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Das Kopftuch
Symbol der Würde oder Unterdrückung?

Inwieweit das Kopftuch zum Islam gehört oder vielmehr Ausdruck einer politischen Auslegung dieser Religion ist, darum scheiden sich auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft die Geister. Auf einer Frankfurter Tagung sprachen dazu Menschen, die normalerweise gar nicht oder nur sehr ungern miteinander reden.

Von Eva-Maria Götz |
Muslimische Frauen verfolgen am 30.10.2012 eine Feierstunde in der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (Nordrhein-Westfalen) anlässlich der Eröffnung des Zentrums für Islamische Theologie.
Selbstbestimmung gläubiger Frauen oder Unterdrückung durch patriachalische Herrschaftsstrukturen - wofür steht das Kopftuch? (dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd)
"Wir können ja nichts machen. Ich kann mit den Kindern sprechen, aber die Kinder, die haben ja gar keine Möglichkeit als das zu machen, was ihre Eltern oder die Gemeinschaft oder die Verwandtschaft sagt. Die Kinder haben keine Chance."
Zwang, Bekenntnis oder spirituelle Geste?
Für die Lehrerin an einer weiterführenden Schule gehört die Auseinandersetzung mit ihren kopftuchtragenden Schülerinnen und deren Umfeld zum Alltag. Sie erhoffte sich von der Konferenz inhaltliche Hilfestellung beim Umgang mit diesem Thema, zum Beispiel bei der Frage, inwieweit das Kopftuch überhaupt zum Islam gehört oder ob es nicht vielmehr Ausdruck einer politischen Auslegung dieser Religion ist. Doch genau darum scheiden sich innerhalb der vielfältigen muslimischen Gemeinschaft die Geister. Und so ist es schon ein erstes Verdienst der Frankfurter Tagung, Menschen in einen Raum und zu einer Diskussion gebracht zu haben, die normalerweise gar nicht oder nur sehr ungern miteinander reden. Etwa die Publizistin Khola Maryam Hübsch, Mitglied der Ahmadiyya-Gemeinschaft und dort für Medienarbeit und den interreligiösen Dialog zuständig. Sie verteidigte vehement ihr Recht auf das Tragen der Kopfbedeckung als Ausdruck ihres feministischen Selbstverständnisses und muslimische Kleidung insgesamt als eine Möglichkeit, sich dem ihrer Meinung nach zu körperorientierten Blick auf Frauen in der westlichen Welt zu entziehen. Demgegenüber ist für die Journalistin und Autorin Alice Schwarzer das Kopftuch:
"Seit 1979, seit der Machtübernahme von Khomeni im Iran, der den Kopftuchzwang da eingeführt hat, und dem sind viele Länder gefolgt, ist es ein politisches Signal."
Schwarzer bedauerte die große Nachsicht, die in den letzten Jahren islamischen Funktionären entgegenbracht worden sei. Diese behaupteten fälschlicherweise für alle Muslime zu sprechen, wenn sie das Recht auf das Tragen der Verhüllung etwa auch im Staatsdienst forderten. Doch die Erfahrung in südost-asiatischen Ländern wie Indonesien und Malaysia oder in den Ländern des Nahen Ostens zeige: dort, wo der Islam zur Staatsreligion wurde, würde - zumindest in den letzten vier Jahrzehnten - aus dem Kopftuchrecht umgehend ein Kopftuchzwang und dessen Nicht-Beachtung mit drakonischen Maßnahmen geahndet. Das habe sich jüngst am Beispiel der iranischen Menschenrechtlerin und Rechtsanwältin Nasrin Sotudeh gezeigt, die Frauen im Kampf gegen das Kopftuch verteidigt hatte und deshalb im März 2019 zu unglaublichen 33 Jahren Haft und 148 Peitschenschlägen verurteilt wurde.
In vielen islamischen Ländern gilt Kopftuchzwang
Auch an den deutschen Hochschul-Instituten für islamische Theologie wird das Thema Kopftuch unterschiedlich bewertet. Dr. Dina El Omari ist Koranwissenschaftlerin an der Universität Münster. Sie differenziert zwischen der literalistischen, also wortgetreuen Auslegung der Suren, wie sie von den Fundamentalisten und Konservativen betrieben wird und einer historisch-kritischen Betrachtung des Korans, wie sie weltweit zunehmend in akademischen Kreisen betrieben würde. Für das Tragen des Kopftuchs bedeute das:
"Die Koranstellen selbst geben kein Gebot her, sie geben in bestimmten Situationen eine Empfehlung, man würde das historisch verorten, man würde das fortdenken und sich fragen, was ist das Anliegen des Textes?"
So empfiehlt zum Beispiel die Sure 33:59 islamischen Frauen das Überziehen von Tüchern, um sich von ungeschützten und unverschleierten Sklavinnen zu unterscheiden und so männliche Übergriffe abzuwehren. Das sei aus einer konkreten, historischen Situation im 7. Jahrhundert heraus gedacht gewesen und habe heutzutage keine Relevanz mehr. Diese historisch-kritische Auslegung, wie sie in Münster zukünftigen Islam-Lehrern an die Hand gegeben wird, müsse sich dringend auch in der Gemeindearbeit niederschlagen, sagt Dina El Omari:
"Es ist innerislamisch die Aufgabe, Räume zu schaffen, wo Frauen reflektieren können, sich anschauen können, was gibt es denn für Lesarten, es gibt nicht nur diese eine, es gibt auch andere Lesarten, und es muss in der religiösen Erziehung funktionieren, man muss offen mit dem Thema umgehen und man muss weg von diesem Zwang, also man muss weg davon den Frauen zu vermitteln, ihr seid nur komplett in eurer religiösen Identität, wenn ihr ein Kopftuch tragt."
Denn erst in dieser Freiheit - sagt die kopftuchtragende Wissenschaftlerin - käme zum Vorschein, wie bereichernd das Kopftuch auch sein könne:
"Es gibt noch eine andere Deutung des Kopftuches, nämlich eine spirituelle Deutung. So wie wir das auch im Christentum und im Judentum kennen, also eine Art Demutshaltung vor Gott. Die impliziert aber ganz klar eine Freiwilligkeit."
Das Kopftuch als politisches Statement
Noch weiter mit der kritischen Betrachtung der Verschleierung geht man an der Universität Freiburg. Dort lehrt Abdel-Hakim Ourghi, Vertreter eines liberalen Islam und damit rotes Tuch für Ideologen.
"Ich bin eher sehr skeptisch, dass die Frauen, die das Kopftuch tragen, dass sie das freiwillig machen."
So gäbe es Frauen, die das Kopftuch trügen, um ihre Ruhe vor den kontrollierenden Blicken und Verhalten der Glaubensgenossen zu haben. Und dann gäbe es das Beispiel der Konvertitinnen:
"Alle sagen, wir tragen das Kopftuch freiwillig, das ist eine eigene Entscheidung. Das stimmt. Keiner bezweifelt das. Aber diese Konvertitinnen machen einiges unbewusst. Sie wissen ganz genau: ohne Kopftuch werden sie nicht ernst genommen, sie werden auch in der neuen Gemeinde nicht ernst genommen und sie sind so gezwungen, ein Kopftuch zu tragen."
Kopftuch - Symbol der Unterscheidung und Sichtbarmachung
Für Abdel-Hakim Ourghi ist das Kopftuch nicht nur ganz eindeutig ein historisches Produkt männlicher Herrschaft. Es soll auch unterscheidbar machen:
"Es geht um den Erhalt der islamischen Identität im Westen, und eines dieser Symbole ist das Kopftuch, letztendlich als ein politisches Statement, um sich von den anderen zu unterscheiden. Es gibt hier eine Dialektik und zwar zwischen: das Unsichtbare wird sichtbar. Ich bin unsichtbar, dadurch, dass ich kein Kopftuch trage. Aber dadurch, dass ich ein Kopftuch trage, bin ich da, ich zwinge mich auf, ich werde wahrgenommen."
Um dieser Sichtsweise etwas entgegen zu setzen, hat Ourghi am Freiburger Institut das Motto "Aufklären statt Verschleiern" formuliert. Er plädiert für eine humanistische Koranauslegung ohne dass autoritäre Imane bereits in den Koranschulen mit der Indoktrinierung von Kindern beginnen. Das ist auch das Thema von Necla Kelek. Für die Soziologin ist das Tragen des Kopftuches bei Mädchen unter 18 Jahren keine Frage der Religionsfreiheit, sondern eine Verletzung der Menschenrechte, die man gesetzlich unterbinden müsse. Sie beklagt den auch in Deutschland in den letzten Jahren stark gewachsenen Druck schon auf kleine Kinder, sich den islamischen Regeln zu unterwerfen und fordert ein generelles Kopftuchverbot in Schulen.
"Für mich ist die Schule der Raum, wo unsere Gesellschaft besonders den Kindern, den jungen Menschen den Raum geben muss, ein Leben in Selbstbestimmung kennenzulernen und positiv zu besetzen. Für mich hat also daher das Kopftuch weder bei Lehrerinnen noch bei Schülerinnen etwas zu suchen. Auch dann nicht, wenn muslimische Frauen uns erzählen, sie hätten sich freiwillig verhüllt."