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"Das wird ein richtig schwieriges Problem"

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer unterstützt den Vorstoß des nordrhein-westfälischen Regierungschefs Jürgen Rüttgers (beide CDU) zugunsten langjähriger Rentenbeitragszahler. Vor allem in den neuen Bundesländern werde es künftig eine Rentnergeneration mit gebrochenen Erwerbsbiografien geben, die zu einem großen Teil grundsicherungspflichtig werde, sagte Böhmer.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Der selbst ernannte Arbeiterführer und CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Jürgen Rüttgers, er verschafft sich immer mal wieder lautstark Gehör. Erst nervte er seine eigene Partei mit der Forderung, das Arbeitslosengeld I für Ältere aus Gründen der Gerechtigkeit länger zu zahlen als ein Jahr, und setzte sich schließlich gegen seine Kritiker durch. Jetzt hat er wieder ein Thema angeschnitten, das für Debatten sorgt. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" hat er die Forderung aufgestellt, dass Geringverdiener, die jahrzehntelang eingezahlt haben, mehr Rente bekommen sollten als die so genannte Grundsicherung, die sich auf Sozialhilfeniveau bewegt. Leistung müsse sich lohnen, so Rüttgers.
    Am Telefon begrüße ich Wolfgang Böhmer von der CDU, den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Guten Morgen!

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Böhmer, Rüttgers fordert mehr Rente für Geringverdiener. Hat er Recht?

    Böhmer: Er hat insofern Recht, als wir gerade hier bei uns in den neuen Bundesländern zukünftig eine Rentnergeneration erwarten mit sehr gebrochenen Erwerbsbiografien, die zu einem großen Anteil grundsicherungspflichtig werden. Und da erwarten wir das, was man gegenwärtig unter dem Schlagwort Altersarmut diskutiert, als reale Gefahr. Darüber muss man sprechen! Ich bin gegen jeden Populismus; ich bin auch gegen ganz vorschnelle Entscheidungen. Aber wir erwarten eine Schwierigkeit, mit der wir umgehen müssen.

    Heckmann: Altersarmut in Deutschland, das ist also eine Welle, die auf uns in Deutschland zurollt?

    Böhmer: Bei uns in den neuen Bundesländern mit Sicherheit.

    Heckmann: Nun ist die Frage, wie kommen wir raus aus diesem Dilemma? Würden Sie für eine Mindestrente plädieren, wie es jetzt auch der linke SPD-Flügel fordert?

    Böhmer: Wenn man darüber nachdenkt - und man muss über alles nachdenken dürfen, ohne sich gleich des Populismus zu bezichtigen -, muss man auch sagen, wie die finanziert werden soll. Die kann durch staatliche Zuschüsse aus dem Steuersystem finanziert werden. Jetzt erhält die Rentenversicherung zwischen 78 und 80 Milliarden jährlich. Diese Summe würde dann erhöht werden müssen. Man kann auch das Rentensystem insgesamt anders strukturieren und die Rentenformel anders berechnen.

    Heckmann: Das heißt den Rentnern, die mehr Rente beziehen, beispielsweise etwas wegnehmen?

    Böhmer: Das ist ein Vorschlag, den ich auch schon gehört habe. Ich finde den auch nicht besonders sympathisch, denn diejenigen, die mehr beziehen, haben mehr verdient und einen höheren Anteil eingezahlt. Ob das neuerdings gerecht sein soll, das halte ich auch für fraglich. Also das wird ein richtig schwieriges Problem und das ist für uns aus der Sicht der Länder deswegen interessant: wenn wir den Ausgleich über Grundsicherung - auch da könnte man die Sätze erhöhen - finanzieren, müssen das die Kommunen und die Länder finanzieren. Wenn man das über das Rentensystem macht, dann wäre die Bundesregierung zuschusspflichtig. Deswegen sind das hoch interessante und ich muss fast sagen brisante Fragen, die wir schon seit einiger Zeit diskutieren, die jetzt in die Öffentlichkeit getragen werden. Da weiß ich allerdings: Da wird es nicht leichter, eine Lösung zu finden.

    Heckmann: Das heißt also wenn Sie quasi ausschließen, dass anderen Rentnern etwas weggenommen werden soll, dann muss ja wohl der Staat einspringen. Das heißt, wir bekommen die Rente auf Pump?

    Böhmer: Was heißt "auf Pump"? Auf Pump wäre es nur dann, wenn wir dies mit Kredit finanzieren. Wenn wir es aus dem Steueraufkommen finanzieren, ohne Kredite dafür aufzunehmen, dann wäre das keine Finanzierung auf Pump. Und wir sind schon der Meinung - das ist ja eine sehr grundsätzliche Frage -, dass der soziale Ausgleich über das Steuersystem leichter zu organisieren ist als über irgendein Versicherungssystem.

    Heckmann: Aber wird dadurch nicht die Logik der Rentenversicherung ad absurdum geführt, wonach eben diejenigen, die viel einzahlen, später auch viel heraus bekommen?

    Böhmer: Diese Logik ist jetzt schon dadurch ad absurdum geführt, dass wir immer noch ein umlagefinanziertes Rentensystem haben. Ein umlagefinanziertes Rentensystem bei dieser demographischen Schichtverschiebung, die wir ja in den letzten Jahrzehnten durchgemacht haben und die zunehmend wird, kann nicht mehr in sich selber funktionieren und bedarf der Finanzhilfe von außen.

    Heckmann: Wäre das möglicherweise auch eine Überlegung, die Rentenversicherung ganz auf Steuerfinanzierung umzustellen?

    Böhmer: Dann wäre sie überhaupt keine Versicherung mehr. Dann können wir über einen Teil des staatlichen Haushaltes organisieren. Auch das hat es schon gegeben. Aber ich finde das auch nicht besonders zielorientiert.

    Heckmann: Herr Böhmer, die Frage ist ja: Wenn es so viele Rentner gibt - heute schon und in Zukunft mehr -, die so eine geringe Rente bekommen, weil sie eben so wenig verdient haben, dann ist die Frage, warum gibt es in Deutschland so viele Geringverdiener. Da sind wir dann wiederum beim Thema Mindestlohn, sagt zumindest die SPD.

    Böhmer: Ja gut, aber mit Mindestlohn allein werden wir die Rentenproblematik auch nicht lösen können, vor allen Dingen dann nicht, wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Mindestlohn einem kleinen Teil der Bevölkerung hilft und einen mindestens ebenso großen Teil in die Arbeitslosigkeit vertreibt - gerade bei uns in den neuen Bundesländern. Es ist ja nicht so, dass wir aus Kaltherzigkeit gegen einen Mindestlohn wären. Ich gönne das jedem! Aber ich weiß, dass es Arbeitgeber gibt, die dann einfach die Leute wenigstens teilweise entlassen müssten, um den anderen einen Mindestlohn finanzieren zu können. Das kann auch nicht besonders sinnvoll sein.

    Heckmann: Das Thema Rente, ist das aus Ihrer Sicht ein Konflikt zwischen Jung und Alt oder ein Konflikt zwischen Arm und Reich?

    Böhmer: Ein Konflikt zwischen Arm und Reich allein ist es nicht. Ein Konflikt zwischen Jung und Alt ist es geworden aufgrund der demographischen Entwicklung. Wenn diejenigen, die jetzt in das rentenberechtigte Alter kommen, selbst in ihren jungen Jahren weniger Kinder in die Welt gesetzt haben und nur kleinere Familien gegründet haben, wenn überhaupt, dann ist es doch schon lange vorher berechenbar, dass wir in diese Kalamität hineinkommen.

    Heckmann: Meine Frage hat natürlich folgenden Hintergrund: Jens Spahn, der Bundestagsabgeordnete der CDU, hat sich massiven Ärger eingehandelt, weil er nämlich die jüngste außerplanmäßige Rentenerhöhung kritisiert hat. Er wurde von Parteifreunden kritisiert. Von Seiten der Seniorenunion wurde quasi abgeraten, ihn in den nächsten Bundestag zu wählen. Wie weit sind wir in Deutschland eigentlich gekommen?

    Böhmer: Ja gut, das ist die Art und Weise, wie wir solche Probleme öffentlich diskutieren. Er hat ja etwas gesagt, was nicht völlig unlogisch ist, und die Tatsache, wie er es formuliert hat, mag nicht besonders glücklich gewesen sein. Aber die Art, wie darauf reagiert wurde, war nicht mehr sachgerecht. Diese Form der öffentlichen Diskussion, das ist das eigentliche Problem. Damit erschweren wir uns nämlich die Lösung solcher schwierigen Probleme.

    Heckmann: Müssen wir auch an das Thema "Rente mit 67" noch einmal heran?

    Böhmer: Ich wüsste nicht, was wir da noch ändern sollten. Wenn wir alle älter werden und die Zahl derjenigen im arbeitsfähigen Alter, die das bezahlen müssen, wenigstens relativ geringer wird, relativ zur Rentnergeneration, dann müssen wir länger arbeiten. Das ist so was von in sich logisch, dass ich keinen Grund sehen würde, das rückgängig zu machen. Und wenn wir noch älter werden könnte es sein, dass man später darüber diskutieren muss, noch ein wenig länger zu arbeiten. Wir sprechen ja jetzt darüber, wie wir einer doch deutlich gesünderen Rentnergeneration durch ehrenamtliche Tätigkeit Lebensinhalt organisieren können. Deshalb ist das für mich keine abwegige Diskussion.

    Heckmann: Innerhalb der SPD allerdings formiert sich der Widerstand gegen die Rente mit 67 weiterhin. Es gibt Versuche, mehr Ausnahmen einzuführen für Leute, die eben definitiv nicht bis 67 arbeiten können.

    Böhmer: Ja. Es gibt besondere Berufsgruppen, die jetzt schon kaum das Renteneintrittsalter von 65 erreichen. Die werden auch nicht dadurch besonders begünstigt, dass wir die Altersgrenze anheben. Aber das sind berufsspezifische und situationsspezifische Einzellösungen, die nicht das System in Frage stellen können.

    Heckmann: Herr Böhmer, zunächst hatten wir die außerplanmäßige Rentenerhöhung durch die Große Koalition, jetzt den Rüttgers-Vorstoß für Geringverdiener. Ist das ein Beleg für die These von Altbundespräsident Roman Herzog, wonach wir in Deutschland zunehmend in einer "Rentnerdemokratie" leben, in der eben die Rentner das Sagen haben, und möglicherweise die Gefahr besteht, dass die Jüngeren ausgeplündert werden?

    Böhmer: Na gut, auch das ist eine Überzeichnung. Dass jeder einzelne eine Stimme hat, das gehört zur Demokratie. Und wenn eine bestimmte Altersgruppe statistisch häufiger in der Bevölkerung vertreten ist, dann wird sie sich auch deutlicher melden können. Das gehört auch zur Demokratie; das weiß auch Herr Herzog. Aber deswegen schon von einer Rentnerdemokratie zu sprechen, das halte ich für überzogen.

    Heckmann: Und dass die jüngsten Vorschläge in Reihe abgeliefert werden kurz vor der Wahl 2009, das ist kein Zufall?

    Böhmer: Das ist kein Zufall, aber die Probleme sind älter. Darüber diskutieren wir schon seit acht bis zehn Jahren, weil wir wissen, dass das auf uns zukommt. Das kann man ja alles vorherberechnen. Dass jetzt die Vorschläge in den Medien und laut diskutiert werden, das wird wahrscheinlich damit zusammenhängen.

    Heckmann: Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, zum Thema "Rente in der Diskussion". Herr Böhmer, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Böhmer: Bitte schön!