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Das Jahr des Bundesverkehrsministers
Scheuers Schlaglöcher

Vor einem halben Jahr platzte die Pkw-Maut von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, dazu kommen ein Maut-Untersuchungsausschuss und eine 560-Millionen-Euro-Forderung der Maut-Betreiber. Man könnte auch sagen: 2019 ist für den CSU-Politiker nicht gut gelaufen. Scheuer freilich sieht das ganz anders.

Von Nadine Lindner | 19.12.2019
Andreas Scheuer (CSU), Bundesverkehrsminister, spricht bei der aktuellen Stunde zum Scheitern der PKW-Maut im Deutschen Bundestag
Scheuer will verhindern, dass das Debakel um die PKW-Maut als prägend für das politische Jahr 2019 angesehen wird - ob ihm das gelingt? (dpa / Lisa Ducret)
Tritt er zurück? Oder nicht? Was ist hier eigentlich los? Und warum hat er ein Redemanuskript dabei? Das hat er doch sonst nicht.
Am Mittwoch dieser Woche hat CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer kurzzeitig für Verwirrung gesorgt. Die Pressekonferenz, kurzfristig und ohne Thema angekündigt. Bei anderen Politikern war das oft das Signal für Rücktritt.
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Medienvertreter…"
Und dann, der getragene Ton, er wird doch nicht:
"…am 14.März 2018 habe ich im Deutschen Bundestag einen Amtseid geleistet."
Alle sehr ungewohnt für Andreas Scheuer.
"Ich habe geschworen, mich dem Wohle des Volkes zu widmen."
Nimmt er jetzt seinen Hut? Das war die Frage, die allen Journalisten durch den Kopf ging. Gibt er dem Druck, der durch den Untersuchungsausschuss zur PKW-Maut auf ihm lastet, nach? Der Kritik an seinen lauen Klimaschutzplänen?
Herrgott, nein! Andreas Scheuer will Ende 2019 seine Sicht der Dinge präsentieren und die lautet: er ist ein guter Verkehrsminister.
Immer wieder schimmert Scheuers Strategie durch
"Wenn ich auf die erste Halbzeit der Legislaturperiode und unsere Arbeit zurückblicke, dann tue ich das mit großer Freude."
Er geht mit Leidenschaft an die Dinge, so sieht er das. Es sind viele Dinge in einem kurzen Überblick:
"Für die Radfahrer, den Aufbau der Infrastruktur, wir fördern und investieren für E-Fahrzeuge und die Ladeinfrastruktur."
Für alles, was schwimmt, fliegt und rollt, dafür brennt er. Auf diese Formel könnte man es bringen.
"Für die Menschen, die ihr Auto online zulassen wollen mit der Internet basierten Zulassung."
Anderthalb Stunden lang spricht Andreas Scheuer und beantwortet dabei Journalistenfragen. Immer wieder schimmert seine Strategie durch: Das Debakel um die PKW-Maut, die wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs Mitte Juni überraschend gescheitert ist, soll keinesfalls als prägend für das politische Jahr 2019 angesehen werden.
Denn seit dem Urteil gibt es Ärger. Und nun steht auch noch fest, dass die Betreiber 560 Millionen Euro fordern. Die letzte Episode gab es diese Woche, denn da kam heraus, dass Scheuers Haus wichtige Akten für den Maut-Untersuchungsausschuss nachträglich zur Verschlusssache hochgestuft hat. Und damit die Arbeit für die Abgeordneten mühsamer macht.
Die Opposition im Bundestag ist entsetzt, wenn sie auf das letzte Jahr zurückblickt.
Stephan Kühn von den Grünen sagte vor einigen Tagen in der Haushaltsdebatte im Bundestag:
"Sehr geehrter Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Verkehrsbereich hat die größte Bringschuld beim Klimaschutz."
Auf die CSU-Abgeordneten im Verkehrsausschuss ist Verlass
Torsten Herbst ist für die FDP Obmann im Verkehrsausschuss und über Scheuer sagt er:
"Er versucht sich gut zu vermarkten, aber das kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wahre Bilanz eben nicht so positiv ist."
Allein, auf die CSU-Abgeordneten im Verkehrsausschuss ist Verlass. CSU-Obmann Alois Rainer:
"Unglaubliche hohe Schlagzahl mit einer hohen Kompetenz verbunden im noch laufenden Jahr, so würde ich es ungefähr einstufen."
Hört man sich hingegen bei Verkehrsexperten um, fällt das Urteil für Scheuers Jahr 2019 wenig euphorisch aus, um es milde auszudrücken.
"Dass wir gerade im politischen Diskurs Karte und Kompass für die Verkehrswende und für die nächsten Schritte und die Ambitionen, die wir antreten müssen und ansteuern müssen, eigentlich verloren haben."
Sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende, einem Thinktank aus Politik und Wirtschaft in Berlin. Da ist der mutlose Umgang mit den Autokonzernen im Skandal um Diesel-Manipulationen, das Chaos bei der Bahn, das Andreas Scheuer zwar angefasst, aber noch nicht gelöst hat. Oder die Vorschläge zum Klimaschutz im Verkehr, bei denen schon jetzt eigentlich klar ist, dass sie die notwendigen Treibhausgasreduktionen nicht erreichen.
"Das ist glaube ich das, was am Ende Gift für den Klimaschutz in Deutschland ist, sondern auch für die Wirtschaft."
Denn wenn den Autounternehmen die Planungssicherheit fehlt, können sie nicht gezielt in die richtigen Technologien investieren. Immerhin: Ein paar positive Ansätze sieht Hochfeld. Da wären zaghafte Verbesserungen für Radfahrer oder mehr Geld für die Bahn.
Viel Aktionismus und wenig Substanz
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Halbzeitbilanz der Groko sieht das Verkehrsministerium irgendwo im Mittelfeld, wenn es um Abarbeiten des Koalitionsvertrages geht. Immerhin.
Viel Aktionismus und wenig Substanz. Auch Auto-Experte Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach sieht es ähnlich.
"Ich meine, dass Herr Scheuer zwar viele Projekte angestoßen hat, aber da war auch vieles dabei, was nur ganz mäßig war."
Bratzel schaut noch mal auf die Diesel-Krise:
"Ich glaube, dass man zu lange gezögert hat, eine klare Sprache mit den Automobilherstellern zu führen, um zu signalisieren, dass hier im Zuge der Aufarbeitung des Diesel-Skandals viel mehr passieren muss."
Und viele – Bürger, Politiker, Journalistenkollegen – fragen sich spätestens nach dem überraschenden Scheitern der PKW-Maut, warum Andreas Scheuer eigentlich immer noch im Amt ist.
Die einfache Antwort: die wichtigen Leute halten zu ihm, trotz aller Vorwürfe. Regierungschefin Angela Merkel diese Woche im Bundestag. Alle Fragen werden jetzt:
"Sauber abgearbeitet im Untersuchungsausschuss, ich finde das auch gut, dass es dort jetzt so beraten wird, damit da auch Klarheit kommt. Insofern will ich den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses nicht vorgreifen. Ich finde, dass Andi Scheuer eine sehr gute Arbeit macht."
Oder – vielleicht noch wichtiger im Spiel um Scheuers Zukunft: CSU-Chef Markus Söder, hier im November in München:
"Letztlich gibt es dafür einen Untersuchungsausschuss, der das jetzt alles noch mal genau klären kann. Dafür ist ein Untersuchungsausschuss auch da, das Ganze zu hören, aber der Bundesverkehrsminister hat das Vertrauen der Partei."
Dlf-Reporter: "Ist es nicht schädlich, dass er jetzt nicht geht?"
Bei der Nachfrage des Münchner Deutschlandfunkreporters hat der bayerische Regierungschef dann nur noch wortlos abgewunken. Zu viel will Söder dann wohl doch nicht sagen.