Hotellerie und Gastronomie gehören zu den am härtesten von der Corona-Krise betroffenen Branchen. Seit November vergangenen Jahres sind Hotels und Gaststätten geschlossen. Wo die Bundesnotbremse greift, sind vorerst keine Öffnungsschritte vorgesehen. Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 liegt, können die Bundesländer entscheiden - wie in Bayern, wo die Außengastronomie zu Pfingsten in stabilen Landkreisen wieder öffnen kann.
Für Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Nach sieben Monaten Lockdown sei die Stimmung in der Branche mies und die Verluste seien groß.
Aber auch die Menschen im Land hätten ein Bedürfnis nach Kurzurlaub. Deshalb sei es gut, wenn die Ministerpräsidenten die Öffnungen nun auf den Weg brächten, sagte Ingrid Hartges. Für sie sei auch "absolut verantwortbar" nicht nur Genesene und Geimpfte unter freiem Himmel zu bewirten, sondern auch Gäste, die einen negativen Schnelltest vorlegen könnten. Die Gastronomiebetriebe seien bereit, die entsprechenden Kontrollen von Impfzertifikaten und Testergebnissen vorzunehmen. Hartges forderte an dieser Stelle mehr Optimismus und Vertrauen in die Branche. Die Arbeitsplätze in der Gastronomie hingen von den Öffnungen ab, deshalb werde es auch gelingen, die Gäste verantwortlich zu kontrollieren.
Vorgezogene Impfungen für Bedienstete der Branche, um dann schneller öffnen zu können, hält Hartges nicht für nötig. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen würden Tests und die weiteren Schutz- und Hygienemaßnahmen erst einmal ausreichen.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Steigen wir direkt mit dem Beispiel Bayern ein, das Sie ja direkt verfolgt haben werden. Das Ganze wird ja zunächst nur recht wenige bayerische Landkreise betreffen, nämlich nur die, die stabile Inzidenzen unter 100 haben. Sind Sie denn mit diesem bayerischen Vorgehen zufrieden und ist das das Modell für andere Bundesländer?
Ingrid Hartges: Festzuhalten bleibt, dass es zunächst ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist. Wir sind jetzt im siebten Monat des zweiten Lockdowns. Die Stimmung ist denkbar schlecht in der Branche – nicht nur bezogen auf die finanzielle Situation, sondern einfach auch psychisch und emotional. Es ist verpflichtend für die Länder, jetzt auch Öffnungsschritte ganz konkret zu terminieren für die Gastronomie und Hotellerie.
Engels: In vielen anderen Bundesländern gibt es aber solche Pläne noch nicht. Sie haben nun gefordert, dass Hotels, Restaurants und natürlich die Außengastronomie für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete geöffnet werden soll. Wollen Sie das Ganze auch unabhängig von der Inzidenzlage in dem jeweiligen Landkreis?
Hartges: Zunächst gilt ja hier das Bundesinfektionsschutzgesetz und dort ist ja klar geregelt, für über 100 ist der Bund zuständig, für unter 100 sind die Länder zuständig. Ob die Inzidenz von 100 noch sachgerecht ist, das wird sicherlich das Bundesverfassungsgericht hoffentlich in den nächsten Tagen entscheiden. Dort sind ja über 200 Verfassungsbeschwerden anhängig. Aber die Rechtslage ist nun mal so, dass im Moment die Länder nur unter 100 öffnen können. Das ist auch explizit geregelt in der Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung, wo nach Paragraph elf auch die Länder ermächtigt werden, entsprechende Regelungen zu treffen für Geimpfte und Genesene wie auch für getestete Personen.
"Auch andere Bereiche der Wirtschaft sind geöffnet"
Engels: Das ist ja ein interessanter Zusammenhang. Die Genesenen und die Geimpften hier auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber die Getesteten. Da warnen ja Virologen davor, dass ein Antigen-Schnelltest doch vielfach falsche Ergebnisse liefern könne. Das heißt, selbst wenn Sie jetzt für die eine Gruppe öffnen, die genesen und geimpft ist und den vollen Impfschutz hat, dann ist da größere Sicherheit bei als bei den Getesteten. Warum wollen Sie dennoch für die Getesteten auch öffnen?
Hartges: Das wird derzeit ja auch in den Modellregionen in Schleswig-Holstein so praktiziert. Es galt im Übrigen auch schon für andere Bereiche, hier in Berlin und anderswo, für den Einzelhandel, und ich glaube, das hat sich bewährt. Der Test darf nicht älter als 24 Stunden sein, so ist es hier jetzt in dieser neuen Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung auch dargelegt. Und ich glaube, das ist absolut verantwortbar. Wir sind wirklich an einem Punkt: wir haben eine erfreuliche Entwicklung der Infektionszahlen. Sie sind heute wieder über 4000 gesunken und wir müssen stärker jetzt schauen, was können wir für die so hart betroffene Wirtschaft wieder ermöglichen, aber auch für die Menschen in diesem Land, die auch das Bedürfnis haben, mal wieder in die Außengastronomie gehen zu können, einen Kurzurlaub in Deutschland zu verbringen. Deswegen begrüßen wir sehr, dass hier Ministerpräsidenten der Länder in den letzten Tagen klar angekündigt haben, die Öffnung unserer Branche auf den Weg zu bringen.
"Öffnungen sind absolut verantwortbar"
Engels: Das hat aber viele Umsetzungsprobleme. Viele Beschäftigte der Hotel- und Gastronomiebranche sind beispielsweise noch nicht geimpft. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Angestellten geschützt sind, wenn Getestete, wie eben angesprochen, womöglich nicht völlig risikolos sind?
Hartges: Ich würde sehr dazu raten, jetzt mal zu schauen, wie das in den Modellregionen in Schleswig-Holstein funktioniert und anderswo funktioniert. Wir haben ja auch andere Bereiche der Wirtschaft, die geöffnet sind, wo auch nur Tests vorgenommen werden und teilweise ja auch nicht verpflichtend sind, diese Testungen. Ich glaube, das ist absolut verantwortbar, jetzt für Genesene, Geimpfte wie auch für getestete Menschen hier die Bereiche der Branche Außengastronomie sukzessive Restaurants und auch Hotels, wie in Bayern jetzt angekündigt, zu öffnen.
Impf-Priorisierung für Mitarbeiter "überfällig"
Engels: Freddy Adjan, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft, Nahrung, Genuss, Gaststätten, verlangte bei uns im Deutschlandfunk im Interview, die Angestellten von Hotels und Gaststätten in der Impfpriorisierung nach vorne zu bringen, also auch in die Gruppe III aufzunehmen, also früher zu impfen. Muss erst geimpft werden und dann geöffnet?
Hartges: Das sehe ich nicht so, weil wie gesagt, die meisten Teile der deutschen Wirtschaft sind geöffnet und dort liegen ja auch nicht überall Impfungen vor. Da arbeiten Menschen auch auf engem Raum zusammen und dort gilt die Maskenpflicht. Es gibt ja neben den Tests auch die weiteren Schutz- und Hygienemaßnahmen, die wir im letzten Jahr auch schon erfolgreich umgesetzt haben. Natürlich begrüßen wir auch – das war auch eine Forderung von uns -, dass die Mitarbeiter in der Gastronomie und Hotellerie in eine Priorisierung kommen, und das wäre jetzt überfällig, dieses auf den Weg zu bringen.
"Bereit, Kontrollen verantwortlich durchzuführen"
Engels: Dann schauen wir noch mal in die Praxis, wie man sich das vorstellen kann. Wenn die Außengastronomie geöffnet hat, müssen dann demnächst die Kellner und Kellnerinnen Impfpässe und Tests kontrollieren, Zertifikate, ob sie noch gültig sind, überprüfen und dann auch immer noch schauen, ob sich jetzt vielleicht spontan in der Außengastronomie jemand dazugesetzt hat? Ist das überhaupt praktikabel, oder läuft das aus dem Ruder?
Hartges: Zunächst möchte ich feststellen, dass ja grundsätzlich an der frischen Luft das Infektionsrisiko fast bei null liegt. Zweitens: Wir haben ja auch im letzten Jahr, als wir die wenigen Monate geöffnet waren, schon die Gästeregistrierung vorgenommen und von unseren Unternehmen höre ich doch mehrheitlich, dass sie bereit sind, diese Kontrollen verantwortlich durchzuführen. Wir stehen auch im Kontakt mit Unternehmern in Schleswig-Holstein, die das sehr verantwortlich machen, und ich finde, hier sollte man auch etwas optimistischer sein und Zutrauen dazu haben, dass die Unternehmen, die jetzt so lange geschlossen sind, auch in der Lage sind, das verantwortlich zu kontrollieren, weil es hängt so viel für ihre Zukunft davon ab und auch für die Zukunft der Arbeitsplätze in unserer Branche. Deswegen wird das auch gelingen.
"Gehe von konkreter Öffnung im Mai aus"
Engels: Derzeit – Sie haben es angesprochen – entwickeln ja einige Bundesländer Pläne, um möglicherweise Gastronomie und Hotellerie wieder zu eröffnen. Es kann aber sein, dass das nicht jedes Bundesland macht. Gehen Sie dann davon aus, dass es bald die Klage eines geimpften Gastronomen oder Hoteliers vor Gericht gibt? Der will dann sein Restaurant oder Hotel nur für vollständig Geimpfte öffnen. Ist das eine Rechtssituation, die Sie erwarten?
Hartges: Im Moment erwarte ich das nicht, weil ich gehe davon aus, dass die Länder wirklich ihrer Verpflichtung nachkommen, jetzt die konkrete Öffnung unserer Branche hier im Mai endlich zu beschließen. Die Infektionszahlen machen wie gesagt Hoffnung. Die Zahl der Landkreise mit Inzidenzen unter 100 steigt. Ich glaube, dass wir einfach schauen müssen, dass wir das Impfen beschleunigen. Letzte Woche am Donnerstag hatten wir einen Impfrekord von 1,1 Millionen. Wenn sich dieser fortsetzt bis Ende Mai, sind weitere 30 Millionen Impfungen möglich. Das ist ja auch ganz, ganz wichtig, dass das funktioniert, weil das bietet ja in der Tat die höchste Sicherheit. Ich gehe davon aus, wenn die Landesregelungen so auf den Weg gebracht werden, dass Voraussetzung ist, eine Impfung oder Immunitätsausweis, dass jemand genesen ist, oder einen Negativtest mitbringt, dass dann verantwortlich unsere Betriebe öffnen können.
"Politik steht in der Verantwortung, für verantwortliche Öffnungen zu sorgen"
Engels: Das ist die Hoffnung. Dem gegenüber steht die Linie beispielsweise von SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach. Der rät dazu, zu warten, bis man in der Hotellerie und der Gastronomie weitgehend öffnet, bis die Inzidenzzahlen doch wieder so weit gefallen sind, dass sichergestellt ist, dass nicht mittelfristig eine weitere Schließung droht. Denn damit wäre Ihnen ja auch nicht gedient. Nehmen wir an, es geht schief, die Zahlen steigen wieder und man müsste nach zwei Wochen wieder schließen.
Hartges: Ja. Dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt, auch gerade von Herrn Lauterbach, das verwundert ja nicht. Aber wir müssen ja auch mal feststellen: Wir wurden am 2. November geschlossen und über diese lange Zeit kam ja von unserer Branche wirklich 0,0 Beitrag zum Infektionsgeschehen, und trotzdem hat man die Dinge nicht in den Griff bekommen und teilweise wurden ja auch nicht die Hausaufgaben gemacht. Ich finde, dass die Politik jetzt schon in der Verantwortung steht, im Dialog auch mit unserer Branche in den Ländern jetzt für verantwortliche Öffnungen Sorge zu tragen. Wir haben eine steigende Impfquote, die Woche für Woche steigt. Wir haben Testungen. Das hatten wir alles im letzten Jahr nicht. Von daher, finde ich, ist es absolut zu vertreten, dass hier für die Getesteten, Geimpften, Genesenen Öffnungen unserer Betriebe verantwortlich erfolgen müssen.
"Insolvenzschutz muss verlängert werden"
Engels: Dann müssen wir noch kurz auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, was in der politischen Debatte im Zusammenhang mit den Folgen der Corona-Krise gerade zwischen Union und SPD heftig umstritten ist. Das ist die Pflicht für Unternehmen, im Fall der finanziellen Schieflage Insolvenz anzumelden. Die Anmeldefrist dafür war ja lange Zeit ausgesetzt worden, doch diese Aussetzung dieser Meldung von Insolvenz, die galt nur bis Ende des Monats April. Nun ist sie ausgelaufen. Die SPD macht die Union verantwortlich und es gibt nicht wenige, die warnen, dass jetzt vielen Unternehmen möglicherweise kurz bevor es wieder besser geht doch noch die Pleite drohen könnte. Wie ist das in Ihrer Branche?
Hartges: Es wäre unverantwortlich, wenn jetzt der Insolvenzschutz nicht verlängert wird. Er gilt ja ohnehin seit Januar nur für die Unternehmen, die Anspruch hier noch auf November-, Dezemberhilfen haben, die die Anträge noch nicht stellen konnten, und die Situation besteht heute immer noch. Es sind rund zehn Prozent der Unternehmen, die noch keine November-, Dezemberhilfe erhalten haben und wo auch die aktuelle Überbrückungshilfe III keine ausreichende Unterstützung für größere Unternehmen bietet. Da arbeitet man dran und diese beiden Ausnahmetatbestände, die müssen berücksichtigt werden und für diese Ausnahmetatbestände muss der Insolvenzschutz verlängert werden. Es kann wirklich nicht sein, dass aufgrund der Komplexität der Beihilfeprogramme, der langen Bearbeitungszeiten und der noch nicht erfolgten Auszahlungen hier jetzt Unternehmen in einer Situation, wo wir wirklich Licht am Ende des Tunnels sehen, in die Insolvenz gehen müssen. Das wäre unverantwortlich und deswegen appelliere ich an alle Mitglieder der Bundesregierung, des Bundestages, diesen Insolvenzschutz noch in dieser Woche auf den Weg zu bringen für die klar definierten Ausnahmetatbestände.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.