu können, verdoppelt worden von, nach der jetzigen Regelung, 13.000 Euro auf 26.000 Euro.
Es ist also eine Verbesserung eingetreten, was das persönliche Vermögen von Arbeitlosengeld-II-Empfängern betrifft. Trotzdem räumen die Leute ihre Konten leer. Das heißt also, sie wissen gar nicht, was wirklich beschrieben worden ist. Oder es ist von der Bildzeitung den Lesern suggeriert worden, es ginge an die Teddybären der Kinder. Tatsächlich ist auch beschlossen worden, dass der Freibetrag auf den Sparbüchern der Kinder erhöht wird und nicht vermindert wird. Nach der jetzigen Regelung sind es 230 Euro, nach der neuen Regelung sind es 750 Euro. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass die Menschen offenbar krass fehlinformiert sind.
Zurheide: Nun müssen wir da natürlich fragen, woher kommt das? Jetzt kann man auf der einen Seite sagen, Wolfgang Clement in der ihm eigenen Art, ist er da manchmal etwas wurstig, auf der anderen Seite die Opposition, auch die CDU, der Sie angehören, hat das im Prinzip mitbeschlossen und hin und wieder stiehlt man sich da aus der Verantwortung, hat die politische Klasse da versagt?
Lengsfeld: Also ganz eindeutig gibt es gravierende handwerkliche Mängel durch die Regierung Schröder bei der Umsetzung des Gesetzes, die sind die Hauptverantwortlichen bei diesem Informationschaos. Ich muss aber ganz deutlich sagen, dass manche Medien dabei auch keine gute Rolle spielen. Die Bildzeitung hat immer in großen breiten Überschriften gefordert, Reformen jetzt, wenn dann eine Reform tatsächlich beschlossen wird, dann hat sich dieses Blatt offensichtlich auf die Fahne geschrieben, diese Reform kaputt zu machen.
Aber ich sage das auch selbstkritisch in die Richtung der Opposition. Wenn die Generalsekretärin der FDP sich hinstellt und selbst die Montagsdemonstrationen von 1989 und die jetzigen vergleicht und ganz populistische Forderungen stellt, dann geht das an den Notwendigkeiten vorbei. Diese Hartz IV muss durchgesetzt werden, es gibt dazu überhaupt keine Alternative. Die Opposition hat das mitbeschlossen und sie sollte dann diesen Beschluss auch mit verteidigen.
Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf den Aspekt zurück, den Sie zu Beginn angesprochen haben, dass sich Rechte da drunter mischen. Und es gibt ja nicht wenige, die analysieren das auch und sagen, was da im Moment passiert, schadet im Kern allen bürgerlichen Parteien, weil mit dieser Art von Populismus nur die Ränder gestärkt werden in dem Fall die Rechten auf der einen Seite, die Linken auf der anderen Seite möglicherweise. Beobachten Sie das auch so?
Lengsfeld: Genau das ist der Fall und spätestens diese Erscheinung sollte doch zum Nachdenken bringen. Wir brauchen diese Reformen, dazu gibt es überhaupt keine Alternative. Und wenn Hartz IV jetzt kaputt gemacht wird, dann ist kein einziges Problem gelöst, im Gegenteil, die Probleme werden größer und der nächste Reformschritt, der dann an Stelle von Hartz IV beschlossen werden müsste, wäre auf jeden Fall gravierender, weil die Probleme dann sich noch erhöht haben.
Zurheide: Lassen wir noch mal grundsätzlich auf die Reform kommen, es geht ja im Kern darum, dass man Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegt, dass die Vermittlung verbessert werden soll, im Osten, weiß man, es gibt wenig Arbeitsplätze, aber dennoch ohne Vermittlung geht gar nichts und die gegenwärtige Lage hat zu 18 Prozent Arbeitslosigkeit geführt. Warum ist auch das so schwer überzubringen, dass der gegenwärtige Weg, der vielleicht in erster Linie darin bestand, die Menschen zu alimentieren, ich sage es auch hart, mit Geld vielleicht ruhig zu stellen. Da hat man nicht demonstriert, jetzt auf einmal demonstriert man.
Lengsfeld: Das ist für mich auch ein Phänomen, weil es mit Hartz IV gerade darum geht, die Arbeitslosen wieder in Beschäftigungsverhältnisse zu führen. Und es sind in Hartz IV eine Reihe von Maßnahmen beschlossen worden, um den Übergang in de Arbeitswelt zu erleichtern. Aber selbst das wird offenbar von vielen nicht begriffen. Denn wenn die neue Leitfigur der Medien aus Magdeburg, dieser Mann, der zu den Montagsdemonstrationen in Magdeburg aufgerufen hat, in jedes verfügbare Mikrophon sprechen kann, dass er gar nicht daran denke, seinen Zuverdienst durch Arbeit im Niedriglohnbereich aufzubessern, und ihm niemand widerspricht, dann zeigt das doch, dass hier die Maßstäbe sich sehr verschoben haben.
Es ist die Pflicht der Gesellschaft, alle zu unterstützen, die aus gesundheitlichen Gründen ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen können. Es gibt aber keine Pflicht der Gesellschaft, auch die zu unterstützen, die arbeiten könnten, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht wollen. Und genau da setzt Hartz IV an. Es sind die Zuverdienstmöglichkeiten sehr verbessert worden, es sind die Möglichkeiten verbessert worden, einen gleitenden Übergang in die Arbeitswelt zurückzufinden. Das sollte genutzt werden.
Denn für mich ist der eigentliche Skandal in dieser Gesellschaft, dass Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit eigener Arbeit verdienen, zum Beispiel an der Kasse bei Aldi, am Ende vielleicht genauso viel, oder nach den jetzigen Regelungen kann es vorkommen sogar weniger in der Tasche haben, als Menschen, die allein von Transferleistungen leben. Und das ist die eigentliche Ungerechtigkeit, denn jemand, der arbeitet, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, muss am Ende deutlich mehr in der Tasche haben, als jemand, der nur von Transferleistungen lebt.
Zurheide: Ich will das jetzt vorsichtig formulieren, um nicht in die Gefahr kommen, die der Bild-Zeitung häufig erliegt, aber in der Tat könnte man natürlich den Eindruck haben, dass sich viele genau an dieses schleichende Gift gewöhnt haben und lieber staatliche Alimentationen in Anspruch nehmen, als selbst irgendwas zu tun.
Lengsfeld: Es geht genau darum, dass es eine ganze Reihe von Menschen gibt, die lieber von Transferleistungen leben und mit Schwarzarbeit noch ein bisschen dazu verdienen, als dass sie geregelten Arbeitsverhältnissen nachgehen, aber genau das kann nicht sein. Ich wiederhole, dass jemand, der durch eine geregelte Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient, deutlich mehr haben muss als ein Transferleistungsempfänger, und wer arbeiten kann, der soll arbeiten auch als Empfänger von Transferleistungen und genau das ist in Hartz IV festgelegt, dass Menschen, die arbeiten können und die Transferleistungen empfangen, auch arbeiten sollen und das muss durchgesetzt werden.
Zurheide: Nun haben die Sozialverbände Arbeitsplätze angekündigt, die es eben bisher so nicht gibt und geben konnte. Könnte da auch im Osten für den einen oder anderen eine neue Hoffnung entstehen?
Lengsfeld: Natürlich, Arbeit ist ja genug vorhanden im kommunalen Bereich und bei den Sozialverbänden. Das Problem war doch bisher nicht, dass es diese Arbeitsstellen nicht gegeben hat, sondern dass es den Niedriglohnbereich, mit dem diese Arbeitsplätze bezahlt werden können, bisher so nicht gegeben hat. Aber auch das will Hartz IV ja ändern, indem es auch für Menschen, die bereit sind, einen Niedriglohnarbeitsplatz anzunehmen, dass ihnen für eine gewisse Zeit ein Ausgleich gezahlt wird, sodass sie deutlich mehr Geld bekommen, als wenn sie nur die Transferleistungen beziehen und das ist, denke ich, nach wie vor der richtige Weg.
Aber genau da, das zu vermitteln, da hat es erhebliche Informationsdefizite gegeben. Und wir müssen als Politiker alle Anstrengungen unternehmen egal ob wir in der Regierung oder in der Opposition sind, genau dieses Informationsdefizit endlich aufzuarbeiten.
Zurheide: Sie haben heute Morgen dazu beigetragen, herzlichen Dank.