Der Präsident als Lachnummer. Die Komödie "Die Beerdigung von Vaclav Klaus" ist ein Erfolg im Studententheater von Brünn. Die bitterböse Satire über den Prager Burgherrn begeistert das junge Publikum.
Nach zehn Jahren haben viele Tschechen genug von ihrem Präsidenten. Eine große Mehrheit wünscht sich inzwischen seinen möglichst raschen Abgang. Auch der populäre Schriftsteller Michael Viewegh ist ein erbitterter Gegner des Präsidenten. In seinem kontroversen Roman "Frost kommt aus der Burg" rechnet er ab mit dem Menschen und Politiker Vaclav Klaus.
"Was hören wir in den letzten Jahren für bizarre Meinungen aus der Prager Burg. Europa ist schlecht, es gibt keinen Klimawandel und Osama Bin Laden ist eine mediale Fiktion. Wir machen uns damit zum Gespött der Welt. Alle denken wir haben einen verrückten König."
Doch es gibt auch andere Meinungen. In einer langen Schlange haben die Menschen geduldig vor einer Buchhandlung am Prager Wenzelsplatz gewartet. Jetzt endlich sind sie auf Tuchfühlung mit ihrem Idol. Vor laufenden Kameras signiert der Präsident sein neuestes Buch. Diese persönliche Unterschrift bedeute ihm viel, freut sich ein alter Mann:
"Es gefällt mir sehr, dass er die Dinge immer direkt beim Namen nennt. Seine Kritik an der Europäischen Union ist richtig. Er hat doch in allen Dingen recht behalten. Wir müssen uns mehr um unsere Unabhängigkeit kümmern."
Was ihn bei Teilen seiner Landsleute bis heute populär macht, sorgte 2009 für eine handfeste europäische Krise. Seine dauerhafte Weigerung den EU-Reformvertrag von Lissabon zu unterzeichnen, blockierte über Monate die Brüsseler Politik. Bei jeder Gelegenheit wiederholte Vaclav Klaus damals seine grundlegende Ablehnung einer tieferen europäischen Integration:
"Sollte der Lissabonvertrag in Kraft treten, stärkt er die europäischen Organe. Die Souveränität der einzelnen Mitgliedsländer wird dadurch in wichtigen Fragen beschränkt. Das darf man unter keinen Umständen akzeptieren."
Leidenschaftlich verteidigt der Präsident im In- und Ausland die Bedeutung nationaler Werte und Errungenschaften. Schon vor dem EU-Beitritt seines Landes Anfang 2004 warnt er: Tschechien werde sich im großen Europa auflösen wie ein Zuckerwürfel im Tee.
"Wir geben unsere Souveränität auf und werden Teil einer Verbindung mehrerer Staaten. Das ist eine riesige Veränderung und keine Kleinigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Grund zum Feiern ist."
Kontinuierlich macht Vaclav Klaus in den Folgejahren einen möglichst weiten Bogen um Brüssel. Auch in Berlin und in den meisten anderen westlichen Hauptstädten ist der tschechische Präsident nur selten zu Gast. Moskau dagegen besucht Vaclav Klaus in regelmäßigen Abständen. Das brutale Ende des Prager Frühlings und die langen Jahre der russischen Besatzung sind für Vaclav Klaus kein Hindernis für die Pflege enger bilateraler Beziehungen. Kritik am Kreml ist von der Prager Burg nur in seltenen Ausnahmefällen zu hören. Nicht nur der Politikwissenschaftler Petr Kratochvil ist deshalb überzeugt:
"Präsident Klaus teilt mit Wladimir Putin viele Werte und Prinzipien. Für beide ist etwa die Rolle des Nationalstaates in der internationalen Politik sehr wichtig. Vaclav Klaus ist auch emotional mit Russland sehr eng verbunden."
Doch nicht nur seine Sonderrolle im Verhältnis zu Moskau und sein unermüdlicher Feldzug gegen Brüssel machen Vaclav Klaus zum Außenseiter innerhalb der europäischen Staats- und Regierungschefs. Der neoliberale Wirtschaftsprofessor kämpft mit Büchern und Vorträgen auch gegen den angeblichen Mythos Klimaerwärmung:
"Ich bin fest davon überzeugt. Das Klima ist nicht bedroht, sondern die menschliche Freiheit. Das Modethema Erderwärmung führt zu einer regelrechten Hysterie."
Im Frühjahr 2011 sorgt der tschechische Präsident während eines Staatsbesuchs in Chile aus ganz anderen Gründen für weltweite Schlagzeilen. Während ihn sein Gastgeber Piñera überschwänglich begrüßt, lässt Klaus einen wertvollen Kugelschreiber in seiner Sakkotasche verschwinden. Das YouTube-Video wird im Internet millionenfach angeklickt. Der Kuli-Klauer-Klaus muss sich nach seiner Rückkehr in die Heimat öffentlich rechtfertigen:
"Das war kein Füllfederhalter, sondern nur ein Kuli. Es ist absolut üblich, dass man bei Staatsbesuchen den Stift oder einen Schreibblock mitnimmt."
Viele Tschechen sind jedoch bis heute empört über diesen peinlichen Fehltritt. Die Kuli-Klau-Affäre wird für einen wachsenden Teil der Bevölkerung zum Symbol für die fatale Außenwirkung ihres Präsidenten. Tatsächlich ist Vaclav Klaus auf internationalem Parkett zunehmend isoliert. Der Politikwissenschaftler Jiri Pehe:
"Er hat seinem Land definitiv geschadet. Immer hat er versucht, mit Kontroversen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Warum muss der Präsident eines kleinen mitteleuropäischen Landes die Erderwärmung infrage stellen - warum vertritt er so undiplomatisch ganz extreme Position in Sachen Europa."
Die Antwort ist für viele Beobachter in Tschechien klar. Vaclav Klaus stand von Beginn an im Schatten seines Amtsvorgängers Vaclav Havel. Im Unterschied zu dem Dichterpräsidenten und Dissidenten blieb dem Wirtschaftsprofessor die internationale Anerkennung stets versagt, so der Chefredakteur der Wochenzeitung "Respekt", Erik Tabery:
"Klaus wird auch im Ausland als ein großer Polarisierer wahrgenommen. Seine Staatsbesuche kann man an einer Hand abzählen. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu Vaclav Havel. Niemand will sich mit Klaus zu Verhandlungen treffen."
Doch daheim in Tschechien kommt keine Regierung in den zehn Jahren seiner Amtszeit an dem Präsidenten vorbei. Regelmäßig mischt sich Vaclav Klaus aktiv in die Tagespolitik ein. Mit seinem Veto blockiert er wichtige Gesetze und sorgt damit immer wieder für heftige innenpolitische Turbulenzen. Auch hinter den Kulissen zieht er die Fäden in Prag:
"Vaclav Klaus hat fast immer gegen die Regierung gekämpft. Das war hart an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit. Er hat starken Druck ausgeübt und einmal sogar die Regierung damit zu Fall gebracht. Er hat seine Kompetenzen deutlich überschritten."
Auch in den letzten Monaten seiner Amtszeit blieb Vaclav Klaus ein Stachel im Fleisch der Regierung. Sein Einspruch gegen zentrale Reformgesetze brachte die Mitte-rechts-Koalition an den Rand des Scheiterns. Vor allem die pro-europäische Politik von Außenminister Karel Schwarzenberg ist dem Prager Burgherrn ein Dorn im Auge:
"Es ist unsere Pflicht, dass wir diese Tendenzen nicht nur stillschweigend ablehnen, sondern dass wir lauter und deutlicher als bislang unsere Traditionen und die geistig-moralischen Werte unserer Nation verteidigen. Wir sollten immer unseren eigenen Weg gehen und wissen, was unseren Nationalinteressen entspricht."
Mit dieser scharfen Rhetorik wird Vaclav Klaus zum Sprachrohr für die ohnehin latente Europaskepsis vieler Tschechen. Im Verlauf der Wirtschafts- und Finanzkrise wächst die Abneigung gegenüber supranationalen Institutionen. Schon vor der Eurokrise habe sich der Präsident getraut auf die Kehrseiten des europäischen Integrationsprozesses hinzuweisen, meint der Journalist Daniel Kaiser von der Tageszeitung "Lidove Noviny":
"Jetzt zeigt sich, dass die EU ganz offensichtlich schwere Mängel hat. Die politische Elite auch in Deutschland hat doch das Ganze viel zu lange unkritisch befürwortet. Klaus hat dagegen die Schwachpunkte sehr offen angesprochen. Die öffentliche Debatte ist dadurch viel freier geworden."
Doch nicht nur mit Blick auf Brüssel ist das Ende der zehnjährigen Klaus-Ära eine politische Zäsur. Auch innerhalb des eigenen Landes erhoffen sich viele Tschechen durch die erste Direktwahl des Präsidenten eine demokratische Blutauffrischung. Bisher wurde das Staatsoberhaupt unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch beide Kammern des Parlamentes bestimmt. Vor fünf Jahren bei der Wiederwahl von Vaclav Klaus gab es wochenlange Mauscheleien und Gerüchte über gekaufte Stimmen. Eine Wiederholung dieser Hinterzimmerpolitik sei nun ausgeschlossen, meint der Politikwissenschaftler Lukas Jelinek:
"Die Wahl des Präsidenten durch das Volk wird helfen, das Vertrauen in unsere politischen Institutionen zu stärken. Viele Tschechen sind von der Politik tief enttäuscht. Die Möglichkeit erstmals direkt an dieser wichtigen politischen Entscheidung teilzunehmen, ist deshalb gut für die Demokratie in unserem Land."
Allerdings gibt es auch warnende Stimmen. Ein direkt gewählter Präsident werde noch selbstbewusster in der Öffentlichkeit auftreten. Schon der Präsident der ersten Republik, Tomas Masaryk, sei von der Bevölkerung wie ein König verehrt worden. Traditionell gelte der Präsident auch heute noch als eine politisch-moralische Instanz, die über dem Parteienstreit schwebt.
Doch trotz des anhaltenden Vertrauensverlustes in Parlament und Regierung werde auch die Direktwahl nicht zu einem Präsidialsystem in Tschechien führen, meint Jiri Pehe:
"Tschechien hat nun die Chance, die postrevolutionäre Phase zu überwinden. Havel und Klaus hatten beide ihre Verdienste in der Zeit vor und nach 1989. Diese Ära ist nun zu Ende. Der neue Präsident wird deshalb nicht mehr dieselbe Autorität haben wie seine Vorgänger."
Pauken und Trompeten für die neun Kandidaten. Der Auftakt für eine Podiumsdiskussion in einer alternativen Kulturfabrik am Prager Stadtrand. Ein junges Publikum ist gekommen, um die Bewerber persönlich in Augenschein zu nehmen.
"Das ist total aufregend - zum ersten Mal können wir unseren Präsidenten wählen. Das ist schon eine historische Angelegenheit. Der Präsident soll alle Tschechen repräsentieren und deshalb ist es richtig, dass nun die Bürger direkt gefragt werden."
Auch Außenminister Karel Schwarzenberg stellt sich der Debatte. Der adelige Politiker ist einer von drei Kandidaten, die direkt von ihren Parteien in das Rennen um die Prager Burg geschickt werden. Als ehemaliger Kanzleichef von Vaclav Havel will der Fürst das politische Erbe des verstorbenen Bürgerpräsidenten antreten:
"Der Präsident sollte sich nicht in die Alltagspolitik einmischen. Seine Aufgabe ist vielmehr die Wahrung von Freiheit und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Das sind demokratische Werte, für die es sich lohnt jeden Tag zu kämpfen."
Doch trotz seiner imposanten Biografie und seines großen internationalen Renommees wird der Traum des 75-Jährigen von einem würdigen Platz in den Annalen der Schwarzenbergs kaum in Erfüllung gehen. Seine Popularität ist durch den harten Sparkurs der Mitte-rechts-Regierung deutlich gesunken. Die regelmäßigen Bilder eines im Parlament sanft schlummernden Außenministers lassen viele Tschechen zusätzlich an seiner Eignung für das höchste Staatsamt zweifeln.
"Hallo Jungens - für mich den Schweinebraten und natürlich ein Bier."
Milos Zeman mischt sich gerne in den Kneipen unter die Menschen. Spielend leicht erreicht der ehemalige Ministerpräsident die notwendige Zahl von 50.000 Unterschriften für seine Kandidatur. Hemdsärmlig präsentiert er seine politischen Vorstellungen:
"In der tschechischen Politik gibt es nur Amateure. Ich werde dafür sorgen, dass die Politiker endlich miteinander reden und ihre Entscheidungen dann auch durchziehen. Die Wähler werden merken - die anderen Kandidaten sind noch schlimmer als ich selbst."
Die Selbstironie und seine Volksnähe kommen an bei vielen Tschechen, vor allem auf dem Land. Bis zum Prager Frühling war er Mitglied der Kommunistischen Partei - nach der Revolution 89 lange Jahre ein sozialdemokratischer Spitzenpolitiker. Als Regierungschef vereinbarte er 1998 mit dem damaligen Oppositionsführer Vaclav Klaus ein politisches Stillhalteabkommen. Für seine Kritiker begann damit eine dunkle Zeit hemmungsloser Korruption. Der 68-Jährige wird vom Amtsinhaber Vaclav Klaus offen als sein geeigneter Nachfolger empfohlen.
Selbst in seinen Wahlkampfspots bleibt Jan Fischer ein nüchterner Zahlenakrobat. Die meiste Zeit seines Berufslebens hat der Wirtschaftswissenschaftler als Direktor des Statistikamtes verbracht. Als Mitte 2009 die Regierung Topolanek an internen Streitigkeiten zerbricht, wird er für wenige Monate Chef einer Beamtenregierung. Unaufgeregt steuert der parteilose Ministerpräsident sein Land durch die Zeit der EU-Ratspräsidentschaft.
"Die sehr angespannte und nervöse Situation in unserem Land muss sich wieder beruhigen. Als unabhängiger Kandidat will ich das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder herstellen. Der Präsident muss versöhnen und nicht spalten. Wir brauchen Anständigkeit und eine gewisse Noblesse in der Politik."
Trotz seiner kommunistischen Vergangenheit liegt Jan Fischer in den Umfragen konstant auf Platz eins vor dem Politik-Veteranen Milos Zeman. Dieser Zweikampf dürfte wohl erst in der Stichwahl zwei Wochen nach der ersten Runde entschieden werden.
Für die meisten Schlagzeilen sorgt jedoch ein ganz anderer Kandidat: Professor Vladimir Franz ist der bunteste Bewerber für das Amt des tschechischen Staatspräsidenten. Von Kopf bis Fuß ist der Komponist schwarz-blau tätowiert. Vor allem für die junge Generation ist der exzentrische Künstler die einzig echte Alternative zur etablierten Politik.
"Von den jungen Menschen, mit denen ich täglich arbeite, weiß ich, wie sehr sie sich nach politischen Idealen und gesellschaftlichen Werten sehnen. Der Geist der Samtenen Revolution muss deshalb wiederbelebt werden. Dafür will ich Präsident werden - für alle, die im Geist jung geblieben sind."
Tatsächlich könnte der promovierte Jurist in der ersten Wahlrunde durchaus für Überraschungen sorgen. Hinter den beiden Favoriten Fischer und Zeman belegt er in den Meinungsumfragen regelmäßig vordere Plätze. Punk, Schlumpf und Avatar - diese Schmähungen seiner politischen Gegner nimmt er deshalb gelassen.
"Zivilisierte Menschen tolerieren meine Andersartigkeit. Nur wer totalitär denkt und intellektuell im Gefängnis hockt, empört sich über meine Visage. Mein Aussehen ist im 21. Jahrhundert ein Vorteil und keinesfalls ein Handicap."
Auch wenn die erste direkte Präsidentschaftswahl durch einen juristischen Streit um die Zulässigkeit der Kandidatenaufstellung bis zur letzten Minute wackelte, blicken die meisten Tschechen mit großen Erwartungen auf das Wahlwochenende. Das Ende der Ära von Vaclav Klaus wird das politische Klima grundlegend verändern. Seine negativen Begleitkommentare und bitter-ironischen Randbemerkungen zu fast allen Dingen der Welt prägten in den letzten Jahren die gesellschaftliche Stimmung in Tschechien.
Das Land hat nun die Chance sich von diesem Mehltau zu befreien. Auch für Brüssel dürfte nach zehn Jahren der Umgang mit Prag künftig einfacher werden, meint nicht nur der Politikwissenschaftler Jiri Pehe.
"Die größte Veränderung nach der Wahl wird sicher eine pro-europäische Politik sein. Jeder einzelne Kandidat ist gegenüber der Europäischen Union positiver eingestellt als der amtierende Präsident. Niemand wird mehr Brüssel Knüppel zwischen die Beine werfen."
Tatsächlich haben acht von neun Kandidaten angekündigt: Nach der Wahl wird auf der Prager Burg die Europafahne wieder selbstverständlich neben der tschechischen Flagge wehen.
Nach zehn Jahren haben viele Tschechen genug von ihrem Präsidenten. Eine große Mehrheit wünscht sich inzwischen seinen möglichst raschen Abgang. Auch der populäre Schriftsteller Michael Viewegh ist ein erbitterter Gegner des Präsidenten. In seinem kontroversen Roman "Frost kommt aus der Burg" rechnet er ab mit dem Menschen und Politiker Vaclav Klaus.
"Was hören wir in den letzten Jahren für bizarre Meinungen aus der Prager Burg. Europa ist schlecht, es gibt keinen Klimawandel und Osama Bin Laden ist eine mediale Fiktion. Wir machen uns damit zum Gespött der Welt. Alle denken wir haben einen verrückten König."
Doch es gibt auch andere Meinungen. In einer langen Schlange haben die Menschen geduldig vor einer Buchhandlung am Prager Wenzelsplatz gewartet. Jetzt endlich sind sie auf Tuchfühlung mit ihrem Idol. Vor laufenden Kameras signiert der Präsident sein neuestes Buch. Diese persönliche Unterschrift bedeute ihm viel, freut sich ein alter Mann:
"Es gefällt mir sehr, dass er die Dinge immer direkt beim Namen nennt. Seine Kritik an der Europäischen Union ist richtig. Er hat doch in allen Dingen recht behalten. Wir müssen uns mehr um unsere Unabhängigkeit kümmern."
Was ihn bei Teilen seiner Landsleute bis heute populär macht, sorgte 2009 für eine handfeste europäische Krise. Seine dauerhafte Weigerung den EU-Reformvertrag von Lissabon zu unterzeichnen, blockierte über Monate die Brüsseler Politik. Bei jeder Gelegenheit wiederholte Vaclav Klaus damals seine grundlegende Ablehnung einer tieferen europäischen Integration:
"Sollte der Lissabonvertrag in Kraft treten, stärkt er die europäischen Organe. Die Souveränität der einzelnen Mitgliedsländer wird dadurch in wichtigen Fragen beschränkt. Das darf man unter keinen Umständen akzeptieren."
Leidenschaftlich verteidigt der Präsident im In- und Ausland die Bedeutung nationaler Werte und Errungenschaften. Schon vor dem EU-Beitritt seines Landes Anfang 2004 warnt er: Tschechien werde sich im großen Europa auflösen wie ein Zuckerwürfel im Tee.
"Wir geben unsere Souveränität auf und werden Teil einer Verbindung mehrerer Staaten. Das ist eine riesige Veränderung und keine Kleinigkeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Grund zum Feiern ist."
Kontinuierlich macht Vaclav Klaus in den Folgejahren einen möglichst weiten Bogen um Brüssel. Auch in Berlin und in den meisten anderen westlichen Hauptstädten ist der tschechische Präsident nur selten zu Gast. Moskau dagegen besucht Vaclav Klaus in regelmäßigen Abständen. Das brutale Ende des Prager Frühlings und die langen Jahre der russischen Besatzung sind für Vaclav Klaus kein Hindernis für die Pflege enger bilateraler Beziehungen. Kritik am Kreml ist von der Prager Burg nur in seltenen Ausnahmefällen zu hören. Nicht nur der Politikwissenschaftler Petr Kratochvil ist deshalb überzeugt:
"Präsident Klaus teilt mit Wladimir Putin viele Werte und Prinzipien. Für beide ist etwa die Rolle des Nationalstaates in der internationalen Politik sehr wichtig. Vaclav Klaus ist auch emotional mit Russland sehr eng verbunden."
Doch nicht nur seine Sonderrolle im Verhältnis zu Moskau und sein unermüdlicher Feldzug gegen Brüssel machen Vaclav Klaus zum Außenseiter innerhalb der europäischen Staats- und Regierungschefs. Der neoliberale Wirtschaftsprofessor kämpft mit Büchern und Vorträgen auch gegen den angeblichen Mythos Klimaerwärmung:
"Ich bin fest davon überzeugt. Das Klima ist nicht bedroht, sondern die menschliche Freiheit. Das Modethema Erderwärmung führt zu einer regelrechten Hysterie."
Im Frühjahr 2011 sorgt der tschechische Präsident während eines Staatsbesuchs in Chile aus ganz anderen Gründen für weltweite Schlagzeilen. Während ihn sein Gastgeber Piñera überschwänglich begrüßt, lässt Klaus einen wertvollen Kugelschreiber in seiner Sakkotasche verschwinden. Das YouTube-Video wird im Internet millionenfach angeklickt. Der Kuli-Klauer-Klaus muss sich nach seiner Rückkehr in die Heimat öffentlich rechtfertigen:
"Das war kein Füllfederhalter, sondern nur ein Kuli. Es ist absolut üblich, dass man bei Staatsbesuchen den Stift oder einen Schreibblock mitnimmt."
Viele Tschechen sind jedoch bis heute empört über diesen peinlichen Fehltritt. Die Kuli-Klau-Affäre wird für einen wachsenden Teil der Bevölkerung zum Symbol für die fatale Außenwirkung ihres Präsidenten. Tatsächlich ist Vaclav Klaus auf internationalem Parkett zunehmend isoliert. Der Politikwissenschaftler Jiri Pehe:
"Er hat seinem Land definitiv geschadet. Immer hat er versucht, mit Kontroversen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Warum muss der Präsident eines kleinen mitteleuropäischen Landes die Erderwärmung infrage stellen - warum vertritt er so undiplomatisch ganz extreme Position in Sachen Europa."
Die Antwort ist für viele Beobachter in Tschechien klar. Vaclav Klaus stand von Beginn an im Schatten seines Amtsvorgängers Vaclav Havel. Im Unterschied zu dem Dichterpräsidenten und Dissidenten blieb dem Wirtschaftsprofessor die internationale Anerkennung stets versagt, so der Chefredakteur der Wochenzeitung "Respekt", Erik Tabery:
"Klaus wird auch im Ausland als ein großer Polarisierer wahrgenommen. Seine Staatsbesuche kann man an einer Hand abzählen. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu Vaclav Havel. Niemand will sich mit Klaus zu Verhandlungen treffen."
Doch daheim in Tschechien kommt keine Regierung in den zehn Jahren seiner Amtszeit an dem Präsidenten vorbei. Regelmäßig mischt sich Vaclav Klaus aktiv in die Tagespolitik ein. Mit seinem Veto blockiert er wichtige Gesetze und sorgt damit immer wieder für heftige innenpolitische Turbulenzen. Auch hinter den Kulissen zieht er die Fäden in Prag:
"Vaclav Klaus hat fast immer gegen die Regierung gekämpft. Das war hart an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit. Er hat starken Druck ausgeübt und einmal sogar die Regierung damit zu Fall gebracht. Er hat seine Kompetenzen deutlich überschritten."
Auch in den letzten Monaten seiner Amtszeit blieb Vaclav Klaus ein Stachel im Fleisch der Regierung. Sein Einspruch gegen zentrale Reformgesetze brachte die Mitte-rechts-Koalition an den Rand des Scheiterns. Vor allem die pro-europäische Politik von Außenminister Karel Schwarzenberg ist dem Prager Burgherrn ein Dorn im Auge:
"Es ist unsere Pflicht, dass wir diese Tendenzen nicht nur stillschweigend ablehnen, sondern dass wir lauter und deutlicher als bislang unsere Traditionen und die geistig-moralischen Werte unserer Nation verteidigen. Wir sollten immer unseren eigenen Weg gehen und wissen, was unseren Nationalinteressen entspricht."
Mit dieser scharfen Rhetorik wird Vaclav Klaus zum Sprachrohr für die ohnehin latente Europaskepsis vieler Tschechen. Im Verlauf der Wirtschafts- und Finanzkrise wächst die Abneigung gegenüber supranationalen Institutionen. Schon vor der Eurokrise habe sich der Präsident getraut auf die Kehrseiten des europäischen Integrationsprozesses hinzuweisen, meint der Journalist Daniel Kaiser von der Tageszeitung "Lidove Noviny":
"Jetzt zeigt sich, dass die EU ganz offensichtlich schwere Mängel hat. Die politische Elite auch in Deutschland hat doch das Ganze viel zu lange unkritisch befürwortet. Klaus hat dagegen die Schwachpunkte sehr offen angesprochen. Die öffentliche Debatte ist dadurch viel freier geworden."
Doch nicht nur mit Blick auf Brüssel ist das Ende der zehnjährigen Klaus-Ära eine politische Zäsur. Auch innerhalb des eigenen Landes erhoffen sich viele Tschechen durch die erste Direktwahl des Präsidenten eine demokratische Blutauffrischung. Bisher wurde das Staatsoberhaupt unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch beide Kammern des Parlamentes bestimmt. Vor fünf Jahren bei der Wiederwahl von Vaclav Klaus gab es wochenlange Mauscheleien und Gerüchte über gekaufte Stimmen. Eine Wiederholung dieser Hinterzimmerpolitik sei nun ausgeschlossen, meint der Politikwissenschaftler Lukas Jelinek:
"Die Wahl des Präsidenten durch das Volk wird helfen, das Vertrauen in unsere politischen Institutionen zu stärken. Viele Tschechen sind von der Politik tief enttäuscht. Die Möglichkeit erstmals direkt an dieser wichtigen politischen Entscheidung teilzunehmen, ist deshalb gut für die Demokratie in unserem Land."
Allerdings gibt es auch warnende Stimmen. Ein direkt gewählter Präsident werde noch selbstbewusster in der Öffentlichkeit auftreten. Schon der Präsident der ersten Republik, Tomas Masaryk, sei von der Bevölkerung wie ein König verehrt worden. Traditionell gelte der Präsident auch heute noch als eine politisch-moralische Instanz, die über dem Parteienstreit schwebt.
Doch trotz des anhaltenden Vertrauensverlustes in Parlament und Regierung werde auch die Direktwahl nicht zu einem Präsidialsystem in Tschechien führen, meint Jiri Pehe:
"Tschechien hat nun die Chance, die postrevolutionäre Phase zu überwinden. Havel und Klaus hatten beide ihre Verdienste in der Zeit vor und nach 1989. Diese Ära ist nun zu Ende. Der neue Präsident wird deshalb nicht mehr dieselbe Autorität haben wie seine Vorgänger."
Pauken und Trompeten für die neun Kandidaten. Der Auftakt für eine Podiumsdiskussion in einer alternativen Kulturfabrik am Prager Stadtrand. Ein junges Publikum ist gekommen, um die Bewerber persönlich in Augenschein zu nehmen.
"Das ist total aufregend - zum ersten Mal können wir unseren Präsidenten wählen. Das ist schon eine historische Angelegenheit. Der Präsident soll alle Tschechen repräsentieren und deshalb ist es richtig, dass nun die Bürger direkt gefragt werden."
Auch Außenminister Karel Schwarzenberg stellt sich der Debatte. Der adelige Politiker ist einer von drei Kandidaten, die direkt von ihren Parteien in das Rennen um die Prager Burg geschickt werden. Als ehemaliger Kanzleichef von Vaclav Havel will der Fürst das politische Erbe des verstorbenen Bürgerpräsidenten antreten:
"Der Präsident sollte sich nicht in die Alltagspolitik einmischen. Seine Aufgabe ist vielmehr die Wahrung von Freiheit und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Das sind demokratische Werte, für die es sich lohnt jeden Tag zu kämpfen."
Doch trotz seiner imposanten Biografie und seines großen internationalen Renommees wird der Traum des 75-Jährigen von einem würdigen Platz in den Annalen der Schwarzenbergs kaum in Erfüllung gehen. Seine Popularität ist durch den harten Sparkurs der Mitte-rechts-Regierung deutlich gesunken. Die regelmäßigen Bilder eines im Parlament sanft schlummernden Außenministers lassen viele Tschechen zusätzlich an seiner Eignung für das höchste Staatsamt zweifeln.
"Hallo Jungens - für mich den Schweinebraten und natürlich ein Bier."
Milos Zeman mischt sich gerne in den Kneipen unter die Menschen. Spielend leicht erreicht der ehemalige Ministerpräsident die notwendige Zahl von 50.000 Unterschriften für seine Kandidatur. Hemdsärmlig präsentiert er seine politischen Vorstellungen:
"In der tschechischen Politik gibt es nur Amateure. Ich werde dafür sorgen, dass die Politiker endlich miteinander reden und ihre Entscheidungen dann auch durchziehen. Die Wähler werden merken - die anderen Kandidaten sind noch schlimmer als ich selbst."
Die Selbstironie und seine Volksnähe kommen an bei vielen Tschechen, vor allem auf dem Land. Bis zum Prager Frühling war er Mitglied der Kommunistischen Partei - nach der Revolution 89 lange Jahre ein sozialdemokratischer Spitzenpolitiker. Als Regierungschef vereinbarte er 1998 mit dem damaligen Oppositionsführer Vaclav Klaus ein politisches Stillhalteabkommen. Für seine Kritiker begann damit eine dunkle Zeit hemmungsloser Korruption. Der 68-Jährige wird vom Amtsinhaber Vaclav Klaus offen als sein geeigneter Nachfolger empfohlen.
Selbst in seinen Wahlkampfspots bleibt Jan Fischer ein nüchterner Zahlenakrobat. Die meiste Zeit seines Berufslebens hat der Wirtschaftswissenschaftler als Direktor des Statistikamtes verbracht. Als Mitte 2009 die Regierung Topolanek an internen Streitigkeiten zerbricht, wird er für wenige Monate Chef einer Beamtenregierung. Unaufgeregt steuert der parteilose Ministerpräsident sein Land durch die Zeit der EU-Ratspräsidentschaft.
"Die sehr angespannte und nervöse Situation in unserem Land muss sich wieder beruhigen. Als unabhängiger Kandidat will ich das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder herstellen. Der Präsident muss versöhnen und nicht spalten. Wir brauchen Anständigkeit und eine gewisse Noblesse in der Politik."
Trotz seiner kommunistischen Vergangenheit liegt Jan Fischer in den Umfragen konstant auf Platz eins vor dem Politik-Veteranen Milos Zeman. Dieser Zweikampf dürfte wohl erst in der Stichwahl zwei Wochen nach der ersten Runde entschieden werden.
Für die meisten Schlagzeilen sorgt jedoch ein ganz anderer Kandidat: Professor Vladimir Franz ist der bunteste Bewerber für das Amt des tschechischen Staatspräsidenten. Von Kopf bis Fuß ist der Komponist schwarz-blau tätowiert. Vor allem für die junge Generation ist der exzentrische Künstler die einzig echte Alternative zur etablierten Politik.
"Von den jungen Menschen, mit denen ich täglich arbeite, weiß ich, wie sehr sie sich nach politischen Idealen und gesellschaftlichen Werten sehnen. Der Geist der Samtenen Revolution muss deshalb wiederbelebt werden. Dafür will ich Präsident werden - für alle, die im Geist jung geblieben sind."
Tatsächlich könnte der promovierte Jurist in der ersten Wahlrunde durchaus für Überraschungen sorgen. Hinter den beiden Favoriten Fischer und Zeman belegt er in den Meinungsumfragen regelmäßig vordere Plätze. Punk, Schlumpf und Avatar - diese Schmähungen seiner politischen Gegner nimmt er deshalb gelassen.
"Zivilisierte Menschen tolerieren meine Andersartigkeit. Nur wer totalitär denkt und intellektuell im Gefängnis hockt, empört sich über meine Visage. Mein Aussehen ist im 21. Jahrhundert ein Vorteil und keinesfalls ein Handicap."
Auch wenn die erste direkte Präsidentschaftswahl durch einen juristischen Streit um die Zulässigkeit der Kandidatenaufstellung bis zur letzten Minute wackelte, blicken die meisten Tschechen mit großen Erwartungen auf das Wahlwochenende. Das Ende der Ära von Vaclav Klaus wird das politische Klima grundlegend verändern. Seine negativen Begleitkommentare und bitter-ironischen Randbemerkungen zu fast allen Dingen der Welt prägten in den letzten Jahren die gesellschaftliche Stimmung in Tschechien.
Das Land hat nun die Chance sich von diesem Mehltau zu befreien. Auch für Brüssel dürfte nach zehn Jahren der Umgang mit Prag künftig einfacher werden, meint nicht nur der Politikwissenschaftler Jiri Pehe.
"Die größte Veränderung nach der Wahl wird sicher eine pro-europäische Politik sein. Jeder einzelne Kandidat ist gegenüber der Europäischen Union positiver eingestellt als der amtierende Präsident. Niemand wird mehr Brüssel Knüppel zwischen die Beine werfen."
Tatsächlich haben acht von neun Kandidaten angekündigt: Nach der Wahl wird auf der Prager Burg die Europafahne wieder selbstverständlich neben der tschechischen Flagge wehen.