Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Debatte nach SZ-Artikel
Wurde die Bundespressekonferenz "gekapert"?

Ist die Bundespressekonferenz zur Bühne für Selbstdarsteller und Verbreiter von Desinformationen geworden? Ein Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" beschreibt diese Entwicklung – und sorgt damit für gemischte Reaktionen unter Journalisten.

Text von Michael Borgers / Mathis Feldhoff im Gespräch mit Stefan Fries | 24.02.2021
Thomas Haldenwang (l-r), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister, Ute Welty, BPK, Dieter Romann, Präsident des Bundespolizeipräsidiums, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, nehmen vor Journalisten der Bundespressekonferenz
Das Haus der Bundespressekonferenz - wo sich Journalistinnen, Politiker und andere Vertreterinnen der Gesellschaft begegnen (picture alliance/dpa/dpa Pool | Wolfgang Kumm)
Die Bundespressekonferenz (BPK) ist ein Verein mit langer Geschichte. Gegründet 1949, "um relativ schnell an möglichst objektive Informationen heranzukommen", wie es auf der Webseite des Vereins heißt, garantiert die BPK seitdem den Austausch mit der Bundespolitik. "Mitglied kann nur werden, wer hauptberuflich für deutsche Medien aus Berlin oder Bonn über Bundespolitik berichtet", stellt die BPK klar. Aktuell gilt das für mehr als 900 Journalistinnen und Journalisten.
Wo Politiker keine Fragen verbieten können
2018 hatte das Weiße Haus dem CNN-Reporter Jim Acosta die Akkreditierung entzogen. In der Bundespressekonferenz wäre das nicht möglich - denn hier ist die Presse selbst Gastgeber. Ein Interview mit ZDF-Journalist Wulf Schmiese.
Was ein "Medium" ist, also im Wesentlichen Print- und Rundfunkmedien, war lange klar in Deutschland. Seitdem das Internet da ist, ist der Begriff vielfältiger geworden. Längst sind neue Spielarten hinzugekommen: etwa kommerzielle Blogs und Online-Redaktionen. Oder Seiten wie die von Boris Reitschuster. Der ehemalige "Focus"-Journalist hat sich selbst zur Marke gemacht, verspricht unter reitschuster.de "kritischen Journalismus" - und bietet in den meisten Artikeln vor allem jede Menge Meinung an.

SZ-Artikel beschreibt Fehlentwicklungen

Seit Oktober 2020 ist der langjährige Russland-Korrespondent auch Mitglied der Bundespressekonferenz. Ein knappes halbes Jahr später zogen nun mehrere Autoren in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) eine Art Bilanz. Ein Teil der BPK spräche inzwischen davon, ihr Verein sei "gekapert worden", heißt es dort. Außerdem: "Einige Journalisten und Blogger – vor allem die Namen Boris Reitschuster und Florian Warweg fallen da immer wieder – würden die Veranstaltung sehr erfolgreich als Bühne für Verschwörungsmythen und Fake News nutzen."
Warweg ist Online-Chef von RT DE, dem deutschsprachigen Ableger des Moskauer Senders, den viele bis heute als Russia Today kennen. "Beide, sowohl Warweg als auch Reitschuster, zelebrieren sich in der BPK als die letzten aufrechten Reporter. In ihren Beiträgen reißen sie aber systematisch Zitate aus dem Zusammenhang und instrumentalisieren sie für ihre Zwecke", befanden die SZ-Autoren in ihrem Artikel.

Gemischte Reaktionen auf Artikel

Warweg und Reitschuster widersprachen dieser Darstellung postwendend. Der von der russischen Regierung finanzierte Warweg sprach auf Twitter von einem "Schmähartikel", Reitschuster von einer "Hetz-Attacke". Rückendeckung bekamen sie unter anderem vom rechtsextremen Portal "PI News" und von Roland Tichy, der einst für unterschiedliche Wirtschaftsmagazine gearbeitet hat und inzwischen mit "Tichys Einblick" unter eigener Flagge unterwegs ist. Tichy lobte dort in einem Stück Reitschuster und erklärte, die BPK habe sich ganz grundsätzlich "überlebt".
Auf Twitter empfahlen zahlreiche Journalistinnen und Journalisten den SZ-Artikel weiter. "Wichtiger Text", fand "Spiegel"-Parlamentskorrespondent Florian Gathmann. Es läge "an uns Journalisten, die Bundespressekonferenz zu retten". Von "einem Problem, das kaum zu lösen scheint", schrieb Daniel Drepper, Chefredakteur von BuzzFeed News Deutschland.
Daniel Brössler, einer der Autoren des SZ-Artikels, widersprach der Behauptung, man habe einen Ausschluss Reitschusters aus der BPK gefordert. "Neue Desinformation entkräftet eine Geschichte über Desinformation nicht wirklich", schrieb er auf Twitter. "Leider las es sich so", erwiderte in dem Kurznachrichtendienst Sonia Mikich, ehemalige Chefredakteurin des WDR-Fernsehens. "Wenn ein einzelner Provo die Runde tatsächlich so stören und unterminieren kann, liegt das Problem in der Abwesenheit anderer Stimmen. Das hätte viel mehr im Fokus stehen müssen", so Mikich.

BPK: Keine Krise

"Wir nehmen die Diskussion natürlich wahr", sagte nun Mathis Feldhoff im Deutschlandfunk. Der ZDF-Korrespondent war als BPK-Vorsitzender auch bereits in dem SZ-Artikel zu Wort gekommen. Man habe im Vorstand über die Situation diskutiert und vereinbart, mit allen, auch Boris Reitschuster und Florian Warweg, Gespräche zu führen. Das werde "kein Tribunal", betont Feldhoff. Es gebe keine "etablierten oder nicht-etablierten Kollegen" und auch "keine richtigen und falschen Fragen". Man erwarte von allen, dass sie ihre Kolleginnen und Kollegen "mit Respekt behandeln".
Den Vorwurf Reitschusters, seit dem SZ-Artikel in der BPK nicht mehr angemessen zu Wort gekommen zu sein, weist Feldhoff zurück. "Dutzende Kolleginnen und Kollegen" könnten aktuell Corona-bedingt manchmal nicht ihre Fragen stellen und würden sich deshalb auch bei im Nachhinein beschweren. "Aber das bei Twitter zu posten und sich öffentlich schon während der Pressekonferenz zu beschwerden, das macht nur einer."
Feldhoff unterstreicht aber auch, aktuell gebe es keinen Antrag für einen BPK-Ausschluss Reitschusters. Die Bundespressekonferenz sei "die Herzkammer der Meinungsfreiheit", und das sei eben nicht immer konfliktfrei. Von einer "Krise" will der Vorsitzende der Bundespressekonferenz deshalb auch nicht sprechen.