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"Das ist kein Blankoscheck"

Henrik Uterwedde, stellvertretender Leiter des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, warnt den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vor Überheblichkeit. Zwar hätten ihm die Franzosen mit dem Sieg der Konservativen bei der Parlamentswahl alle Macht gegeben. Doch wenn er ihre Erwartungen nicht erfülle, würden sie notfalls auch gegen die Regierung auf die Straße gehen.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein Vorletzte Runde im französischen Wahlmarathon. Nach den beiden Abstimmungen über das Präsidentenamt waren die Franzosen an diesem Wochenende erneut gefordert. Diesmal ging es um die künftige Zusammensetzung des Parlamentes. Die zweite Runde folgt mit den Stichwahlen dann in der kommenden Woche. Schon jetzt zeigen sich erste Anzeichen von Wahlmüdigkeit. Nur gut 60 Prozent der Wähler machten ihr Kreuz überhaupt noch auf dem Stimmzettel. Dennoch kann Staatschef Sarkozy zufrieden sein. Fünf Wochen nach seiner Wahl zum Präsidenten zeichnet sich eine deutliche Mehrheit für seine UMP ab. ( MP3-Audio , Korrespondentenbericht von Burkhard Birke)

    Über das Ergebnis der Parlamentswahlen möchte ich jetzt sprechen mit Henrik Uterwedde. Er ist stellvertretender Leiter des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg. Guten Tag, Herr Uterwedde!

    Henrik Uterwedde: Guten Tag, Herr Heinlein!

    Heinlein: Gibt es noch vernünftige Zweifel am Triumph von Sarkozy, oder ist das Rennen gelaufen?

    Uterwedde: Das Rennen ist gelaufen. Das ist die unerbittliche Logik zweier Elemente: erstens einmal des Mehrheitswahlsystems, was eben dazu führt, dass eine Partei mit 40 Prozent der Stimmen 70 Prozent der Parlamentssitze bekommt. Und es ist Ergebnis der Logik der französischen Institutionen. Die entscheidende Wahl war die Präsidentschaftswahl. Hier ist die Richtungsentscheidung getroffen worden. Das erklärt auch, dass dann eben viele Leute zu Hause bleiben bei den anschließenden Parlamentswahlen, und man sagt, okay, es ist eigentlich logisch in dieser Wahl, dass man dem neuen Präsidenten jetzt auch eine Mehrheit im Parlament gibt. Dass die dann eben so hoch ausfällt, ist dann wie gesagt Ergebnis der Mehrheitswahl. Da gibt es für die Sozialisten wirklich nur noch die Möglichkeit, einigermaßen den Schaden zu begrenzen.

    Heinlein: Und Ségolène Royal hat ja angekündigt, für die zweite Runde ein Bündnis möglicherweise mit der neuen Partei von Bayrou aufzunehmen, anzustreben. Keine Erfolg versprechende Strategie?

    Uterwedde: Nein. Das gehört zu der Strategie, den Schaden zu begrenzen. Man muss eben sehen: Vielleicht werden in dem einen oder anderen Fall Wähler aus diesem Grunde, eine Übermacht einer Partei zu verhindern, tatsächlich sozialistisch wählen, aber das kann auch die Sache nicht mehr umkehren. Darüber hinaus wird es eben interessant sein, weil es so ist, dass im Grunde genommen nur zwei Parteien übrig bleiben parlamentarisch, die UMP auf der einen Seite, die Sozialisten auf der anderen. Da stellt sich natürlich für die Sozialisten grundsätzlich die Frage, wie halten wir es eigentlich in diesem Mehrheitswahlsystem? Wenn wir mehrheitsfähig werden wollen, müssen wir ein attraktives Angebot auch programmatisch machen für die Wähler der Mitte. Darum wird es bei den Sozialisten in den nächsten Monaten und Jahren gehen. Aber kurzfristige Bündnisangebote werden jetzt im Augenblick an der Lage nichts ändern.

    Heinlein: Sprechen wir einen Moment noch über den Wahlsieger, über Sarkozy und seine UMP. Satte Mehrheiten für ihn und so für seine Partei. Ist das eine Art Blankoscheck für den Präsidenten? Kann er nun machen, was er will?

    Uterwedde: Institutionell ja. Deutsche könnten fast erschrecken, weil: Es gibt kein institutionelles Gegengewicht mehr für Sarkozy. Er hat eine satte Mehrheit im Parlament, eine Über-zwei-Drittel-Mehrheit. Der Senat als zweite Kammer ist auch konservativ. Er kann trotzdem nicht machen, was er will, weil: Wir haben schon mehrfach in Frankreich solche satten Mehrheiten gehabt. Und wir hatten sehr häufig den Fall, dass solche Mehrheiten die Regierung zu Überheblichkeit verleiten. Sarkozy muss aufpassen, dass sein großes Vertrauenskapital, was sich in diesen Wahlen ausgedrückt hat, nicht sehr schnell verfliegt, wenn er dieser Überheblichkeit verfällt. Das heißt, die Wähler haben ihm alle Macht gegeben. Sie erwarten jetzt auch Resultate. Hier muss er aufpassen, dass er eben diesen großen Vertrauensvorsprung, den er bekommen hat, auch verdient.

    Also das ist kein Blankoscheck. In Frankreich gibt es eine sehr wache Öffentlichkeit, eine Gesellschaft, die notfalls auch auf die Straße geht, die mobilisierungsfähig ist. Mir ist nicht um die demokratische Lebendigkeit unseres Nachbarlandes angst. Das ist kein Freibrief für Sarkozy, nun irgendetwas zu tun, was er will, oder durchzuregieren, wie man hier in Deutschland sagen würde, sondern er muss wirklich sehr verantwortlich mit dieser Mehrheit umgehen.

    Heinlein: Wird er das tun? Wird er sich an seine Versprechungen im Wahlkampf erinnern? Er hat angekündigt ja umfassende Reformen. Was wird er denn in den kommenden Wochen und Monaten als erstes unternehmen?

    Uterwedde: Bis jetzt hat er sich eigentlich sehr stark an sein Programm gehalten. Nun ist dieses Programm ja ein Sammelsurium. Es gibt sowohl liberale Reformen, etwa wie Steuersenkungen, Abgabensenkungen, Lockerung des Kündigungsschutzes und anderes. Es gibt Law-and-order-Politik, Immigrationspolitik, die verschärft werden soll, Strafen für Wiederholungstäter, die erhöht werden sollen. Es gibt soziale Akzente, die er setzen will, und es gibt außenpolitisch, außenwirtschaftspolitisch einen gewissen Colbertismus und Protektionismus, an dem wir noch zu knabbern haben werden in Europa.

    Er hat bis jetzt sehr viel umgesetzt. Er wird sehr, sehr schnell an eine Grenze kommen, dass seine Versprechen sehr viel Geld kosten werden. Man munkelt schon darüber, dass vielleicht eine Mehrwertsteuererhöhung ins Haus steht, damit er überhaupt seine Wahlversprechen halten kann. Das heißt, er wird sehr, sehr schnell auch in ein Fahrwasser kommen, wo nicht alles machbar sein wird, und dann wird ein bisschen die Stunde der Wahrheit schlagen für Sarkozy. Nicht alle Blütenträume werden reifen. Nicht alle Versprechen werden eingehalten werden können. Dann wird es wieder spannend werden. Im Augenblick schwimmt er auf einer blauen Welle der Euphorie, und die Wähler wollen ihm gerne glauben, dass alles möglich ist und nicht wirklich es sehr viel Geld kostet. Die Wirklichkeit wird aber auch Sarkozy und seine Regierung sehr schnell einholen.

    Heinlein: Kurz noch zum Schluss: Steuererhöhungen stehen möglicherweise ins Haus, sagen Sie, eine Law-and-order-Politik, Lockerung des Kündigungsschutzes. Die Sozialisten sind schwach im Parlament. Könnte das heißen, dass die Opposition sich zukünftig wieder auf die Straße verlagert?

    Uterwedde: Na ja, nicht unbedingt stärker. Es war auch in der Vergangenheit so, dass häufig die Straße Gesetze verhindert hat. 1995 gab es einen Generalstreik gegen bestimmte Reformen von der Regierung Juppé. Im letzten oder vorletzten Jahr hat die Straße die Auflockerung des Kündigungsschutzes für junge ersteingestellte Leute verhindert. Das ist eigentlich eine Tradition in Frankreich. Ich denke, die Sozialisten werden schon parlamentarische Arbeit machen und werden auch die Medien versuchen zu nutzen. Aber, ich sage mal, Mobilisierung der Gesellschaft ist in Frankreich auch schon in den letzten Jahren immer ein Faktor gewesen, den jede Regierung, linke oder rechte Regierung, berücksichtigen muss.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag Henrik Uterwedde vom deutsch-französischen Institut in Ludwigsburg. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Uterwedde: Gerne.