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Das Ende der ETA (3/5)
Polizisten in ständiger Angst

Auf die Knie, nach Bomben suchen, dann erst den Wagen starten: Für die Polizisten der Guardia Civil im Baskenland war das lange Alltag. Mehr als 200 Polizisten starben durch Anschläge der ETA im Laufe der Jahre. Der baskische Terrorismus ist nicht mehr aktiv - doch die Erinnerung daran bleibt wach.

Von Hans-Günter Kellner | 24.05.2018
    Zwei Angehörige der Guardia Civil am Explosionsort einer Autobombe im baskischen Durango 2007. Der Anschlag auf die spanische Polizeieinheit wurde der ETA zugeschrieben
    Zwei Angehörige der Guardia Civil am Explosionsort einer Autobombe im baskischen Durango 2007. Der Anschlag auf die spanische Polizeieinheit wurde der ETA zugeschrieben (AFP/ Rafa Rivas)
    Der Sommer ist heiß. Trotzdem drehen die Jogger am Abend im Madrider Retiro-Park ihre Runden. Jugendliche liegen auf der Wiese des großen Innenstadtparks. Pedro ist auf der Rückreise vom Urlaub an der spanischen Mittelmeerküste in die baskische Provinz Guipúzcoa bei San Sebastián. Der Zwischenstopp in Madrid kommt ihm gelegen. Als Polizist bei der Guardia Civil untersteht er dem Militärrecht. Und das macht nicht nur Gespräche mit Journalisten schwer und brisant:
    "Wenn Du in einem Fußballspiel mit einem Vorgesetzten diskutierst, wegen irgendeiner Spielsituation, kann das im Militärgefängnis enden. Das ist doch wahnsinnig. Das hat ja nichts mit der Arbeit zu tun. Du treibst Sport, es geht etwas hitzig zu und Dir entwischt irgendein Blödsinn. Wegen so etwas landest Du im Militärgefängnis. Du bist 24 Stunden am Tag Guardia-Civil-Beamter."
    "Von dieser Routine hing Dein Leben ab"
    Auch dieses Interview will gut geplant sein. Ein Treffen am Strandboulevard von San Sebastián, wo er gesehen werden könnte, verbietet sich. Hier im Park, in Madrid, geht es schon eher. Die Erinnerung ist wach an eine Zeit, die so lange gar nicht zurück liegt: Vor der definitiven Waffenruhe der ETA 2011 wäre ein solches Gespräch im Baskenland lebensgefährlich gewesen:
    "Jetzt ist der baskische Terrorismus ja nicht mehr aktiv. Aber lange Zeit war es etwas anderes, in der Extremadura Dienst zu haben oder im Baskenland. Wenn wir von der Arbeit nach Hause fuhren, mussten wir immer erstmal auf die Knie, unter das Auto schauen, ob da eine Haftbombe angebracht ist. Im Alltag mussten wir uns ständig um schauen, ob uns jemand folgt. Nicht, dass uns jemand in den Kopf schießt. Wenn Du im Baskenland stationierst warst, musstest Du Dich an solche Dinge halten. Von dieser Routine hing Dein Leben ab."
    "Die Basken kochen besser als die restlichen Spanier"
    Er wurde Polizist, weil sein Vater es auch war. Seit 30 Jahren ist er im Baskenland stationiert, er will dort auch nicht mehr weg. Er fühlt sich oben im Norden zu Hause, hat Freunde gefunden, dort im spanisch-französischen Grenzgebiet. Hat sogar Einlass in eine gastronomische Gesellschaft gefunden. Diese Kochklubs nehmen längst nicht jeden auf:
    "Die Basken kochen deutlich besser als die restlichen Spanier. Du bringst da Deine Lebensmittel mit, kochst und isst. Das einzige, was du zahlst, sind die Getränke und eine Gebühr für die Reinigung. Fast alle sind ein bisschen chauvinistisch, Frauen dürfen dort nämlich nur speisen. Die Männer kochen und decken den Tisch. Wir singen dort auch oder sehen uns Fußballspiele an. Wir kochen gern. Das ist fast wie ein Gottesdienst, der da zelebriert wird."
    Männer in einem Kochclub in San Sebastian, Spanien
    Männer in einem Kochclub im spanischen San Sebastian ( imago / Christian Thiel)
    Foltervorwürfe gegen die Guardia Civil
    Solche Kontakte mit baskischen Freunden waren lange Zeit nicht selbstverständlich. Die Guardia-Civil-Beamten lebten in Kasernen, wurden von vielen als Instrument der Repression, der Unterdrückung wahrgenommen. Bei Verhören sollen Festgenommene systematisch gefoltert worden sein. Pedro neigt nachdenklich den Kopf:
    "Na ja, es gab Fälle, in denen gefoltert worden ist. Aber die Verantwortlichen wurden verurteilt. Diese Fälle stammen ja aus den 1980er-Jahren und haben die ETA sogar gestärkt, weil sie so ihren Terror rechtfertigen konnte. Als wir weniger mit Stärke und mehr mit Geheimdienstmethoden gearbeitet haben, mit verdeckten Ermittlern, mit langen Observierungen Verdächtiger, begann ihr Niedergang. Wir gingen intelligenter gegen sie vor, wurden besser ausgestattet und geschult. Und die Bevölkerung distanzierte sich von ihr! Die ETA wurde gleichsam aus dem System geworfen."
    Terror und Gegenterror
    Doch davor gab es eben die Zeit, als auch der spanische Staat der baskischen Terrororganisation mit Gegenterror antwortete, in Frankreich untergetauchte, mutmaßliche ETA-Mitglieder entführte und ermordete. Das war die Zeit der sogenannten "Antiterroristischen Befreiungsgruppen", abgekürzt GAL. Die Guardia Civil war daran beteiligt, der Chef der Polizeieinheit in San Sebastián wurde dafür zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
    "Damit haben wir uns auf deren Niveau begeben. Das darf nie passieren. Wir repräsentieren den Rechtsstaat. In einer Demokratie kannst Du nicht gleichzeitig Polizist, Richter und Henker sein. Das ist Faschismus. Man darf sie nicht mit ihren Mitteln bekämpfen. Das hat uns sehr geschadet. Die Bevölkerung, die vielleicht auf unserer Seite stand, war damit plötzlich gegen uns."
    Passanten laufen in San Sebastian im Baskenland an einer Wand vorbei, auf die die Worte "Polizei" und "Mörder" gesprüht wurden
    Die Worte "Polizei" und "Mörder" stehen in San Sebastian an einer Wand (Bild aus dem Jahr 2004): Die spanische Polizei im Baskenland wurde von vielen als Instrument der Repression wahrgenommen (AFP/ Michel Gangne)
    "Wir haben uns an das Baskenland gewöhnt"
    Doch ganz ist der Korpsgeist der paramilitärischen Polizeieinheit nicht aus ihm heraus. Kollegen, die einen mutmaßlichen Terroristen hart rannehmen, hätte er nicht verraten: "Das war der Feind, die wollten uns ja töten." Doch das ist schon lange her, sagt Pedro und steht auf. Er freut sich auf zu Hause, auf die Freunde, auf die langen Wanderungen mit seinen Söhnen durch die baskischen Berge - und auch auf die Arbeit.
    "Mir und meiner Familie gefällt es dort. Meine Söhne sind dort geboren. Einer spricht fließend Baskisch. Der andere auch, aber er verwendet es nicht so oft. Wir haben uns an das Baskenland gewöhnt, wir fühlen uns dort wohl."