Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Das Ende der ETA (4/5)
Der Tag, an dem Pilis Bruder verschwand

Die baskische Terrorgruppe ETA hat ihre Auflösung bekanntgegeben. Ihre Anschläge haben Spanien jahrzehntelang belastet. Doch es gab auch die staatlich gelenkte Gegengewalt, die "Antiterroristische Befreiungsgruppe GAL". Ihr wird auch der Tod von Pili Zabalas Bruder zugeschrieben.

Von Hans-Günter Kellner | 25.05.2018
    Pili Zabala, Schwester des ETA-Mitglieds 'Joxi' Zabala, kandidierte bei den baskischen Regionalwahlen 2016 für die Partei Podemos. Ihr Bruder wurde 1983 mutmaßlich von den "Antiterroristischen Befreiungsgruppen GAL" gefoltert und getötet.
    "Es müssen noch viele offene Fragen beantwortet werden", sagt Pili Zabala, Schwester des ermordeten ETA-Mitglieds José Ignacio (Joxi) Zabala (Imago)
    Es ist schwül an der Atlantikküste. Pili Zabala stellt eine Karaffe mit Wasser und zwei Gläser auf den Tisch ihrer Terrasse. Die malerische, grüne Landschaft hier bildet einen harten Kontrast zu Pilis Geschichte:
    "Im Alter von 21 Jahren, am 16. Oktober 1983, ließen sie meinen Bruder verschwinden. Er war ein sympathischer Bursche mit einem großen Sinn für Gerechtigkeit. Man darf ja nicht vergessen, 1975 war Diktator Franco gestorben, die Jahre der Demokratisierung Spaniens waren sehr konfliktreich."
    Der Fall Lasa und Zabala
    Pilis Bruder José Ignacio war eng befreundet mit dem Jungen vom Bauernhof in Tolosa, José Antonio Lasa. Sie gingen 1981 zusammen zur ETA, überzeugt, der spanischen Polizei die Stirn bieten zu müssen. Doch ausgerechnet in ihrer Heimatstadt wollten sie eine Sparkasse überfallen und wurden erkannt. Sofort flohen sie über die Grenze. Frankreich gewährte den Mitgliedern der ETA damals noch Asyl. Doch die spanischen Sicherheitsbehörden begannen, auf den Terror mit Gegenterror zu antworten:
    "Zwei Mitglieder des Komitees der baskischen Flüchtlinge besuchten uns und berichteten, dass José Antonio und José Ignacio seit mehreren Nächten nicht zu Hause geschlafen haben. Dass ihr Auto aufgefunden wurde, aufgebrochen, mit der Jacke meines Bruders und einem Haarbüschel auf dem Fahrersitz. Dass dieses Verschwinden nicht freiwillig war."
    Der spanische Regisseur Pablo Malo vor einem Plakat seines Films "Lasa und Zabala"
    Regisseur Pablo Malo verfilmte 2014 den Fall "Lasa und Zabala", mutmaßlich die erste Aktion der "Antiterroristischen Befreiungsgruppen GAL" gegen ETA-Mitglieder im Jahr 1983. Jose Antonio Lasa und José (Joxi) Ignacio Zabala wurden entführt, gefoltert und getötet (AFP/ Iroz Gaizka)
    "Die Verbände deuteten auf schlimme Folter hin"
    Sie war damals 15 Jahre alt, erinnert sich noch heute die kleine und zierliche Pilar und nimmt einen Schluck aus ihrem Glas. 1985 fand ein Jäger die beiden Leichen in der Nähe von Alicante. Gerichtsmediziner konnten Folterspuren nachweisen, aber die Identität der Toten nicht klären. Zehn Jahre später brachte ein Polizeibeamter die Gebeine mit dem Verschwinden der jungen Basken in Verbindung. Pili hatte inzwischen Zahnmedizin studiert. Sie kannte die Unterlagen des Zahnarztes ihres Bruders und sah sofort, dass einer der beiden Toten José Ignacio war:
    "Für mich war traumatischer, die Wundverbände an den Knochen zu sehen, als seinen Kiefer. Vielleicht, weil ich mit der Anatomie keine Probleme habe. Die Untersuchung des Kiefers war wie ein herbeigesehntes Treffen. Die Verbände trafen mich hingegen sehr. Sie deuteten auf schlimme Folter hin. Die Wunden selbst sahen wir ja nicht, es waren nur noch die Knochen übrig."
    Pili geht zum Bücherregal. "Das ist das Buch", sagt sie und streicht über den Titel. Der Schriftsteller Harkaitz Cano hat einen dokumentarischen Roman über den Fall geschrieben.
    "Er hat die Namen geändert. Ich habe das Buch meinen Brüdern geschenkt, aber keiner von beiden hat es gelesen."
    Das Begräbnis wurde zur Tortur für die Familie
    Außer ihr hat auch niemand in der Familie den gerichtsmedizinischen Bericht gelesen. Die Einzelheiten der Folter seien der 87-jährigen Mutter nicht zuzumuten, meint Pili. Zu einer Tortur wurde auch das Begräbnis. ETA-Sympathisanten wollten die Toten als Märtyrer bestatten, die baskische Polizei sollte eine solche Inszenierung verhindern:
    "Eine Bestattung ist etwas Intimes. Wir aber waren umringt von Polizisten. Sie behandelten uns wie Straftäter, während wir nur den misshandelten Körper unseres Bruders bestatten wollten, der uns zwölf Jahre lang vorenthalten wurde. Das war schon schlimm genug. Und dann knüppelte die Polizei plötzlich völlig sinnlos auf uns Angehörige ein."
    Die Trauernden wollten die Särge öffnen, rechtfertigte die Polizei das Vorgehen, Pili verneint das. Die Ereignisse hätten sie verändert, sagt sie, ihre Fröhlichkeit sei verschwunden. Die der ETA nahestehenden Linksnationalisten seien die einzigen gewesen, die ihnen zur Seite standen, aber auf diese Unterstützung wollte sie lieber verzichten:
    "Die Toten gehören niemandem. Und wenn, dann gehören sie ihren Familien, nicht dem Volk. Mein Bruder ist Opfer von Straftätern mit sehr grausamen Vorstellungen von Vaterland geworden, die mir überhaupt nicht gefallen. Aber die Vorstellungen der ETA von Vaterland gefallen mir auch nicht. Mein Bruder war ein Mensch, ich liebte ihn. Immer wird versucht, aus den Toten Helden zu machen, aber das sind sie nicht."
    "Sie erkennen ihre Schuld nicht an"
    Spanien erkennt nur die Angehörigen der Opfer der ETA als Terroropfer an, nicht jene der Staatsgewalt, beklagt sich Pilar Zabala. Geradeso als habe es die Morde durch die "Antiterroristische Befreiungsgruppe GAL" nie gegeben:
    "Das ist sehr schwerwiegend. Sie haben uns nicht nur unermessliches Leid zugefügt, sie erkennen zudem auch ihre Schuld nicht an. So wie mir, geht es vielen. Wir müssen alle Opfer anerkennen. Ich bin mir sicher, dass viele Täter ihre Taten bereuen, die sie im Rahmen des Staatsterrorismus begangen haben. Es müssen noch viele offene Fragen beantwortet werden, um diese Erzählung zu vervollständigen. Damit sich das alles nicht wiederholt."