Freitag, 29. März 2024

Archiv

Debatte um Mesut Özil
"Der Rassismus-Vorwurf kommt zu oft, zu allgemein"

Der Islamexperte und Psychologe Ahmad Mansour hält die Kritik am DFB nach dem Rücktritt von Mesut Özil für berechtigt. Der Verband habe sich teils rassistisch verhalten, sagte er im Dlf. Gleichzeitig müsse sich aber auch der Ex-Nationalspieler Kritik gefallen lassen und dürfe sich nicht hinter dem Rassismus-Vorwurf verstecken.

Ahmad Mansour im Gespräch mit Christine Heuer | 24.07.2018
    War das sein letztes Länderspiel für den DFB? Mesut Özil beim deutschen WM-Spiel am 27. Juni 2018 in Kasan gegen Südkorea (0:2)
    Als Nationalspieler müsse Özil in der Lage sein, Selbstkritik zu üben und zu verstehen, dass ein Bild mit einem autoritären Herrscher Folgen habe - so Ahmad Mansour. (dpa / picture alliance / augenklick/firo Sportphoto)
    Christine Heuer: Am Telefon ist der Diplompsychologe und Islamexperte Ahmad Mansour. Er arbeitet selbst mit Jugendlichen. Eines seiner wichtigsten Themen ist die Integration. Guten Morgen, Herr Mansour.
    Ahmad Mansour: Guten Morgen.
    Heuer: Ist es rassistisch, Mesut Özil wegen seines Fotos mit Erdogan zu kritisieren?
    Mansour: Absolut nicht! Natürlich nicht! Es ist aber rassistisch, Mesut Özil als Türke zu bezeichnen, wenn wir im Fußball verlieren. Mein Problem ist, dass diese Debatte einfach zu spät gekommen ist, dass der DFB nicht in der Lage war, das Bild zu kritisieren, als es entstanden ist, sondern nach dem Scheitern als Weltmeister.
    "Man kann nicht versuchen, Selbstkritik zu vermeiden"
    Heuer: Ich möchte aber trotzdem noch mal bei dem Rassismus-Vorwurf bleiben, der ja auch sehr allgemein gehalten ist. Es gab ja einen Shitstorm im Netz. Özil und Gündogan sind von Fans ausgepfiffen worden. Die "Bild"-Zeitung tritt bis heute nach. Ist das alles kein Rassismus?
    Mansour: Es geht um die Art und Weise. Natürlich ist darunter auch Rassismus. Wenn ich Mesut Özil nicht gönne, dass er in der Nationalmannschaft spielt, wenn ich ihn einseitig kritisiere, wenn ich Doppelmoral betreibe, indem ich Özil und Gündogan kritisiere, aber andere, die sich mit Putin oder sogar auch mit Erdogan treffen, nicht kritisiere, dann ist das problematisch. Aber ich glaube, wir müssen endlich auch über solche Sachen reden können. Der Rassismus-Vorwurf kommt zu oft, zu allgemein, und lässt uns nicht in der Lage sein, über bestimmte Themen zu reden, über die Kritik an Özil, über bestimmte Missstände, die existieren, über Probleme. Das kann man nicht einfach entweder-oder machen. Man kann nicht immer versuchen, die Selbstkritik zu vermeiden und den Rassismus-Vorwurf machen.
    "Dann sucht man einen Sündenbock und landet bei Özil"
    Heuer: Wenn Sie sagen, Herr Mansour, der DFB habe sich teilweise rassistisch verhalten, worin genau liegt das und wen trifft dieser Vorwurf? Trifft der Reinhard Grindel, den Präsidenten?
    Mansour: Auch unter anderem. Aber schauen Sie mal: Wenn Bierhoff nach dem Treffen zwischen Erdogan und Özil meinte, man muss verstehen, wie die Türken ticken, dann ist das auch eine Art von Rassismus. Wenn die Debatte vermieden wird während der Weltmeisterschaft und vorher, obwohl ein Misstrauen zwischen Publikum und Mannschaft entstanden ist, aber erst, nachdem wir versagt haben, nachdem wir verloren haben, nur Özil und Gündogan dafür verantwortlich zu machen, oder sogar nur Özil dafür verantwortlich zu machen, ist natürlich zu kurz. Das hat auch rassistische Züge dabei. Deshalb finde ich auch die Kritik am DFB berechtigt.
    Heuer: Warum machen die das, weil die rassistisch sind, oder weil die sich irgendwie aus der Affäre ziehen wollten?
    Mansour: Ich glaube, weil sie einfach in Panik sind, weil sie einfach eine klare und vielleicht einfache Erklärung suchen für das Scheitern. Dann sucht man einen Sündenbock und dann landet man natürlich bei Özil, weil die Kritik vorher berechtigt war, die sie nicht getan haben.
    Heuer: Da wird der Rassismus irgendwie auch instrumentalisiert?
    Mansour: Teilweise auch! Wissen Sie, wenn Kritik an dem Islam als Islamophobie bezeichnet wird, wenn zum Beispiel Missstände in der Integration als Rassismus bezeichnet wird, wenn jegliche Kritik an bestimmten Themen als Rassismus bezeichnet wird, dann kann man nicht mehr das ernst nehmen. Es gibt in diesem Land Rassismus. Das treffe ich auch als Migrant tagtäglich. Das muss man ernst nehmen. Aber man muss auch in der Lage sein, als Nationalspieler Selbstkritik zu üben und zu verstehen, dass ein Bild mit einem autoritären Herrscher Folgen hat und dass man das kritisieren darf, und nicht sich hinter Rassismus verstecken.
    "Wir müssen debattieren lernen"
    Heuer: Nun sagt ja Mesut Özil, das Foto, das sei nicht politisch gemeint gewesen. Er habe sich auch mit dem Amt fotografieren lassen und nicht mit dem Amtsträger. Was ist denn das für eine Erklärung, Herr Mansour? Kann man dem folgen?
    Mansour: Wenn das nur einmal passiert und danach so eine Erklärung rausgekommen ist, dann hätte ich das abgekauft. Aber wenn sich Mesut Özil mindestens fünfmal in den letzten Jahren mit Erdogan getroffen hat, wenn er sich verweigert, zum Beispiel Solidarität zu zeigen mit Journalisten, die da in Haft sitzen, mit der Opposition in der Türkei, dann hat das natürlich auch eine gewisse Sympathie mit Erdogan selber und nicht mit dem Amtsträger. Deshalb kaufe ich das eigentlich nicht ab.
    Heuer: Darf man das nicht? Darf man nicht Erdogan gut finden?
    Mansour: Man darf Erdogan gut finden, obwohl ich das so sehr problematisch finde. Wir können darüber diskutieren. Wir müssen debattieren lernen. Aber als Nationalspieler, der für Deutschland spielt, kurz vor einer Weltmeisterschaft ein Bild zu machen, das natürlich als Propaganda und für Wahlzwecke benutzt wird, ist das für mich ein No Go, das man nicht machen darf.
    Heuer: Özil sagt, in seiner Brust schlagen zwei Herzen, für die Türkei und für Deutschland. Er ist Deutscher. Ist das nicht normal für einen Mann mit Migrationshintergrund und muss er sich denn entscheiden, was er nun in sich wichtiger findet?
    Mansour: Nein, man muss nicht entscheiden. Wissen Sie, das ist eines der größten Themen, die uns in den nächsten Jahren begleiten werden. Es geht um hybride Identitäten, es geht auch unter Jugendlichen um Identitätskonflikte, die sie haben, wohin ich gehöre, zu welchem Land, was bin ich eigentlich. Man darf Türke und Deutsch sein. Man darf Palästinenser und Deutsch sein. Man darf auch Sympathien mit anderen Ländern haben. Aber man darf natürlich nicht für Deutschland spielen, in Deutschland leben, als Deutscher bezeichnet Teil dieser Gesellschaft sein und die Werte dieser Gesellschaft ablehnen. Man darf nicht in Demokratie leben und für undemokratische Menschen werben, vor allem, wenn man ein Träger ist, wenn man eine bestimmte Vorbildfunktion hat wie Mesut Özil. Dann darf man ihn auch dafür kritisieren, dass er nicht nur zwei Herzen hat, sondern auch Sympathien für einen undemokratischen Amtsträger.
    Heuer: Aber Lothar Matthäus, Herr Mansour, lässt sich mit Wladimir Putin fotografieren und es gibt keinen Shitstorm.
    Mansour: Ich kritisiere das doch und das finde ich auch nicht in Ordnung. Ich glaube, wenn Lothar Matthäus sich damals als ein aktiver Spieler mit Putin getroffen hätte, in solchen Zuständen, dann hätte es einen Shitstorm gegeben. Jetzt ist er kein aktiver Spieler mehr und deshalb hält sich das in Grenzen.
    "Teil einer Doppelmoral"
    Heuer: Aber er spielt ja eine Rolle im DFB. Er ist ja auch ein Funktionsträger. Insofern zieht Mesut Özil da ja einen berechtigten Vergleich.
    Mansour: Absolut! Deshalb finde ich das auch als Teil von einer Doppelmoral, die da betrieben wird. Ich hätte mir gewünscht, dass man auch eine Stellung dazu nimmt und sagt, dass so was nicht geht, genauso wie mit Mesut Özil, und bitte damals, als das Bild entstanden ist, und nicht nach dem Scheitern der Weltmeisterschaft, denn das Scheitern hat viel mehr Gründe und nicht nur Mesut Özil.
    Heuer: Aber diese Doppelmoral, die Sie beklagen, die verweist ja ganz eindeutig darauf, im Zweifel sind es dann doch immer eher die Türken oder die Muslime, die schuld sind.
    Mansour: Das stimmt so nicht. Wissen Sie, in der Nationalmannschaft spielen auch andere Migranten und man hat sie nicht kritisiert. Man kritisiert nicht Khedira, obwohl seine Leistung sich in Grenzen hält. Man kritisiert nicht Boateng. Das ganze Land ist hinter Boateng gestanden, als Gauland ihn rassistisch angesprochen hat. Es geht hier um eine berechtigte Kritik an einem Treffen, das Folgen hat, das instrumentalisiert wurde, und diese Kritik ist absolut berechtigt. Sie wird problematisch, sie hat rassistische Züge, wenn sie einseitig betrachtet wird, wenn man zum Beispiel Lothar Matthäus in Ruhe lässt und nur auf Özil schlägt.
    Özil kein "gutes Beispiel für gelungene Integration"
    Heuer: Sie haben vorhin gesagt, der DFB instrumentalisiert den Rassismus teilweise. Gilt das dann auch für Mesut Özil? Nimmt er das auch, um sich selber einen moralischen Vorteil zu verschaffen, her?
    Mansour: Absolut! - Natürlich! - Und das ist meine Kritik an Özil, dass in diesem Brief, dass in diesem Posten null Selbstkritik entstanden ist, dass er nicht in der Lage war zu verstehen, wieso eine gewisse Kritik legitim ist, wieso er sich mit dem Thema auseinandersetzen musste. Das hat er nicht getan und er ist immer noch nicht in der Lage, das zu tun. So pauschal, so einseitig, so schwarz-weiß zu bezeichnen, dass man Deutscher ist, wenn man gewinnt, aber Migrant, wenn man verliert - übrigens Benzema in Frankreich sagte auch das gleiche vor ein paar Jahren -, das tritt zu kurz. Das darf so nicht sein. Das ist genauso pauschal, wie wenn die AfD Özil ablehnt, nur weil er Türke ist, weil er türkische Wurzeln hat, unabhängig mit wem er sich blicken lässt und mit wem er sich fotografiert.
    Heuer: Mesut Özil war eine Gallionsfigur der Integration, die gerade der DFB ja sehr hochgehalten hat und hochhält. Wie dramatisch, wie schlimm ist das jetzt, dass es dieses Zerwürfnis gibt mit all den Folgen, die wir gerade besprochen haben, für den Integrationsgedanken?
    Mansour: Ich finde nicht, dass Özil ein supergutes Beispiel für gelungene Integration ist. Wenn man erfolgreich Fußball spielt, wenn man enorm viel Geld verdient, ist das kein Zeichen von guter Integration. Integrationsvorbilder haben wir tagtäglich überall in der Bundesrepublik von Türken, Arabern, Menschen zweiter, dritter Generation, die es geschafft haben, die hinter den Werten dieser Gesellschaft stehen, für Demokratie und Menschenrechte auch tagtäglich kämpfen. Das ist für mich Integration. Aber sich für Deutschland spielen lassen, als Deutscher verstehen, aber dann auch Werbung für Erdogan zu machen, ist für mich kein Zeichen von Integration. Jedoch finde ich, dass die emotionale Reaktion so vieler Jugendlicher in Deutschland auf das Posting, auf die Debatte, die jetzt gerade ansteht, zeigt, dass wir noch Nachholbedarf haben, dass viele Jugendliche das Gefühl haben, nicht dazu zu gehören. Das hat nicht nur mit Rassismus aus der Mehrheitsgesellschaft zu tun; das hat auch mit Erziehungsmethoden in den Familien, das hat mit nationalem Stolz, den man auch Jugendlichen oder Kindern in den Familien vermittelt, zu tun, wenn man sie zwingt, nicht Deutscher zu sein. Das sind alles Aspekte, die natürlich eine Rolle spielen.
    Heuer: Ahmad Mansour, der Diplompsychologe, Islam- und Integrationsexperte. Haben Sie Dank!
    Mansour: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.