Christoph Heinemann: Mehr Rente für Geringverdiener! Wüsste man nicht, wer diesen Vorschlag in einer Wochenendzeitung veröffentlicht hat, man suchte den Urheber vermutlich zuerst in der SPD oder weiter links. Jürgen Rüttgers hat sich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zu Wort gemeldet. "Wer lange in die Rentenkasse eingezahlt hat, muss mehr Rente bekommen als nur die Grundsicherung", sagt der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Ins gleiche Horn stößt der Arbeitnehmerflügel der SPD.
Am Telefon ist Gerald Weiß (CDU), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Guten Tag!
Gerald Weiß: Guten Tag Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Weiß, wie bewerten Sie Jürgen Rüttgers Vorschlag?
Weiß: Grundsätzlich positiv. Wir haben ein Problem - noch nicht in der Gegenwart. Die Altersarmut bei den Rentnerinnen und Rentnern ist heute mit zwei Prozent Abhängigkeit von Grundsicherung relativ gering und überschaubar. Aber sie wird wachsen befürchte ich und dann müssen wir eine Antwort geben, wie wir Niedrigverdienern, die ein Arbeitsleben lang geschafft haben, Beiträge bezahlt haben, eine Rente ermöglichen oberhalb der Grundsicherung.
Heinemann: Und welche Antwort geben Sie?
Weiß: Ich finde die Antwort, die Rüttgers gibt, diskussionswürdig. Das wäre ja praktisch die Rückkehr zu einem Instrument, das wir schon einmal hatten: Nämlich die Rente nach Mindesteinkommen - nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern aus fiskalischen Rentenfinanzgründen 1992 jedenfalls für die Zukunft abgeschafft. Man könnte darüber nachdenken, dieses Instrument im Problemzusammenhang wieder aufleben zu lassen, dass wir Menschen, die 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten haben, Pflichtbeiträge bezahlt haben, Niedrigverdienern, dass wir deren Entgeltpunkte, wie wir sagen, also Rentenanwartschaften so aufwerten, dass sie sicher über die Grundsicherung kommen.
Heinemann: Wäre das innerhalb des bestehenden Rentensystems zu bewerkstelligen?
Weiß: Das wäre grundsätzlich innerhalb des bestehenden Rentensystems zu bewerkstelligen. Das war ja früher ein Instrument, ein Element des bestehenden Rentenrechts. Die Finanzierungsfrage müsste entweder innerhalb der Rentenversicherung gelöst werden oder wir müssten hier über steuerliche Mittel nachdenken. Die kurzfristigen Beitragswirkungen wären sehr überschaubar. Dieses Instrument, wie es früher gestaltet war, wieder einzuführen, würde ungefähr 100 Millionen Euro bei 240 Milliarden Euro Jahresausgaben der Renten bedeuten, würde natürlich aufwachsen im Laufe der Zeit.
Heinemann: Mehr Rente für Geringverdiener! Das war die Rüttgersche Schlagzeile, unter der, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, auch Ihr Name stehen könnte. Die Kehrseite dieser Schlagzeile lautet doch "höhere Steuern oder höhere Beiträge".
Weiß: Ich habe ja eben etwas über die Finanz- und Beitragswirkung gesagt. Im Jahre 2030, wenn man das so in etwa hochrechnet, was die Wiedereinführung der Rente nach Mindesteinkommen kosten würde, im Laufe der Jahrzehnte würde man ankommen bei einer Ausgabenwirkung von etwa 2,3 Milliarden Euro. Das entspräche 0,26 Prozentpunkten Rentenversicherungsbeitrag. Und dann könnte man entscheiden, ob einem das wert ist, eine Gerechtigkeitslücke, die sich in der Zukunft nach allen Vorausschätzungen ergeben wird, zu schließen.
Heinemann: Weniger Beitragszahler müssten also mehr Leistungen erbringen. Ist das ordnungspolitisch richtig?
Weiß: Die Frage muss man diskutieren. Grundsätzlich haben wir ein leistungsbezogenes Rentenversicherungssystem. Die Höhe der Beitragsleistung bestimmt auch die Höhe der Rente. Ständig in Richtung Rentenbegrenzung, Rentenniveau-Begrenzung zu gehen, wäre ganz sicherlich falsch und ein Verstoß gegen die Leistungsgerechtigkeit. Also man muss hier zwischen Leistungsgerechtigkeit und wenn man so will Verteilungsgerechtigkeit abwägen.
Heinemann: Herr Weiß, Voraussetzung für höhere Renten wären unter Umständen höhere Löhne und da sind wir dann bald beim Mindestlohn. Sie sprachen eben vom Mindesteinkommen. Wäre dies nicht der bessere Weg, Menschen vor Altersarmut zu schützen?
Weiß: Mindestlohn ist ein Instrument, wenn der Staat in die Lohnfindung hineingeht für die Ausnahmesituation, wenn wir Marktversagen haben, die Lohnfindung nicht funktioniert. Sie gehört in erster Linie in die Hand der Tarifvertragsparteien, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände. Wenn wir aus welchen Gründen auch immer - im entscheidenden Aspekt sind es politische Entscheidungen, die durch beispielsweise den Zustrom von Billigarbeitskräften aus dem Ausland bewirken oder bewirkt haben - sagen, hier droht der freie Fall der Löhne und bei Lohndumping muss man eingreifen, dann ist das ein Ausnahmebereich, eine Sache für Ausnahmesektoren, aber keine generelle Lösung für die gesamte Wirtschaft.
Heinemann: Was halten Sie von dem Vorschlag von Ottmar Schreiner von der SPD, Selbständige sollten überhaupt und Besserverdienende stärker in die Kassen einzahlen?
Weiß: Ich komme auf Ihre Frage von vorhin zurück. Das würde ja faktisch bedeuten: Weniger Rente und mehr Beitrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gut verdienen. Dass man diesen Bogen nicht überspannen darf, ist ja gerade das Grundproblem der Leistungsgerechtigkeit, der so genannten Beitragsäquivalenz: der Beitragsleistung muss noch eine angemessene Rente entsprechen. Der schreinersche Vorschlag würde das in Frage stellen.
Heinemann: Wolfgang Böhmer haben Sie eben Recht gegeben, dass Altersarmut eine reale Gefahr ist und eine wachsende Gefahr ist. Ein Sozialminister Ihrer Partei hat einmal plakatiert, die Rente sei sicher. Welche Rente ist sicher und für wen?
Weiß: Die Rente in dem Sinne, dass sie gezahlt wird, ist sicher. Die Frage wie hoch kann sie sein bei einem Volk, das viele, viele Beitragszahler in Zukunft verlieren wird - die berühmte demographische Lücke - und vor dem Hintergrund der Frage was kann ich dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber an Beitragsleistung, an Abgabequote zumuten, das ist die Abwägungsfrage. Ich glaube, dass wir mit der Rente 67 und manchen anderen Reformschritten diese Frage für die überschaubare Zukunft in angemessener Weise geklärt haben und bei diesen Rahmenbedingungen sollte man auch jetzt mal bleiben.
Heinemann: Ist Rente mit 67 das letzte Wort oder reden wir bald über eine Rente mit 70?
Weiß: Ich halte das für groben Unfug, nachdem wir in einer großen politischen Leistung (unpopulär bis zum heutigen Tag) über eine lange Zeitspanne hinweg den stufenweisen Aufbau der Rente mit 67 konzipiert und durchgesetzt haben, jetzt schon wieder hier neue Eckdaten ins Spiel zu bringen. Für die nächsten Jahrzehnte muss Rente mit 67 insoweit denke ich in Sachen Lebensarbeitszeit das letzte Wort sein.
Heinemann: Gerald Weiß (CDU), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Weiß: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann.
Am Telefon ist Gerald Weiß (CDU), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Guten Tag!
Gerald Weiß: Guten Tag Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Weiß, wie bewerten Sie Jürgen Rüttgers Vorschlag?
Weiß: Grundsätzlich positiv. Wir haben ein Problem - noch nicht in der Gegenwart. Die Altersarmut bei den Rentnerinnen und Rentnern ist heute mit zwei Prozent Abhängigkeit von Grundsicherung relativ gering und überschaubar. Aber sie wird wachsen befürchte ich und dann müssen wir eine Antwort geben, wie wir Niedrigverdienern, die ein Arbeitsleben lang geschafft haben, Beiträge bezahlt haben, eine Rente ermöglichen oberhalb der Grundsicherung.
Heinemann: Und welche Antwort geben Sie?
Weiß: Ich finde die Antwort, die Rüttgers gibt, diskussionswürdig. Das wäre ja praktisch die Rückkehr zu einem Instrument, das wir schon einmal hatten: Nämlich die Rente nach Mindesteinkommen - nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern aus fiskalischen Rentenfinanzgründen 1992 jedenfalls für die Zukunft abgeschafft. Man könnte darüber nachdenken, dieses Instrument im Problemzusammenhang wieder aufleben zu lassen, dass wir Menschen, die 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten haben, Pflichtbeiträge bezahlt haben, Niedrigverdienern, dass wir deren Entgeltpunkte, wie wir sagen, also Rentenanwartschaften so aufwerten, dass sie sicher über die Grundsicherung kommen.
Heinemann: Wäre das innerhalb des bestehenden Rentensystems zu bewerkstelligen?
Weiß: Das wäre grundsätzlich innerhalb des bestehenden Rentensystems zu bewerkstelligen. Das war ja früher ein Instrument, ein Element des bestehenden Rentenrechts. Die Finanzierungsfrage müsste entweder innerhalb der Rentenversicherung gelöst werden oder wir müssten hier über steuerliche Mittel nachdenken. Die kurzfristigen Beitragswirkungen wären sehr überschaubar. Dieses Instrument, wie es früher gestaltet war, wieder einzuführen, würde ungefähr 100 Millionen Euro bei 240 Milliarden Euro Jahresausgaben der Renten bedeuten, würde natürlich aufwachsen im Laufe der Zeit.
Heinemann: Mehr Rente für Geringverdiener! Das war die Rüttgersche Schlagzeile, unter der, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, auch Ihr Name stehen könnte. Die Kehrseite dieser Schlagzeile lautet doch "höhere Steuern oder höhere Beiträge".
Weiß: Ich habe ja eben etwas über die Finanz- und Beitragswirkung gesagt. Im Jahre 2030, wenn man das so in etwa hochrechnet, was die Wiedereinführung der Rente nach Mindesteinkommen kosten würde, im Laufe der Jahrzehnte würde man ankommen bei einer Ausgabenwirkung von etwa 2,3 Milliarden Euro. Das entspräche 0,26 Prozentpunkten Rentenversicherungsbeitrag. Und dann könnte man entscheiden, ob einem das wert ist, eine Gerechtigkeitslücke, die sich in der Zukunft nach allen Vorausschätzungen ergeben wird, zu schließen.
Heinemann: Weniger Beitragszahler müssten also mehr Leistungen erbringen. Ist das ordnungspolitisch richtig?
Weiß: Die Frage muss man diskutieren. Grundsätzlich haben wir ein leistungsbezogenes Rentenversicherungssystem. Die Höhe der Beitragsleistung bestimmt auch die Höhe der Rente. Ständig in Richtung Rentenbegrenzung, Rentenniveau-Begrenzung zu gehen, wäre ganz sicherlich falsch und ein Verstoß gegen die Leistungsgerechtigkeit. Also man muss hier zwischen Leistungsgerechtigkeit und wenn man so will Verteilungsgerechtigkeit abwägen.
Heinemann: Herr Weiß, Voraussetzung für höhere Renten wären unter Umständen höhere Löhne und da sind wir dann bald beim Mindestlohn. Sie sprachen eben vom Mindesteinkommen. Wäre dies nicht der bessere Weg, Menschen vor Altersarmut zu schützen?
Weiß: Mindestlohn ist ein Instrument, wenn der Staat in die Lohnfindung hineingeht für die Ausnahmesituation, wenn wir Marktversagen haben, die Lohnfindung nicht funktioniert. Sie gehört in erster Linie in die Hand der Tarifvertragsparteien, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände. Wenn wir aus welchen Gründen auch immer - im entscheidenden Aspekt sind es politische Entscheidungen, die durch beispielsweise den Zustrom von Billigarbeitskräften aus dem Ausland bewirken oder bewirkt haben - sagen, hier droht der freie Fall der Löhne und bei Lohndumping muss man eingreifen, dann ist das ein Ausnahmebereich, eine Sache für Ausnahmesektoren, aber keine generelle Lösung für die gesamte Wirtschaft.
Heinemann: Was halten Sie von dem Vorschlag von Ottmar Schreiner von der SPD, Selbständige sollten überhaupt und Besserverdienende stärker in die Kassen einzahlen?
Weiß: Ich komme auf Ihre Frage von vorhin zurück. Das würde ja faktisch bedeuten: Weniger Rente und mehr Beitrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gut verdienen. Dass man diesen Bogen nicht überspannen darf, ist ja gerade das Grundproblem der Leistungsgerechtigkeit, der so genannten Beitragsäquivalenz: der Beitragsleistung muss noch eine angemessene Rente entsprechen. Der schreinersche Vorschlag würde das in Frage stellen.
Heinemann: Wolfgang Böhmer haben Sie eben Recht gegeben, dass Altersarmut eine reale Gefahr ist und eine wachsende Gefahr ist. Ein Sozialminister Ihrer Partei hat einmal plakatiert, die Rente sei sicher. Welche Rente ist sicher und für wen?
Weiß: Die Rente in dem Sinne, dass sie gezahlt wird, ist sicher. Die Frage wie hoch kann sie sein bei einem Volk, das viele, viele Beitragszahler in Zukunft verlieren wird - die berühmte demographische Lücke - und vor dem Hintergrund der Frage was kann ich dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber an Beitragsleistung, an Abgabequote zumuten, das ist die Abwägungsfrage. Ich glaube, dass wir mit der Rente 67 und manchen anderen Reformschritten diese Frage für die überschaubare Zukunft in angemessener Weise geklärt haben und bei diesen Rahmenbedingungen sollte man auch jetzt mal bleiben.
Heinemann: Ist Rente mit 67 das letzte Wort oder reden wir bald über eine Rente mit 70?
Weiß: Ich halte das für groben Unfug, nachdem wir in einer großen politischen Leistung (unpopulär bis zum heutigen Tag) über eine lange Zeitspanne hinweg den stufenweisen Aufbau der Rente mit 67 konzipiert und durchgesetzt haben, jetzt schon wieder hier neue Eckdaten ins Spiel zu bringen. Für die nächsten Jahrzehnte muss Rente mit 67 insoweit denke ich in Sachen Lebensarbeitszeit das letzte Wort sein.
Heinemann: Gerald Weiß (CDU), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Weiß: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann.