Christine Heuer: Eine schwierige Sitzung war es und eine sehr lange. Am Ende graute in der Hauptstadt der Morgen und manchem Versicherten graut es jetzt vielleicht auch schon, denn zum Thema Gesundheitsreform ist den Koalitionären in Berlin vor allem dies eingefallen: die Beiträge zu erhöhen und mehr Steuern ins System zu pumpen. Wo diese Löcher dann wieder geschlossen werden, das weiß zur Stunde noch niemand.
Wir müssen also auf viele Details noch warten, aber ein bisschen was haben wir schon, um es zu besprechen, und zwar mit dem Gesundheitsökonomen an der Uni Bayreuth, mit Peter Oberender. Ich grüße Sie!
Peter Oberender: Frau Heuer, Grüß Gott!
Heuer: Herr Oberender, ist das jetzt der große Wurf?
Oberender: Nein! Mutlos, ideenlos und einfallslos!
Heuer: Eigentlich sollte gespart werden. Jetzt steigen die Beiträge. War das nötig?
Oberender: Ich glaube schon. Wenn man die moderne Medizin für alle Menschen haben will, dann ist in der Tat erforderlich, dass man mehr herein bekommt. Nur was auch wichtig ist: Man muss über den Leistungskatalog mal diskutieren, ob tatsächlich alles, was wir gegenwärtig als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse im System haben, ob wir das wirklich noch brauchen. Da sage ich nein.
Heuer: Zu den Details, die wir schon kennen, gehört, dass zum Beispiel Entzündungen nach Piercings auf eigene Kosten behandelt werden sollen. Na, da wurde ja schon mal was gestrichen aus dem Leistungskatalog oder?
Oberender: Das sind ja nicht hohe Ausgaben im Grunde. Auch selbst verschuldete Erkrankungen würde ich rausstreichen. Wenn jemand nach Thailand fährt und kommt mit Aids zurück, dann hat er das selbst zu zahlen. Oder wenn jemand einen gefahrgeneigten Sport betreibt, auch dafür muss er bezahlen. Das heißt ja nicht, dass er plötzlich in ein uferloses Netz fällt, sondern er kann sich ja versichern lassen gegen diese Sportunfälle. Insoweit offener diskutieren die Sache, denn so lösen wir das nicht, was wir gegenwärtig bekommen von der Politik.
Heuer: Die Lohnnebenkosten, Herr Oberender, um wieder grundsätzlicher zu werden, die sollten ja auch sinken. Aber das Gegenteil passiert jetzt.
Oberender: Das ist genau der Aspekt. Wenn das um 0,5 Prozentpunkte ab 1.1.2007 ansteigt, steigen die Lohnnebenkosten. Arbeit wird wieder teuerer bei uns. Das heißt, wir vernichten Arbeitsplätze in Deutschland.
Heuer: Die Regierung verspricht auch mittelfristig. keine Steuererhöhungen für die Gesundheitsreform. Glauben Sie daran?
Oberender: Nein. Das kann sie gar nicht durchhalten. Sie sehen ja selbst. Das heißt es aufwachsende Einsparungen. Da wird also wieder mit Zahlen hantiert. Im Jahr 2008 will man schon 1,5 Milliarden einsparen. Wie soll denn das gehen? Das ist doch schon die alte Devise von Frau Schmidt gewesen, die immer gesagt hat, wir können einsparen. Wir können nicht sparen im Gesundheitswesen, wenn wir nicht rationieren.
Heuer: Alles wird teurer unter dem Strich, Herr Oberender. Die Leistungen bleiben im Wesentlichen wie sie sind. Aber es gibt Politiker aus der großen Koalition, die auf ganz große Strukturreformen hinweisen, zum Beispiel darauf, dass Einzelverträge mit Ärztegruppen für die Kassen möglich sein sollen, oder dass die Kassen Verhandlungen mit der Pharmaindustrie führen dürfen. Ist denn darin wenigstens etwas wirklich Fortschrittliches, was Sie begrüßen können?
Oberender: Das geht doch jetzt schon mit dem Paragraf 140. Mit der integrierten Versorgung können sie das doch jetzt schon machen. Ich habe manchmal den Eindruck, die Politiker lesen ihre Gesetze nicht. Diese Sache gilt seit 1.1.2004 bereits. Also was ist denn da Neues dran? Die Barmer Ersatzkasse macht doch schon Verträge mit Generika-Herstellern und es gibt doch integrierte Versorgungsverträge zwischen Kassen und Leistungserbringern. Was ist da neu? Gar nichts ist da neu. Das ist eine alte Geschichte, was wir da haben.
Heuer: Neu ist aber der Gesundheitsfonds. Ist das eine gute Idee?
Oberender: Nein. Da ist ja die Idee, man will letztlich mehr Transparenz und Solidarität hereinbekommen. Ich glaube es ist genau das Gegenteil, was wir hier haben. Es wird das System letztlich bürokratischer, aufwändiger und intransparenter. Ich stimme also völlig der Auffassung von dem Herrn Bahr zu, der hier von einem Kassensozialismus spricht. Das ist es in der Tat und ich fürchte Folgendes, was die Politik nämlich jetzt im Augenblick nicht will. Die Folge wird sein, wir kriegen eine Einheitskasse, denn man muss sich ja wirklich fragen, wozu brauche ich noch 251 gesetzliche Krankenkassen, wenn das eine übernehmen kann. Da haben wir ja Vorbilder auch bei der Rentenversicherung. Da gibt es eine Sache, die das übernimmt.
Heuer: Aber wie kommt es dann, dass die Regierung behauptet, im Gegenteil würde der Wettbewerb gestärkt durch diesen Gesundheitsfonds?
Oberender: Das ist mir auch unklar, wie das gehen soll. Das ist ein Phantom, was man jetzt wieder in die Welt setzt, weil alles von Wettbewerb spricht, und jetzt will man plötzlich diesen Gedanken auch aufgreifen. Für mich ist das letztlich reine politische Propaganda, was da gemacht wird.
Heuer: Die privaten Krankenkassen spielen auch eine Rolle bei dem, was da heute Nacht beschlossen wurde. Die Privaten sollen jetzt jeden aufnehmen müssen, heißt es. Was bedeutet das denn ganz praktisch?
Oberender: Das ist sicherlich nicht schlecht, die Idee, dass man versucht, jetzt die Privaten hier etwas mit einzubinden. Ob das allerdings der richtige Weg ist, jetzt praktisch mit Kontrahierungszwang zu arbeiten, das ist das andere Problem, weil dann müssen sie ja praktisch Risikostrukturausgleich wieder haben. Ich meine, wir sollten einen anderen Weg gehen. Wir sollten zu einer Kapitaldeckung gehen mit Altersrückstellung und letztlich einem prämienorientiertem System. Das ist der einzige Ausweg, den wir haben, und zwar nicht schockartig, sondern einen Plan sich überlegen bis 2050. Wir haben das gemacht. Bayreuther Modell heißt das. Das haben wir in der Tat dargelegt, wie man so einen Wechsel vollziehen sollte.
Heuer: So wie die Dinge liegen, Herr Oberender, glauben Sie, dass die privaten Kassen jetzt ohne zu murren mitmachen, oder droht da auch noch eine Klage?
Oberender: Ich vermute, dass man weiter regulieren muss, denn es ist ja Folgendes: Wenn die jeden Versicherten aufnehmen müssen, also jeden Versicherungspflichtigen, müssen sie auch sehr schlechte Risiken aufnehmen. Das heißt man muss jetzt hier wahrscheinlich auch neue Regulierungen finden, wie man dieses Problem löst.
Heuer: Dass Sie diese Gesundheitsreform, wie sie heute beschlossen wurde oder angelegt worden ist, für eine ziemliche Luftnummer halten, Herr Oberender, das haben wir deutlich herausgehört. Frage zum Schluss: Wer gewinnt denn politisch dabei, die SPD, die Union, beide?
Oberender: Niemand, niemand! Ich glaube der Wähler durchschaut das sehr schnell, dass das letztlich eine Mogelpackung ist. Das ist ein fauler Kompromiss. Ich hätte mich stärker eingesetzt, eben wenn man schon eine Veränderung will und letztlich nicht den Mut hat, da einen Systemwechsel zu machen, dass man hergegangen wäre und hätte die Kopfprämie als Übergangslösung gefunden.
Heuer: Glauben Sie, das passiert noch?
Oberender: Nein!
Heuer: Dabei bleibt es jetzt, was wir jetzt haben?
Oberender: Das bleibt dabei. Es wird ein bisschen ausgestaltet werden, und dann gilt das als der große Wurf, was in der Tat, wie Sie schon umschrieben haben, eine Luftnummer ist.
Heuer: Peter Oberender, Gesundheitsökonom an der Uni Bayreuth. Herr Oberender, vielen Dank für das Gespräch.
Oberender: Ja, ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören, Frau Heuer.
Wir müssen also auf viele Details noch warten, aber ein bisschen was haben wir schon, um es zu besprechen, und zwar mit dem Gesundheitsökonomen an der Uni Bayreuth, mit Peter Oberender. Ich grüße Sie!
Peter Oberender: Frau Heuer, Grüß Gott!
Heuer: Herr Oberender, ist das jetzt der große Wurf?
Oberender: Nein! Mutlos, ideenlos und einfallslos!
Heuer: Eigentlich sollte gespart werden. Jetzt steigen die Beiträge. War das nötig?
Oberender: Ich glaube schon. Wenn man die moderne Medizin für alle Menschen haben will, dann ist in der Tat erforderlich, dass man mehr herein bekommt. Nur was auch wichtig ist: Man muss über den Leistungskatalog mal diskutieren, ob tatsächlich alles, was wir gegenwärtig als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse im System haben, ob wir das wirklich noch brauchen. Da sage ich nein.
Heuer: Zu den Details, die wir schon kennen, gehört, dass zum Beispiel Entzündungen nach Piercings auf eigene Kosten behandelt werden sollen. Na, da wurde ja schon mal was gestrichen aus dem Leistungskatalog oder?
Oberender: Das sind ja nicht hohe Ausgaben im Grunde. Auch selbst verschuldete Erkrankungen würde ich rausstreichen. Wenn jemand nach Thailand fährt und kommt mit Aids zurück, dann hat er das selbst zu zahlen. Oder wenn jemand einen gefahrgeneigten Sport betreibt, auch dafür muss er bezahlen. Das heißt ja nicht, dass er plötzlich in ein uferloses Netz fällt, sondern er kann sich ja versichern lassen gegen diese Sportunfälle. Insoweit offener diskutieren die Sache, denn so lösen wir das nicht, was wir gegenwärtig bekommen von der Politik.
Heuer: Die Lohnnebenkosten, Herr Oberender, um wieder grundsätzlicher zu werden, die sollten ja auch sinken. Aber das Gegenteil passiert jetzt.
Oberender: Das ist genau der Aspekt. Wenn das um 0,5 Prozentpunkte ab 1.1.2007 ansteigt, steigen die Lohnnebenkosten. Arbeit wird wieder teuerer bei uns. Das heißt, wir vernichten Arbeitsplätze in Deutschland.
Heuer: Die Regierung verspricht auch mittelfristig. keine Steuererhöhungen für die Gesundheitsreform. Glauben Sie daran?
Oberender: Nein. Das kann sie gar nicht durchhalten. Sie sehen ja selbst. Das heißt es aufwachsende Einsparungen. Da wird also wieder mit Zahlen hantiert. Im Jahr 2008 will man schon 1,5 Milliarden einsparen. Wie soll denn das gehen? Das ist doch schon die alte Devise von Frau Schmidt gewesen, die immer gesagt hat, wir können einsparen. Wir können nicht sparen im Gesundheitswesen, wenn wir nicht rationieren.
Heuer: Alles wird teurer unter dem Strich, Herr Oberender. Die Leistungen bleiben im Wesentlichen wie sie sind. Aber es gibt Politiker aus der großen Koalition, die auf ganz große Strukturreformen hinweisen, zum Beispiel darauf, dass Einzelverträge mit Ärztegruppen für die Kassen möglich sein sollen, oder dass die Kassen Verhandlungen mit der Pharmaindustrie führen dürfen. Ist denn darin wenigstens etwas wirklich Fortschrittliches, was Sie begrüßen können?
Oberender: Das geht doch jetzt schon mit dem Paragraf 140. Mit der integrierten Versorgung können sie das doch jetzt schon machen. Ich habe manchmal den Eindruck, die Politiker lesen ihre Gesetze nicht. Diese Sache gilt seit 1.1.2004 bereits. Also was ist denn da Neues dran? Die Barmer Ersatzkasse macht doch schon Verträge mit Generika-Herstellern und es gibt doch integrierte Versorgungsverträge zwischen Kassen und Leistungserbringern. Was ist da neu? Gar nichts ist da neu. Das ist eine alte Geschichte, was wir da haben.
Heuer: Neu ist aber der Gesundheitsfonds. Ist das eine gute Idee?
Oberender: Nein. Da ist ja die Idee, man will letztlich mehr Transparenz und Solidarität hereinbekommen. Ich glaube es ist genau das Gegenteil, was wir hier haben. Es wird das System letztlich bürokratischer, aufwändiger und intransparenter. Ich stimme also völlig der Auffassung von dem Herrn Bahr zu, der hier von einem Kassensozialismus spricht. Das ist es in der Tat und ich fürchte Folgendes, was die Politik nämlich jetzt im Augenblick nicht will. Die Folge wird sein, wir kriegen eine Einheitskasse, denn man muss sich ja wirklich fragen, wozu brauche ich noch 251 gesetzliche Krankenkassen, wenn das eine übernehmen kann. Da haben wir ja Vorbilder auch bei der Rentenversicherung. Da gibt es eine Sache, die das übernimmt.
Heuer: Aber wie kommt es dann, dass die Regierung behauptet, im Gegenteil würde der Wettbewerb gestärkt durch diesen Gesundheitsfonds?
Oberender: Das ist mir auch unklar, wie das gehen soll. Das ist ein Phantom, was man jetzt wieder in die Welt setzt, weil alles von Wettbewerb spricht, und jetzt will man plötzlich diesen Gedanken auch aufgreifen. Für mich ist das letztlich reine politische Propaganda, was da gemacht wird.
Heuer: Die privaten Krankenkassen spielen auch eine Rolle bei dem, was da heute Nacht beschlossen wurde. Die Privaten sollen jetzt jeden aufnehmen müssen, heißt es. Was bedeutet das denn ganz praktisch?
Oberender: Das ist sicherlich nicht schlecht, die Idee, dass man versucht, jetzt die Privaten hier etwas mit einzubinden. Ob das allerdings der richtige Weg ist, jetzt praktisch mit Kontrahierungszwang zu arbeiten, das ist das andere Problem, weil dann müssen sie ja praktisch Risikostrukturausgleich wieder haben. Ich meine, wir sollten einen anderen Weg gehen. Wir sollten zu einer Kapitaldeckung gehen mit Altersrückstellung und letztlich einem prämienorientiertem System. Das ist der einzige Ausweg, den wir haben, und zwar nicht schockartig, sondern einen Plan sich überlegen bis 2050. Wir haben das gemacht. Bayreuther Modell heißt das. Das haben wir in der Tat dargelegt, wie man so einen Wechsel vollziehen sollte.
Heuer: So wie die Dinge liegen, Herr Oberender, glauben Sie, dass die privaten Kassen jetzt ohne zu murren mitmachen, oder droht da auch noch eine Klage?
Oberender: Ich vermute, dass man weiter regulieren muss, denn es ist ja Folgendes: Wenn die jeden Versicherten aufnehmen müssen, also jeden Versicherungspflichtigen, müssen sie auch sehr schlechte Risiken aufnehmen. Das heißt man muss jetzt hier wahrscheinlich auch neue Regulierungen finden, wie man dieses Problem löst.
Heuer: Dass Sie diese Gesundheitsreform, wie sie heute beschlossen wurde oder angelegt worden ist, für eine ziemliche Luftnummer halten, Herr Oberender, das haben wir deutlich herausgehört. Frage zum Schluss: Wer gewinnt denn politisch dabei, die SPD, die Union, beide?
Oberender: Niemand, niemand! Ich glaube der Wähler durchschaut das sehr schnell, dass das letztlich eine Mogelpackung ist. Das ist ein fauler Kompromiss. Ich hätte mich stärker eingesetzt, eben wenn man schon eine Veränderung will und letztlich nicht den Mut hat, da einen Systemwechsel zu machen, dass man hergegangen wäre und hätte die Kopfprämie als Übergangslösung gefunden.
Heuer: Glauben Sie, das passiert noch?
Oberender: Nein!
Heuer: Dabei bleibt es jetzt, was wir jetzt haben?
Oberender: Das bleibt dabei. Es wird ein bisschen ausgestaltet werden, und dann gilt das als der große Wurf, was in der Tat, wie Sie schon umschrieben haben, eine Luftnummer ist.
Heuer: Peter Oberender, Gesundheitsökonom an der Uni Bayreuth. Herr Oberender, vielen Dank für das Gespräch.
Oberender: Ja, ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören, Frau Heuer.
