Dirk-Oliver Heckmann: Meine Kollegin Anne Raith hat darüber mit Stefan Köppl von der Politischen Akademie Tutzing gesprochen. Ihre erste Frage: War der Wahlausgang für ihn eine Überraschung?
Stefan Köppl: Man konnte es ahnen. Es haben sich ja in den letzten Wochen, besonders aber in den letzten Tagen schon Anzeichen gehäuft, dass es einige Überläufer aus dem Anti-Berlusconi-Lager geben wird.
Anne Raith: Dennoch fragt man sich, wie er das Ruder hat herumreißen können.
Köppl: Natürlich schießen jetzt die Spekulationen ins Kraut über Stimmenkauf, über Zugeständnisse, sichere Listenplätze, künftige Posten bei künftig zu bildenden Regierungen. Das kann man alles nicht ausschließen. Es ist aber auch ein bisschen Spekulation daran, mal mehr, mal weniger. Einen anderen wichtigen Aspekt dürfte wohl die Frage darstellen, dass man das Land in einer Situation wie jetzt wohl nicht weiter in eine Krise, in eine Regierungskrise stürzen wollte, denn bei einem positiven Ausgang des Misstrauensvotums, also bei einem Sturz Berlusconis, wären die Ungewissheiten natürlich noch größer geworden, als sie es jetzt sind.
Raith: Aber andererseits hat man auch nicht das Gefühl, dass es mit Berlusconi in die richtige Richtung geht.
Köppl: Das ist vollkommen richtig, denn die gewonnene Vertrauensabstimmung löst jetzt keine einzige der drängenden politischen Fragen, weder was die politischen, wirtschaftlichen, auch vielleicht bildungspolitischen Probleme Italiens angeht, noch das Problem, dass Berlusconi alles andere als eine stabile Mehrheit hinter sich im Parlament hat. Allerdings muss man auch dazu sagen: so stabil, wie sie schien, war seine Mehrheit auch vor dem Ausscheren der Fini-Anhänger nicht.
Raith: Der Oppositionsführer Bersani wirft Berlusconi vor, jetzt nicht länger in der Lage sein zu können, das Land zu regieren. Was bedeutet diese fragile Mehrheit nun für die künftige Arbeit der Regierung?
Köppl: Es wird natürlich jetzt, genauso wie auch schon in den letzten Wochen, bei jedem einzelnen politischen Projekt, bei jeder Gesetzesvorlage darauf ankommen, immer wieder Ad-hoc-Mehrheiten zu bilden. Das ist allerdings auch für die italienische Politik nichts Ungewöhnliches. Mit ähnlichen Problemen haben auch Mitte-Links-Regierungen schon zu kämpfen gehabt. Das große strategische Ziel muss jetzt für Berlusconi natürlich sein, seine Mehrheit grundsätzlich zu verbreitern, damit er nicht auf einzelne Abweichler angewiesen bleibt, und das geht eigentlich nur entweder dadurch, Fini wieder zurück ins Boot zu holen, oder eben andere kleine Mitte-Rechts-Parteien, die noch in der Opposition sich befinden, offiziell auch in die Regierungsmehrheit aufzunehmen.
Raith: Glauben Sie denn, dass Berlusconi selbst irgendwelche Konsequenzen aus dem gerade noch einmal umgangenen Misstrauensvotum ziehen wird?
Köppl: Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Berlusconi wird das ganz im Gegenteil als erneute Bestätigung seines Weges und auch seines Politikstils sehen. Er wird eher gestärkt und selbstbewusst aus dieser Abstimmung hervorgehen. Ob das auch mit den realen Gegebenheiten, mit seiner sehr fragilen Mehrheit übereinstimmt, das ist wieder eine ganz andere Frage. Aber dass Berlusconi selbst aus diesem Beinahe-Sturz lernt und sich jetzt in seinem Gebaren, in seinem Auftreten verändert, das dürfte wohl ausgeschlossen sein.
Raith: Wenn man zurückblickt, ist Berlusconi ja in gewisser Weise ein politischer Überlebenskünstler. Warum hat er in Italien offenbar nach wie vor Rückhalt, zumindest Rückhalt genug?
Köppl: Da gibt es eine ganz lange Liste von Gründen. Zum einen: da muss man anfangen bei der Sehnsucht der Italiener nach einer stabilen Regierung. Er ist ja derjenige, der in der jüngeren Vergangenheit am längsten permanent regieren konnte, und so bizarr es klingen mag, das allein ist schon für viele Italiener ein Pluspunkt. Es geht dann darüber hinaus, dass er mit seiner Partei eine ganz wichtige strategische Position im italienischen Parteiensystem einnimmt. Um seine Partei, wie auch immer sie heißen mag, führt eigentlich kein Weg vorbei. Und als dritten wichtigen Punkt, den man noch herausgreifen muss, ist natürlich, dass die Schwäche der Opposition eine seiner größten Stärken ist. Die Opposition hat es bislang auch in den ganzen 15 Jahren nicht wirklich geschafft, aus den zahlreichen Angriffspunkten, die Berlusconi bietet, auch wirklich politisches Kapital zu schlagen.
Raith: Wenn man sich all die diplomatischen Fauxpas, die rassistischen Entgleisungen, die Affären etc. anschaut, gibt es eigentlich eine Grenze?
Köppl: Nach den bisherigen Erfahrungen muss man wohl sagen nein, denn wo sollten die noch sein, wenn sie nicht schon längst überschritten sind. Man muss wohl feststellen, dass diejenigen Italiener, die unter seine Anhänger zu zählen sind, ihm all das verzeihen und sie ihn vielleicht sogar noch sympathischer machen. Für diejenigen, die ohnehin Berlusconi-Gegner sind, sind das immer noch mehr Gründe, um gegen ihn zu sein. Aber aus der Erfahrung heraus wird es wohl keine Grenze mehr geben.
Raith: Übertreiben wir eigentlich von außen betrachtet, wenn wir die Misere dieses Landes immer nur an dieser einen Person festmachen, an Berlusconi?
Köppl: Ja. Es hängt hinter Berlusconi auch noch ein relativ buntes Mitte-Rechts-Bündnis. Man muss auch die Opposition, die Mitte-Links-Opposition mit einbeziehen, die es an einer klaren und auch glaubwürdigen politischen Alternative fehlen lässt. Sie hatte ja auch ihre Chancen zwischen 1996 und 2001, zwischen 2006 und 2008. Und nicht zuletzt muss man die Italiener selbst natürlich mit in die Rechnung einbeziehen. Dass Berlusconi die einzige Ursache des Übels in Italien ist, das wage ich zu bezweifeln. Vielleicht ist er sogar eher nur ein Symptom als die Ursache selbst.
Heckmann: Zur Lage in Italien Stefan Köppl von der Politischen Akademie Tutzing. Das Gespräch hat meine Kollegin Anne Raith geführt.
Stefan Köppl: Man konnte es ahnen. Es haben sich ja in den letzten Wochen, besonders aber in den letzten Tagen schon Anzeichen gehäuft, dass es einige Überläufer aus dem Anti-Berlusconi-Lager geben wird.
Anne Raith: Dennoch fragt man sich, wie er das Ruder hat herumreißen können.
Köppl: Natürlich schießen jetzt die Spekulationen ins Kraut über Stimmenkauf, über Zugeständnisse, sichere Listenplätze, künftige Posten bei künftig zu bildenden Regierungen. Das kann man alles nicht ausschließen. Es ist aber auch ein bisschen Spekulation daran, mal mehr, mal weniger. Einen anderen wichtigen Aspekt dürfte wohl die Frage darstellen, dass man das Land in einer Situation wie jetzt wohl nicht weiter in eine Krise, in eine Regierungskrise stürzen wollte, denn bei einem positiven Ausgang des Misstrauensvotums, also bei einem Sturz Berlusconis, wären die Ungewissheiten natürlich noch größer geworden, als sie es jetzt sind.
Raith: Aber andererseits hat man auch nicht das Gefühl, dass es mit Berlusconi in die richtige Richtung geht.
Köppl: Das ist vollkommen richtig, denn die gewonnene Vertrauensabstimmung löst jetzt keine einzige der drängenden politischen Fragen, weder was die politischen, wirtschaftlichen, auch vielleicht bildungspolitischen Probleme Italiens angeht, noch das Problem, dass Berlusconi alles andere als eine stabile Mehrheit hinter sich im Parlament hat. Allerdings muss man auch dazu sagen: so stabil, wie sie schien, war seine Mehrheit auch vor dem Ausscheren der Fini-Anhänger nicht.
Raith: Der Oppositionsführer Bersani wirft Berlusconi vor, jetzt nicht länger in der Lage sein zu können, das Land zu regieren. Was bedeutet diese fragile Mehrheit nun für die künftige Arbeit der Regierung?
Köppl: Es wird natürlich jetzt, genauso wie auch schon in den letzten Wochen, bei jedem einzelnen politischen Projekt, bei jeder Gesetzesvorlage darauf ankommen, immer wieder Ad-hoc-Mehrheiten zu bilden. Das ist allerdings auch für die italienische Politik nichts Ungewöhnliches. Mit ähnlichen Problemen haben auch Mitte-Links-Regierungen schon zu kämpfen gehabt. Das große strategische Ziel muss jetzt für Berlusconi natürlich sein, seine Mehrheit grundsätzlich zu verbreitern, damit er nicht auf einzelne Abweichler angewiesen bleibt, und das geht eigentlich nur entweder dadurch, Fini wieder zurück ins Boot zu holen, oder eben andere kleine Mitte-Rechts-Parteien, die noch in der Opposition sich befinden, offiziell auch in die Regierungsmehrheit aufzunehmen.
Raith: Glauben Sie denn, dass Berlusconi selbst irgendwelche Konsequenzen aus dem gerade noch einmal umgangenen Misstrauensvotum ziehen wird?
Köppl: Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Berlusconi wird das ganz im Gegenteil als erneute Bestätigung seines Weges und auch seines Politikstils sehen. Er wird eher gestärkt und selbstbewusst aus dieser Abstimmung hervorgehen. Ob das auch mit den realen Gegebenheiten, mit seiner sehr fragilen Mehrheit übereinstimmt, das ist wieder eine ganz andere Frage. Aber dass Berlusconi selbst aus diesem Beinahe-Sturz lernt und sich jetzt in seinem Gebaren, in seinem Auftreten verändert, das dürfte wohl ausgeschlossen sein.
Raith: Wenn man zurückblickt, ist Berlusconi ja in gewisser Weise ein politischer Überlebenskünstler. Warum hat er in Italien offenbar nach wie vor Rückhalt, zumindest Rückhalt genug?
Köppl: Da gibt es eine ganz lange Liste von Gründen. Zum einen: da muss man anfangen bei der Sehnsucht der Italiener nach einer stabilen Regierung. Er ist ja derjenige, der in der jüngeren Vergangenheit am längsten permanent regieren konnte, und so bizarr es klingen mag, das allein ist schon für viele Italiener ein Pluspunkt. Es geht dann darüber hinaus, dass er mit seiner Partei eine ganz wichtige strategische Position im italienischen Parteiensystem einnimmt. Um seine Partei, wie auch immer sie heißen mag, führt eigentlich kein Weg vorbei. Und als dritten wichtigen Punkt, den man noch herausgreifen muss, ist natürlich, dass die Schwäche der Opposition eine seiner größten Stärken ist. Die Opposition hat es bislang auch in den ganzen 15 Jahren nicht wirklich geschafft, aus den zahlreichen Angriffspunkten, die Berlusconi bietet, auch wirklich politisches Kapital zu schlagen.
Raith: Wenn man sich all die diplomatischen Fauxpas, die rassistischen Entgleisungen, die Affären etc. anschaut, gibt es eigentlich eine Grenze?
Köppl: Nach den bisherigen Erfahrungen muss man wohl sagen nein, denn wo sollten die noch sein, wenn sie nicht schon längst überschritten sind. Man muss wohl feststellen, dass diejenigen Italiener, die unter seine Anhänger zu zählen sind, ihm all das verzeihen und sie ihn vielleicht sogar noch sympathischer machen. Für diejenigen, die ohnehin Berlusconi-Gegner sind, sind das immer noch mehr Gründe, um gegen ihn zu sein. Aber aus der Erfahrung heraus wird es wohl keine Grenze mehr geben.
Raith: Übertreiben wir eigentlich von außen betrachtet, wenn wir die Misere dieses Landes immer nur an dieser einen Person festmachen, an Berlusconi?
Köppl: Ja. Es hängt hinter Berlusconi auch noch ein relativ buntes Mitte-Rechts-Bündnis. Man muss auch die Opposition, die Mitte-Links-Opposition mit einbeziehen, die es an einer klaren und auch glaubwürdigen politischen Alternative fehlen lässt. Sie hatte ja auch ihre Chancen zwischen 1996 und 2001, zwischen 2006 und 2008. Und nicht zuletzt muss man die Italiener selbst natürlich mit in die Rechnung einbeziehen. Dass Berlusconi die einzige Ursache des Übels in Italien ist, das wage ich zu bezweifeln. Vielleicht ist er sogar eher nur ein Symptom als die Ursache selbst.
Heckmann: Zur Lage in Italien Stefan Köppl von der Politischen Akademie Tutzing. Das Gespräch hat meine Kollegin Anne Raith geführt.