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Dekolonisierung in Portugal
Beide Seiten der Geschichte zeigen

In Portugal wurden während der Kolonialzeit sechs Millionen Menschen versklavt. Bisher gibt es keinen Ort, der an ihr Schicksal erinnert. Das soll sich nach dem Willen einer Bürgerinitiative in Lissabon bald ändern. Der Bürgermeister wollte ursprünglich einen Seefahrer-Themenpark für Touristen.

Von Tilo Wagner | 22.01.2020
Beatriz Gomes Dias, Linkspolitikerin und Kämpferin für die Aufarbeitung von Portugals kolonialer Vergangenheit
Das Geld für das "Casa dos Bicos" hinter Beatriz Gomes Dias wurde mit Sklavenhandel erwirtschaftet (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
Auf einem Platz zwischen Tejo-Ufer und der historischen Altstadt steht Beatriz Gomes Dias vor einem der berühmtesten Gebäude Lissabons: Hinter der schmuckvollen Fassade des Wohnhauses "Casa dos Bicos" lebte im 16. Jahrhundert der Sohn eines berühmten portugiesischen Seefahrers. Auf dem Platz davor wurden einst auf einem Sklavenmarkt Menschen aus den afrikanischen Kolonien wie Tiere gehalten und versteigert.
"Dieses Haus ist mit dem Geld erbaut worden, das die Besitzer zu Beginn des portugiesischen Imperialismus durch den Sklavenhandel verdient haben. Es ging den Portugiesen vor allem um die Ausbeutung und den Raub von Materien und Menschen des afrikanischen Kontinents. Die Lissabonner, die an diesem Handel beteiligt waren, sind dadurch sehr reich geworden. Aber wir finden in der Stadt bisher keine Spuren, die uns diesen zwiespältigen Hintergrund erklären."
"Portugal hält sich für nicht rassistisch"
Die jüngere Geschichte des portugiesischen Kolonialismus ist auch die Geschichte von Beatriz Gomes Dias. Ihre Eltern stammen aus Portugals Ex-Kolonie Guinea-Bissau und flohen Ende der 60er-Jahre vor dem Unabhängigkeitskrieg in den Senegal. In Dakar geboren, kam Dias als Vierjährige nach Lissabon – nach dem Ende des autoritären Salazar-Regimes in Portugal und nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Kolonien.
Vor ein paar Jahren gründete die Biologielehrerin mit Freunden einen Verein für afrikanischstämmige Portugiesen. Ihr Ziel war es einen Zusammenhang herzustellen: zwischen kolonialem und rassistischem Denken. Beides Mal handelt es sich um eine Verachtung bestimmter Menschengruppen.
"Portugal hält sich für ein Land, das nicht rassistisch ist und schon längst in einer multikulturellen, demokratischen und postkolonialen Gegenwart angekommen ist. Es gibt nur ganz wenige Stimmen, die die Kontinuität zwischen der kolonialen Vergangenheit und dem heutigen Rassismus aufzeigen wollen. Diese Debatte fällt so schwer, weil viele Portugiesen immer noch in der Illusion leben, dass die portugiesische Kolonialherrschaft viel weniger gewaltsam und brutal gewesen sei als der Kolonialismus anderer Länder."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Erinnern. Verändern. Dekolonisierung in Europa".
Dias und ihr Verein reisten in die Niederlande und ließen sich von einer Gedenkstätte für die Opfer der Sklaverei in Amsterdam inspirieren. In Portugal gibt es bisher keinen Ort, an dem die Verbrechen des portugiesischen Kolonialismus thematisiert werden. Beatriz Dias hoffte, dass die Errichtung eines Denkmals in Lissabon die kritische Aufarbeitung der Kolonialzeit stärker in den Mittelpunkt rücken würde.
Gedenkstätte und Seefahrer-Themenpark
Dias läuft über den weiten, frisch modernisierten Platz und zeigt auf eine freie Stelle, wo die Gedenkstätte in Kürze errichtet werden soll. Unter den drei Projekt-Vorschlägen, über die die Lissabonner zurzeit abstimmen, finden sich ein Sklavenschiff aus 131 Betonbänken, ein Zuckerrohr-Wald aus 540 Aluminium-Stangen sowie ein dreieckiger Pavillon. Die Finanzierung läuft über den Bürgerhaushalt der Stadt Lissabon.
"Wir haben den Vorschlag einfach eingereicht. Dann haben wir eine Kampagne gestartet, um die Leute zu mobilisieren – und haben tatsächlich am meisten Stimmen bekommen. Das Projekt ist dann aus einer Expertengruppe aus Historikern, Künstlern, Kuratoren, Museumswissenschaftlern und Aktivisten in enger Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung weitergeführt worden."
Von Seiten der Stadt kamen aber auch widersprüchliche Zeichen: Während das Denkmal-Projekt immer konkreter wurde, spielte Lissabons Bürgermeister auch mit der Idee, für Touristen eine Art Themenpark über die portugiesischen Seefahrer zu bauen. Ein "Museum der Entdeckungen", in dem nur eine Seite der Kolonialgeschichte zur Sprache kommen sollte.
Fortbestehende Diskriminierung thematisieren
Anderseits hat die Idee, ein Denkmal für die Opfer der Sklaverei zu errichten, auch in anderen portugiesischen Städten Unterstützung erhalten. Beatriz Dias ist zuversichtlich, dass es in Portugal offenbar trotz allem genügend kritische Menschen gibt, die einen neuen Blick auf die Vergangenheit wagen wollen.
In Lissabon wird direkt neben der Gedenkstätte in einem alten Gebäude der Stadtverwaltung ein Dokumentationszentrum installiert. Die Besucher sollen sich hier über die fast 600-jährige Geschichte des portugiesischen Kolonialismus in Afrika informieren können. Doch die 48-jährige Aktivistin hofft auf mehr. Dass der Ort für die afrikanischstämmigen Portugiesen zu einem Bezugspunkt wird: Wo sie etwas darüber erfahren können, welche historischen Wurzeln der Rassismus im 21. Jahrhundert hat.
"Wir wollen im Dokumentationszentrum kritische Fragen aufwerfen zur aktuellen Polizeigewalt, zu der territorialen und sozialen Ausgrenzung afrikanischstämmiger Portugiesen, zu Problemen wie niedrige Löhne, fehlender Zugang zur Bildung oder die geringe Quote von schwarzen Studenten an den Hochschulen. Das heißt, wir wollen zeigen, auf welchen Ebenen sich der Rassismus in der portugiesischen Gesellschaft zeigt und wie er das Leben der afrikanischstämmigen Bevölkerung beeinflusst."
Dias sitzt seit Oktober im Parlament
Seit Oktober sitzt Beatriz Dias für die Linkspartei "Bloco Esquerda" im portugiesischen Parlament. Mit ihr sind zwei weitere schwarze Frauen anderer Parteien in die Volksvertretung gewählt worden. Dias macht sich deshalb Hoffnung, dass die Diskussion um das rassistische Erbe des Kolonialismus in der portugiesischen Gesellschaft schon bald zu konkreten politischen Schritten führen wird, zum Beispiel durch eine bessere Ausstattung des Staatssekretariats für Gleichstellung:
"Im aktuellen Regierungsprogramm der Sozialisten findet sich eine Reihe von wichtigen Maßnahmen. Wenn diese tatsächlich ausreichend finanzielle Unterstützung erhalten und so wie geplant umgesetzt werden, dann wird das vor allem für die afrikanischstämmige Bevölkerung eine spürbare Verbesserung bringen."