Für den Notfall, wenn beispielsweise die Gefahr durch Virus-Mutationen zu groß werden sollte, erwägt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) "die faktische Streichung des Flugverkehrs nach Deutschland auf nahezu null". Die Grünen sind gegen diese Idee, die FDP auch. Man müsse über die Verhältnismäßigkeit von solchen Maßnahmen reden, sagte der verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Oliver Luksic, im Deutschlandfunk. Zudem seien Absprachen in der EU nötig.
Friedbert Meurer: Was haben Sie gegen die Idee von Horst Seehofer?
Luksic: Erst mal bin ich überrascht, dass ein solch weitgehender Vorschlag – wir haben ja die Reisefreiheit nicht nur im Grundgesetz; das ist auch eine der Freiheiten innerhalb der Europäischen Union – nicht mal im Parlament diskutiert wird. Wir erfahren so was aus den Medien. Und wir müssen natürlich immer über die Verhältnismäßigkeit von solchen Maßnahmen reden. Es ist natürlich schon eine Ironie der Geschichte - es war ausgerechnet Frau Merkel, die in der Migrationskrise gesagt hat, man könne sich nicht abschotten, man könne keine Menschen zurückweisen -, dass sie sich jetzt überbietet mit neuen Vorschlägen, die auch innerhalb von Europa nicht mal abgestimmt sind.
Meurer: Wir haben eine andere Situation jetzt.
Luksic: Ja, wir haben jetzt eine andere Situation. Auf die hat man sich nicht ausreichend vorbereitet. Das ist ja auch einer unserer Hauptkritikpunkte. Ich glaube, ja, es kann Sinn machen, in verschiedenen Hoch-Risikogebieten zu massiven Einschränkungen zu kommen, aber deswegen muss man nicht den gesamten Flugverkehr auf null reduzieren. Gerade in Flugzeugen gibt es zum Beispiel Hepa-Filter, die es bei einem Bahnverkehr nicht gibt. Warum dann der Bahnverkehr nicht eingeschränkt werden soll, aber der Flugverkehr, das leuchtet mir nicht ein. Die Bund-Länder-Konferenz hat ja gerade eine Zwei-Tests-Strategie beschlossen und es wäre sinnvoll, wenn die erst mal richtig angewendet wird.
Meurer: Die Frage ist aber: Sind Tests zu riskant, wenn es beispielsweise, sagen wir mal, um Flüge aus Brasilien geht? Wenn man ganz auf Nummer sicher gehen will, dass da keine Gefahr droht, reicht dann so ein Test aus?
Luksic: Wir haben ja derzeit, glaube ich, nur einen Flug pro Tag aus Brasilien. Die Bund-Länder-Konferenz – das hat Herr Habeck eben nicht richtig dargestellt -, die hat ja gerade eine Zwei-Tests-Strategie beschlossen. Man muss einen Test vorweisen, um in den Flieger einzusteigen, und dann in Deutschland sich in Quarantäne begeben. Ich glaube, wenn man dieses anwendet, ist das Risiko wirklich sehr, sehr gering. Das ist, glaube ich, darstellbar.
Wir müssen auch mal die Komponente sehen, dass beispielsweise die Geschäftsreisen auf ein absolutes Minimum zurückgefahren sind, aber zum Beispiel der Maschinenbauer-Verband darauf verweist, dass er auch unterwegs sein muss, um dort noch ein Minimum an wirtschaftlichem Leben aufrecht zu erhalten.
Ich glaube, mit sehr, sehr scharfen Beschränkungen geht es. Wir können gerne darüber diskutieren, wie wir zum Beispiel aus Brasilien, Großbritannien und diesen Hoch-Risikogebieten das noch weiter verschärfen. Aber jeglichen Flug ganz einzuschränken, und das noch ohne Abstimmung innerhalb der EU, ohne Debatte im Parlament, das halte ich für unverhältnismäßig.
"Mutationen sind ja auch schon da"
Meurer: Okay. Debatte kann man machen, in der EU abstimmen. Aber als Notfall-Instrument, bevor es einen wahnsinnigen Flickenteppich gibt, bei dem überhaupt niemand mehr genau weiß, ohne stundenlang im Internet zu recherchieren, kann er jetzt fliegen, darf er fliegen, kommt der Lockdown, kommt er in Quarantäne - wäre eine klare Ansage dann besser?
Luksic: Wenn wir in Europa das schnell auf die Tagesordnung gesetzt hätten – die Mutanten oder die Mutationen sind ja nicht neu; die sind auch schon da. Insofern glaube ich, da ist jetzt auch viel Symbolpolitik dabei. Wenn wir da in ganz Europa eine Regel finden, dass wir beispielsweise den Flugverkehr nach Brasilien einstellen, darüber könnte man durchaus diskutieren. Aber jeglichen Flug auch innerhalb der EU nach Deutschland einzustellen, das halte ich für nicht verhältnismäßig.
Meurer: Es hat ja manche diese Woche erstaunt: Die Aktienkurse der Luftfahrt-Gesellschaften sind nach oben geschnellt – bei der Lufthansa, bei Ryanair. Haben Sie eine Erklärung für diesen Optimismus?
Luksic: Die Aktienkurse sind ja weit abgeschmiert. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Bund sich massiv engagiert hat bei der TUI, bei der Lufthansa, während gleichzeitig ja zum Beispiel kleine Reisebüros vor der Pleite sind, alle auf Hilfe warten. Das ist auch alles nicht fair und gerecht. Das ist eine massive Belastung für die Branche. Wie gesagt, Einschränkungen sind notwendig. Man sollte jetzt auch Reisen einschränken. Aber wer mal am Frankfurter Flughafen war in letzter Zeit – da sind wir auf einem ganz, ganz niedrigen Niveau. Die Zwei-Tests-Strategie ist ja gerade beschlossen worden. Die sollten wir umsetzen. Wir können gerne über weitere Verschärfungen für einzelne Länder nachdenken. Aber für ganz Europa den gesamten Flugverkehr in einem nationalen Alleingang schließen zu wollen, das halte ich für falsch.
"Debatte lenkt vom Impfchaos ab"
Meurer: Die Airlines und die Flughäfen sind natürlich alarmiert, denke ich mal, bei so einer Vorstellung, wo sie jetzt hoffen, im Sommer geht es vielleicht wieder los und es fliegen wieder sehr viel mehr Leute. Wie sehr setzt sich die FDP dafür ein, dass Fluggesellschaften jetzt beispielsweise nicht Pleite gehen?
Luksic: Ich glaube, es ist ein generelles Problem im gesamten Mobilitätssektor. Ob das der Busbetreiber ist, die Bahnen, auch die Privatbahnen, die Deutsche Bahn und auch die gesamte Reiseindustrie. Mir geht es da auch um das kleine Reisebüro, das jetzt schon lange nicht mehr arbeiten kann. Ich glaube, das Kernproblem ist, dass bisher versäumt wurde, A eine Teststrategie aufzubauen. Da könnten natürlich auch Schnelltests eine Rolle spielen.
Und ich glaube, in dieser ganzen Debatte lenkt man auch von dem Impfchaos ab. Ich glaube, wir müssen möglichst schnell Tempo aufnehmen beim Impfen, weil nur dann, wenn die Menschen geimpft sind, auch Reisen wieder sicherer wird. Das ist absolut notwendig – A für die Menschen, die auch wieder mobil sein wollen, aber auch für die Wirtschaft ein wichtiges Signal. Deswegen brauchen wir jetzt einen Plan, wie man im Sommer wieder zu einer Normalisierung, soweit das bis dahin möglich ist, im Reiseverkehr kommt. Da brauchen wir dringend mehr Tempo beim Impfen und da geht es viel zu langsam voran, wenn wir sowohl nach Israel schauen, oder auch innerhalb der EU. Da sind wir zu langsam.
Meurer: Da sind alle mit Sicherheit Ihrer Meinung, dass wir uns mehr Tempo beim Impfen wünschen. - Der Innenminister macht sich dann Gedanken darüber, was ist, wenn bei uns hier die Leute geimpft sind, wenn bei uns die Fallzahlen deutlich heruntergegangen sind, und nebenan oder weiter entfernt gibt es Hoch-Risikogebiete. Sie plädieren dafür, dann nur im Einzelfall gegenüber bestimmten Ländern einen Schnitt zu machen?
Luksic: Ich plädiere dafür, dass wir diese Fragen innerhalb der Europäischen Union erst mal abstimmen, auch jetzt schon vorausplanen für den Sommer, wo wir ja A wegen den veränderten Wetterbedingungen, aber auch wegen den höheren Impfquoten mit Sicherheit wieder eine Zunahme des Reiseverkehrs haben. Ich glaube, wir müssen das europäisch abstimmen. Und dann müssen wir natürlich unterscheiden: Was ist mit den Ländern, in denen die Fallzahlen runtergehen, wo die Impfquote gestiegen ist, und den Ländern, wo es Probleme gibt. Da bin ich auch durchaus dafür, zu Beschränkungen zu kommen. Wie gesagt, die Zwei-Tests-Strategie, erst beim Losfliegen ein PCR-Test vorliegen haben und dann auch später noch mal eine Quarantäne, ist zum Beispiel eine mögliche Regelung.
Meurer: Mancher wird vielleicht fragen: Mit der EU abstimmen, Flugverbote, Streichungen oder scharfe Grenzkontrollen oder sogar Grenzschließungen. Wenn man das innerhalb der EU abstimmt, dauert das Wochen, und dann ist es zu spät.
Luksic: Ich glaube, das kann sehr schnell gehen. Wir haben es ja auch gesehen bei Rettungspaketen und bei anderen Fragen, wo die EU sehr schnell handlungsfähig war – gerade dann, wenn es eilig ist. In absoluten Ausnahmesituationen – wir hatten ja damals das Thema in der ersten Welle Flüge aus dem Iran – war ich auch dafür, sofort Flüge aus dem Iran zu stoppen. Da hat man das damals verpasst – übrigens das war ein Riesen-Fehler. Aber ich sage jetzt mal, es geht ja nicht nur um Flüge aus Brasilien. Da, meine ich, könnte man das im Zweifel noch in Deutschland regeln. Aber Seehofer hat ja gesagt, sämtliche Flüge in Deutschland, und das ist so weitgehend und betrifft auch die Grundfreiheiten der Europäischen Union, dass ein solch weitgehender Vorschlag in Europa abgestimmt werden müsste. Wenn es um Großbritannien und um Brasilien geht, das sind allerdings nur sehr, sehr wenige Flüge pro Tag. Derzeit ist es ein Flug, der in Frankfurt ankommt. Da kann Deutschland mit Sicherheit in einem Notfall schneller auch alleine handeln.
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