Köhler: In Russland wird der wohlhabendste Mann des Landes ins Gefängnis gesteckt, in Italien wird der wohlhabendste Mann Premierminister. Das sagt noch überhaupt nichts aus, über den Zustand von Demokratien, sind aber Endpunkte möglicher Verquickung von Politik und Wirtschaft, Demokratie und Kapital. Heute und morgen wählt Italien seine neue Regierung, aber es sieht nach außen so aus, als ob Italien vor der Wahl steht, die Amtszeit von Silvio Berlusconi allein, zu verlängern oder zu beenden. Mit dem Lektor und Lyriker, dem in Rom geborenen deutschen Schriftsteller Christian Friedrich Delius, der in Berlin und Rom lebt, möchte ich über die Wahl in Europa sprechen. Herr Delius, als Beobachter reibt man sich die Augen. Lieben die Italiener so sehr, wie manche sagen, einen Medienmogul, Schauspieler, Aufschneider und Emporkömmling, dass sie gar nicht mehr von ihm lassen können?
Delius: Also, das ist zu befürchten, dass sie ihn jetzt wieder wählen. In einer sehr knappen Mehrheit. Wobei man natürlich sagen muss, dass er ja nicht alleine gewählt wird, sondern dass er sehr starke Koalitionspartner hat. Er selber mit seiner Forza Italia, das vergisst man in Deutschland immer, hat ja nur ungefähr 20 Prozent. Und seine anderen beiden Alliierten, oder eigentlich drei Alliierten, die bringen ihn dann auf diese 47, 48 Prozent, die man so braucht. Aber er hat die ganze Sache so personalisiert, sich da so in den Mittelpunkt geschoben, dass es aussieht, als wären wir in einem amerikanischen Wahlkampf, wo es nur um die beiden Präsidentschaftskandidaten geht.
Köhler: Im amerikanischen Wahlkampf haben wir gelernt, einen Ausspruch: It's the economies, stupid - die Wirtschaft machts! Aber in Italien scheint man für solche Argumente blind zu sein. Wirtschaft lahmt, woher kommt trotzdem diese hartnäckige Liebe, oder das Festhalten zu diesem Premier?
Delius: Ich meine, man muss schon sagen, dass nun der Berlusconi kein, sagen wir, sauberes Verhältnis zur Wahrheit hat. Er stellt sich hin und sagt, für die ganze Ökonomie ist der Prodi verantwortlich, denn der hat ja schließlich den Euro eingeführt. Also ist dann immer die Schuld für diese wirklich katastrophale ökonomische Situation in Italien, also katastrophal insofern, dass sie in den europäischen Statistiken also wirklich auf den allerletzten Plätzen liegen, was Wachstum und so weiter, angeht. Also, das wird immer anderen zugeschoben, oder es wird Europa zugeschoben. Und das ist natürlich eine Verdrängung, die er jetzt gerade vor der Wahl, noch mal so richtig eingesetzt hat, aber die natürlich auf Dauer nicht zu halten ist. Wenn Berlusconi noch mal gewinnen sollte, dann wird er sich da mit größten Problemen konfrontiert sehen.
Köhler: Es gibt ein merkwürdiges Missverhältnis über die Anwesenheit, sage ich einmal, der italienischen Kultur in unserer europäischen Alltagswelt und dem was man demokratische Kultur nennen kann. In etwas einfacheren Worten: mit Pizza und Prosciutto, mit Balsamico und Barolo, leben wir gerne und gut und haben die Auffassung, das muss wohl das Paradies auf Erden sein. Die kleine Utopie vom Schlaraffenland. Aber die demokratische Kultur ist sonderbar unausgeprägt. Sie haben eine, wie ich finde, ganz interessante kulturelle These, was so die Blindheit der europäischen Nachbarn gegenüber Italien angeht.
Delius: Ja, also ich finde, dass die meisten Europäer ja ein sehr positives Image von Italien haben und zu recht. Aber es ist natürlich der Touristenblick. Es ist der oberflächliche Blick. Und da will man dann auch nicht so näher wissen, wie nun genau die Politik in Italien ist. Man nimmt das immer so ein bisschen als Folklore wahr. Und man besteht ja auch, es gibt ja so eine gewisse, sagen wir, nordeuropäische Arroganz, dem Südländer gegenüber, der alles so ein bisschen sich hinschummelt und so. Und das, gesteht man, das gehört zum Bild der Folklore dazu. Dass da aber dahinter wirklich ein solcher massiver Abbau von demokratischen Prinzipien, also Abbau der Gewaltenteilung, was schließlich Demokratie ausmacht, in einem so unverschämten Maße stattfindet, das hat man in Europa lange nicht sehen wollen.
Köhler: Herr Delius, könnte es sein, dass es weniger ein Abbau demokratischer Prinzipien ist, als vielmehr, dass jahrzehntelang an einem stabilen Aufbau nicht genug getan worden ist. Oder anders formuliert, es eine Tradition des Außer- oder Vordemokratischen vielleicht gibt.
Delius: Ja, ich meine, wir wissen natürlich alle, dass Italien nie eine sehr starke Demokratie war, im Sinne wie die, sagen wir, die britische oder die niederländische Demokratie, meinetwegen. Aber man vergisst ja immer, dass es in Italien selbst beispielsweise den Staatspräsidenten Ciampi gibt, der ein Konservativer durch und durch ist. Aber ein verfassungstreuer Mensch, der sich wehrt, gegen diesen Berlusconi, seit fünf Jahren jetzt, aber der natürlich nicht viel machen kann.
Und das finde ich so erschreckend, dass also wir in Europa uns auch so auf Berlusconi fixiert haben, dass wir jemanden wie den Ciampi, der übrigens viel höhere Beliebtheitswerte hat als Berlusconi, überhaupt nicht wahrnehmen. Und diesen einsamen Kampf dieses Staatspräsidenten einfach nicht unterstützen. Das hat Europa fünf Jahre lang versäumt.
Köhler: Aber das scheint doch Gründe zu haben, liegt es daran, dass es keine nennenswerte Opposition gibt? Denn eine intellektuelle Opposition gibt es doch wohl, eine lautstarke.
Delius: Ja, es gibt auch eine politische Opposition, die natürlich auch sehr bunt und vielfältig ist, so wie die Mitte-Rechts-Koalition ja auch, ist es auf der Mitte-Links nicht anders, dass da sehr viele parteipolitische Reibereien intern sind. Das hat Berlusconi auf seiner Seite ja auch, das nimmt man hier nur auch nicht so wahr. Aber die Opposition hat eben nicht so eine starke Integrationsfigur, die das alles, sozusagen, alle Strömungen von Mitte-Links, sozusagen, aufnimmt und das auch, sozusagen, offensiv vertritt. Der gute Prodi versucht das und ob er das schafft ist ja die Frage.
Köhler: Er ist alles andere, als ein charismatischer Redner. Ich will ihm damit nicht zu nahe treten. Haben wir es in Italien mit einer Form, mir geht es schwer über die Lippen, aber ich sage es trotzdem mal, einer Art von aufgeklärter Tyrannei mit italienischer Eleganz zu tun?
Delius: Also ich vermeide solche Schlagwörter wie Tyrannei oder manche sagen, Regime, oder Faschismus, oder so etwas. Das führt nicht viel weiter, es ist einfach wirklich eine neue Form, wo der reichste Mann des Landes, der 90 Prozent des Medienmarktes beherrscht - die Italiener lesen ja kaum Zeitung, es gibt dort nicht einmal so eine Art Bildzeitung, oder so etwas - und also 90 Prozent der Fernsehprogramme beherrscht und durch die Gesetze, die er jetzt gemacht hat, auch einen ganz starken Einfluss auf die Justiz hat. Also die drei tragenden Dinge. Und dann die Gesetze zu seinem Vorteil noch macht. Es ist glaube ich keine, ich würde es nicht als Tyrannei bezeichnen, es ist eine Interessengemeinschaft zur Vergewaltigung des Staates, um selber nicht vor Gericht zu kommen. Das hat er selber so gesagt, also, ich bin in die Politik gegangen, damit ich nicht mehr mich mit diesen Richtern herumschlagen muss.
Köhler: Herr Delius, was Sie gerade gesagt haben, könnte das nicht der Grund, oder die Erklärung eigentlich sein, für eine bestimmte Wählergruppe, ich vermute jetzt mal, den mittelständischen kleinen Handwerker, der sagt, kuck dir den Berlusconi an, der hat es geschafft!
Delius: Ja, ja, natürlich, darauf gründet ja sein Erfolg, dass er sich sozusagen als durchschnittlichen Italiener hinstellt und, dass also die Leute sagen, der hat nicht alles sauber gemacht, aber wer macht das schon. Also, gut und da gilt er schon als Vorbild. Aber ich glaube nicht, dass das alles ist.
Köhler: Italien wählt heute und morgen. Der Schriftsteller, in Rom und Berlin lebt er, Friedrich Christian Delius war das. Dankeschön!
Delius: Also, das ist zu befürchten, dass sie ihn jetzt wieder wählen. In einer sehr knappen Mehrheit. Wobei man natürlich sagen muss, dass er ja nicht alleine gewählt wird, sondern dass er sehr starke Koalitionspartner hat. Er selber mit seiner Forza Italia, das vergisst man in Deutschland immer, hat ja nur ungefähr 20 Prozent. Und seine anderen beiden Alliierten, oder eigentlich drei Alliierten, die bringen ihn dann auf diese 47, 48 Prozent, die man so braucht. Aber er hat die ganze Sache so personalisiert, sich da so in den Mittelpunkt geschoben, dass es aussieht, als wären wir in einem amerikanischen Wahlkampf, wo es nur um die beiden Präsidentschaftskandidaten geht.
Köhler: Im amerikanischen Wahlkampf haben wir gelernt, einen Ausspruch: It's the economies, stupid - die Wirtschaft machts! Aber in Italien scheint man für solche Argumente blind zu sein. Wirtschaft lahmt, woher kommt trotzdem diese hartnäckige Liebe, oder das Festhalten zu diesem Premier?
Delius: Ich meine, man muss schon sagen, dass nun der Berlusconi kein, sagen wir, sauberes Verhältnis zur Wahrheit hat. Er stellt sich hin und sagt, für die ganze Ökonomie ist der Prodi verantwortlich, denn der hat ja schließlich den Euro eingeführt. Also ist dann immer die Schuld für diese wirklich katastrophale ökonomische Situation in Italien, also katastrophal insofern, dass sie in den europäischen Statistiken also wirklich auf den allerletzten Plätzen liegen, was Wachstum und so weiter, angeht. Also, das wird immer anderen zugeschoben, oder es wird Europa zugeschoben. Und das ist natürlich eine Verdrängung, die er jetzt gerade vor der Wahl, noch mal so richtig eingesetzt hat, aber die natürlich auf Dauer nicht zu halten ist. Wenn Berlusconi noch mal gewinnen sollte, dann wird er sich da mit größten Problemen konfrontiert sehen.
Köhler: Es gibt ein merkwürdiges Missverhältnis über die Anwesenheit, sage ich einmal, der italienischen Kultur in unserer europäischen Alltagswelt und dem was man demokratische Kultur nennen kann. In etwas einfacheren Worten: mit Pizza und Prosciutto, mit Balsamico und Barolo, leben wir gerne und gut und haben die Auffassung, das muss wohl das Paradies auf Erden sein. Die kleine Utopie vom Schlaraffenland. Aber die demokratische Kultur ist sonderbar unausgeprägt. Sie haben eine, wie ich finde, ganz interessante kulturelle These, was so die Blindheit der europäischen Nachbarn gegenüber Italien angeht.
Delius: Ja, also ich finde, dass die meisten Europäer ja ein sehr positives Image von Italien haben und zu recht. Aber es ist natürlich der Touristenblick. Es ist der oberflächliche Blick. Und da will man dann auch nicht so näher wissen, wie nun genau die Politik in Italien ist. Man nimmt das immer so ein bisschen als Folklore wahr. Und man besteht ja auch, es gibt ja so eine gewisse, sagen wir, nordeuropäische Arroganz, dem Südländer gegenüber, der alles so ein bisschen sich hinschummelt und so. Und das, gesteht man, das gehört zum Bild der Folklore dazu. Dass da aber dahinter wirklich ein solcher massiver Abbau von demokratischen Prinzipien, also Abbau der Gewaltenteilung, was schließlich Demokratie ausmacht, in einem so unverschämten Maße stattfindet, das hat man in Europa lange nicht sehen wollen.
Köhler: Herr Delius, könnte es sein, dass es weniger ein Abbau demokratischer Prinzipien ist, als vielmehr, dass jahrzehntelang an einem stabilen Aufbau nicht genug getan worden ist. Oder anders formuliert, es eine Tradition des Außer- oder Vordemokratischen vielleicht gibt.
Delius: Ja, ich meine, wir wissen natürlich alle, dass Italien nie eine sehr starke Demokratie war, im Sinne wie die, sagen wir, die britische oder die niederländische Demokratie, meinetwegen. Aber man vergisst ja immer, dass es in Italien selbst beispielsweise den Staatspräsidenten Ciampi gibt, der ein Konservativer durch und durch ist. Aber ein verfassungstreuer Mensch, der sich wehrt, gegen diesen Berlusconi, seit fünf Jahren jetzt, aber der natürlich nicht viel machen kann.
Und das finde ich so erschreckend, dass also wir in Europa uns auch so auf Berlusconi fixiert haben, dass wir jemanden wie den Ciampi, der übrigens viel höhere Beliebtheitswerte hat als Berlusconi, überhaupt nicht wahrnehmen. Und diesen einsamen Kampf dieses Staatspräsidenten einfach nicht unterstützen. Das hat Europa fünf Jahre lang versäumt.
Köhler: Aber das scheint doch Gründe zu haben, liegt es daran, dass es keine nennenswerte Opposition gibt? Denn eine intellektuelle Opposition gibt es doch wohl, eine lautstarke.
Delius: Ja, es gibt auch eine politische Opposition, die natürlich auch sehr bunt und vielfältig ist, so wie die Mitte-Rechts-Koalition ja auch, ist es auf der Mitte-Links nicht anders, dass da sehr viele parteipolitische Reibereien intern sind. Das hat Berlusconi auf seiner Seite ja auch, das nimmt man hier nur auch nicht so wahr. Aber die Opposition hat eben nicht so eine starke Integrationsfigur, die das alles, sozusagen, alle Strömungen von Mitte-Links, sozusagen, aufnimmt und das auch, sozusagen, offensiv vertritt. Der gute Prodi versucht das und ob er das schafft ist ja die Frage.
Köhler: Er ist alles andere, als ein charismatischer Redner. Ich will ihm damit nicht zu nahe treten. Haben wir es in Italien mit einer Form, mir geht es schwer über die Lippen, aber ich sage es trotzdem mal, einer Art von aufgeklärter Tyrannei mit italienischer Eleganz zu tun?
Delius: Also ich vermeide solche Schlagwörter wie Tyrannei oder manche sagen, Regime, oder Faschismus, oder so etwas. Das führt nicht viel weiter, es ist einfach wirklich eine neue Form, wo der reichste Mann des Landes, der 90 Prozent des Medienmarktes beherrscht - die Italiener lesen ja kaum Zeitung, es gibt dort nicht einmal so eine Art Bildzeitung, oder so etwas - und also 90 Prozent der Fernsehprogramme beherrscht und durch die Gesetze, die er jetzt gemacht hat, auch einen ganz starken Einfluss auf die Justiz hat. Also die drei tragenden Dinge. Und dann die Gesetze zu seinem Vorteil noch macht. Es ist glaube ich keine, ich würde es nicht als Tyrannei bezeichnen, es ist eine Interessengemeinschaft zur Vergewaltigung des Staates, um selber nicht vor Gericht zu kommen. Das hat er selber so gesagt, also, ich bin in die Politik gegangen, damit ich nicht mehr mich mit diesen Richtern herumschlagen muss.
Köhler: Herr Delius, was Sie gerade gesagt haben, könnte das nicht der Grund, oder die Erklärung eigentlich sein, für eine bestimmte Wählergruppe, ich vermute jetzt mal, den mittelständischen kleinen Handwerker, der sagt, kuck dir den Berlusconi an, der hat es geschafft!
Delius: Ja, ja, natürlich, darauf gründet ja sein Erfolg, dass er sich sozusagen als durchschnittlichen Italiener hinstellt und, dass also die Leute sagen, der hat nicht alles sauber gemacht, aber wer macht das schon. Also, gut und da gilt er schon als Vorbild. Aber ich glaube nicht, dass das alles ist.
Köhler: Italien wählt heute und morgen. Der Schriftsteller, in Rom und Berlin lebt er, Friedrich Christian Delius war das. Dankeschön!
