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Garry Disher: „Moder“
Das große Jagen

Seit 1991 publiziert der Australier Garry Discher seine rasanten Wyatt-Romane um den gleichnamigen Meisterdieb, der den klassischen, gleichsam gerissenen Anti-Helden in der Maske des hochmoralischen Berufsethikers gibt. Nun hat er mit „Moder“ die neunte Folge vorgelegt.

Von Peter Henning |
Garry Disher: "Moder"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover
Mit „Moder“ hat der australische Altmeister Garry Discher jetzt den neunten Wyatt-Roman vorgelegt. (Foto und Cover: Pulp Master Verlag)
„Kill Shot“, so der Originaltitel des neusten Falles aus der sogenannten „Wyatt“-Serie des australischen Altmeisters Garry Disher, trägt auf Deutsch den Titel „Moder“.
Weniger abstrakt und wahrscheinlich treffender wäre er wohl mit „Das Große Jagen“ überschrieben. Denn genau darum geht es im neunten Gaunerstück um seinen utilitaristischen, und manchmal auf faszinierende Weise wie aus der Zeit gefallen wirkenden Anti-Helden Wyatt: Um ein aberwitziges, lange unübersichtliches Jeder-Gegen-Jeden, in dessen Verlauf es Leichen regnet wie von der Zimmerdecke fallende tote Fliegen.

Mann mit festen Grundsätzen und vielen Gesichtern

Und erneut liefert Dishers Genrestück ein schönes Beispiel dafür, wie rasant und fesselnd Kriminalliteratur sein kann, die ausgeruht mit den klassischen Versatzstücken der Gattung operiert, um sich mit gesellschaftlichen und sozialen Realitäten auseinander zu setzen, ohne dabei auch nur ansatzweise altbacken oder überkommen zu wirken. Denn Discher, der das Genre seit einer halben Ewigkeit mit diversen, hochgelobten Serien bedient, vertraut zurecht auf die ungebrochene, auf ihre Weise zeitlose Strahlkraft seines Protagonisten.
Wyatt ist ein Mann mit festen Grundsätzen und vielen Gesichtern, der seine Tarnung schnell und wie auf Knopfdruck zu wechseln vermag – und darum nicht zu fassen ist.
„Wyatt war ein Chamäleon. Was Kleidung, Umgangsformen, Lebensart und offenkundige Überzeugungen anbetraf, erschien er freundlich, tolerant, zurückhaltend. Eben unauffällig. Aber in zwei wesentlichen Punkten hob er sich ab: Er war groß, gelenkig, reaktionsschnell, und das in einem Land mit langsamen, verweichlichten, schlaffen Menschen.
Sein Gesicht ließ Leute stutzen. Dunkel, schmal, mit leichter Hakennase und ein wenig undurchdringlich, die olivfarbene Haut über den Knochen, was es eher Distanz gebietend als nahbar erscheinen ließ.
Zudem war er darauf bedacht, nicht die falsche Art von Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – er warf nicht mit Geld um sich, fuhr nicht zu schnell, trank nicht zu viel, kam nicht mit Rechnungen und Miete in Rückstand und animierte niemanden, der betrunken war oder einsam. So war er: Einfache Brille mit schwerem Gestell, ein dauerhaft angedeutetes Lächeln.“

Ein Kriminalroman in bester Heist-Manier

Wyatt repräsentiert den Einzelgänger in Reinkultur, der dem Erfolg seiner zumeist heiklen Raubzüge alles penibel unterordnet, sich weigert zu töten – und einem unverhandelbaren Moral-Kodex folgt. Er arbeitet stets auf eigene Rechnung, ist eine Art Meisterdieb vom Schlage Pink Panthers - und der personifizierte Alptraum derer, die ihn jagen.
Darin erinnert Wyatt bisweilen an Thomas Crown, den charismatischen Protagonisten aus Norman Jewisons legendärem Heist-Thriller „Thomas Crown ist nicht zu fassen“, im welchem der Geschäftsmann das perfekte Verbrechen begeht – und am Ende seiner ärgsten Verfolgerin, der Versicherungsdetektivin Vicki, die ihn jagt, obendrein nonchalant ein Schnippchen schlägt.
Doch während Crown sich mit seinem Coup auf einen Schlag dauerhaft saniert, backt Wyatt notgedrungen kleinere Brötchen. Die Zeiten, in denen er mal eben einen Lohntransporter überfallen konnte, sind nämlich passé. Also hat er sich auf Diebstähle von Kunstwerken und teuren Sammlerstücken spezialisiert, die er versilbert. Wirklich reich aber wird er damit nicht. Seine Tipps erhält Wyatt von seinem alten Freund Kramer, der zwar einsitzt – es ungeachtet dessen aber bestens versteht, ihn aus dem Knast heraus damit zu versorgen.
„Ein Großteil Wyatts jüngster Jobs war von Kramer vermittelt worden. Es funktionierte so, dass Sam Kramer Informationen seines Netzwerkes aus Zuträgern, Anwälten, Polizisten und Kriminellen nutzte oder solche aus Zeitungen und Magazinen, um ein Objekt auszumachen, das eines Diebstahls wert war. Diese Informationen gab er an Wyatt weiter. Der zog die Sache durch.“

Der Triumph des Unzerstörbaren

Kramer ist es auch, der ihn auf den Anlagebetrüger Tremayne ansetzt. Der ehrmalige Steuerberater hat massenweise gutgläubige Anleger im Zuge eines nach dem italienischen Groß-Betrüger Charles Ponzi benannten Schneeball-Systems, bei dem Gewinnausschüttungen gezielt verschleiert werden, um ihre Einlagen betrogen. Tremaynes Partner sitzt deswegen bereits hinter Gittern. Tremayne dagegen ist mit dem ergaunerten Geld auf der Flucht. Doch nicht nur Waytt ist hinter Tremaynes gut gefüllter Fluchtkasse her – auch der Afghanistan-Veteran Lazar hat sie ins Visier genommen. Das Figurenensemble wird komplettiert durch Greg Muecke von der Abteilung „Eigentumsdelikte im Polizeipräsidium von Sydney, Parramutta. Muecke ist nicht nur hinter Tremayne her ist, sondern versucht obendrein, Kramer das Handwerk zu legen.
Was folgt, ist ein großes Jagen: Lazar macht Jagd auf Waytt, Wyatt auf Tremayne – und Muecke schließlich auf beide!
Als obendrein Tremaynes skrupellose Gattin Lynx gemeinsam mit einem Freund an das Geld ihres Mannes heranzukommen versucht, indem sie ihre Entführung fingieren, wird es endgültig unübersichtlich.
Zur Freude seiner Fans zählt Wyatt zu den großen Unzerstörbaren des Genres, auch wenn er diesmal einiges einstecken muss. Und so schenkt Garry Disher seinem Helden schließlich ein furioses, geradezu James Bond-haftes Finale auf dem offenen Meer. Gepaart mit den staubtrockenen Dialogen, die Disher schreibt, macht es diesen, nunmehr neunten „Wyatt“ zu einem der besten dieser Serie.
Garry Disher: „Moder“ Ein Wyatt-Roman
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Pulp Master, Berlin. 270 Seiten, 14,80 Euro.