
"Oh I'll show you something I've just... sort of almost finished. So I've just had this wired up."
Peter Gosbee steht von seinem Stuhl auf und holt ein silbern glänzendes Ding aus der Ecke seines Ladens hervor. Ein flacher Zylinder mit einem gebogenen Griff. Er betätigt einen Schalter und der Zylinder leuchtet auf. Es ist eine Handmorselampe, circa 1945.
"I've had it converted"
"Oh that's amazing!"
"That's gonna be a carved swan-neck piece of mahogany and it's gonna be a desk lamp. Two of them, so there'll be a matching pair of those."
Aus der Morselampe soll eine Schreibtischlampe werden. Das ist Peters Job: Bei Haushaltsauflösungen und auf Flohmärkten fahndet er nach Antiquitäten und bastelt daraus Schmuck, Gebrauchsgegenstände oder kleine Kunstwerke.
"It's great fun! Seeing objects and realizing their potential."
Das ist der Spaß daran, sagt er: Objekte finden und ihr Potential erkennen. In seinem kleinen Laden, der White Rabbit Gallery, stapeln sich interessante Dinge auf Tischen und Regalen. Medaillons aus Stücken von Schmetterlingsflügeln unter Glas, vergoldete Hummeln und menschliche Kieferknochen... "This is the jawbone, I haven't finished it yet."
Die White Rabbit Gallery befindet sich in North Laine, einem Stadtviertel der englischen Seestadt Brighton. Der schönste Teil Brightons, vielleicht sogar der schönste Ort im ganzen Vereinigten Königreich, findet Peter. "Finde ich schon! Brighton hat eine quintessentielle englische Vergangenheit, es fühlt sich aber trotzdem kontinental an. Das gibt es sonst nirgendwo im Vereinigten Königreich. Nicht mal im furchtbaren, stinkenden London."
Viele verschrobene, kleine Läden
Aus dem furchtbaren, stinkenden London ist auch Jackie Nowell nach Brighton gezogen. "Ich habe mich vor siebeneinhalb Jahren mit meinem Mann hier zur Ruhe gesetzt. Ein großartiger Ort für die Rente! Brighton spielt manchmal völlig verrückt. Wenn es einem schlecht geht, geht man einfach die Strandpromenade entlang, da sieht man immer etwas, das einen aufmuntert!"
In ihrer Freizeit führt Jackie ehrenamtlich Touristen in der Stadt herum.
Sie erzählt mir von der Geschichte der North Laine. Laine, mit einem "i” in der Mitte, ist ein altes englisches Wort für Feld. Als sich die Stadt im 18. Jahrhundert ausbreitete, wurden die Feldraine zu Straßen.
"This is a typical North Laine street, little cottages. Nowadays they've all been done up and painted seaside colours."In den zweistöckigen Häuschen, hellblau, gelb, weiß und cremefarben, wohnten und arbeiteten früher Handwerker. "Hier gab es Fabriken, eine Eisengießerei, die all die kleinen schmiedeeisernen Balkone herstellte. Es gab Seilereien, es gab Kerzenmacher, es gab Wäschereien. Die Leute lebten auch in diesen kleinen Häusern, über ihren Arbeitsstätten, zehn bis zwölf Leute pro Wohnung. Hier wurde die echte Arbeit gemacht."
Heute findet man in dem Gitter aus Straßen Wohnhäuser und kleine Läden, in denen Secondhand-Schallplatten, Bücher oder gebrauchte Kleidung verkauft werden. "So there are a lot of these shops selling vintage records and books, vintage clothing and everything in between."Ein Geschäft hat sich auf Bonsais spezialisiert. "There's a bonsai shop here."
Das Beste daran: Dank eines umsichtigen Stadtplaners dürfen sich hier keine Supermarkt-, Kaffeehaus- oder sonstige Ketten ansiedeln. "Kein Starbucks, kein Costa Coffee, kein Sainsbury’s, kein Marks & Spencers. Jeder Laden gehört einem Einzelhändler, sie machen alle ihr eigenes Ding. Deswegen gibt es hier all diese verschrobenen kleinen Läden, fantastisch zum Shoppen."
Vorbild für "Alice im Wunderland"
Referenzen zu Lewis Carrolls Kinderbuchklassiker Alice im Wunderland findet man hier immer wieder. Neben Peter Gosbees White Rabbit Gallery tauchen noch weitere weiße Kaninchen in den Namen von Pubs und Cafes auf, außerdem mehrere verrückte Hutmacher. Denn Lewis Carroll verbrachte mehrere Sommer im Haus seiner Schwester Henrietta. Sie wohnte am Sussex Square in Kemptown, im Osten der Stadt. Der Garten ist über einen kleinen Tunnel, der unter der Straße hindurchführt, mit dem Strand verbunden.
"And the story is that Lewis Carroll, who wrote Alice in Wonderland, his sister had a house here and he was sitting in the garden one day and he was seeing all the people going down this tunnel."
"Down the rabbit hole?"
"Yes! And that supposedly gave him the idea. We don't know whether that's true or not but it's nice to think it is."
Dieser Tunnel war also vielleicht die Vorlage für den Kaninchenbau, in den Alice im Buch hineinschlüpft.
Zwischen Kemptown, dem Ort Lewis Carrolls angeblicher Inspiration, und Brighton Pier fährt eine kleine elektrische Straßenbahn hin und her, die Volks Electric Railway. Sie wurde 1883 eröffnet und ist damit die älteste elektrische Straßenbahn Großbritanniens. Die Fahrt dauert etwa 15 Minuten.
Vergnügen mit Tradition
Das Pier mit seiner Kuppel, dem beleuchteten Schriftzug über dem Eingangstor und dem weiß lackierten Geländer wirkte auf mich schon immer ein bisschen dekadent. Seit seiner Eröffnung 1899 ist es ausschließlich zum Vergnügen da.
Heute ist es in erster Linie ein fest installierter Jahrmarkt: Auf dem gut 500 Meter langen Steg gibt es eine Halle voller Spielautomaten, einen Wohnwagen mit einer Wahrsagerin, Karussells und Achterbahnen. Vielleicht liegt es daran, dass sich all diese Dinge auf einer Seebrücke befinden und darunter die Nordsee rauscht, aber mich erinnert diese Szenerie immer an Pinocchio: Wie die Jungen sich auf dem Rummelplatz vergnügen und in Esel verwandelt werden.
Das Vergnügen hat Tradition in Brighton. Angefangen hat es 1750, erzählt Jackie, "als ein bedeutender Arzt ein Buch über die Meerwasserkur schrieb. Man solle Meerwasser gemischt mit Milch und Krabbenaugen trinken und im Meer baden. Das würde einen von allen Beschwerden heilen."
Plötzlich kamen massenweise Besucher in die Stadt, viele reisten aus London an. Leisten konnten sich das nur reiche Leute, denn Reisen war aufwendig und teuer, schließlich brauchte man "carriage and horses, you needed to bring your servants with you, the whole shebang." Wagen und Pferde, das Personal musste mit. Das volle Programm. "Die Bewohner Brightons dachten sich, lasst uns doch von all den Besuchern profitieren! Also bauten sie Hotels, Casinos, Ballsäle, Kaffeehäuser. Orte der Unterhaltung, damit die reichen Leute ihr Geld ausgeben konnten. So wurden die Besucher nicht nur von ihren Wehwehchen kuriert – sie hatten auch jede Menge Spaß in Brighton."
Glücksspiel, Pferderennen, Essen und Trinken
Der Spaß war also schon da, als der Prince of Wales, der später als George IV. England regieren sollte, zu Besuch kam. Er war 21 - und ziemlich vergnügungssüchtig. "George liked spending money and having a good time. So he liked women, he liked gambling, he liked eating and drinking, he liked horses... mistresses, the lot. "
Glücksspiel, Pferderennen, Essen und Trinken, Mätressen. Die Liste seiner Laster war lang - und seinem Vater König George III. ein Dorn im Auge. Doch in Brighton konnte sich der Prinz fernab königlicher Missbilligung ausleben. Er baute sich also einen Palast, den Royal Pavilion. "Der östliche Stil war sehr chic damals. Deshalb tat Prinz George sich mit einem Londoner Architekten zusammen und sie dachten sich diesen unglaublichen Palast aus. Im indischen Stil - dachten sie zumindest, denn keiner der beiden war jemals in Indien gewesen. Es ist Fantasie-Indisch. Deshalb hat der Pavillon all diese kleinen Türmchen und Minarette und zwiebelförmigen Dächer als Dekoration."
Im Park um den Palast herum lungern Gruppen deutscher und französischer Jugendlicher auf Klassenfahrt, Rentner trinken Tee, Straßenmusiker spielen Klezmer, manchmal werden auf dem Rasen auch Yogastunden angeboten. Vielleicht hat es mit dem fantasie-indischen Palast zu tun, dass man sich in Brighton immer ein bisschen fühlt, als sei man im Urlaub.
Das findet Jackie auch. "Yes, everybody's on holiday all the time here. That's why being retired here. We do go on holiday. But we'd be saying, why are we going away? We're on holiday everyday!"