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Debatte in Norddeutschland
Lärm und Stress durch Windräder

Schleswig-Holstein will die Windkraft weiter ausbauen. Dagegen sperren sich Bürgerinitiativen und direkte Anwohner im Norden, die neben der Umweltzerstörung zunehmende Belastungen durch Lärm beklagen. Die Landesregierung in Kiel verweist auf gültige Lärmschutzgesetze.

Von Johannes Kulms | 05.10.2018
    Windraeder im Rapsfeld, aufgenommen in Schoepstal, Deutschland
    Windräder in Deutschland: "Körperliche und psychische Symptome bei Anwohnern" (imago/Florian Gärtner)
    Der Blick aus der Küche von Susanne Kirchhof geht hinaus auf ein weites Feld. Rechts davon erhebt sich ein üppiger Mischwald. Vor einigen Jahren hat sich der Blick verändert. Die Baumkronen werden nun überragt von zwei mächtigen weißen Rotoren.
    180 Meter hoch sind die Windkraftanlagen. Und die hätten das Leben ihrer sechsköpfigen Familie kräftig verändert, sagt Kirchhof. Trotz der 800 Meter Distanz zu den Windrädern klinge es so, als wenn permanent ein Flugzeug über dem Haus fliege.
    "Also, wenn das Rotorblatt an dem Mast der Windkraftanlage vorbeizieht wie ein Wummern, wie ein pulsierendes Wummern. Da kommt immer ‚Wumm, Wumm, Wumm‘!"
    Kirchhofs Wohnort liegt eine halbe Autostunde nordwestlich von Kiel. An diesem Tag stehen die Windräder hinter ihrem Küchenfenster still.
    Doch anderswo in Schleswig-Holstein drehen sich auch heute wieder die Rotoren. 3.100 Windräder gibt es mittlerweile zwischen Nord- und Ostsee. Bis 2025 sollen es 3.600 sein und damit das Bild als ein Vorreiter der Energiewende untermauern.
    Machen Windräder krank?
    Susanne Kirchhof will genau daran rütteln. Sie sagt: Der Ausbau der Windenergie führe zu Lärmkrankheiten und dazu, dass Natur- und Naherholungsgebiete zerstört würden. Als Vorsitzende des Vereins "Für Mensch und Natur Gegenwind-SH" kämpfte sie im Landtagswahlkampf für größere Abstände zu Häusern und Siedlungen. Aber machen Windkraftanlagen krank?
    "Ich möchte nicht von Krankheit sprechen. Ich möchte erstmal von Stresseffekten sprechen."
    Sagt Johannes Pohl, er ist Umweltpsychologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 14 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit den Auswirkungen von Windparks auf die Anwohner. Es gebe Betroffene, die mit körperlichen wie psychischen Symptomen zu kämpfen hätten:
    "Die sagen: Die Anlagen stören mich bei meinem Nachtschlaf, durch die Anlagen habe ich schlechtere Stimmung, bin ich nervöser, kann nicht gut arbeiten, mich nicht gut konzentrieren."
    Nach seinen Studien sei die Gruppe der Betroffenen mit etwa vier Prozent relativ klein. Doch gelte es deren Probleme ernst zu nehmen.
    Ob eine Windkraftanlage Stresseffekte bei den Anwohnern auslöse, sei allerdings weniger eine Frage der Abstände zu Häusern und Siedlungen. Sondern vor allem, wie die Leute in der Vorbereitungs- und Bauphase dem Projekt gegenüberstünden. Da gebe es zum Beispiel Personen, die die Windenergie von vornherein sehr kritisch sehen.
    Umweltpsychologe: "Anwohner ernst nehmen"
    "Das heißt, sie richten Ihre Aufmerksamkeit da auch ganz anders aus. Und ein anderer sagt: Ja, ich schaue jetzt mal, was da jetzt passiert und bin da jetzt unvoreingenommen und der kriegt da auch nicht viel mit. Die gibt es genauso. Während ein Dritter sich freut, weil er finanziell beteiligt ist - und deshalb gerne da hinschaut, wenn die Anlagen drehen und auch bereit ist, bestimmte Geräusche hinzunehmen."
    Pohl rät den Planern von Windparks dazu, sich Zeit zu nehmen, und die Anwohner vor Ort zu hören. Und er fordert, die Forschung fortzuführen um den Zusammenhang von Windkraftanlagen und Krankheiten besser zu verstehen.
    Susanne Kirchhof vom Verein "Gegenwind" meint allerdings, die Politik richte sich vor allem nach den Investoren und deren Interessen - die Landesregierung vernachlässige die der Menschen vor Ort. So wie bei der Kontrolle von Richtwerten beim Schallschutz. Hier ziehe die Schleswig-Holsteinische Landesregierung pauschal drei Dezibel bei der Überwachung der bestehenden Anlagen ab. Doch drei Dezibel bedeuteten auch eine Verdoppelung der Schallintensität, sagt Kirchhof.
    "Wir fragen uns: Cui bono? Greift das für den Immissionschutz zuständige Ministerium hier in die Taschenspielertrickkiste, nur um die Windkraftbranche Schleswig-Holsteins zu päppeln?"
    Landesregierung verweist auf Lärmschutz
    Ja, es gebe eine Abweichung bei bestehenden Anlagen, sagt Schleswig-Holsteins Energieminister Jan Philipp-Albrecht. Doch diese Regelung sei so vom Bundesgesetzgeber vorgegeben. Ein Teil der Geräuschkulisse entstünde durch die Wetterverhältnisse.
    "Also, es ist für uns absolut klar, Lärm hat für uns oberste Priorität, der Umgang damit muss genau entsprechend der Regeln laufen, die wir im Immissionsschutzgesetz und in der TA Lärm festgelegt haben, die überprüfen wir. Und alle Investoren, die diese Werte nicht einhalten, die werden ihre Maßnahmen so nicht weiter fortsetzen können. Und denen schalten wir im Zweifelsfall auch die Anlage so wie sie genehmigt wurde wieder ab wenn sie nicht in der Lage sind, den Wert zu erreichen."
    Schleswig-Holsteins Jamaika-Regierung hat vor kurzem beschlossen, die Mindestabstände von neuen Anlagen zu Siedlungen noch einmal etwas zu vergrößern - auf mindestens 1.000 Meter. Doch klar ist: Das Thema Windkraft bleibt sehr kompliziert. Und umstritten.