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"Das kann nicht gerecht sein, das ist wirklich unerträglich"

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband, Ulrich Schneider, kritisiert die Sparpläne der Bundesregierung scharf. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble belaste die Hartz-IV-Bezieher ohne "Vermögende, Spitzenverdiener, Erben" in die Verantwortung zu nehmen.

Ulrich Schneider im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Guten Tag!

    Ulrich Schneider: Schönen guten Tag!

    Schulz: Wolfgang Schäuble hält die Sparpläne für ausgewogen. Sie auch?

    Schneider: Nein. Wie sollen die ausgewogen sein? Wir müssen feststellen, dass diejenigen, die wirklich am allerwenigsten haben, und das sind die Hartz-IV-Bezieher, die gerade ein Kind zur Welt gebracht haben, also vor allen Dingen alleinerziehende Frauen, dass die jetzt wieder massiv angegangen werden und sollen für diese Krise zahlen, während nach wie vor man sich nicht durchringen kann, bei denen, die wirklich zahlen könnten, also Vermögende, Spitzenverdiener, Erben, überhaupt nur einen Cent zu holen. Das kann nicht ausgewogen sein, das kann auch nicht gerecht sein.

    Schulz: Heißt aber unterm Strich, Sie sind auch gegen den Abbau von Schulden?

    Schneider: Nein, aber ich hab ja zwei Möglichkeiten, Schulden abzubauen: Ich kann entweder auf der Ausgabenseite kürzen, dann muss man sehen, welche Spielräume man hat in einer Situation, wo wir immerhin in Deutschland ein Rekordniveau an Armut haben, und ob ich dann in Kauf nehmen will, die Gesellschaft noch tiefer zu spalten; oder ob ich auf der Einnahmenseite agiere, das heißt ich muss die Schulden abbauen, indem ich zusätzliche Einnahmen kreiere. Und ich sag mal so: Solange Deutschland, das ist ja nun ganz objektiv im internationalen Vergleich so, ein Steuerparadies ist für Vermögende, für Erben oder für Börsenspekulanten, solange haben wir eigentlich kein Recht, die Armen immer weiter an die Wand zu drücken.

    Schulz: Ja, aber wenn wir bei den Sparplänen bleiben, denn das ist ja auch eine wichtige Säule: Der Sozialetat, hab ich Sie richtig verstanden, der sollte gegen jegliche Kürzung immun sein?

    Schneider: Nein, das kommt darauf an, worüber ich spreche. Wir haben zum Beispiel nicht aufgeregt über die Streichung der Beiträge zur Rentenversicherung für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher, deshalb, weil sie ohnehin nicht viel bringen. Man müsste also wirklich an die hundert Jahre lang Arbeitslosengeld II beziehen, um eine halbwegs auskömmliche Rente zu haben. Da sagen wir, so was kann man machen. Was nicht geht unserer Ansicht nach, ist, bei den Personen in den Bedarf reinzukürzen, die wirklich am Allerwenigsten haben. Das sind nun mal alleinerziehende Frauen, die gerade ein Kind zur Welt gebracht haben. Wir haben ja bewusst gesagt, als damals das Erziehungsgeld abgeschafft und Elterngeld geschaffen wurde, denen lassen wir die 300 Euro, die haben wirklich, die leben da schwer genug, ist meist ganz junge Mütter, die gar nicht wissen, wie denen plötzlich geschieht. Und dann lassen wir denen ein Jahr wenigstens dieses kleine Geld. Und jetzt sieht es so aus, die Millionärsgattin, die nicht heiratet, die darf es behalten; die Arbeitslose, die wirklich nichts hat, die muss es abgeben. Das kann nicht gerecht sein, das ist wirklich unerträglich.

    Schulz: Aber der Status quo ist doch der, dass der Staat im Moment fast jeden zweiten Euro ausgibt für Soziales, und das ist ja nach wie vor der größte Bereich.

    Schneider: Ja, ja.

    Schulz: Wie soll denn die Haushaltssanierung funktionieren, wenn nicht auch über diese Einsparungen?

    Schneider: Dass der Staat so viel ausgibt, hängt mit seiner Unfähigkeit zusammen, tatsächlich was für die Arbeitslosen zu tun. Wir haben mittlerweile 6,7 Millionen Menschen im Hartz-IV-Bezug, und die kosten Geld. Und solange wir keine Anstrengung unternehmen, diese Zahlen abzubauen, solange werden wir auch weiter zahlen müssen. Und wenn wir jetzt lesen, dass in diesem Sparpaket ausgerechnet bei den Eingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt für diese Personen weiter gespart werden sollen, da stellen sich einem doch die Haare zu Berge. Das heißt, wir werden von diesen Zahlen nicht runterkommen. Das ist eine kontraproduktive Politik, die zu nichts führt.

    Schulz: Aber sind das nicht zwei Paar Schuhe, über die wir sprechen? Also es geht bei den Hartz-IV-Empfängern ja um Leistungen, die die erhalten, und bei den Unternehmen sprechen wir immerhin um den Gewinn, den die Unternehmen ja selbst auch erwirtschaften. Muss da nicht mit zweierlei Maß gemessen werden?

    Schneider: Moment mal, die Unternehmen bekommen doch mindestens so hohe Subventionen wie Hartz-IV-Bezieher. Wenn man Forschung sich anschaut, wenn man sich Kohlesubventionen anschaut, wenn man Subventionen in verschiedenen Industriebereichen anschaut. Beim Subventionsabbau hat dieses Sparpaket überhaupt nichts gebracht. Gerade mal 11 Prozent trägt der Subventionsabbau zu dem bei, was hier gespart werden soll; in den Sozialleistungen sind es 39 Prozent.

    Schulz: Also der Subventionsabbau um Arbeitsplätze zu erhalten ist aus Ihrer Sicht dann auch falsch?

    Schneider: Es kommt darauf an, was mit Subventionen passiert. Nicht alle Subventionen erhalten automatisch Arbeitsplätze. Wenn man sich anschaut die Standortvorteile, die vereinzelt eingeräumt werden, wo Leute dann nach fünf oder sechs Jahre ihre Werke wieder verlegen, nachdem sie Subventionen mitgenommen haben. Auch das ist ja Realität in Deutschland. Man sollte auf keinen Fall sich dem Irrglauben, dem Märchen hingeben, alle Subventionen schaffen Arbeitsplätze.

    Schulz: Sie haben es gerade schon angedeutet, die Kürzungen bei den Rentenzuschüssen, die halten Sie für richtig. Welche weiteren Sparpotenziale sehen Sie im Sozialetat?

    Schneider: Ich denke, man kann in der Tat auch noch mal sich schauen, wieweit man sämtliche Leistungen, die aber sind vor allen Dingen im Steuerrecht geregelt, schaut, ob man die nicht einkommens- und bedarfsorientiert gestalten kann. Ich will ein Beispiel nennen: Heute ist es so, etwa beim Kindergeld, dass ist der Spitzenverdiener einen Effekt hat von etwa 280 Euro im Monat pro Kind. Das braucht der an Steuern nicht zahlen, während der Normalverdiener halt gerade mal seine 184 Euro Kindergeld bekommt. Und ich denke, hier lassen sich gerade bei den Spitzenverdienern sicherlich auch bei den Sozialleistungen noch einiges an nennen wir es mal Sozialsubventionen auch wieder reinholen im Zweifelsfall.

    Schulz: Herr Schneider, lassen Sie uns noch den ganz kurzen Ausblick machen, wir führen diese Diskussion jetzt ja auch vor dem Hintergrund, dass die Hartz-IV-Regelsätze reformiert werden müssen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, Ihre Zuversicht überhaupt noch, dass die Hartz-IV-Sätze steigen können?

    Schneider: Sie müssen ja steigen. Das ist ja …

    Schulz: … hat Karlsruhe nicht gesagt.

    Schneider: … doch, das Bundesverfassungsgericht hat ja deutlich gesagt, dass die Hartz-IV-Sätze nicht mehr kleingerechnet werden dürfen. Die Hartz-IV-Sätze müssen wirklichkeitsnah sein, so wurde das gesagt, und es müssen alle Positionen, die eine Rolle spielen bei Teilhabe am Leben, berücksichtigt werden. Und wenn man dieses tut – und da beißt die Maus mal keinen Faden ab –, dann kommt man zu deutlich höheren Sätzen, als es jetzt noch im Moment der Fall ist. Das weiß man auch im Ministerium und deswegen werden wir um eine Erhöhung der Kosten nicht herumkommen. Denn selbst wenn man bei Kindern etwa auf Infrastruktur setzt, auch diese kostet, da ist nichts umsonst. Und deswegen werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht uns mit Blick auf Paragraf eins, auf die Menschenwürde, dazu angehalten hat, endlich die Armut zu bekämpfen.