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Debatte um Berliner "Werteinitiative"
Jüdische Wahlbausteine

Juden sehen sich in Deutschland zunehmend antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Mit einer "Werteinitiative" wollen einige jüdische Deutsche jetzt ihre Positionen in die Politik tragen. Doch nicht alle jüdischen Mitbürger stehen hinter der Initiave.

Von Jens Rosbach | 17.06.2017
    Eine Demonstration zum Jewish Holocaust Memorial Day am 27. April 2017 in Berlin, Deutschland
    Jüdische Deutsche wollen, dass die Politik ihre Anliegen besser berücksichtigt (imago/ZUMA Press)
    Elio Adler schlägt Alarm. Nach Ansicht des Berliner Juden hat in den vergangenen Jahren der Antisemitismus stark zugenommen, vor allem der Antisemitismus durch Migranten:
    "Einfaches Beispiel: Mein Sohn hat ein Davidsternkettchen. Ich als Kind habe das stolz getragen Anfang der 80er Jahre. Meine Eltern fanden das gut, alles war entspannt. Heute verbiete ich meinem Sohn auf die Straße zu gehen damit. Das Wort 'Jude' ist ein Schimpfwort in besten Zehlendorfer Gymnasien genauso wie auf der Neuköllner Strasse. Das ist eine Veränderung, die da ist."
    Mehr jüdische Anliegen in die Politik tragen
    Adler, von Beruf Zahnarzt, wollte mehr jüdische Anliegen in die große Politik einbringen. So gründete er mit gleichgesinnten Juden die "Werteinitiative". Die Gruppierung bat nun die wichtigsten Parteien um Stellungnahme zu Themen wie Judenhass, Islamismus und innere Sicherheit. Mit Ausnahme der AfD, die sich lediglich zu einem einzigen Unterpunkt äußerte, antworteten alle Parteien. Ihre Formulierungen sind ähnlich – mit kleinen Unterschieden, sagt Adler:
    "Die CDU hat zum Beispiel darauf verwiesen, dass beim Thema Antisemitismus die Migrationssituation berücksichtigt werden muss und gerade die, die zuwandern, in dieser Hinsicht einen erhöhten Bildungsbedarf haben."
    Streitpunkt Leitkultur
    Die Werteinitiative fragte auch, wie die Parteien zu einer "freiheitlich-demokratischen Leitkultur" stehen. Während CDU und CSU eine solche Leitkultur für unverzichtbar halten, setzen alle anderen Parteien eher auf Offenheit, Freiheit und Vielfalt der Gesellschaft. Einig sind sich Union, SPD, Linke, Grüne und FDP in der Befürwortung der religiösen Beschneidung wie auch in der deutschen Verantwortung für Israel. Die Werteinitiative kommentiere die Wahlbausteine jedoch nicht, erklärt die Berliner Mitstreiterin Mirjam Rosenstein:
    "Wir wollen keine Wahlempfehlung geben, weil wir als Werteinitiative nicht zugehörig zu einer Partei sind."
    Umstrittene Überparteilichkeit
    Doch die Überparteilichkeit ist strittig. Denn die Aktivisten haben auch ein eigenes Papier online gestellt: "Jüdische Positionen zur Bundestagswahl". Darin finden sich zahlreiche Law-and-Order-Aussagen. Wer eine solche Leitkultur nicht akzeptiere, der sollte – wenn möglich - des Landes verwiesen werden, heißt es darin. Zudem will die Werteinitiative Moscheen und muslimische Verbände verbieten, schließen oder strafrechtlich verfolgen, die, Zitat, "nicht ohne Wenn und Aber hinter Demokratie und Menschenrechten stehen".
    Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik steht einigen Forderungen der "Werteinitiative" skeptisch gegenüber.
    Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik steht einigen Forderungen der "Werteinitiative" skeptisch gegenüber. (dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    Forderungen, die auf innerjüdische Kritik stoßen. So spricht der linksliberale Professor Micha Brumlik von einseitigen Positionen:
    "Was ist mit 'deutsch-deutschen' Organisationen, die nicht ohne Wenn und Aber hinter Demokratie und Menschenrechten stehen – wie etwa die AfD oder die NPD? Dass dies verboten, geschlossen oder strafrechtlich verfolgt werden soll, davon schreiben diese jüdischen Autoren nichts."
    Nicht alle tragen die Positionen der Werteinitiative
    Hat die jüdische Werteinitiative eine konservative Prägung, zu der sie sich nicht offen bekennt? Die Aktivisten weisen dies zwar zurück, doch finden sich auf ihrer Website auffallend viele CDU-Politiker als Unterstützer - sogar ein bekennender AfD-Wähler ist dabei. Initiativen-Gründer Elio Adler sieht jedoch keinen Grund zum Eingreifen. Er würde sogar den Namen der AfD-Chefin Frauke Petry veröffentlichen, sollte sie die Werteinitiative begrüßen:
    "Solange Frauke Petry in einer demokratischen Partei ist, würde ich es veröffentlichen."
    Nicht nur linksliberale Juden, auch der Zentralrat der Juden in Deutschland distanziert sich von der jüdischen Wähler-Gruppierung. Vizepräsident Abraham Lehrer tritt zwar ebenfalls für eine klare Abgrenzung zum politischen Islam ein. Dennoch vermisst er bei der Werteinitiative eine ausgestreckte Hand - ein Dialogangebot an die Muslime:
    "Wir als Zentralrat glauben, dass der interreligiöse Dialog aufrecht erhalten werden muss, weil er ein Garant dafür ist, dass es ein gedeihliches, friedliches Miteinander hier in diesem Land gibt."