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Das Ende der Hauptschulen

Statt Haupt- und Realschulen soll es in NRW künftig Sekundarschulen geben. Die alte Schulform soll aber daneben vorerst bestehen bleiben – so es die Anmeldezahlen zulassen. Bei der Alfred Hitz-Hauptschule in Duisburg-Rheinhausen war das Aus schon vor dem Schulkonsens beschlossene Sache.

Von Andrea Groß | 06.04.2012
    Das Läuten zur großen Pause. Lange wird es diesen Klang in dem 1920er-Jahre-Backsteinbau nicht mehr geben. Claudia Ernst, eine von den noch 19 Lehrerinnen und Lehrern der Alfred Hitz-Schule fällt es schwer, sich mit dem Ende einer ganzen Schulform abzufinden. Was, so fragt sie sich, wird aus den Kindern.

    "Wer soll das auffangen. Das ist immer die Frage. Kann eine Gesamtschule oder die Sekundarschule, die ja neu gegründet werden soll, kann die das leisten?"

    Claudia Ernst denkt dabei besonders an die beiden Vorklassen der Alfred Hitz-Schule. Sie sind eingerichtet worden für Schüler, die erst kurze Zeit in Deutschland sind. Viele kommen aus Rumänien oder Bulgarien, die wenigsten sprechen Deutsch, einige können weder lesen noch schreiben. Sie werden, das befürchtet die Deutsch- und Sportlehrerin, mit dem Sterben der Hauptschule auf der Strecke bleiben, genauso wie die Schulverweigerer. Auch ihren eigenen Berufsweg hat sie sich anders vorgestellt. Als Beamtin werde man sicher ein anderes Plätzchen für sie finden, wenn ihre Schule schließt, sagt sie. Sie hätte allerdings gerne eines mit einer längerfristigen Perspektive.

    "Man hat uns mitgeteilt, dass, solange es Hauptschulen gibt, wir auch an Hauptschulen bleiben werden. Das heißt, wir werden weitergereicht. Bis zur nächsten Hauptschule, die sterben wird. Ich selbst hatte ein Versetzungsantrag gestellt, der ist abgelehnt worden, eben mit der Begründung: Es ist noch zu viel Bedarf da."

    Claudia Ernst wollte zu einer anderen Schulform wechseln, um konstruktiv arbeiten zu können, anstatt Dinge abzuwickeln. Aber daraus wird nun nichts.
    Simone Kaiser-Gülicher hat am Vormittag Schüler ihrer Klasse an ihren Praktikumsplätzen besucht. Einige, so erzählt sie, hätten sich beklagt, dass die Praktika so lange dauern und sie erst wieder nach den Osterferien in die Schule dürften, sie würden sie vermissen. Das sei, sagt die Mathematik- und Sportlehrerin, der Vorteil einer kleinen Schule. Auch sie selbst schätzt die familiäre Atmosphäre, die im Lehrerzimmer und auf dem Pausenhof herrscht.

    "Wenn man mit irgendwelchem großen Paket hier in die Schule kommt, man kommt ins Lehrerzimmer, man kommt in die eigene Klasse – man wird aufgefangen und es löst sich alles."

    An einer Gesamt- oder Sekundarschule, befürchtet Simone Kaiser-Gülicher, wird alles größer und anonymer sein: die Klassen und das Kollegium. Dass ihre Schule schließen wird, blendet sie bis heute gerne aus. Eine konkrete Vorstellung, wo sie im übernächsten Schuljahr arbeiten wird, hat sie noch nicht.

    "Ich möchte auf jeden Fall hier in diesem Stadtteil bleiben. Ich möchte in Rheinhausen bleiben. Ich mache viele außerschulische Projekte und bin hier gut verwurzelt mit verschiedenen Institutionen, mit verschiedenen Vereinen und möchte das eben auch in andere Schulen hier auf dieser Rheinseite dann integrieren können."

    Barbara Laakmann leitet die Alfred Hitz-Schule seit über 20 Jahren. Die Anmeldezahlen lagen in vielen Jahren an den Stichtagen unterhalb des geforderten Minimums. Deshalb war sie sich auch im Sommer 2009 sicher: bis zum Beginn des Schuljahres kommen noch genug zusammen. Aber das Schulamt spielte nicht mit. Barbara Laakmann hat gekämpft – und musste doch am Ende den Eltern mitteilen, dass sie ihre Kinder woanders anmelden sollen.

    "Da habe ich sehr lange für gebraucht, diesen Brief zu schreiben und den dann auch umzusetzen. Das war so ein Akt, der ist mir sehr schwer gefallen. Das materialisierte so diese ganze Enttäuschung darüber, dass das jetzt zu Ende ist."

    Nach und nach hat die Enttäuschung der Resignation Platz gemacht. Selbst wenn die Schulbehörde damals anders reagiert hätte, sagt Barbara Laakmann – die Anmeldezahlen wären nicht besser geworden und irgendwann hätte die Behörde diese Entscheidung treffen müssen.

    "Die Abstimmung mit den Füßen, die demografische Entwicklung ist einfach so, wie sie ist. Völlig egal, wie wir das finden, was wir für eine Arbeit machen und wie unsere Schule angesehen ist. Das spielt da keine große Rolle."

    Die Abstimmung mit den Füßen begreift Barbara Laakmann nicht als persönliches Scheitern. Oft, wenn sie ihre Schule zusammen mit Gymnasien und Realschulen an Grundschulen vorgestellt hat, kamen hinterher Eltern zu ihr und sagten, dass ihre Präsentation die beste gewesen sei. Trotzdem, hat sie dann entgegnet, werden sie vermutlich eine andere Schulform für ihr Kind vorziehen.
    Barbara Laakmann leitet ein vergleichsweise junges Lehrerkollegium. Die Gesamtschulen in der Gegend, erzählt sie, haben schon Interesse an dem einen Kollegen oder der anderen Kollegin geäußert. Sorgen um die berufliche Zukunft brauche sich also keiner zu machen.

    "Es wird ein, zwei geben, die ganz irgendwo anders hingehen. Jetzt die Chance nutzen, alte Vorstellungen zu verwirklichen. Wir haben drei Kolleginnen, die eine Lehrbefähigung auch für die S2 haben. Die also ans Gymnasium gehen könnten, wenn dort entsprechend Stellen ausgeschrieben würden."

    Der Lieblingswunsch der Schulleiterin ist es, dass eine größere Gruppe komplett an eine neue Sekundarschule wechselt. Sie selbst wird 63 Jahre alt sein, wenn ihre Schule dichtmacht. Und dann in den Ruhestand gehen.

    "Dann noch mal für zwei oder zweieinhalb Jahre woanders als Schulleiterin anzufangen, ist eigentlich nicht redlich, weil man da schon eine längere Perspektive braucht. Ich könnte auch als Lehrerin arbeiten, aber das möchte ich dem Schulleiter nicht zumuten."