Christoph Heinemann: Wenn man auf Griechisch kurz "ja" sagen möchte, dann sagt man kurz "ne". Das ist in Teilen Deutschlands wiederum die Kurzform für "nein". Aber daran lag das dann wohl nicht, dass in den vergangenen Tagen oder dass die vergangenen Tage in Athen als heilloses Durcheinander in die europäische Geschichtsschreibung eingehen werden. Die griechische Sprache hat uns den Begriff "Chaos" geschenkt; das Gegengift lautet "Kosmos", das Wort für die Weltordnung. Und um im Bilde zu bleiben, entscheidet sich voraussichtlich heute Nacht, welcher Kosmonaut Griechenland künftig steuern wird. Giorgos Papandreou wird die Vertrauensfrage stellen, aber inzwischen misstrauen selbst einige Parteifreunde dem Regierungschef von der sozialistischen Pasok.
Beim Gruppenbild steht Barack Obama zwar in der ersten Reihe, aber die Aufmerksamkeit der Fotografen und Korrespondenten gilt in diesen Tagen wohl eher Nicolas Sarkozy und Angela Merkel beim Treffen der 20 wirtschaftlich wichtigsten Industrie- und Schwellenländer im südfranzösischen Cannes. Die Schulden-, Banken-, Eurokrise, sie beherrscht das Rendezvous.
Am Telefon ist Professor Norbert Walter, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, inzwischen Chef der Beratungsfirma Walter & Töchter Consult. Guten Tag!
Norbert Walter: Ja guten Tag.
Heinemann: Professor Walter, was erwarten Sie? Werden die Griechen ihre Rechnungen in Zukunft mit Euro oder mit Drachmen bezahlen?
Walter: Ich glaube, sie werden sie mit Euro bezahlen. Ich glaube, das liegt im Interesse der Griechen und das liegt im Interesse Europas. Aber es ist vollkommen klar: nach den Rumpeleien, nach den Schwierigkeiten der letzten Wochen und insbesondere der letzten Tage wird der Prozess, das zu stabilisieren und das in trockene Tücher zu bekommen, uns alle noch schmerzhaft beschäftigen, weitere Monate.
Heinemann: Wenn Sie die G20 oder die Euroländerchefs beraten sollten, was muss in Cannes unbedingt beschlossen werden, um aus der Krise zu gelangen und künftige Schieflagen zu verhindern?
Walter: Das ist nicht einfach, weil es sind nicht nur verwirrte Politiker. In meinem Urteil gibt es auch verwirrte Finanzmärkte. Ich bin sehr verblüfft über die Art, wie man beispielsweise jetzt Italien herauspickt und attackiert und mit hohen Risikoprämien die Refinanzierung für dieses Land brutal verteuert hat, während man Länder mit ähnlicher Staatsverschuldung und mit viel größerer privater Verschuldung wie beispielsweise die USA weiterhin mit Krediten für unter zwei Prozent bedient. Ich bin bedient mit solchen Kapitalmärkten und insofern ist es, glaube ich, sachgerecht, dass Europa in diesem Fall ein Land, das im Verlauf der letzten Jahre relativ solide Finanzpolitik gemacht hat, Italien, dass man das in dieser Situation auch schützt. Dazu braucht man aber natürlich Solidarität unter den europäischen Ländern und man braucht die Bereitschaft, auch eine Zeit lang gegen die Märkte zu intervenieren. Ich bewundere beispielsweise die Schweizer, die gesagt haben, die Aufwertung Schweizer Franken ist jetzt wirklich zu weit gegangen und wir intervenieren bei 120, bei einem Euro zwanzig für den Schweizer Franken. Das war eine richtige Maßnahme. Wir brauchen also entschlossene Politiker, die auch den Finanzmärkten die rote Karte zeigen.
Heinemann: Welche Rolle sollte dabei die EZB, die Europäische Zentralbank spielen? Sollte sie zum Beispiel weitere Staatsanleihen aufkaufen?
Walter: Da bin ich skeptisch. Es wäre mir sehr viel sympathischer, wir hätten in der Tat einen vernünftig gehebelten EFSF, der dann eben mit der Legitimation durch politische Instanzen, durch Regierungen und Parlamente, die Mittel, die man zur Verfügung stellt, verantwortet. Ich befürchte, dass man dabei nicht genügend gut vorankommt und dass es am Ende wohl so sein wird, dass die Europäische Zentralbank wie schon in den vergangenen Monaten und übrigens, wie das auch in den USA und in Japan passiert, durch die Zentralbank diese Maßnahmen ergreift. Das ist nicht sachgerecht, denn Sache der Zentralbank ist es, Liquidität zur Verfügung zu stellen und die Preisstabilität zu sichern, und Solvenzfragen, die Frage also der Rettung von Ländern, die in Schwierigkeiten sind, das ist Sache von Parlamenten und von Regierungen.
Heinemann: Stichwort "Liquidität zur Verfügung stellen". Mario Draghi hat gestern seine Visitenkarte abgegeben. Am dritten Arbeitstag hat der neue Chef der Europäischen Zentralbank den Leitzins gesenkt, 1,25 Prozent jetzt. Hat Sie diese Entscheidung überrascht?
Walter: Ja! Ich habe sie nicht so früh erwartet, ich habe sie erwartet, sie ist begründbar, sie ist angesichts der Rezessionsgefahren und der damit verbundenen Stabilisierung der Preisniveaus vertretbar. Aber ich bin sehr überrascht, dass er im Grunde die erste Gelegenheit wahrgenommen hat und nicht noch eine Weile zuwartete und die Analyse, wie die Situation einzuschätzen ist, etwas sorgfältiger vorgenommen hat.
Heinemann: Schreibt man Leitzins künftig mit "D"? Oder anders gefragt: Kostet uns diese Entscheidung mehr Inflation?
Walter: Ich glaube nicht, dass es zur Inflation kommt, aber ich bin in Sorge, dass wir mit diesem zu billigen Geld, das es in Japan, in den USA, in Europa jetzt gibt, wiederum Blasen bei Asset-Preisen, also beispielsweise bei Immobilien oder bei Aktien produziert, die dann hinterher mit großen Schmerzen korrigiert werden müssen. Das Geld ist zu billig für die Refinanzierung von Banken und die eigentlichen wichtigen Dinge werden auf diese Weise nicht gemacht. Man refinanziert Dinge wie beispielsweise Staatsdefizite, die man nicht verantworten kann.
Heinemann: Professor Walter, Ihr Kollege Martin Lück, Chefvolkswirt der UBS-Bank, hat die künftige Zins- und Haushaltspolitik der Eurozone gestern folgendermaßen zusammengefasst:
Martin Lück: "In der Tat kann man es vielleicht so zusammenfassen, dass die Geldpolitik vermutlich in der näheren Zukunft eher südländischer wird, das heißt eher etwas inflationsgeneigter, während die Fiskalpolitik, also die Finanzpolitik der Staaten, eher deutscher wird, eher stabilitätsorientiert."
Heinemann: Sehen Sie auch diese Arbeitsteilung?
Walter: Ich würde die Beschreibung der Finanzpolitik für sachgerecht halten, ich würde aber das, was der Kollege zur Geldpolitik sagte, nicht so einschätzen. Wir werden keine Politik bekommen, die höhere Inflationsraten zulässt, und ich glaube, dass das nicht nur für die Europäische Zentralbank gilt, sondern dass das auch für die englische oder für die japanische Zentralbank gilt. Ich glaube, in diesen Ländern werden wir in den nächsten Jahren nicht das, was die Finanzmärkte zum Teil derzeit spielen, haben, nämlich höhere Inflationen. Das halte ich für unwahrscheinlich, angesichts der schwachen Wachstumsraten, der hohen Arbeitslosigkeit, die in den nächsten Jahren uns alle begegnen wird.
Heinemann: Sie haben Mario Draghi heute in Zeitungsbeiträgen als Freund bezeichnet. Sie sehen ihn also nicht als typischen südeuropäischen EZB-Vorsitzenden, für den Währungsstabilität nicht im Vordergrund steht?
Walter: Ich kenne ihn seit 35 Jahren, ich weiß, wie er tickt, er ist an Stabilitätsorientierung nicht zu übertreffen, und das, was er in seinem Land, in Italien, im Verlauf der letzten Jahre an Arbeit geleistet hat, im Schatzministerium, aber auch in der Zentralbank, verdient diese Würdigung so uneingeschränkt und er hat uns, den internationalen Finanzmärkten, mit seiner Arbeit im Financial Stability Board auch schon demonstriert, wie ernst er bei der Stabilisierungsaufgabe ist. Also ich bin in keiner Sorge.
Heinemann: Professor Norbert Walter, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Leiter der Beratungsfirma Walter & Töchter Consult. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Walter: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Beim Gruppenbild steht Barack Obama zwar in der ersten Reihe, aber die Aufmerksamkeit der Fotografen und Korrespondenten gilt in diesen Tagen wohl eher Nicolas Sarkozy und Angela Merkel beim Treffen der 20 wirtschaftlich wichtigsten Industrie- und Schwellenländer im südfranzösischen Cannes. Die Schulden-, Banken-, Eurokrise, sie beherrscht das Rendezvous.
Am Telefon ist Professor Norbert Walter, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, inzwischen Chef der Beratungsfirma Walter & Töchter Consult. Guten Tag!
Norbert Walter: Ja guten Tag.
Heinemann: Professor Walter, was erwarten Sie? Werden die Griechen ihre Rechnungen in Zukunft mit Euro oder mit Drachmen bezahlen?
Walter: Ich glaube, sie werden sie mit Euro bezahlen. Ich glaube, das liegt im Interesse der Griechen und das liegt im Interesse Europas. Aber es ist vollkommen klar: nach den Rumpeleien, nach den Schwierigkeiten der letzten Wochen und insbesondere der letzten Tage wird der Prozess, das zu stabilisieren und das in trockene Tücher zu bekommen, uns alle noch schmerzhaft beschäftigen, weitere Monate.
Heinemann: Wenn Sie die G20 oder die Euroländerchefs beraten sollten, was muss in Cannes unbedingt beschlossen werden, um aus der Krise zu gelangen und künftige Schieflagen zu verhindern?
Walter: Das ist nicht einfach, weil es sind nicht nur verwirrte Politiker. In meinem Urteil gibt es auch verwirrte Finanzmärkte. Ich bin sehr verblüfft über die Art, wie man beispielsweise jetzt Italien herauspickt und attackiert und mit hohen Risikoprämien die Refinanzierung für dieses Land brutal verteuert hat, während man Länder mit ähnlicher Staatsverschuldung und mit viel größerer privater Verschuldung wie beispielsweise die USA weiterhin mit Krediten für unter zwei Prozent bedient. Ich bin bedient mit solchen Kapitalmärkten und insofern ist es, glaube ich, sachgerecht, dass Europa in diesem Fall ein Land, das im Verlauf der letzten Jahre relativ solide Finanzpolitik gemacht hat, Italien, dass man das in dieser Situation auch schützt. Dazu braucht man aber natürlich Solidarität unter den europäischen Ländern und man braucht die Bereitschaft, auch eine Zeit lang gegen die Märkte zu intervenieren. Ich bewundere beispielsweise die Schweizer, die gesagt haben, die Aufwertung Schweizer Franken ist jetzt wirklich zu weit gegangen und wir intervenieren bei 120, bei einem Euro zwanzig für den Schweizer Franken. Das war eine richtige Maßnahme. Wir brauchen also entschlossene Politiker, die auch den Finanzmärkten die rote Karte zeigen.
Heinemann: Welche Rolle sollte dabei die EZB, die Europäische Zentralbank spielen? Sollte sie zum Beispiel weitere Staatsanleihen aufkaufen?
Walter: Da bin ich skeptisch. Es wäre mir sehr viel sympathischer, wir hätten in der Tat einen vernünftig gehebelten EFSF, der dann eben mit der Legitimation durch politische Instanzen, durch Regierungen und Parlamente, die Mittel, die man zur Verfügung stellt, verantwortet. Ich befürchte, dass man dabei nicht genügend gut vorankommt und dass es am Ende wohl so sein wird, dass die Europäische Zentralbank wie schon in den vergangenen Monaten und übrigens, wie das auch in den USA und in Japan passiert, durch die Zentralbank diese Maßnahmen ergreift. Das ist nicht sachgerecht, denn Sache der Zentralbank ist es, Liquidität zur Verfügung zu stellen und die Preisstabilität zu sichern, und Solvenzfragen, die Frage also der Rettung von Ländern, die in Schwierigkeiten sind, das ist Sache von Parlamenten und von Regierungen.
Heinemann: Stichwort "Liquidität zur Verfügung stellen". Mario Draghi hat gestern seine Visitenkarte abgegeben. Am dritten Arbeitstag hat der neue Chef der Europäischen Zentralbank den Leitzins gesenkt, 1,25 Prozent jetzt. Hat Sie diese Entscheidung überrascht?
Walter: Ja! Ich habe sie nicht so früh erwartet, ich habe sie erwartet, sie ist begründbar, sie ist angesichts der Rezessionsgefahren und der damit verbundenen Stabilisierung der Preisniveaus vertretbar. Aber ich bin sehr überrascht, dass er im Grunde die erste Gelegenheit wahrgenommen hat und nicht noch eine Weile zuwartete und die Analyse, wie die Situation einzuschätzen ist, etwas sorgfältiger vorgenommen hat.
Heinemann: Schreibt man Leitzins künftig mit "D"? Oder anders gefragt: Kostet uns diese Entscheidung mehr Inflation?
Walter: Ich glaube nicht, dass es zur Inflation kommt, aber ich bin in Sorge, dass wir mit diesem zu billigen Geld, das es in Japan, in den USA, in Europa jetzt gibt, wiederum Blasen bei Asset-Preisen, also beispielsweise bei Immobilien oder bei Aktien produziert, die dann hinterher mit großen Schmerzen korrigiert werden müssen. Das Geld ist zu billig für die Refinanzierung von Banken und die eigentlichen wichtigen Dinge werden auf diese Weise nicht gemacht. Man refinanziert Dinge wie beispielsweise Staatsdefizite, die man nicht verantworten kann.
Heinemann: Professor Walter, Ihr Kollege Martin Lück, Chefvolkswirt der UBS-Bank, hat die künftige Zins- und Haushaltspolitik der Eurozone gestern folgendermaßen zusammengefasst:
Martin Lück: "In der Tat kann man es vielleicht so zusammenfassen, dass die Geldpolitik vermutlich in der näheren Zukunft eher südländischer wird, das heißt eher etwas inflationsgeneigter, während die Fiskalpolitik, also die Finanzpolitik der Staaten, eher deutscher wird, eher stabilitätsorientiert."
Heinemann: Sehen Sie auch diese Arbeitsteilung?
Walter: Ich würde die Beschreibung der Finanzpolitik für sachgerecht halten, ich würde aber das, was der Kollege zur Geldpolitik sagte, nicht so einschätzen. Wir werden keine Politik bekommen, die höhere Inflationsraten zulässt, und ich glaube, dass das nicht nur für die Europäische Zentralbank gilt, sondern dass das auch für die englische oder für die japanische Zentralbank gilt. Ich glaube, in diesen Ländern werden wir in den nächsten Jahren nicht das, was die Finanzmärkte zum Teil derzeit spielen, haben, nämlich höhere Inflationen. Das halte ich für unwahrscheinlich, angesichts der schwachen Wachstumsraten, der hohen Arbeitslosigkeit, die in den nächsten Jahren uns alle begegnen wird.
Heinemann: Sie haben Mario Draghi heute in Zeitungsbeiträgen als Freund bezeichnet. Sie sehen ihn also nicht als typischen südeuropäischen EZB-Vorsitzenden, für den Währungsstabilität nicht im Vordergrund steht?
Walter: Ich kenne ihn seit 35 Jahren, ich weiß, wie er tickt, er ist an Stabilitätsorientierung nicht zu übertreffen, und das, was er in seinem Land, in Italien, im Verlauf der letzten Jahre an Arbeit geleistet hat, im Schatzministerium, aber auch in der Zentralbank, verdient diese Würdigung so uneingeschränkt und er hat uns, den internationalen Finanzmärkten, mit seiner Arbeit im Financial Stability Board auch schon demonstriert, wie ernst er bei der Stabilisierungsaufgabe ist. Also ich bin in keiner Sorge.
Heinemann: Professor Norbert Walter, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Leiter der Beratungsfirma Walter & Töchter Consult. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Walter: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.